6. September 2024

Morgenrot macht Roggenbrot

... so.oder so ähnlich könnte der Slogan gewesen sein. Da legt doch das lettische Landwirtschaftsministerium ein spezielles Förderprogramm auf, um Vorschulkindern und Schülern der ersten bis neunten Klassen das Roggenbrot als traditionelles, wichtiges und regionalspezifisches Brot und seine Bedeutung für die Ernährung näher zu bringen. 300.000 Euro wurden bereitgestellt. Allerdings wurde auch schon die Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben in Frage gestellt. Die Förderung der Verwendung von Roggenbrot in der Ernährung solle schon von Kindesbeinen an selbstverständlich werden, so Landwirtschaftsminister Armands Krauze (ogrenet)

Brot für alle - oder doch nicht?

"Die Öffentlichkeit zweifelt an der Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben", so berichtet die lettische Presse (ogrenet). Bis Ende 2024 sollte Roggenbrot kostenlos an Schülerinnen und Schüler verteilt werden. Bildungseinrichtungen sollten außerdem eine Befragung junger Menschen durchführen, um Daten über die Beliebtheit von Roggenbrot und den Wissensstand über seinen Wert zu erhalten. Es war geplant, dass das Projekt mindestens 50 % der Zielgruppe, also etwa 140.000 Kinder und Jugendliche, einbeziehen solle. Doch nun rudert das Ministerium zurück: das Projekt wird gestoppt (NRA / Diena)
Nun heißt es schlicht: der Antragsteller habe seinen Förderantrag zurückgezogen. Begründung: ein Teil der Gesellschaft habe eine unklare und besonders negative Haltung gegenüber der Umsetzung des Roggenbrotprogramms gehabt (lad.gov).

Gefangen im Roggen

Der Verzehr von Brot, einschließlich Roggenbrot, ist in Lettland generell rückläufig, so das Landwirtschaftsministerium (zm.gov) In Lettland werden bereits Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte im Rahmen verschiedener Förderprogramme kostenlos an Schulen verteilt. 

Interessant, dass im Rahmen des neuen Förderprogramms auch Bedingungen formuliert wurden, wie genau "förderungsfähiges Roggenbrot" auszusehen habe. Genannt werden folgende Punkte: a) es wird auf dem Gebiet Lettlands in einem beim Lebensmittel- und Veterinäramt registrierten Unternehmen hergestellt; b) es hat die Form eines Klons; c) wird aus natürlicher Hefe hergestellt; d) das Brot besteht aus mindestens 80 Prozent Roggenmehl; e) das Mindesthaltbarkeitsdatum beträgt am Tag der Veranstaltung noch mindestens vier Tage; f) es erfüllt die Qualitätsanforderungen der Verordnungen über Ernährungsnormen für Studierende von Bildungseinrichtungen.

Brot als Kulturgut

Muss jetzt vielleicht auch der Brotpreis in lettischen Bäckereien mal genauer angeschaut werden? Im Zusammenhang mit der jetzt abgesagten Brotkampagne sind keine Gründe aufgeführt, warum Lettinnen und Letten weniger Roggenbrot konsumieren. Lettisches Roggenbrot (Rudzu maize) ist Teil des sogenannten "Kulturkanons", wo versucht wird typisch Lettisches zu definieren und aufzulisten. Dort heißt es: "Traditionelles Roggenbrot ist ein wichtiger Teil der materiellen und spirituellen Kultur der Letten, der mit der Identität der Nation verbunden ist und ein wichtiges Symbol dafür ist." Aber schon zwei Sätze weiter klingt es nicht mehr ganz so attraktiv, wenn beschrieben wird: in schlechten Zeiten hätte man dem Mehl auch Spreu, Moos, Baumrinde oder Sägemehl beigefügt. Roggenbrot also als Ermahnung an die vielen schlechten Zeiten, die Lettland schon überstehen musste? (so nach dem Motto: ein Roggenbrot kriegen wir immer noch irgendwie hin?)

Brot als Touristenattraktion?

Der lettische Reiseveranstalter "Lauku ceļotājs" bietet eine eigene Sektion "Roggenbrotveranstaltungen" an - vor allem durch ein EU-gefördertes Projekt namens "Rudzu ceļš" (Roggenweg). Hier gibt es Mühlenfeste, Brotfestivals und eine Brotstraße anläßlich des Rigaer Stadtfests. Es bleiben aber zwei Fragen. Findet das alles statt, weil es finanzielle Unterstützung gibt, oder ist es echte touristische Nachfrage? Und wie groß ist der Anteil der einheimischen und lokalen Gäste bei solchen Veranstaltungen? 

Gut, es gibt Umfragen zum Thema. "Latvijas Maiznieku biedrība" (LMB), so etwas wie die lettische Bäckerinnung, machte 2020 ein Umfrage, in wieweit die Covid-Pandemie die Konsumgewohnheiten an Brot beeinflußt. Nicht repräsentativ wahrscheinlich (75% der Teilnehmenden waren Frauen), und gefragt wurde nach der bevorzugten Brotsorte in pandemischen Zeiten. Ganz vorn: Roggenbrot! (36,1%). Zweiter Platz: Roggenbrot mit Samen (20,7%). Gibt es in Lettland überhaupt anderes Brot? Irritierend vielleicht die Antwort aus derselben Umfrage: 22,9% der Befragten gaben an, ihr Brot im Kühlschrank aufzubewahren ... 

Brot plus das gewisse Etwas

Aussagen von Seiten der Herstellerfirmen lassen vermuten, dass zunächst einmal Großbäckereien und auch die Tendenz der Kundschaft, ihr Brot im Supermarkt statt beim Bäcker zu kaufen, erhebliche Veränderungen mit sich brachten. Viele kleine Bäckereien müssen einfach schließen. "Die Kunden kaufen weniger Roggenbrot, statt dessen 'Körnerbrot'", so ein Vertreter der Firma “Liepkalni” aus dem Kreis Valmiera (valmierazinas

Zahlen des lettischen Statistikamtes zeigen teilweise erstaunliche Tendenzen: einerseits setzt sich Weizenbrot langsam gegenüber dem Roggenbrot durch. Andererseits wird auf dem Lande viel mehr Brot gegessen als in der Stadt - und der Vorsprung von Weizenbrot zu Roggenbrot ist gerade auf dem Lande größer geworden. Der Anteil von selbst gebackenem Brot ist in dieser Statistik allerdings nicht erfasst. 

Oft im Sonderangebot

Aussagen des finnisch-lettischen Unternehmens "Fazer" zufolge wählen gerade junge Leute in Lettland gern "Roggenbrot mit Mehrwert" - also Brot mit Samen, Körnern oder Kleie. Das sei ein Trend zur gesunden Ernährung, der sich allerdings auch beim Weizenbrot zeige. Insgesamt sei aber für die Verbraucher in Lettland der Preis des Brotes der wichtigste Faktor. In einer zusammen mit der Agentur SKDS durchgeführten Umfrage erklärten 35% der Befragten den Preis für den entscheidenden Faktor beim Brotkauf - diese 35% kauften vorwiegend Brot aus dem Sonderangebot. Entscheidend ist dabei wohl für die Herstellerfirma, dass gerade diejenigen, die Aktionspreise wahrnehmen, auch am meisten Brot konsumieren. Dieser Umfrage zufolge essen fast drei Viertel (74 %) der Bevölkerung Lettlands täglich Brot zum Frühstück, fast die Hälfte der Bevölkerung (42 %) isst Brot zum Mittagessen und 39 % zum Abendessen.

Vielleicht sollten wir ja dem Ministerium eine andere Aktion vorschlagen: Touristen kaufen ja auch gerne kurz vor dem Abflug am Rigaer Flughafen noch ein paar Scheiben "echtes lettisches Roggenbrot" als Mitbringsel. Wie wäre es da, den Preis dort einfach um 20% zu erhöhen, und die Packungen mit einem Aufdruck zu versehen: "Mit ihrem Kauf unterstützen Sie kostenlose Mittagessen an lettischen Kindergärten und Schulen - dafür herzlichen Dank!"

30. August 2024

Noch ein Datum im August

Drei Phasen

Ungewöhnlich viele deutsche Medien erinnerten in diesem Jahr an die Menschenkette des "Baltischen Wegs": Russland sei damals im Schockzustand gewesen, so das ZDF,  und die NZZ  meint sogar, das Ende der ganzen Sowjetunion sei durch 15 Minuten Schweigen erreicht worden. Der eigentliche Grund, genau am 23. August 1989 diese Menschenkette zu organisieren, war ja der 50.Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts, der am 23. August 1939 unterzeichnet worden war und mit dem die beiden Diktatoren unter anderem das Gebiet der baltischen Staaten unter sich aufteilten.

