23. Juni 2017

Mittsommer-Rakete

Nein, es ist unwahrscheinlich, dass Indien sich des lettischen Feiertagskalenders bewußt war, als genau heute am frühen Morgen des 23.Juni 2017, eine Rakete des Typs PSLV-C38 vom "Satish Dhawan Space Centre" im indischen Sriharikota abhob (Indian Express). 31 Satelliten werden damit auf eine Umlaufbahn gebracht - unter anderem einer (der erste!) lettischer Bauart. Von der "Venta-1" kündigte ihr Erbauer, Prof. Dr.-Ing. Indulis Kalniņš, schon vor 5 Jahren in der "Baltischen Stunde" an: "Unser Satellit ist startklar"!

Der Raketenstart heute morgen konnte im Internet per Livestream verfolgt werden. Das Satelliten-Projekt wurde in Kooperation der Hochschule im lettischen Ventspils (Ventspils Augstskola), der Hochschule in Bremen und der OHB Bremen gebaut, 2015 noch einmal leicht umgebaut. Der lettische Satellit wird nun in ca. 505 km Höhe die Erde 16mal innhalb 24 Stunden umkreisen, so teilte es Agnese Jēkabsone, die Sprecherin der Hochschule, der Presse mit (TvNet). Der Satellit soll helfen, Schiffsbewegungen auf den Meeren in breiterem Ausmaß als bisher mitverfolgen zu können. Weiterhin soll der Satellit auch von der Hochschule Ventspils für Studierende der Raumfahrttechnologie genutzt werden.

Aigars Krauze, Koordinator des Projekts auf lettischer Seite, hatte das Ereignis vor Ort in Indien mitverfolgt und zeigte sich in einer ersten Reaktion sehr zufrieden: "Es war eine sehr gehobene, fast feierliche Atmosphäre hier, und alle Beteiligten am Projekt haben einen großen Zusammenhalt gezeigt." Nachdem auch ein litauischer Satellit mit derselben Rakete den Orbit erreichte, und der estnische "EstCube" schon vor vier Jahren eingesetzt wurde, haben nun alle drei baltischen Staaten Zugang zu Erfahrungen und Forschungen auf dem Gebiet der Raumfahrttechnologie.

Inzwischen meldete die Hochschule Ventspils stolz per Twitter: "Wir haben die ersten Signale vom Satellit empfangen! Alles arbeitet normal!"

Einzelheiten zum Satellit:
Homepage der Hochschule Ventspils zu VENTA-1 / Spaceflight101 / VHTP / Wikipedia / EAS

21. Juni 2017

Warten auf freie Fahrt für alle

nach Jahren der Neuanschaffungen und Modernisierungen in Riga:
schicke Fahrzeuge vorhanden - Passagiere laufen davon
Noch vor kurzem war es ein umstrittenes Thema im Kommunalwahlkampf: der öffentliche Nahverkehr in Riga. Während die einen der Stadt die Planung unnötiger Straßenbahnlinien vorwarfen, fanden andere die meist mit Krediten bezahlten Investitionen der Stadt zu kostspielig, und wieder andere wollten sogar den kostenfreien Nahverkehr für alle Rigenser einführen. Nun legte "Rigas Satiksme", der Betreiber der Linien der Straßenbahnen, Auto- und Trolleybusse in Riga, seine Bilanzen vor: danach geurteilt sieht es nicht gerade so aus, als ob die Einwohner Rigas überhaupt noch mitfahren wollen: nur noch 143,4 Millionen Fahrgäste wurden durch die städtischen ÖPNV-Betriebe pro Jahr befördert - das sind 144 Millionen weniger als 2006, also eine Verringerung um die Hälfte (NRA)!

"Eigene Statistiken in Auftrag geben ist immer eine gute Strategie", dachte sich wohl auch das Management bei RS. Also: auf der Firmenwebseite sind ganz andere Zahlen zu finden: 91% der Fahrgäste bewerten die Einführung der elektronischen "E-Talone" positiv - laut selbst durchgeführter Umfrage. Da ist man auf der sicheren Seite - denn man befragt nur die Fahrgäste.
Um Preiserhöhungen im Nahverkehr gab es schon öfters öffentliche Auseinandersetzungen: teilweise mit sehr schlicht gestrickten Begründungen wie Preisvergleichen mit anderen europäischen Hauptstädten (z.B. Stockholm). Fragwürdig dabei bleibt immer noch, dass der Kunde und die Kundin in Riga immer noch für jede benutzte Linie einzeln zahlt - also besonders viel Pech haben alle, die auf dem Weg zur Arbeit mehrfach umsteigen müssen (= erneut zahlen).

