Eines der am heissesten diskutierten Themen in Lettland ist im Moment die Frage, ob Staatspräsidentin Vike-Freiberga die Einladung nach Moskau annehmen soll, wo Russlands Präsident Putin Regierungschefs aus aller Welt zur Zelebrierung des "großen vaterländischen Sieges" empfangen will.
Für die deutsche Regierung scheinbar keine Frage: das Jahr 2005 ist das Jahr vor den kommenden Bundestagswahlen, und innenpolitische Proleme konnten schon oft mit aussenpolitischen überdeckt werden. "Ostpolitik", das riecht so schön nach Willy Brandt und "guten alten Zeiten". Nach Friedenspolitik der einfachen Art, wo man gerne auf der Seite der "Guten" stehen möchte. Putin und Schröder - die neue Männerfreundschaft. Scheindemokratisches Geplänkel mit brüchiger Fassade. Auf Kosten der Balten?
Doch auch die Konservativen versammeln sich zu seltsamen Verabredungen. Unter dem Banner "christlicher Werte" versucht man nun auch auf europäischer Bühne neue Fronten aufzubauen, um die eigenen innenpolitischen Interessen abzusichern. Dabei sind die Lettinnen und Letten (und auch deren baltische Nachbarn) doch in ihrer Mehrheit durch ihre alten Mythen und Volkstraditionen geprägt, sogar die scheinbar so strikt katholischen Litauer. Viele geraten in Zweifel, wieviele Kompromisse noch nötig sind, um sich die europäischen Freunde gewogen zu halten. Ein Minimum von 2% Militärausgaben waren der eine Preis, der vorbehaltlose Startschuß zum großen Konsumrausch der andere. Die Steigerungsraten bei den Neuzulassungen von Privatautos sind Ende 2004 eine der höchsten in ganz Europa, diejenige der Inflation aber ebenfalls.
Und was soll also gefeiert werden am 9.Mai 2005 in Moskau? Das große Glück, dass Lettland wieder überrollt wurde von der Roten Armee, und Tausende in Sibirien landeten (und viele nie wieder zurück kamen)? Sollen wir von der Illusion leben, die Sowjets hätten für uns (Deutsche) die Nazis aus dem Feld geschlagen? (nachdem sich Sowjets und Nazis vorher verbrüdert hatten?) Noch immer ist es nicht selbstverständlich, dass in Russland Fakten zum Hitler-Stalin-Pakt veröffentlicht werden können. Heisse Diskussionen um die Beteiligung von Letten am Holocaust werden in Lettland zwar geführt, aber von manchen Seiten nur als schlichten Beweis von nach wie vor rechter Gesinnung angeführt. Welche Selbstgerechtigkeit!
Oder sollen wir uns mit den Verstrickungen abfinden, die uns gegenwärtig die in Lettland lebenden Russen liefern? Diese verbohrten Polit-Funktionäre, die uns weissmachen wollen, alle Russen siechen geknechtet dahin? Sollen wir feiern, dass sie sich jetzt weiterhin von "Dekret-Demokraten" wir Putin (und Schlimmeren in Russland!) instrumentalisieren lassen, ohne selbstbewußte Rollenbestimmung im neu strukturierten Lettland?
Was feiern wir, Herr Putin, Herr Schröder? Vielleicht reisen sie beide zunächst am 4.Mai 2005 nach Riga (ohne dass es einer Erklärung bedarf, was da gefeiert wird ....) !