Aus deutscher Sicht momentan weniger beachtet, aber aus der Perspektive der baltischen Staaten ebenso entscheidend waren die Tage zwischen dem 19. und 21. August 1991, als eine Gruppe von Funktionären in Moskau einen Putsch gegen Gorbatschow versuchte. Aus lettischer Sicht auch deshalb besonders, da sich in Moskau auch der Lette Boris Pugo als Putschist beteiligte, in Riga unterstützt von einem eilig organisierten "Notstandskomitee" des langjährigen Rigaer Bürgermeisters Alfrēds Rubiks.

Der Abzug

Und dann war da noch der 31. August 1994. Eine Zeit, als der Abzug der russischen Armee aus besetzten Gebieten durch Diplomatie und nicht durch militärische Gewalt erreicht werden konnte. Vor 30 Jahren wurde es vollzogen - die russischen Truppen verabschiedeten sich aus Lettland. 
Übrig blieb nur die Funkortungsstation Skrunda, die unter dem Decknamen „Kombinat“ lief und zum Raketenfrühwarnsystem im westlichen Teil der UdSSR gehört hatte. Eine weitere Anlage mit der Bezeichnung "Darjal" befand sich im Bau. Laut dem im April 1994 unterzeichneten russisch-lettische Vertrag stellte der ältere Teil 1998 seine Funktion ein und wurde im Jahr 2000 abgerissen. Das neue, unvollendete "Skrunda-Monster" wurde bereits am 4. Mai 1995 in die Luft gesprengt. 

An drei Standorten in Lettland waren russische Interkontinentalraketen stationiert, in der Hafenstadt Liepāja gab es Atom-Uboote. Ende September 1939 hatte die UdSSR, die geheimen Zusatzabkommen des Hitler-Stalin-Pakts ausnutzend, die baltischen Staaten gezwungen „Abkommen über gegenseitige Unterstützung“ zu unterzeichnen. Seitdem waren Einheiten der Roten Armee in den baltischen Staaten stationiert gewesen - für Lettland endete dies offiziell am 31. August 1994. 1991 hatten sich noch 51.000 Militärangehörige in Lettland befunden, stationiert in 679 Militäreinrichtungen, die 100.000 Hektar Land des Landes einnahmen. (IR / Sargs) Mit dem Abkommen von 1994 musste die lettische Seite akzeptieren, dass bereits in Rente gegangene russische Militärpersonen, einschließlich ihrer Familien, in Lettland bleiben konnten.

Das Fenster war offen

"Boris Jelzin, der damalige Präsident Russlands, stellte sich gerne vor, dass sein Land Teil des zivilisierten Westens werden könnte, während der Westen glaubte, dass Russland mit seiner Hilfe in ein demokratisches Land umgewandelt werden könne", so resummiert es Journalist Pauls Raudzeps in der Zeitschrift ."IR". Und er schlußfolgert: "Wer nicht die Chancen des Lebens und der Geschichte entschlossen zu nutzen weiß, kann sich schnell in endloser Warteschlange wiederfinden."

Und Toms Rostoks, Professor an der Universität Lettlands in Riga, schätzt das damalige Abkommen heute so ein: "Das Ziel Lettlands und seiner westlichen Verbündeten war damals strategischer Natur", meint er. "Die russischen Truppen sollten so schnell wie möglich aus den baltischen Staaten abzuziehen und dabei das historische Zeitfenster zu nutzen, das sich in den Jahren danach rasch schließen sollte. Wenn man die Aggression Moskaus betrachtet, zunächst in Georgien und jetzt in der Ukraine, hat es sich ausgezahlt, denn ohne den Abzug der russischen Armee wären die baltischen Staaten höchstwahrscheinlich nicht in die NATO und möglicherweise auch in die EU aufgenommen worden." (lvportal)

18. August 2024

Damenschach

Ungewöhnliches passiert im lettischen Schach. Nur allzu gerne möchte man momenan vielleicht lieber an Mikhail Tal erinnern, oder an Dana Reizniece-Ozola, Schachgroßmeisterin und Politikerin, die es schon ins Schachmuseum Löberitz geschafft hat, nachdem sie sich dort auch als Schachspielerin eingebracht hatte. 

Was das Schachportal "Chessbase" am 13. August berichte, war weniger erfreulich, vielleicht auch im ersten Moment kaum glaubhaft. Gut, den Gegner vielleicht mal durcheinander bringen, wenn er oder sie gerade über den nächsten Zug nachdenkt - damit wäre vielleicht zu rechnen. Andrejs Strebkovs ist Schachspieler, 43 Jahre alt, und als "International Master" (Abkürzung IM) auch kein Unbekannter - dieser Titel wird vom Weltschachbund FIDE für schachliche Leistungen auf Lebenszeit verliehen. "Gens una summus" - "Wir sind eine Familie", so das Motto des Schachbunds. Die Ethikommission des FIDE schloss Strebkovs nun für fünf Jahre von allen Turnieren aus. Vorwurf: sexuelle Belästigung . 

Erstaunlich, erstaunlich: und wir dachten immer, beim Schach käme man sich eigentlich nicht wirklich nahe? Nun ja, hier wurden "nur" Briefe versandt. Allerdings mit sonderbarem Inhalt: von "obszönen Briefen mit pornografischem Material, sowie benutzen Kondomen" ist da die Rede.
Ein Teil der Begründung für die Sanktionen scheint auch zu sein, dass es bei einem Strafverfahren in Lettland keine Verurteilung gab: nach lettischem Recht stellten die Vorwürfe keine Straftat dar, heißt es. Strebkovs soll an Dutzende von Spielerinnen, einige erst 14 Jahre alt, obszöne Briefe geschickt haben, versandt an deren Wohnungen, Clubs, Universitäten und Turnierorte. Der Beschuldigte aber selbst behauptet: bis auf einen einzigen Fall im Jahr 2021 habe das alles "nichts mit Schach zu tun".

Bedarf es da noch Einzelheiten? Dass bei den betroffenen Frauen und Mädchen nicht um Lettinnen geht, sondern, wie anlässlich eines Turniers in Riga, um Betroffene aus Russland, Kasachstan und Indien? Dass es innerhalb von 10 Jahren mindestens 15 Betroffene gegeben haben soll? Dass Strebkovs Historiker ist und sein Auskommen durch Übersetzungen bestreiten soll? (iub) Auch Schach-Privatstunden soll er, lettischen Presseberichten zufolge, noch geben (jauns.lv/ sportacentrs)

Inzwischen äußerte sich die Lettische Staatspolizei dahingehend, dass es bei dem bisherigen Strafverfahren gegen Strebkovs gar nicht um den Inhalt der von ihm versandten Briefe gegangen sei. Im Januar 2023 sei das Verfahren gegen Strebkovs deshalb eingestellt worden, weil Vergehen gegen Minderjähige nicht bekannt gewesen seien und die Anklage lediglich "Rowdytum" (lett. = huligānismus) gelautet habe. Es habe auch keine Anzeige vorgelegen - die Empfängerinnen der merkwürdigen Briefe waren fast immer Frauen und Mädchen die nicht in Lettland lebten. (lsm)

Nun entsteht offenbar eine Diskussion darüber, ob Minderhährige in Lettland überhaupt an Wettkämpfen Erwachsender teilnehmen dürfen - eine seltsame Wendung. Andere wiederum sagen, Schach könne man eben auch auf digitalem Wege spielen, und da komme es manchmal zu Kontakten mit "Erwachsenen mit schändlichen Motivationen". Ein Thema, was offenbar noch nicht zu Ende diskutiert ist.

29. Juli 2024

Alles vom Apfel

Im Land von Auksis und Korta

Eigentlich ist Lettland ein Land der Apfelbäume. "Agra" heißt eine beliebte Apfelsorten in Lettland, einem Bericht der "Latvijas Avize" zufolge. Dazu kommen frühe Sorten wie "Sarkanais Cukuriņš" und "Korta", letzterer soll sogar Birnenaroma mitbringen. Ein anderer Bericht stellt besonders die Beliebtheit der Sorte "Auksis" heraus (delfi).
Allerdings hat sich das Landschaftsbild stark verändert: noch vor wenigen Jahrzehnten, als Lettland Teil des Reichs der Kolchosen und Sowchosen war, konnte man oft reihenweise Apfelbäume am Straßenrand oder auf Brachland sehen - ob sie auch abgeerntet wurden, war nicht so sicher. Aber auf vielen Märkten waren damals Äpfel eine der wenigen immer verfügbaren Waren.  