Am 1.Feburar 2015 war der Preis für eine einfache Fahrt für die Verkehrsmittel in Riga auf 1,15 Euro erhöht worden (lsm). Die Tarifpolitik von 2014, als das einfache Ticket noch 0,60 Euro kostete, habe nicht gehalten werden können, so die Begründung. Die Strafe für Fahren ohne Fahrschein wurde vervierfacht und liegt nun bei 20 Euro. Ein beim Fahrer gekaufter Einzelfahrschein kostet inzwischen schon 2 Euro.
Diese Fahrpreispolitik wäre allerdings kaum möglich, ohne weiterhin sehr große Gruppen auszunehmen, die absolut kostenlos fahren dürfen. Alle Rentner (die nicht zusätzlich arbeiten, ansonsten müssen sie 0,60 Euro zahlen), alle Schüler, alle Invaliden, Lehrer, Familien mit vielen Kindern, auch Studierende (sogenannte "Vollzeitstudierende", ansonsten zahlen sie 0,30 Euro). Aktuelle Statistiken (NRA) zeigen, dass insgesamt 44,2% aller Passagiere kostenlos fahren - zusätzlich nutzen 18,6% Preisreduzierungen!  Nur so läßt sich wohl erklären, warum überhaupt noch Fahrgäste sich die Fahrt in den schönen, neuen Fahrzeugen leisten können.

Während im Wahlkampf viele der "Saskaņa", der Partei des Bürgermeisters Nils Ušakovs, die Preiserhöhungen im Nahverkehr anlasten wollten, verteidigt sich die Stadt damit, 15 Millionen Euro staatlicher Unterstützung verweigert bekommen zu haben. Auf diese Höhe berechnete "Rigas Satiksme" die Kosten der Serviceleistungen, die außerhalb von Riga wohnenden Fahrgästen bereit gehalten werden. 2013 war die Idee einer „Rīdzinieka karte" aufgekommen - was kostengünstiges Fahren für alle mit in Riga registriertem Wohnsitz bedeutet hätte. Nach heftiger Kritik (Trend zur totalen Überwachung der Bürger?) war die Einführung aber verschoben worden. Inzwischen ist sie eingeführt, und ebnet den Eigentümern weitere Ermäßigungen: Preisnachlässe bei Fahrschulen, Versicherungen und Optikern, Ausgabe kostenfreien Essens für sozial Schwache, Vergünstigungen beim Parkplatz fürs Auto, und Einsatz als "E-Talon" (elektronisches Mehrfahrtenticket). Beworben wird der digitale Rigenser Nachweis inzwischen als "e-maciņš" (elektronische Brieftasche) und kann gleichzeitig als Schüler- oder Studentenausweis verwandt werden. Und: der Stadtrat eröffnete sogar Nicht-Rigensern eine Möglichkeit, eine „Rīdzinieka karte" dennoch zu erwerben: für 775 Euro jährlich.

Zusätzlich zu den geltenden Tarifen werden auch immer ganze Tage der "freien Fahrt für alle" ausgerufen: wenn Riga verschneit ist, bei Großveranstaltungen, oder auch - in wenigen Tagen - am 23. und 24. Juni während der Mitsommerfeiern.

