26. Dezember 2022

Müll-Bilanz

Erstaunlicherweise ist in Lettland zu pandemischen Zeiten die Gesamtmenge an Haushaltsabfällen erheblich gestiegen - so bilanziert es Journalistin Laura Laķe für die Zeitschrft "IR", und beruft sich dabei auf Zahlen des lettischen Zentrums für Umwelt, Geologie und Meteorologie (Latvijas Vides, Ģeoloģijas un Meteoloģijas Centrs LVGMC). Dem zufolge waren es 2019 insgesamt 840.413 Tonnen Hausmüll, im Jahr 2020 dann 908.960 Tonnen, und 2021 869.285 Tonnen. Wie Statistiken von Eurostat zeigen, wurde noch 2014 in Lettland pro Einwohner 318 kg Hausmüll erzeugt - bis 2019 stieg das auf 437 kg an. Und es muss gleichzeitig gesagt werden, dass dieser Anstieg ja wohl nichts mit einem Anstieg der Bevölkerungszahl zu tun haben kann - eher im Gegenteil.

Anders gesagt: in einer Statistik aller 38 Mitgliedsorganisationen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt Lettland, gemessen an der durchschnittlichen Hausmüllmenge, den 22. Platz. Somit produziert Lettland etwa doppelt so viel Müll pro Jahr pro Person wie die Menschen in den Ländern mit dem größten Aufkommen an Hausmüll. Und das Abfallaufkommen pro Einwohner in Lettland war auch höher als beispielsweise in den anderen baltischen Staaten oder in Polen. Zudem liegt die Recyclingquote in Lettland nur bei 23% (Zahlen von 2021, Deutschland 68%)

2022 war das Jahr, als Lettland endlich ein Rücknahmesystem für Pfandflaschen einführte. Aber beim Thema Müllvermeidung sei man noch nicht sehr weit gekommen, so urteilen lettische Umweltfachleute. Befragt nach den Gründen, warum sie das Pfandrücknahmesystem nutzen, nannten die meisten (59%) die 10Cent als Motivation, die jede Flasche oder Dose einbringt. Nur 37% nannten "Sorge um die Umwelt" als Auslöser (lsm)

Als Ziel der Europäischen Union ist festgelegt, in den Mitgliedsstaaten bis 2035 eine Wiederverwertungsquote von 65 % zu erreichen und weniger als 10% des Abfallaufkommens noch auf Deponien lagern zu müssen. Jānis Aizbalts, Direktor beim Abfallverwerter SIA Eco Baltia (Motto: "Finde den Wert in allem"), schätzt die gegenwärtige Wiederverwertungsquote des Abfalls in Lettland optimistisch auf inzwischen 40% - aber er zweifelt an der Fähigkeit der lettischen Gesellschaft, neue Methoden der Aballtrennung schnell zu lernen.(IR) Umfragen zeigen, dass inzwischen 71% der Bevölkerung das neue Pfandrücknahmesystem regelmäßig nutzen. Aber entscheidend sei auch, so Aizbalts, das entscheidende Schritte auf dem Wege der Abfallvermeidung eingeleitet werden. 

Kaspars Zakulis, Chef von "AS Latvijas Zaļais punkts” (Grüner Punkt Lettlands) sieht es so: "Im Jahr 2011 haben nur 34% der Befragten gesagt dass sie Mülltrennung vornehmen, und auch 2020 lag das nur bei 60%" (lsm) "Kunststück!"- möchte man da dazwischenrufen: wenn Lettland erst 2022 eine systematische Flaschenrücknahme einführt - warum sollte es auch vorher jemand erst trennen (und dann zusammen mit dem anderen wegschmeißen?). Zakulis redet auch vom "Vorbild Deutschland", begründet das aber so: "das liegt ja auch schon in der Mentalität dieser Nation. Diese Ordnung, einerseits. Und andererseits war eben Deutschland nach dem 2.Weltkrieg auch total zerstört, da spielten Sekundärmaterialien wie Metall und Glas immer schon eine wichtige Rolle." - Über "lettische Mentalität" sagt Zakulis an dieser Stelle nichts.

Das lettische Parlament brachte nun eine Entscheidung auf den Weg, aus bisher zehn verschiedenen Regionen fünf Abfallverwertungszentren zu entwickeln (lsm). So soll zum Beispiel die Wiederverwertung von Gebrauchtreifen sichergestellt werden, und auch für Textilien und Schuhe soll es neue Regelungen und ggf. spezielle Rücknahmecontainer im ganzen Land geben. 

Aber auch das, was in Deutschland als "Biomüll" verstanden wird, landet bisher in Lettland noch zu bis zu 60% im Haushaltmüll - so bemängelt es eine Untersuchung des staatlichen Rechnungshofs (bnn) Landesweite Stellen, die Biomüll nicht nur entgegennehmen, sondern daraus auch qualitätsgeprüften Kompost herstellen und zugänglich machen, gibt es bisher nicht. 

Ein weiteres Problem ist die gegenwärtige Beliebtheit von leichten Kunstofftragetaschen in Lettland. Einer neuen europaweiten Erhebung zufolge benutzt jeder Lette und jede Lettin pro Jahr 229 solcher leichten Plastiktüten, in denen ja gern so manches Einkaufsgut verschwindet (2018 waren es sogar schon mal 327 !). Nur Litauen hat da mit aktuell 294 Tütchen einen noch höheren Verbrauch. In Deutschland sind es 45 pro Einwohner/in - was multipliziert mit 80 Millionen Menschen allerdings auch wieder einen stattlichen Müllberg verspricht.