Neue Zeiten, neue Konkurrenz

Gegner von Lettlands Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) behaupten, seit dem EU-Beitritt seien in Lettland 50.000 landwirtschaftliche Betriebe liquidiert worden (ir.lv-blogi). Ob sie damit stillgelegte frühere Staatsbetriebe meinen, bleibt unklar (Quellen für die Zahlen werden nicht genannt). Gleichzeitig berichten die Apfelbauern von teilweise sehr hohen Ernten (wie im Jahr 2013, siehe DB). Offenbar wurden doch nach 2004 auch viele neue Obstanbau-Anlagen neu gegründet und auf effektives Ernten ausgerichtet - und schon vor 10 Jahren klagten die Betriebe über mangelnde Arbeitskräfte bei der Ernte. In einem Bericht des Instituts für Gartenbau in Dabele, das über 600 Apfelsorten dokumentiert hat, ist nachzulesen, dass einerseits finanzielle Hilfen für Apfelplantagen erst Ende der 1990iger Jahren einsetzten - es waren also auch in diesem Bereich einige schwierige Jahre zu überstehen. Und andererseits gaben noch im Jahr 2002 die meisten Anbieter an, einfach "Bäume am Wohnhaus" zu besitzen.

Im Jahr 2017 erreichte die Gesamtanbaufläche der kommerziellen Apfelplantagen 3.200 Hektar, und damit 33,5 % mehr als im Jahr 2012. Rein statistisch waren das 1,4 Millionen Äpfel und 447 Stück pro Hektar. Am fruchtbarsten sind dabei Apfelplantagen mit Bäumen zwischen 15 und 24 Jahren (710 Stück pro ha) (Statistikamt).

Eines aber ist inzwischen auch in Lettland Alltag: die Konkurrenz durch importierte Äpfel. Was ist also besser? Bei schlechter Ernte drohen sinkende Einkünfte, bei guter Ernte der Mangel an Hilfskräften und schlechte Absatzchancen gegen die Importware. Manche versuchen es dadurch auszugleichen, dass auch andere Obstsorten angebaut werden: Quitten (cidoni), Birnen (bumbieri), oder vielleicht Sanddorn (Smiltsērkšķi)? 

Zur Schule gehen

Lettland schuf ein Förderprogramm für Obst an den Schulen ("Skolas auglim", zusammen mit dem Milchförderprogramm dann "Piens-augli-skolai"). Hier heißt der Slogan "Piens un augļi - mani draugi" ("Milch und Früchte, meine Freunde", zusätzlich auch von der EU unterstützt). Nach Milch, Äpfeln und Birnen, Kohl, Kohlrabi, Karotten, Kürbisse, Steckrüben und Preiselbeeren sind inzwischen auch Tomaten, Gurken und Pastinaken in das Schulprogramm aufgenommen worden - also auch hier stehen die Äpfel in der Konkurrenz des Angebots. Im Schulprogramm 2022/23 waren insgesamt 1372 Bildungseinrichtungen beteiligt, dort wurden 270.073 Schülerinnen und Schüler (95 % der Zielgruppe) mit insgesamt 859 Tonnen kostenlosem Früchten und Gemüse versorgt. "Äpfel stehen dabei bei den Schülerinnen und Schülern immer noch an erster Stelle", so wird Ex-Landwirtschaftsminister Didzis Šmits (bis September 23 im Amt) zitiert, denn einer Umfrage zufolge ergab sich folgende Beliebtheits-Rangfolge: Apfel, Erdbeeren, Blaubeeren, Bananen. 

Gut im Saft

Lettland ist ein Land der Äpfel -  darauf setzt auch jetzt eine Kampagne, die einen weiteren Verarbeitungsweg bekannter machen möchte. Erst nach Zusammenbruch der Sowjetunion lernten Lettinnen und Letten ein Getränk kennen, das eher in Irland, Großbritannien, Spanien und Frankreich bekannt ist: den Cidre, Sidra oder Cider. Manchmal stand auch schon in Finnland prodzierter "Siidre" in lettischen Kühlschränken - aber nun möchte Lettland mehr selbst produzieren. 

Schon heute tauchen die baltischen Staaten in Statistiken auf, bei denen nicht nur nach Gesamtmenge und Umsatz, sondern nach Pro-Kopf-Konsum pro Jahr geschaut wird. "Almigrant" zitiert eine Statistik, der zufolge Großbritannien mit 14,5 Liter Cider pro Kopf zwar weit vorn liegt - danach folgen aber Estland mit 8,1 Liter, Litauen mit 5,1 und Lettland mit 4,1 Liter - und dazwischen Irland mit 6,8 und Finnland mit 7,2 Litern (aber Deutschland nur 0,8 Liter). 

Den Trend nutzen

Warum also nicht aus den vielfach vorhandenen lettischen Äpfeln lettischen "Sidra" machen? Die lettische Vereinigung für Landtourismus "Lauku Ceļotājs" hat nun, unterstützt vom lettischen Landwirtschaftsminiserium, der EU, und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellerfirmen, den "Sidra-Weg" ausgerufen. "Sidra kann so trocken und klar sein wie Sekt und so kühl und erfrischend wie Bier", heißt es hier. Und wenn hier Sidra als "Alternative zu Wein" angepriesen wird - die Winzerinnen und Winzer der übrigen Welt werden es vielleicht verzeihen. 

Ob Gäste aus dem Ausland allerdings die Sidra-Produzierenden auch finden - falls sich jemand mal für eine Kostprobe vor Ort interessieren sollte - das ist durchaus fraglich (in der Infobroschüre sind sogar GPS-Koordinaten angegeben!). Sie sind weit im ganzen Land verteilt, nicht nur in Kurzeme, auch in Vidzeme bis nahe der Grenze zu Estland. Und alle Betriebe verarbeiten nicht nur Äpfel: da scheint es logisch, sich mit einem Reiseorganisator zusammenzutun, um auch die gesuchten Getränke zu finden. Allerdings: Bestellung per Internet ist bei allen Herstellern möglich. Wir lernen außerdem: es gibt inzwischen auch schon "Craft Apple Cider", wohl eine ähnliche Entwicklung wie beim Bier. 

Deutsches und Lettisches

In Deutschland dagegen macht sich die Getränkeindustrie offenbar nur über den vorwiegend in Hessen bekannten "Ebbelwoi" Sorgen: "Apfelwein profitiert vom Cider-Trend", hieß es schon 2020 (getraenke-news). "Neue Märkte in Osteuropa" werden aber immerhin als "Wachtumstreiber" bezeichnet, und auch in Deutschland als "Produktsegment mit stärkstem Wachstum" ausgemacht. "Vinum" schreibt: "Schneewitchen erwacht" - und hofft dabei ebenfalls, dass der Apfelwein den Trend zum Cider nutzen kann. Und das apfelbaumarme Frankfurt hofft mit der Messe "Cider World", dass sich die Welt der Apfelweinmacher einmal im Jahr genau dort versammelt; in diesem Jahr war immerhin auch schon ein Aussteller aus Lettland dabei.

22. Juli 2024

Nur Händchen halten

Es ist vielleicht schwer sich vorzustellen: ich gehe mit meiner Freundin Hand in Hand durch den Park, es sind romantische Stunden, wir genießen die Zweisamkeit. Plötzlich raunzt uns jemand grob von der Seite an und versetzt uns einen Fußtritt - mit der bloßen Begründung, seine Gefühle seien verletzt, wenn wir so offen unsere Liebe zeigen. Schließlich droht er uns auch noch einen Faustschlag zu versetzen. Was ist zu tun? Vielleicht die Polizei zu Hilfe rufen? 

Gnade für Agression

Ähnliches passierte tatsächlich am 8. November 2020 in Riga. Allerdings: es waren in diesem Fall zwei Männer, die sich "Händchen haltend" und in inniger Umarmung in der Öffentlichkeit zeigten. Die herbeigerufene Polizei befragte den Angreifer auch nach den Gründen für sein Tun; dieser erklärte offen, er habe durch das Verhalten der beiden Männer auf deren sexuelle Orientierung geschlossen und sich durch deren offene Zurschaustellung beleidigt gefühlt.
Er gab sogar zu, die beiden Männer böse beschimpft und körperlich angegangen zu haben, so dass sich der Bedrängte in einen Blumenladen flüchten und die Eingangtür von innen zuhalten musste. - Sechs Monate später stellte die lettische Polizei die Untersuchungen ein und stufte das Vergehen lediglich als Ordnungswidrigkeit ein, verbunden mit einer Geldstrafe von 70 Euro (lsm). Der Beschuldigte akzeptierte das Strafmaß. (siehe: Urteil Europäischer Gerichtshof)

Kein Versteckspiel

Der Angegriffene legte gegen diese Entscheidung Beschwerde bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ein und verlangte eine Verurteilung gemäß Abschnitt 150 des lettischen Strafgesetzbuchs. Dort ist festgelegt, dass schüren von Hass oder Feindschaft aufgrund des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung oder anderer Merkmale einer Person strafbar ist. Interessant ist nun die Begründung der lettischen Staatsanwaltschaft: diese Paragraphen könnten nicht zur Anwendung kommen, da sich ja die Taten des Angeklagten nur gegen eine bestimmte Person gerichtet habe - auch der Partner war anwesend, wurde aber nicht attaktiert. Weitere Personen seien ja nicht dabei gewesen, daher sei der Vorgang auch nicht als allgemeiner Hass gegen sexuelle Minderheiten zu bewerten gewesen.