Frühere Beiträge zum ÖPNV in Riga:
"Dann kannste über Skanste" / "Umstrittene Fahrkartenpreise" / "Der Rigenser-Test" / "Schnee macht Arbeit"

7. Juni 2017

Geburtstagsspiel

Neue Rakete

Ja, es gab einmal einen Ernests Gulbis - um genau zu sein, es gibt ihn noch. Aber Tennis galt dennoch bisher noch nicht als ein Sport, in dem Sportler aus Lettland viel Aufsehen erregen - zu "Raketen" werden, der lettische Ausdruck für erfolgreiche Sportler/innen. Insgesamt nur 2900 Tennis-Spieler/innen gibt es in Lettland (Statistik Lettischer Tennisbund 2011) - der Deutsche Tennisbund hat ungefähr 1,4 Millionen Mitglieder. Während Gulbis inzwischen auf der Tennis-Weltrangliste nur noch auf Platz 230 zu finden ist (spox), hat eine neue Generation junger lettischer Frauen die Bühne betreten. Erstmals hat in diese Woche in Paris eine Tennisspielerin aus Lettland das Halbfinale und sogar dann das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreicht: die erst 19-jährige Jeļena Ostapenko.

Geboren am 8. Juni 1997 in Riga, ist die junge Lettin jemand, die weder die dunklen sowjetischen Zeiten noch kennt, und für die auch der internationale Austausch und die Zusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit darstellen - genauso wie mehrsprachige Schulbildung. Im Pass steht zwar der Vorname Jeļena - doch von allen die sie gut kennen wird sie Aļona gerufen (gesprochen "Aljona"). Wie es dazu kam, erklärte sie einmal selbst in einem lettischen Fernsehstudio: "Als meine Eltern den Namen festlegten, da gab es im lettischen Kalender keine Aļona. Daher steht im Pass Jeļena - im realen Leben heiße ich Aļona." (sporto) Interessant ihr Vergleich: "Jeder kennt ja auch Steffi Graf - in ihrem Pass stand ja Stefanie". Eine nette Umschreibung bürokratischer Hürden für russischsprachige Familien in Lettland.
Die Namensverwirrung bewegt auch lettische Sportfans. Inzwischen ist es soweit, dass internationale Kommentaren den neuen Tennisstar "Jelena" nennen, während die lettische Presse durchweg "Aļona" sagt und schreibt (Kas jauns).Sogar bei Wikipedia existieren mehrere Einträge (lettischer Text: Aļona / klickt man auf deutsche Fassung, erscheint Jeļena). Tennisspielen ist bei Ostapenko's ein Familienunternehmen: trainiert wird die lettische "Rakete" bisher von ihrer Mutter Jeļena Jakovļeva, Vater Jevgeņijs Ostapenko ist ihr Fitnesscoach.Erst seit kurzem kommen auch andere Trainerinnen hinzu.

Ostapenko, seit 2012 Profi und erst seit Herbst 2015 unter den weltbesten 100 Tennisspielerinnen zu finden, ist gegenwärtig auf Platz 47 angekommen. 2014 war sie Lettlands Nachwuchs-Sportlerin des Jahres, und nennt die langjährige Weltranglistenerste Serena Williams ihr größtes Vorbild. Im Kreise ihrer internationalen Kolleginnen war sie allerdings oft umstritten: weder ihr Verhalten nach Niederlagen, noch Gegnerinnen gegenüber gilt als besonders damenhaft. Allerdings gelang es der jungen Lettin immer, bei den Turnieren auch die Schulbücher mitzunehmen und trotz häufiger Abwesenheit alles für die Schule zu tun - ständiger Begleiter ist die Hündin "Džuljeta" (=Julia, ein Yorkshire Terrier, siehe Fernsehauftritt).
Eigentlich galt bisher Anastasija Sevastova, eine weitere junge Lettin mit Tennis-Ambitionen und bereits auf Weltranglistenplatz 19 angekommen, als Lettlands Nr. 1 im Frauentennis. In der lettischen Tennisgeschichte bisher weltrangbeste war Larisa Neilande, die 1988 mal kurzzeitig Nr 13 war. Und es gibt auch noch Laura Gulbe, eine Halbschwester von Ernsts Gulbis, allerdings befindet sie sich derzeit noch jenseits der besten 1000 Tennisspielerinnen der Welt.

Zweimal Geburtstag, dann: Überraschungssieg!