Schon seit Jahrzehnten galt in Lettland der Name "Getliņi" als Synonym für den größten lettischen Müllberg. Aber in 5 bis 7 Jahren wird hier Schluss sein müssen, sagen Experten: die 80ha-Deponie nahe des Ortes Ropaži ist voll. Eine Erweiterung ist dann nicht mehr möglich. Auch hier wird geschätzt, dass allein die getrennte Aussortierung von Biomüll eine Volumenersparnis um 40% bringen könnte (lsm).

15. Dezember 2022

Daugavpils und die Kunst

Daugavpils, die zweitgrößte Stadt Lettlands, eröffnete 2013 voller Stolz das "Mark-Rothko-KunstZentrum", und verfügt seitdem endlich über einen kulturellen wie auch touristischen Anziehungspunkt, der auch international funktioniert. Das Daugavpils Mark Rothko Art Center befindet sich im historischen Artillerie-Arsenalgebäude der Festung Daugavpils, das 1833 erbaut wurde. Für viele kulturinteressierte Lettland-Besucher/innen wurden Ausstellungen an diesem Ort zum einzigen Grund, ihre Reiseroute auch in diese Region zu verlegen.

Laut Eigenwerbung ist das Museums "der einzige Ort in Osteuropa, wo es möglich ist, die Werke des in Daugavpils geborenen weltberühmten amerikanischen Künstlers, des Begründers des abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei Mark Rothko (1903-1970) in einer erweiterten Ausstellung kennenzulernen."

So weit, so gut. Seit dem 28. Oktober läuft nun im Mark Rothko Center unter anderem eine Ausstellung des estnischen Keramikkünstlers Sander Raudsepp. Der stammt von der estnischen Insel Saaremaa und beschreibt auf seiner Webseite seine Arbeitsweise wiefolgt: "Ich lasse mich inspirieren von unangemessenen Witzen, Verschwörungstheorien, Psychedelika, Missverständnissen aus der Kindheit, Leben und Tod, Religion und zufälligen Duschgedanken."

Auf Druck religiöser Gruppen wurden nun auf Veranlassung der Stadtverwaltung drei Kunstwerke aus der laufenden Ausstellung entfernt. So, wie es in den lettischen Medien formuliert wurde, sei der Stein des Anstosses eine Kombination aus einem "christlichen Kreuz und männlichen Genitalien" (lsm) Die Werke stünden für "Hass gegen das Christentum", so sahen es Jānis Bulis (Kath. Kirche Rēzekne), Einārs Alpe (Ev.-Luth. Kirche Daugavpils) und Andrejs Sokolovs (Orthodoxe Kirche, Vorsitz des Zentralrats der Altgläubigen). (Latvijas Kristigais Radio)

Aber es gibt auch Protest gegen dieses Vorgehen. Die Vereinigung lettischer Museen (Latvijas muzeju biedrība) wandte sich in einem offenen Brief an u.a. Kulturminster Puntulis und den Bürgermeister von Daugavpils und spricht von "Zensur". Verlangt wird auch, dass die drei entnommenen Stücke in die Ausstellung zurückkehren müssten (lsm) Die lettische PEN-Vereinigung zitiert eine Aussage des stellvertretenden Bürgermeister von Daugavpils, Aleksejs Vasiļjevs, mit den Worten: die drei Kunstwerke seien provokativ, und die Gesellschaft von Daugavpils sei nicht bereit dafür. - Wenn das ein Maßstab sei, dann müsse darauf hingewiesen werden, dass zu Zeiten, als die Werke von Mark Rothko enstanden, die Gesellschaft ebenfalls nicht bereit dafür gewesen sei. - Vasiljevs dagegen hatte behauptet, die Entnahme von Kunstwerken aus der Ausstellung sei "keine Initiative des Stadtrats Daugavpils" gewesen, könne also nicht als "Zensur" bezeichnet werden, sondern als "Wunsch der Einwohner." (jauns)

Ab sofort heißt es dann wohl "das Beispiel von Daugavpils mahnt". Nur: vor oder an was? Wo die einen zu großen Einfluß der russisch-orthodoxen Kirche speziell in Daugavpils vermuten, sehen die anderen die Notwendigkeit von Diskussionsveranstaltungen und Bildungsangeboten rund um solche Ausstellungen. Manche sehen auch schlichtweg die "Wiederkehr von Zensurmethoden der Sowjetzeit". Wieder andere befürworten spezielle Ausstellungsräume mit Warnhinweisen vor dem Betreten, oder Ausstellungen, die erst ab 18 Jahren zutrittsberechtigt sein könnten. Den Aussagen von Māris Čačka zufolge, der das Rothko-Zentrum leitet, sei der betroffene Künstler selbst "nicht überrascht" über den Vorgang in Daugavpils gewesen - zwar sei ihm Ähnliches in Estland noch nicht passiert, aber schließlich kenne er ja das Umfeld der baltischen Staaten. (ritakafija)

Jānis Vanags, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Lettland, befürwortet eine Diskusion um "Grenzen der Kunst". (lsm) Edgars Raginskis dagegen, Kulturjournalist und Komponist, eigenen Angaben zufolge "cenzūras pētnieks" (Zensurforscher), beruft sich auf die lettischer Verfassung, der zufolge Zensur untersagt sei. "Und zwar unabhängig davon, ob etwas gefällt oder nicht gefällt", meint er. Außerdem seien eben Kirche und Staat per Verfassung getrennt. Die Behauptung „die Gefühle von Gläubigen seien verletzt“, das sei eben auch eine gut aus Russland bekannt Vorgehensweise, die nur zu einem totalitären, kriminellen Regime passe.