Nun ja - sei es, wie es sei. In diesem Fall war der Leidtragende kein Unbekannter: es ist Deniss Hanovs, seines Zeichens Kulturwissenschaftler und Professor an der Kunstakademie Lettlands in Riga (RSU).  Wissenschaftlich erfahren, und kundig im Bereich der Menschenrechte. Logisch, dass er sich keineswegs mit plumpen Entschuldigungen zufrieden geben wollte.

Am 18.Juli 2024 fand der Streitfall seine Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof, denn Hanovs bestand darauf, dass der lettische Staat angemessenen Schutz vor homophoben Angriffen gewähren muss - auch, indem eine wirksame Strafverfolgung von Tätern sichergestellt wird. Der Gerichtshof verurteilte den Staat Lettland zu einer Zahlung von 10.000 Euro an Hanovs - den Betrag will er einem Kinderkrankenhaus in Kiew (Ukraine) spenden (lsm)

7. Juli 2024

Den Hut nehmen

In Lettland Medizin zu studieren - auch für Deutsche eine schon länger bekannte Option. Interessierte werden vorab mit deutschsprachigen Informationen zum Studium an der "Rīgas Stradiņa universitāte" (RSU) und ausführlichen deutschsprachigen Webseiten versorgt. "Bildungsflucht ins Baltikum" nannte es der "Spiegel" schon vor einigen Jahren. 

Deutsche Flüchtlinge

"Studimed" zitiert den Stand von 2023:  2.900 internationale-Studierende aus 65 verschiedenen Ländern (28% der gesamten Studentenschaft), davon 2.500 im Bereich Medizin. Laut Webseite der RSU sind es gegenwärtig (Juli 2024) 10.467 Studierende, davon 2.501 internationale (also 23,9%).  Die Universitäten von Berlin, Münster, Lübeck, Dresden, Würzburg, Halle, Gießen und Köln unterhalten partnerschaftliche Kontakte zur RSU. 

Studierende erwartet eine sechsjährige akademische Ausbildung (12 Semester) mit einem Abschluss als „Medical Doctor“ (MD). Dieser "Doktorhut" wird jedoch nur selten im Land der Ausbildung, also in Lettland genutzt. Lettische Medien nahmen die Ausgabe von 166 Abschlussdiplomen am 5. Juli zum Anlass, mal aus lettischer Sicht Bilanz zu ziehen: "Die meisten ausländischen Medizinstudenten der RSU verlassen Lettland nach ihrem Studium" (lsm). 

Keiner - oder einer

Letztes Jahr blieb niemand in Lettland, dieses Jahr weiß ich von einem deutschen Student der in Lettland bleiben will - das ist doch schon mal ein Fortschritt“, meint Rektor Aigars Pētersons. Das lettische Gesundheitssystem könne eben nicht mit Systemen so wie in Deutschland oder Schweden konkurrieren.

Manche der Absolventinnen und Absolventen planen auch, nach sechs Jahren Studium erst einmal eine Pause einzulegen, berichtet LSM. Aber fast alle verbinden ihre Zukunftspläne mit einem anderen Land als Lettland. Eine Absolventin aus Finnland begründet ihre Pläne so: „Ich denke, ich werde Lettland zumindest noch einmal besuchen. Aber ich spreche weder Lettisch noch Russisch so gut, deshalb könnte ich hier nicht arbeiten.“ Auch eine Kollegin aus Norwegen begründet es ähnlich: "Der Hauptgrund ist die Sprachbarriere, das ist ein großes Problem. Und die wirtschaftlichen Bedingungen- aber der Rest wäre in Ordnung." Außerdem habe auch das Land Norwegen die Kosten des Studiums übernommen - also sei auch die Rückkehr eine logische Konsequenz. Und Hanna, eine Doktorantin aus Schweden, beschreibt die Situation so: "Es ist ziemlich schlimm, die Leute müssen in Lettland auch in Restaurants arbeiten und zwei oder drei Jobs haben, um sich die Miete und solche Dinge leisten zu können. Ich denke, das ist ein wichtiger Grund, warum die Leute nicht bleiben.“ 

Mehr Lächeln, weniger online

Von Anne Schönell kommt noch ein schöner Vergleich mit der Universität Ulm: dort fänden alle Vorlesungen in Präsenz statt, während in Riga alles auch online aufgezeichnet zur Verfügung stehe.(thieme)

Eine detaillierte Meinungsäußerung, abseits aller anderen Gründe nicht in Lettland zu bleiben, ist von Luisa Krahnen aus Leupzig zu lesen (bewerbungsrenner.de). In Lettland werde wenig gelächelt, der Unterricht sei "ein wenig verschult". Und, als Antwort auf die Frage nach Englisch als Unterrichtssprache: "Ich habe mein Abi in Kanada gemacht, insofern war mir das ganz lieb. Ich hatte mich auf ein internationales Umfeld gefreut, aber wir waren fast nur Deutsche, das fand ich traurig." Die Studiengänge der Letten und Deutschen seien strikt getrennt, in soforn sei unter den Deutschen auch die Motivation zum Lettischlernen nicht sehr hoch. 

3. Juli 2024

Reiseabenteuer - Zug für Zug

Für ältere Westdeutsche mag es vielleicht langweilig klingen - oder sogar wie ein Rückblick auf die 1970iger oder 1980iger Jahre. Zitat Wikipedia: Es entstand im Kontext einer Zeit, "in der die klassischen Familien- und Pauschalreisen, die sich in Europa während der 1950er und 1960er Jahre etabliert hatten, von jungen Menschen der 68er-Bewegung in Frage gestellt wurden ..."
1972 kam eine gemeinsame Fahrkarte verschiedener europäischer Eisenbahngesellschaften in den Verkauf.  Begründung, ebenfalls bei Wikipedia abgeschaut: um dem aufkommenden Rucksacktourismus von jungen Leuten bis 21 Jahre eine preisgünstige Möglichkeit bieten, Europa kennenzulernen. Vielleicht auch, um die vielen "Tramper" ("Anhalter") am Straßenrand nicht ohne Alternative zu lassen. 

In der Verlosung

Na klar, es geht um "Interrail". Anfangs waren sogar DDR und Polen dabei - die stiegen aber schon 1973 wieder aus. Inzwischen ist das Ticket nicht mehr ganz so preisgünstig wie damals - aber immerhin werden derzeit jedes Jahr Tausende Interrail-Pässe an 18-Jährige verlost (siehe: DiscoverEU). Der aktuellen Auswertung zufolge (siehe "factsheet") liegen bei der Zahl der jungen Antragsteller/innen die Länder Deutschland, Italien und Spanien weit vorn; viele Bewerbungen gibt es auch aus der Türkei, Frankreich, Polen, Schweden und den Niederlanden. Aus Lettland gab es 2024 nur 925 Antragsteller/innen, 152 davon hatten Erfolg. (Litauen 1229 / 224, Estland 446 / 107). 

Familienunternehmen

Kennt man in Lettland etwa nur die "Billigflieger"? Wohin könnte man denn mit einem Zug, der in Lettland mit relativ geringem Durchschnittstempo dahintuckert, reisen? Lettland ist erst seit 2020 dem Interrail-System angeschlossen - also für die Einwohner/innen des Landes ein ziemlich neues Angebot. (LA)
In der lettischen Zeitschrift "IR" findet sich nun ein Erlebnisbericht einer Familie Bergmani wieder, die drei Wochen Reisen mit "Interrail" als "Abenteuer fürs Leben" bezeichnet. "Ein wenig habe ich mich an die Träume meiner Jugend erinnert", gibt Frau Bergmane zu. Auch die beiden Töchter der Familie, 11 und 8 Jahre alt, seien sofort begeistert gewesen. Und Herr Bergmanis meint: "Ich dachte: wenn wir das überleben, wird unsere Ehe nichts mehr erschüttern können!"