Für Jelena (Aljona) Ostapenko wird das kommende Halbfinalmatch am 8. Juni in jedem Fall ein ganz besonderes sein: sie feiert an diesem Tag ihren 20. Geburtstag - als Jeļena, oder als Aļona, oder beides. Im Halbfinale am 8.6. hatte einen ungewöhnlichen Rahmen: auch ihre Halbfinalgegnerin, die Schweizerin Timea Bacsinszky, hatte am Matchtag Geburtstag - sie ist genau acht Jahre älter. 780 Weltranglistenpunkte waren Ostapenko als Geburtstagsgeschenk bereits nach dem Finaleinzug sicher - jetzt kommen 2 Millionen Euro Prämien und ein Höhenflug auf Platz 12 der Weltrangliste hinzu.

Ostapenko schlug die Schweizerin Timea Bacsinszky mit 7:6, 3:6 und 6:3. Und, wer hätte das gedacht! "Da ist das Ding!" - Ostapenko schlägt im Endspiel sogar noch Simona Halep und wird sogar zur ersten Tennis Grand-Slam-Turniersiegerin!

Was schreibt die lettische Presse?
"Ostapenko erschüttert die Tenniswelt!" (Diena),  "Ostapenko schreibt lettische Tennis-Geschichte" (Latvijas Avize), "KasJauns" jubelt: "Aljona ist ein Wunder!",  und der öffentlich-rechtliche Kanal LSM sieht sich zu einem englischsprachige Beitrag veranlasst: "Who is Jeļena Ostapenko?"
Nur anfangs manchmal gewählte Online-Schlagzeilen wie "Der größte sportliche individuelle Erfolg in der lettischen Sportgeschichte" geriet in den Internetforen schnell wieder in Kritik - denn immerhin gibt es da ja noch etliche olympische Goldmedaillen in anderen Sportarten.

4. Juni 2017

Nils bleibt, Opposition wechselt

Nach dem vorläufigen Ergebnis der Kommunal-wahlen in Lettland am 3. Juni wird es keinen Wechsel im Bürger-meisteramt in Riga geben. Zwar sank die Zustimmung zur gemeinsamen Liste der “Saskaņa”/”Gods kalpot Rīgai” ("Harmonie" / "Ehre Riga zu dienen") auf 50,82% (bisher 58,54%), das reicht aber immer noch für eine Mehrheit von 32 der insgesamt 60 Stadtrats-Sitze (Zahlen cvk2017 / cvk 2013).

Platz zwei teilen sich zwei Neulinge im Stadtrat: zum einen die "Neue Konservative Partei" (Jaunā konservatīvā partija) mit 13,42% und der Spitzenkandidatin Juta Strīķe, Ex-Mitarbeiterin des lettischen Antikorruptionsbüros; zum anderen ist es die gemeinsame Liste der "Lettischen Vereinigung der Regionen" und "für Lettlands Entwicklung" ("Latvijas Reģionu apvienība" / "Latvijas attīstībai") mit 13,66% der Stimmen und Spitzenkandidat Mārtiņš Bondars, Ex-Baskatballer und in den USA ausgebildeter Ökonom. Beide Listen können nun mit je 9 Sitzen rechnen.

Die bisher stärksten Oppositionsparteien im Stadtrat mussten dagegen Rückschläge hinnehmen: die "nationale Vereinigung" ("Nacionālā apvienība") stürzte von bisher 17,86% und 12 Sitzen auf nur noch 9,25% und 6 Sitze. Für die Partei "Einigheit" ("Vienotība") stimmen nach 14,13% und 9 Sitzen vor vier Jahren jetzt noch 6,26% (4 Sitze).
Den übrigen Listen blieben keine Chancen in den Stadtrat von Riga einzuziehen: weder die "Vereinigung der Grünen und Bauern" ("Zaļo un Zemnieku savienība", 3,3%), die "Lettische Sozialdemokratische Arbeiterpartei" (Latvijas Sociāldemokrātisko strādnieku partija, 0,23%), die "Euroskeptische Handlungspartei" (Eiroskeptiķu Rīcības partija, 0,22%), "Von Herzen für Lettland" ("No sirds Latvijai", 0,61%), die "Alllettische sozialdemokaratische Bewegung 'Für ein unabhängiges Lettland!' " (Vislatvijas Sociāldemokrātu kustību "Par neatkarīgu Latviju!" 0,32%), und auch nicht "Wem gehört der Staat" ("Kam pieder valsts" / KPV.LV, 1,53%).