20. Januar 2018

Himmelsgrüße gesucht

Der Nachmittag des 29. März 1890 war ein ruhig und sonnig, heißt es. Aber plötzlich, so erinnern sich vor allem die Bauern, die nahe des Ortes Baldone in Lettland vielleicht schon den Frühling erwarteten, gab es einen lauten Donnerschlag. Kurz darauf ein lautes Heulen und Krachen, dann erst helle und dann dunklere Wölkchen. Ein Moment später dann ein noch lauteres und längeres Donnern. Zunächst hatte keiner eine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Kurze Zeit später wurde es klar: in der Nähe war ein Meteorit niedergegangen. Einer der Bauern fand ihn einen Tag später. Ein Objekt in der Größe eines menschlichen Kopfes, so sagte man damals, und einem Gewicht von 5,8 kg. Bald zeigten sich verschiedene Interessen am heute unter der Bezeichnung "Baldone-Meteorit" (oder deutsch "Misshof-Meteorit") bekannten Fundstück.

Während die Bauern das Objekt am liebsten zerteilt hätten, und das Fundstück tatsächlich auch sehr schnell an einen jüdischen Händler verkauften, gelang es dann einem Schuldirektor aus Riga, der gezielt überall fragte, das seltene Stück von diesem Händler zu erwerben. Diese Einzelheiten der damaligen Vorgänge sind einem Bericht des deutschbaltischen Forscher Karl Bruno Doss zu verdanken ("Naturforscher-Verein zu Riga, 9.Folge, 7.Heft", 1891). Die Fundstelle gehörte damals zum "Rittergut Misshof", aber berichtet hatten zunächst nur lettische Zeitungen von dem Ereignis, daher brauchte es eine Weile, bis alle damaligen Fachleute davon erfuhren. Das Objekt war auch nicht sofort, sondern erst einen Tag später geborgen worden.

Nach heutiger Betrachtungsweise wurden bisher ingesamt 4 Meteoritenabstürze auf lettischem Gebiet notiert - allesamt im 19. Jahrhundert. Da war zunächst der sogenannte "Līksna Meteorit" (inernationale Schreibweise: "Lixna"), der zusammen mit mehreren anderen Stücken am 12. Juli 1820 bei Lazdāni im Südosten Lettland niederging; dieses Stück war immerhin 16kg schwer. Der nächste Vorfall wurde am 2. Juni 1863 bei Birži notiert, ein 5kg-Stück. Und am 12. April 1864 wurden nahe Nereta in Südlettland gleich 2 Stücke gefunden, 4kg und 5kg schwer.

Abbildung aus Doss/Johanson:
"Der Meteorit von Misshof"
(Riga 1891)
Der Deutschbalte Doss ordnete den Fund damals anders ein: an die 7.Stelle der Funde innerhalb der damaligen "russischen Ostseeprovinzen". Er zählt zwei Funde aus dem Jahr 1855 dazu (einer auf Saaremaa /Ösel, einer bei Valka / Walk), sowie einen Fund bei Põltsamaa/ Oberpahlen von 1863, und einen weiteren auf dem Jahr 1872 bei Paide/ Weissenstein. Außerdem zitiert Doss den Bericht eines Naturforschers aus dem Jahr 1704, aus dem er den Niedergang von Meteoriten bei Tartu/ Dorpat schließt (allerdings war kein Fundstück erhalten).

Doss spaltete von seinem Untersuchungsgegenstand kleine Stücke ab, um sie Sammlern und Spezialisten in St.Petersburg, Wien, Tartu und anderen Städten zu schicken. Als Hauptbestandteil seines Objekts stellte er Olivin fest, was einem häufigen Charakteristikum von Meteoriten entspricht (die chemischen Untersuchungen nahm Edwin Johanson vor). - Heute behauptet das Museum von Baldone noch im Besitz eines kleinen Stückes dieses Fundes von 1890 zu sein (Baldones ziņas).