Die Preise für Interrail-Pässe fielen günstig aus - denn für Kinder unter 12 Jahren sind sie kostenlos. Entschieden habe man sich dann für eine Monatskarte, die sieben Reisetage beinhaltet. Und innerhalb drei Wochen ist die Familie dann in Polen, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Österreich, Schweiz, Deutschland und Lettland gewesen. Ewas Übung habe die Planung der Übernachtungen verlangt: Zimmer nur mit kurzfristiger Stornierungsmöglichkeit vorbestellen, und darauf achten, dass der Direktontakt zum Hotel manchmal besser ist als sich nur auf große Buchungsportale zu verlassen. Und natürlich: nicht so viel Gepäck mitnehmen, denn zwischendurch muss immer mal wieder mit Gepäck zu Fuß gegangen werden. Das wichtigste also: bequeme Schuhe! 

Planung mit Adrenalingehalt

Soweit lesen sich diese Erfahrungen vielleicht ähnlich wie Reiseberichte von Deutschen. Für eine lettische Familie mag es aber neu sein, wenn es hier über das Zugfahren heißt: "Im Allgemeinen macht Zugreisen Spaß. Man kann nie ganz sicher sein, ob man pünktlich oder überhaupt ankommt. An manchen Stellen kann man gar nicht wissen, ob man auf dem richtigen Bahnsteig steht, denn die Informationen werden meist in einer uns fremden Sprache verkündet." In Kroatien habe es überhaupt keine Lautsprecherdurchsagen gegeben, und auch der Versuch mit "Google Maps" den Aufenthaltort herauszufinden, sei gescheitert. 

Den richtigen Bahnsteig finden

Für die beiden Töchter sei es eine gute "Lebensschule" gewesen. Gefragt seien Anpassungsfähigkeit, Kreativität und logisches Denken. Den richtigen Bahnsteig finden - auch schon mal eine Übung für die Kinder. "Ich war überrascht, dass es in jedem Land nicht nur unterschiedliche Kulturen, sondern auch eine völlig andere Infrastruktur für die Bahn gibt," meint Frau Bergmane. "Ich dachte vorher: Züge sind Züge, überall gleich. Aber ich kann nur raten, die Zuginfrastruktur jedes Landes zu studieren und in den Foren Rezensionen über die Züge, die Genauigkeit ihrer Abfahrtszeiten und andere Nuancen zu lesen." 

Deutsche Leser/innen werden vielleicht gespannt darauf warten, was eine lettische Familie über Bahnfahren in Deutschland sagt. "Wer nicht mit dem Kopf auf dem eigenen Rucksack auf dem Bahnsteig schlafen möchte, sollte Länder auswählen, die für bequeme Züge und Pünktlichkeit bekannt sind", meint Frau Bergmane. Als bestes Beispiel dafür nennt sie ... die Schweiz. "Die Züge kommen und fahren so präzise, ​​dass man die Uhr danach ausrichten kann." (IR)

22. Juni 2024

Namenstage

Mitsommer in Lettland - manche nennen es "Ligo-Feier", andere "Johanni", "Jāņi" oder "Vasaras saulgrieži" (Sommersonnenwende). Nach lettischem Kalender ist am 23. Juni "Līga" und am 24. Juni Jānis - und damit gelten diese beiden Namen als die am meisten "lettische Variante" bei der Namensgebung für Sohn oder Tochter. Ein Anlass zur statistischen Bilanz. 

einer der bekanntesten Menschen
der lettischen Kulturgeschichte
mit beliebtem Vornamen:
Jānis Rozentāls

44.994 Menschen in Lettland tragen den Namen "Jānis", das sind 1057 weniger als im Vorjahr. (delfi.lv) In Lettland mag das für eingefleischte Traditionalisten wenig erscheinen - aber im Verhältnis zu den derzeit 1.871.882 Einwohnerinnen und Einwohnern Lettlands, davon 869.000 Männer, macht das immerhin 5,1%. - Das wäre so, als ob von den 84,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in Deutschland, davon 41,8 Millionen Männer, 2,13 Millionen "Johannes" heißen würden. Beliebteste Vornamen für Neugeborene in Deutschland derzeit: Noah, Mattheo, Elias, Leon, Paul (tagesschau).  Insgesamt scheint die weibliche Form "Johanna" beliebter als die männliche Variante zu sein - "Johannes" steht nur in Bayern weiter oben in der Statistik (vor 20 Jahren stand auch "Jan" noch weiter oben im deutschen Ranking) . 

Kann so manches über
lettisches Mittsommerfeiern
vermitteln:
"Kräuterfrau" Līga Reitere

Die Seite "baby-vornamen.de" bedauert, dass es in Deutschland gar keine offizielle amtliche Statistik der in Deutschland vergebenen Vornamen gibt. Das lettische Statistikamt dagegen fügt sogar noch hinzu: 38% aller lettischen Jungs mit dem Namen "Jānis" werden in Familien geboren, wo der Vater ebenfalls "Jānis" heißt; in 195 Fällen heißen sogar Vater und auch Großvater so.

Bei der lettischen "Līga" haben wir keine deutsche Variante (die "Bundes-Liga" mal ausgenommen) 😏 Lettland meldet 10.314 Frauen mit diesem Namen - ziemlich genau 1% der etwa 1 Million Einwohnerinnen, und um 598 mehr als im Vorjahr. (delfi.lv) Zu weiteren Vornamen stellt das zuständige Amt sogar eine Online-Suchmöglichkeit bereit. Wenn allerdings jemand in Lettland die Tochter nach der weltbekannten Janis Joplin benennen möchte - hat wahrscheinlich schlechte Karten bei lettischen Behörden.

Also dann: fröhlichen Namenstag!


10. Juni 2024

Das sind die neun

Diese neun Abgeordneten (acht Männer, eine Frau) werden Lettland im Europaparlament vertreten:

Valdis Dombrovskis ("Jaunā Vienotība")
Sandra Kalniete ("Jaunā Vienotība")
Roberts Zīle (Nacionālā apvienība)
Rihards Kols (Nacionālā apvienība)
Nils Ušakovs ("Saskaņa")
Ivars Ijabs ("Latvijas attīstībai")
Reinis Pozņaks ("Apvienotais saraksts")
Mārtiņš Staķis ("Progresīvie")
Vilis Krištopans ("Latvija pirmajā vietā")

(lsm) Die Wahlbeteiligung lag im Landesdurchschnitt bei 33,82% und war in den verschiedenen Landesteilen unterschiedlich hoch: während in Vidzeme 44,44% der Wahlberechtigten von ihrem Wahlreicht Gebrauch machten, waren es in Riga nur 26,68%, in Latgale nur 24,9%. (cvk)

Die prozentualle Stimmenverteilung der Parteien: 

Jauna Vienotība 25,07% (2 Abgeordnete)
Nacionālā apvienība "Visu Latvijai!" 22,08% (2 Abgeordnete)
"Latvijas attīstībai" 9,36% (1 Abgeordneter)
"Apvienotais Saraksts- Latvijas Zaļā partija, Latvijas Reģionu Apvienība, Liepājas partija" (1 Abgeordneter) 8,18 % (1 Abgeordneter)
"Progressīvie" 7,42% (1 Abgeordneter)
"Saskaņa" sociāldemokrātiskā partija 7,14% (1 Abgeordneter)
Latvija pirmajā vietā 6,16% (1 Abgeordneter)


28. Mai 2024

Nie wieder Eurovison?

Es geschieht nicht zum ersten Mal, dass Abstimmungen auf dem lettischen Portal "Manabalss" ("Meine Stimme") Schlagzeilen erzeugen. Ob für den Erhalt kleiner Schulen auf dem Lande, für ein Verbot der Luchsjagd, für Einführung eines Pfandsystems für Getränkeflaschen oder für ein Verbot von Kahlschlägen in lettischen Wäldern. Momentan wirbt eine Initiative um Beteiligung, die auch international für Verwunderung sorgt: nie wieder lettische Beiträge für die Eurovision! 

Zweifelhaft und unanständig?

Immerhin über 11.000 Unterstützende hat die Initiative schon gefunden. Gefordert wird die Beendigung der Teilnahme Lettlands am Eurovision Song Contest. Begründung: "Es ist sehr zweifelhaft, ob diese Maßnahme das Image und den Ruf Lettlands erheblich verbessert. Menschen, die dort teilnehmen, neigen dazu, sich obszön verhalten, und dies wird auch als Norm beworben." 

Obszön? Der im Original verwendete Begriff "piedauzīgi" wird auch mit "anstößig", "unanständig" oder "abstoßend" übersetzt. Also ein Moralapostel? Eine Idee, wie die frei werdenden finanziellen Mittel verwendet werden sollen, liefert Kristaps Bogdanovičs, der Autor der Eingabe, gleich mit: für den Sport (und für Biathlon im besonderen). Im Sport seien mehr "positive Beispiele für junge Leute" zu finden. An Doping dachte er dabei wohl offenbar nicht.

Internationales Aufsehen

Inzwischen erregen die lettischen "Sportfans" auch international Aufsehen. "Lettland 2025 nicht dabei?" fragen griechische und irische Eurovisions-Fans. Allerdings wird dort das Bogdanovičs-Zitat abgewandelt: statt von "sich abszön benehmen" ist jetzt von "behave wildly" die Rede. Beim litauischen LRT wie auch beim "Baltic News Serive" (BNS) wird es schon zur Staatsaffäre, denn hier ist die Überschrift "Lettland überlegt Ausstieg aus der Eurovision".Da die Initiative über 10.000 Unterstützer/innen hat, ist eine Beratung des Anliegens im lettischen Parlament vorgesehen - aber die steht bisher noch aus.

Wer ist Kristaps Bogdanovičs? 2014 ist dieser Name auf der Liste der "Jaunā konservatīvā partija" JKP fürs lettische Parlament (cvk) zu finden. Aber die JKP erreichte damals lediglich 0,7%, und Bogdanovičs bekam auf dieser Liste von 32 Kandidat/innen die zweitwenigsten Stimmen (cvk). 

... als Kaupers fast wie "Cowboy" klang:
früher war alles besser?

Tugendhafte Kritiker?

Nun also scheint er seine "Fans" gefunden zu haben (oder sollten wir "Anti-Fans" sagen?). Lettlands Teilnahme an der Eurovision kostete 2023 166 000 Euro, rechnet das Portal "Jauns.lv" nach. Die "Latvijas Avize" bringt auch die Aussage von Bogdanovičs, es sei verrückt, wenn der lettische Biathlon-Verband Spenden sammeln müsse um im Weltcup oder bei einer WM auftreten zu können. "Da ist Sport doch mit Sicherheit wichtiger als die Eurovision!" 

Und in einem weiteren Beitrag darf Jāzeps Baško das schildern, was er "die Gedanken einfacher Leute beim Betrachten der Eurovision" nennt. "Ich verfolge die Eurovison schon seit den Zeiten von 'Prāta Vētra' "; schreibt er (das war 2000 Platz 3, siehe Youtube). Baško bezeichnet die Eurovision als "europäische Schwulenparade" und meint, die "LGBT-Flagge" werde hier kräftiger geschwenkt als die Flaggen der teilnehmenden Länder. Dann folgt Bildhaftes: "Eurovision ist eine Veranstaltung der demokratischen Diplomatie. Es ist wie ein Zweikammerparlament, in dem das einfache Volk und die oberen Ränge über die Beziehungen zu den Nachbarländern abstimmen."

Oha, hier wird die Eurovision aber richtig ernst genommen! Originalton Baško: "Putin, die Chinesen und Muslime reiben sich die Hände. Europa ist noch attraktiver, als man es sich vorstellen kann. Es gibt Boden, den es zu kultivieren und wo es Ordnung zu schaffen gilt." (LA) Lobend erwähnt Baško die Beiträge von Frankreich und Israel (ohne nähere Begründung). 

Eurovisions-Fans wehren sich

Denken alle in Lettland so? 2023 machte der lettische "Künstler- und Produzentenverband" ("Latvijas Izpildītāju un producentu apvienības LaIPA") seine ausdrückliche Unterstützung für lettische Teilnehmer/innen bei der "großen Eurovision" öffentlich - die unterstützte Band "Sudden Lights" schied allerdings als elfte schon im Halbfinale aus. Auch 2024 unterstützte die LaIPA "Dons" aus Lettland speziell bei der Werbung für seinen Song schon vor dem Tag des Eurovisionsfinales - und hat vor, Ähnliches auch noch mindestens bis 2026 zu tun. (eurovoix) Der Verband erinnert auch daran, dass 2002 Lettland überhaupt nur deshalb teilnehmen konnte, weil Portugal sich zurückgezogen hatte - und in der Folge dann "Mari N" ("I wanna") gewann, als große Überraschung. 

Der zuletzt erfolgreichste lettische Beitrag zur
Eurovision: Aminata belegte 2015 mit "Love injected"
Platz 6

"Lettland muss sich wegen seiner Teilnahme an der Eurovsion nicht schämen - auch wenn die Finanzierung dieser Teilnahme eher amateurhaft ausfällt", so das Ergebnis einer Expertenrunde aus dem Jahr 2018, in einer Zeit, als Lettland nicht einmal mehr das Finale erreichte (2009 bis 2014, sowie 2017 bis 2023 wurde immer das Finale verpasst). Den damaligen Analysen zufolge gibt es drei Varianten für möglichen Erfolg: erstens eine gute Show auf der Bühne zu zeigen, oder zweitens "irgendwie anders zu sein", oder drittens auf Spezialeffekte zu verzichten und einen Künstler mit Charisma zu nehmen. (lsm)

An einer Antwort auf Kritiker Jāzeps Baško versucht sich Journalist Karlis Streips: "166.000 Euro sollen zu viel sein? Weiß Herr Baško eigentlich, wie viel Geld unser Land ausgegeben hat, damit der lettische Basketballverband dieses Jahr ein Olympia-Qualifikationsturnier veranstalten kann? Etwas mehr als zwei Millionen Euro." Dem wäre hinzuzufügen, dass es auch im Beachvolleyball ein Olympia-Qualifikationsturnier in Lettland gab - mit 400.000 Euro aus lettischen Steuergeldern (sportazinas)

Selbstbewußtsein und Menschenrecht

"Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass sich irgendjemand aus Lettland bei seinem Auftritt bei der Eurovision 'obszön' verhalten hätte," fährt Streips fort, "Dons kann es ja nicht gewesen sein." Und seine Schlußfolgerung ist: "Ich verstehe, dass wir Letten ein so sehr, sehr tugendhaftes Volk sind. So tugendhaft, dass Dinge wie Lesben, Transgender und andere „Perverse“ nichts für uns sind. Aber wir leben immer noch im Jahr 2024 und in Europa, wo die universelle Natur der Menschenrechte weithin anerkannt ist. Auch für Schwule. Auch für Trans-Menschen." (LA)

Lolita Tomsone bezeichnete in einem Beitrag für das lettische Kultuportal "Satori" die Eurovision als "politmusikalischen Karneval". Bei der Eurovision habe "jede/r nur drei Minuten Zeit, um die ganze Welt zu überraschen." 

Lettische Zuschauer des deutschen Fernsehens verteidigten den lettischen Beitrag übrigens vehement. Als Moderator Thorsten Schorn beim Vorentscheid "Dons" als "Schlumpf, der seine Mütze verloren hat" titulierte, musste er sich mit Protestzuschriften auseinandersetzen. Ein paar "nette Letten" hätten sich beschwert, gab Schorn dann während der Finalmoderation zu. Offenbar waren es nicht wenige.

11. Mai 2024

Einzahlen, bitte!

Im Vorfeld der diesjährigen Europawahlen wird in Lettland die Praxis von Parteispenden diskutiert. Anfang Mai beschloss das lettische Parlament eine Änderung im Parteiengesetz, der zufolge nun schon Parteispenden ab 7.000 Euro strafbar sind, wenn sie aus ungeklärten Quellen stammen. Unklar allerdings, ob dies allein ausreichen wird, um solche zweifelhaften Spenden zu verhindern.

Briefumschlag - Bankautomat - Parteikasse 

Zunächst standen Spenden an die Partei "Latvijas attīstībai" ("Für Lettlands Entwicklung") im Mittelpunkt der Diskussionen, auch die Antikorruptionsbehörde KNAB (Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs) sah sich zu Untersuchungen veranlasst. Māris Mičerevskis, früher mal Mitglied bei "Latvijas attīstībai", brachte die Sache mit Aussagen wie dieser ins Rollen: "Da gibt Dir jemand einfach zweitausend Euro und sagt, Du musst es für die Partei spenden.“ (LR1) 132 Spenden wurden als verdächtig angesehen, wo Verwandte, Freunde, Angestellte oder andere Vertrauenspersonen die Einzahlungen getätigt hatten. Dennoch wurden keine Strafverfahren eingeleitet, weil, wie es hieß, keine geltenden Gesetze verletzt worden seien. (lsm)

"Aus den Akten zu diesem Fall geht klar hervor, dass Menschen Geld spenden, das ihnen nicht gehört," sagt Sanita Jemberga vom Zentrum für investigativen Journalismus "Re-Baltica".

Spenden für die Karriere

Die Vorwürfe gegenüber der Partei "Vienotība" sind da etwas anders gelagert. Parteimitglieder spendeten auffallend großzügige Summen an die eigene Partei, und das noch dazu in vielen Fällen zeitlich geradezu synchron. 