Was hier vielleicht auf den ersten Blick wie ein
Treffen im Hinterhof aussieht, ist tatsächlich ein
Schnappschuß von der Eröffnung des
"Kleinen Meteorit-Museums" in Riga (Foto: "delfi.lv")
Anerkannt ist aber, dass sich zwei kleine Stückchen dieses "lettischen Meteoriten", eines 25,5 g, das andere 10,9 g schwer, sich im "Friedrich-Zander-Museum" an der Universität Riga befinden (siehe Friederich Arturowitsch Zander, ein Raketenpionier). Dadurch dass Fundstücke international untereinander ausgetauscht werden, ist von den vier Fundobjekten in Lettland inzwischen leider fast nichts mehr vorhanden - aber irgendwo in Museen oder Privatkollektionen sollte es sie doch geben! Das Ziel, Lettlands Meteoriten wieder in Lettland zeigen zu können, hat sich Kārlis Bērziņš gesteckt. Er gründete das Projekt "Meteoriti.lv" und bietet nun Interessenten in der Nīcgales ielā 3 seit drei Jahren in Riga sein "Kleines Meteoriten-Museum" (bei telefonischer Voranmeldung) an. Außer Meteorit-Stückchen aus aller Welt gibt es hier auch zwei Neuerwerbungen zu sehen: ein Bruchstück vom Baldone-Meteorit, und sogar eines vom Līksna-Meteorit: 0,63 g, frisch erworben in Zusammenarbeit mit der "New England Meteoritical Services" (NEMS) in den USA. Nun wird nach Finanzmitteln gesucht, um auch vom Nereta-Meteorit (internationale Bezeichnung: "Nerft") ein 25-g-Stückchen "heim nach Lettland" zu holen; ein Angebot liegt vor: Kaufpreis etwa 8000 Euro. Tja, was vom Himmel kommt, ist teuer - erst recht wenn es erstmal in den kapitalistischen Kreislauf eingespeist ist, mögen vielleicht einige denken. Vielleicht ist es aber auch ein Thema, dass sich Lettinnen und Letten erst wieder neu erschließen müssen. Wer Stücke von "lettischen" Meteoriten anzubieten hätte - Verkäufer, vielleicht auch Spender - würde die Rigaer Museumsenthusiasten wahrscheinlich glücklich machen.

15. Januar 2018

Untergrund-Bewegung

Pläne für ein U-bahn Netz für Riga - beerdigt
zusammen mit dem Sowjetsystem
Rīgas metro - das war das Stichwort in den 1980iger Jahren, als die lettische Unabhängigkeitsbewegung auch mit Umweltthemen punkten konnte. Nun kommt es vielleicht erneut auf die politische Tagesordnung.

Wenn es nach den Sowjetbehörden gegangen wäre, war in den 1980iger Jahren eigentlich alles schon in Planung: drei Ubahn-Linien sollten es werden, 33 Haltestationen. Zielsetzung war damals, jede sowjetische Millionenstadt solle eine U-bahn bekommen - zwar hatte Riga diese Einwohnerzahl noch nicht erreicht, aber der prozentuale Anteil von Nutzern des Öffentichen Personennahverkehrs (ÖPNV) war sehr hoch. Das Moskauer Institut "Metrogiprotrans" übernahm die Planungen, und schon 1981 waren die ersten Pläne fertig. Schließlich wurde dann der Baubeginn auf 1990 festgesetzt.

eine der Planzeichnungen der 1980iger Jahre
Das Projekt - unter Planern auch gern "metropolitēns" genannt, war eines der heißen Themen der Protestbewegung der 1980iger Jahre: einerseits wäre es mit geschätzten 25 Millionen Rubel pro km das teuerste Ubahn-Projekt der gesamten Sowjetunion geworden, andererseits beförderte es die lettischen Ängste zu "Fremden im eigenen Land" zu werden, denn für dieses Großprojekt wären erneut Tausende von Arbeitern aus anderen Sowjetstaaten herangezogen worden.
Wie eine Information der Stadt Riga besagt, existieren bis heute noch einige der zwischen 1979 und 1988 im Rahmen von Voruntersuchungen für den U-Bahnbau angelegten 100 Löcher für Probebohrungen (Löcher von 10-20cm Durchmesser).

Eines der Hauptargumente der Gegner war auch die Sorge um die Fundamente der Altstadt und der historischen Gebäude: hoher Grundwasserstand und viel instabiler Untergrund. Journalistin und Politikwissenschaftlerin Oksana Antoņenko bedauert es zwei Jahrzehnte später, dass leider die "Metro" nicht verwirklicht wurde. Weder der Grundwasserstand sei ein starkes Gegenargument (auch in St.Petersburg herrschen ähnliche Verhältnisse), noch die damals ebenfalls zu vernehmende Ansicht, eine U-bahn sei eine "veraltete Technik". 1988 richtete der lettische "Umweltschutzklub" (Vides Aizsarbzības Klubs - VAK) große Anti-Metro-Demonstrationen aus, die wegen Beschränkungen in der Innenstadt den Park Arkādija als Versammlungsort hatten. Ermutigt wurden die Aktivisten auch durch den Beschluß der sowjetelettischen Behörden vom November 1987, die weitere Aufstauung der Daugava zu beenden - und somit das obere Daugavatal unverändert zu belassen. Der Spruch "Das System hat immer Recht" stand nicht mehr unwidersprochen, und viele fassten Mut für ihre Meinung auf öffentlich einzustehen.

"Die meisten bauten damals auf eine Welle des Patriotismus, weniger auf Sachverstand", so sieht es Oksana Antoņenko. "Die Metro-Gegner haben damals allen Fachleuten aus Moskau die Kompetenz abgestritten. Nach den Anti-Metro-Protesten wurde beschlossen, nur noch einheimische Fachleute aus Lettland einzusetzen - die aber keine Erfahrung mit ähnlichen Projekten hatten. Von diesen hieß es dann kurz danach, der U-bahnbau sei sowohl wirtschaftlich wie technisch sinnlos. Das Ende von 12 Jahren Planungen."

Bisher hat sich die Mehrzahl lettischer Fachleute immer gegen den Bau eines U-Bahn-Systems ausgesprochen, so auch die Geologen Atis Mūrnieks und Sigita Dišlere 2015 in einer Radiosendung (lsm). "Langfristig wird ein U-bahnbau aber die einzig angemessene Lösung sein, bekannte jetzt Viesturs Veckalns, Wissenschaftler an der Technischen Universität Riga (TU) (delfi / skaties). "Um einmal Riga zu durchqueren, braucht man heute 1 1/2 Stunden. Das heißt, dass viele jeden Tag 3 Stunden dafür benötigen." Als Student verbrachte Veckalns einige Zeit in Lissabon, um nun Vergleiche der Transportwege anstellen zu können. Die Baukosten schätzt er auf 200 Millionen Euro pro km ein. Würde es nach den alten Plänen gebaut, wären es in Riga knapp 9 U-Bahn-Kilometer. Und die Kritiker? "Das historische Stadtzentrum steht doch jetzt unter Denkmalschutz," meint Veckalns, und ein U-Bahnbau könnte die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen, und das Leben in Riga angenehmer machen. Innerhalb der folgenden 20 Jahre könnten sich auch die Kosten amortisieren."

Allein die Tatsache, dass es auf dem beliebten Internetportal "Manabalss" ("Meine Stimme") jetzt eine Unterschriftenliste PRO U-BAHN gibt, erzeugte jetzt wieder einiges öffentliches Aufsehen. "In Zeiten, wo die Qualität der Straßen immer schlechter wird, und die Zahlungen der Neuzulassungen bei Autos bereits eine Million überschritten haben, ist es an der Zeit über neue Verkehrslösungen für die Zukunft nachzudenken" - so die einleitenden Worte einer Iniatiative namens "Progresa Platforma" ("Fortschritts-Plattform"). Diese bezeichnet sich als "politische Organisation, die junge, gut ausgebildete Menschen vereinigt, die sich für individuele Freiheit und Menschenrechte einsetzen und außerhalb des gewöhnlichen Rahmens denken wollen." Die Initiative setze sich sowohl für eine nachhaltige Entwicklung in Lettland ein, wie für Umweltschutz und erneuerbare Energien.

Zwei Namen stehen bisher für diese Unterschriftenaktion: Filips Kapustins und Edgars Gapoņenko. Von ersterem ist immerhin bekannt, dass er mal Mitglied bei der Jugend in der "Grünen Partei" ("Zaļa Partija") war. Also nur "Provokationen in der Vorwahlzeit", wie einige Internet-Kommentare es einschätzen? Viele zweifeln aber auch an einer ausreichenden Zahl interessierter Kunden für eine U-Bahn - wo die Einwohnerzahl Rigas inzwischen auf 650.000 gesunken ist.
Allerdings sind es bisher auch nicht mehr als 190 Unterstützer eines Metro-Revival bei "Manabalss" - trotz einiger offenbar sehr reger Aktivisten vielleicht nicht genug, um das Thema in der Diskussion zu halten. .