So ist vom jetzigen "Vienotība"-Fraktionsvorsitznder Edmunds Jurēvics bekannt, dass er zu Zeiten, als er lediglich eine (eher "symbolisch" bezahlte) Stelle als Assistent eines Parlamentsabgeordneten hatte, mehr als 1.000 Euro an die Partei spendete. Und seit 2020, als der von ihm beratene Vilnis Ķirsis Bürgermeisterkandidat wurde, spendete er erneut mehr als 1.000 Euro. Seitdem Jurēvics aber 2022 Mitglied des Rigaer Stadtrates und später auch der Saeima wurde, gingen die Zahlungen erheblich zurück. 

Bei Dāvis Mārtiņš Daugavietis, ein weiterer "Vienotība"-Abgeordneter, soll es ähnlich gewesen sein - zunächst hohe Spendensummen, die nach seiner Wahl ins Parlament stark zurückgingen. "Ich wollte meine politische Karriere aufbauen, und ein Teil des Aufbaus dieser Karriere besteht darin, Mitgliedsbeiträge an die Partei zu zahlen, was ich auch als Investition in mich selbst, als Investition in meine Zukunft betrachtete," so erklärte es Daugavietis selbst (lsm)

Offenbar hilft es in Lettland, wenn nicht eine Wahl über die Zukunft einer Politikerin oder eines Politikers entscheidet, sondern vorab getätigte kräftige Spenden aufs Konto der eigenen Partei. Im Fall der stellvertretenden "Vienotība"-Generalsekretärin Sanita Stelpe-Segliņa sollen Spenden von Mann, Mutter und Schwiegertochter gekommen sein. 

Umschläge und Zählverfahren

Weiterhin gibt es Anschuldigungen, dass "Vienotība" in mehreren Fällen, einschließlich dem Büro von Ex-Ministerpräsident Kariņš, Löhne "im Briefumschlag" gezahlt haben soll (BNN) - ein Vorwurf, den die Partei energisch abstreitet. .

Und ein weiterer Vorwurf dreht sich darum, dass "Vienotība" über Jahre hinweg Dienstleistungen der Firma SOAAR genutzt haben soll, ohne dafür zu bezahlen (tv3) Inzwischen wurde bekannt, dass (erstmals seit 13 Jahren) bei den Europawahlen in Lettland die Stimmauszählung nicht mehr mit Hilfe der Firma SOAAR erfolgen wird. Der Staatliche Rechnungshof hatte bei einer Prüfung festgestellt, dass die Firma hier ohne rechtliche Grundlagen eine Monopolstellung gehabt habe. Bei den Europawahlen werden die Stimmen nun wieder manuell in den Wahllokalen ausgezählt werden. (IR).

30. April 2024

Fuß, Hand oder Stock? Sportstadt Riga

Basketball und Eishockey sind in Lettland klar die beliebtesten Sportarten,da müssen wir uns gar nicht unbedingt auf das Jahr 1935 berufen, als Lettland Basketball-Europameister wurde. Bei der Eishockey-WM 2023 gelang mit Platz 3 Lettland erstmals der Sprung in die Medaillenränge.

So könnte der neue Rigaer Fußballtempel aussehen
Aber Fußball? Wer aus deutscher Sicht ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich vielleicht noch an ein 0:0 der deutschen Elf gegen Lettland im Rahmen der Europameisterschaft 2004. Seitdem hat sich Lettlands Fußballnationalteam nie wieder für eine EM oder WM qualifiziert. Gemäß der FIFA-Weltrangliste rangiert Lettlands Männerteam auf Platz 136 (Litauen 137, Estland 123). Die FIBA-Weltrangliste im Basketball dagegen weist Lettland auf Platz 6 auf (Litauen 10, Deutschland 3).

Endlich ein Fußball-Tempel?

Nun aber fällt der Stadtrat Riga mit einer Entscheidung auf, die vielleicht auch Verwunderung auslöst. Am 2. April wurde entschieden, dem lettischen Fußballverband ein 10 ha-Grundstück für den Bau eines nationalen Fußballstadions bereitzustellen. Die Kosten werden auf (vorläufig) 44 Millionen Euro geschätzt, nach Fertigstellung soll das Stadion 16.000 Sitzplätze bieten. (lsm) Zum Vergleich: das würde in etwa den Stadien in Ingolstadt, Regensburg oder Halle / Saale entsprechen (gegenw. alle 3.Liga). 

Die Begeisterung hält sich teilweise auch bei Fußballfans in Grenzen - denn die Finanzierung eines solch großen Projekts bleibt vorerst unklar. Schließlich sei ja zunächst nur die Möglichkeit geschaffen worden, einen Plan auszuarbeiten, also ein Konzept für ein Stadion vorzulegen. (sportacentrs) Und der Kostenrahmen werde wohl deutlich überschritten werden müssen - da das vorgesehene Baugrundstück auch einige Infrastrukturmaßnahmen erfordert. 

Unterstützung von der UEFA?

Der erst kürzlich in seinem Amt wiedergewählte LFF-Präsident Vadims Ļašenko hofft auch beim Stadionbau auf Unterstützung von UEFA und FIFA - falls einer Maximalförderung zugestimmt würde, seien 17.6 Millionen Euro zu erwarten, meint er. Da auch von der Stadt Riga - außer dem Grundstück als Bauplatz - keine große Finanzunterstützung zu erwarten sein wird, bleibt die Hoffnung auf Investoren aus der Wirtschaft. Den ersten Entwürfe zufolge, erstellt von der deutschen Architektengruppe "Fiebinger", erfordert der Stadionnaubau eine Fläche von 119.000 m2, davon 66.000 m2 für das Stadion selbst.

2016 hatte der Fußballverband LFF noch darauf gehofft, auf einem Gelände an der Krišjāņa Barona ielā mit einem Stadionbau beginnen zu können. Dazu hätte es aber einer Kreditaufnahme von 10 Millionen Euro bedurft - der damalige Vorstand entschied sich dagegen (sportacentrs). Manche schauen da neidisch auf die litauischen Nachbarn in Vilnius - aber dort ist zwar ein Nationalstadion bereits im Bau, allerdings auch immer wieder von Skandalen und Finanzschwierigkeiten erschüttert (LRT / pstprojektai) Der aktuellen Entscheidung des Stadtrats in Riga war eine Prüfung von insgesamt neun möglichen Standorten für ein neues Stadion vorausgegangen.

Protest der Kleingärtner

Begleitet wurde der Stadtratsbeschluss "für den Fußball" von Protesten: bisher ist Lucavsala, nur über eine Brücke über die Daugava zugänglich, eher eine "grüne Oase", geprägt von kleinen privaten Gärten. "Wir wollen nicht noch einen zubetonierten Stadtteil!" ist also der Wahlspruch der Protestler vom Nachbarschaftsverein Lucavsala. Das "grüne Licht" des Stadtrats ist allerdings mit einer Bedingung verknüpft: fünf Jahre hat der Fußballverband Zeit, um ein Realisierungskonzept vorzulegen. Aleksejs Čiževskis vom Verein "Daugavkrastu dārzi" sieht es so: "Wir haben ja schon das Stadion Daugava in Riga. Nur, dort sitzen die Zuschauer weit weg vom Spielfeld und haben kein Dach über dem Kopf. Werden es diese Millionenausgaben wert sein, nur für überdachte Sitzplätze?" (lsm) Zur Zeit hat das Stadion Daugava eine Kapazität von 10.000 Plätzen, das Skonto-Stadion fasst 8.000 Zuschauer.

Interessant ist auch, dass ebenfalls auf Lucavsala ein EU-gefördertes Projekt realisiert werden soll "zur Stärkung der ökologischen Vielfalt". Auf 4 Hektar (lucava) soll hier ein entsprechendes Modell-Areal entstehen.

Lettische Fußballgeschichte - britisch inspiriert

Begründet wurde Fußball in Lettland 1907 von Arbeitern der Fabrik für Metallverarbeitung "Salamander" in Riga, die sich in englischen Eigentum befand. Dort wurde der British Fooball Club (BFC) gegründet, der Unternehmer Herold Hall (1884–1943) wurde deren Trainer. Später gab es auch deutsche, jüdische, polnische und russische Fußballklubs in Riga; der erste lettische Fußballverein nannte sich 1912 "Amatieris". (LFF)

Laut Statistik des lettischen Fuballverbands LFF sind es heute 151 Fußballvereine in Lettland, die Zahl der registrierten Fußballspielenden beläuft sich auf knapp 20.000, und aus Ticketverkäufen wurden im Jahr 2023 insgesamt nur 290.000 Euro Erlös erzielt. Zwar gibt es in Lettland inzwischen auch Frauenfußball (bisher 741 Spielerinnen über 18 Jahren), große sportliche Erfolge sind hier aber noch nicht zu verzeichnen. Der lettische Fußballverband LFF hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Zahl von 5.000 aktiven Spielerinnen zu erreichen (siehe: Entwicklungsstrategie 2030). 

Lettischer Fußball - ohne Fan-Interesse? 

Das Interesse von Lettinnen und Letten am Fußball liegt bei nur 3,2 von 10 möglichen Punkten, so ergab es eine Umfrage im Jahr 2016. Die Frage nach Freizeitbeschäftigungen ergab Ähnliches: während sich 68% für Kino oder Musikkonzerte interessieren, sogar 57% für Theater oder Oper, äußerten noch 31% Interesse an Eishockeyspielen, 12% an Basketball und nur 8% an Fußball. (LFF)

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Norstat" zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen LSM ergab Folgendes: 16% der befragten Lettinnen und Letten finden ein neues nationales Fußballstadion "unbedingt" wichtig, insgesamt sind 49% "eher dafür".  (lsm)

5. April 2024

Strassen-Rochaden

Wer in einer deutschen Großstadt wohnt, wird vielleicht so manche Diskussion um Straßennamen mitbekommen haben; da gibt es doch einige, die an gar nicht so heldenhafte Persönlichkeiten erinnern. Aber Umbenennung ist schwierig. So scheiterte im westfälischen Bünde die Umbenennung einer "Lettow-Vorbeck-Straße", in Berlin blieb ein Versuch die "Mohrenstraße" umzubenennen ebenfalls erfolglos - so berichtete "Die Zeit". 

Da gibt es immer die Argumente, eine Umbenennung habe "erhebliche Folgen für Anlieger". Früher hat man auch gern argumentiert, es müssten dann ja alle Anwohner neues Briefpapier oder Visitenkarten drucken - das hat sich heute allerdings, dank Digitalisierung, wohl erübrigt. Na gut, dort wo noch gedruckte Passdokumente verwendet werden, muss wohl auch ein neues mit geänderter Adresse ausgestellt werden.

Hier ist nicht Moskau

In Riga liegt die Sache offenbar einfacher. Seit Putin in die Ukraine einfiel, haben diejenigen Zulauf, die "reinen Tisch" mit jeglicher Art von möglicherweise ehrender Erinnerung an Sowjetisches machen wollen. Dazu zählt dann auch einiges, was zur Sowjetzeit "russifiziert" wurde. Mitte Februar beschloss also ein Ausschuss des Rigaer Stadtrats die Umbenennung gleich mehrer Straßen. Das Argument: die Persönlichkeiten, deren Namen getilgt werden sollen, hätten keinerlei Bezug zu Lettland, hätten dort nie gearbeitet oder auch nur Lettland in einem ihrer Werke genannt. (riga.lv)

Künftig sollen die Straßen die Namen örtlicher Persönlichkeiten tragen - wie den des Linguisten Kārlis Mīlenbahs, des Schriftstellers Jānis Klīdzējs, und einer der ersten Wissenschaftlerinnen aus Latgale, Valērija Seile. Auch Landschaftsmaler Vilhelms Purvītis und Publizistin Emīlija Benjamiņa werden nun zum Vorbild für Straßennamen. 

Zunächst musste also die bisherige "Latgales iela" zur "Jāņa Klīdzēja iela" umbenannt werden, damit dann die bisherige "Maskavas iela" größtenteils zur "Latgales iela" werden konnte, ein Anfangsabschnitt heißt nun "Lastādijas iela". Die "Puškina iela" wurde zur "Kārļa Mīlenbaha iela", die "Turgeņeva iela" zur "Vilhelma Purvīša iela", die "Ļermontova iela" zur "Viļa Plūdoņa ielua", die "Gogoļa iela" zur "Emīlijas Benjamiņas iela" und die "Lomonosova iela" wurde zur "Valērijas Seiles iela".

Also: kein Moskau mehr, kein Lomonosov, Puschkin, Gogol, Lermontov und Turgenjew - statt dessen gibt es nun viel mehr Latgale in Riga (riga.lv). Und sogar die Umbenennung der scheinbar "unschuldigen" "Tipogrāfijas iela" (Straße der Typograhie) hat einen Hintergrund. Den Namen bekam die nur 159 Meter lange Straße im Jahr 1950 in Erinnerung daran verpasst, da hier das kommunistische Untergrundblatt "Cīņa" ("Kampf") in den 1930iger Jahren eine Zeitlang hergestellt wurde. Jetzt heißt die Straße "Augusta Spariņa iela", benannt nach einem der Helden des lettischen Unabhängigkeitskampfs 1918-20. (jauns).

Beschleunigte Symbolik

Und in Riga geht so eine Umbenennung offenbar ganz ohne bürokratisches Verfahren. Schon am 27. März meldete die Stadtverwaltung Vollzug, was die neue Straßenschilder der "Benjamiņas" und "Lastādijas iela" angeht. Die Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Vilnis Ķirsis rückte an, um die neuen Schilder zu verteilen. Laut Ķirsis sei ja die Bezeichnung "Lastādijas iela" mit Bezug zum "historischen Namen dieses Viertels" gewählt worden. Gleichzeitig wurde auch die Bezeichnung einer ganzen Reihe von Bus- und Straßenbahnhaltestellen geändert (riga.lv / rigassatiksme)

Nehmen wir mal an, wir kennen also alle Personen, die nun zur Ehre eines neuen Straßennamens kamen. Bleibt die Frage: „Wo ist Lastādija? Wer oder was ist das?“ 

Traditionell, aber unbekannt? 

Noch 2019 schrieb Journalistin : "Lastādija? Bei dieser Frage zuckt vielleicht selbst der hartgesotteste Einwohner Rigas unwissend mit den Schultern, einige werden sogar widersprechen und behaupten, dass es in Riga keinen solchen Ort gibt." (TVnet) Nun meinte Lazdina allerdings, die Frage mit einem simplen Verweis auf "Wikipedia" klären zu können - ins Deutsche übersetzt heiße der Name "Lastadie". Leider verweist Wikipedia bei diesem Begriff nur auf eine Bezeichnung für einen Verladeplatz in Lübeck, Königsberg, Rostock, Stralsund oder Stettin. "Lastadie" ist also auf jeden Fall nichts, was es nur in Riga gab. Aber so einen "Ladeplatz" hatte wohl jede Hafenstadt (siehe auch: mittelniederdeutsches Handwoerterbuch). In alten Büchern ist auch nachzulesen, es habe hier nahe der Daugava sogar den Versuch gegeben, eine Werft zu errichten - aber Schiffe seien an dieser Stelle, wohl auch wegen dem häufigen Eisgang der Daugava, nie gebaut worden. "Eine Siedlung von Schiffern, Flößern und Kaufleuten; später auch ein Sägewerk, Scheunen und Holzhäuser", schreibt Lauma Lazdiņa.

Auch die (deutschsprachige) Infoseite der "Dzirciema Aptieka" kommt unserer Wissbegier entgegen - dort finden wir etwas über eine "Lastadie-Apotheke". Hier steht zu lesen, eine "Lastadie" sei in Riga zum ersten Mal im Jahr 1348 erwähnt worden. Außerhalb des Stadtwalls, am Daugavaufer. Zitat: "Am Anfang der jetzigen Moskauerstraße".  Na, ab sofort dann wohl: nicht mehr "jetzig". 

Mit einer modernen Variante von "Lastādija" soll es aber schon 2013 in Riga losgegangen sein. "Lastādija ist ein selbstorganisiertes subkulturelles und soziales Kreativviertel" (Capitel R) Einige Aktivist/innen gründeten damals "Free Riga" um kreative Lösungen für die vielen leerstehenden Gebäude in Riga zu finden. "Unser Rezept: sich einmischen, damit die von der Gesellschaft gewünschten Veränderungen erreicht werden!" Inzwischen hat man bereits für 40.000 m2 leerstehende Räumlichkeiten neue Nutzungen gefunden. Und die Projekte vom "Free-Riga"-Vorsitzenden Mārcis Rubenis zeigen, dass ein Teil dieser Ideen vielleicht auch im Austausch mit Berlin oder sogar Chemnitz entstanden sind (Goethe-Institut / urbact). 

Also: ob nun alte Traditionen, oder neue Inspirationen - die Idee, einen Teil der "Moskauer Straße" nun zur "Lastādijas iela" zu machen, erhofft sich vielleicht auch eine ideele Anbindung an die junge Rigaer Startup-Szene.