17. Februar 2025

Bienenfrei

Ein Land wo Milch und Honig fließt - eigentlich keine große Utopie. Kühe und Bienen - dort, wo die Landschaft noch nicht komplett gewinnbringend und Ressourcen verbrauchend durchgetaktet ist, eigentlich keine besondere Erwähnung wert.
Gut, heutzutage haben sich einige Menschen ausgedacht, keine Milch mehr konsumieren zu wollen - und ob jeder Haushalt ein Glas Honig im Regal stehen hat, ist vielleicht auch unsicher. Bei der Nützlichkeit der Bienen dagegen scheinen sich die meisten einig zu sein. 

Nun kam in den vergangenen Monaten auch in Lettland die Frage auf, ob das denn überhaupt Honig ist, was in den Supermarktregalen zum Verkauf steht. 20 Honigproben wurden getestet, davon erreichten weniger als ein Drittel (nur 14 von 20) die allgemeinen Qualitätsstandards. "Was dort auf den Verpackungen als Inhalt ausgewiesen wird, ist das überhaupt Honig?" fragt sich auch Baiba Tikuma vom lettischen Imkerverband (Latvijas Biškopības biedrība LBB). 3300 Imkerinnen und Imker haben sich im 1994 neu gegründeten LBB vereinigt, laut Selbstaussage sind das zwei Drittel aller Imkerbetriebe in Lettland. ("IR")

Der Imkerverband beruft sich auf Kontrollen des lettischen Lebensmittel- und Veterinärdienstes ("Pārtikas un veterinārais dienests"), ausgelöst durch neue Untersuchungsmethoden des estnischen Labors "Celvia" (siehe auch: ZM). Die zuständige lettische Behörde versucht sich hier an einer grundlegenden Definition: "Honig ist eine natürliche, süße Substanz, die von Bienen (Apis mellifera) aus dem Nektar von Pflanzen gewonnen wird." Viel Aufsehen erregte eine Untersuchung von Honig in deutschen Supermärkten, wo ebenfalls die meisten Proben als "nicht echt" eingestuft wurden (Bienenjournal, NDR, ZDF, SWR, Verbraucherzentrale)

Honig nicht gleich Honig? 

Schon 2023 waren Studien im Auftrag der Europäischen Kommission veröffentlicht worden, denen zufolge der Verdacht aufkam, vielen Honigsorten werde unzulässigerweise einfach Sirup beigemischt. Grundlage der neuerlichen Tests war offenbar das Interesse des estnischen Honivermarkters "Nordmel", Honig nach Japan zu exportieren. "Celvia" hatte in Zusammenarbeit mit Hunderten von freiwilligen estnischen Imker/innen eine Datenbank für estnischem Honig erstellt.

 „Die DNA-Analyse erkennt alle Arten von Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Insekten, mit denen Honigbienen und Honig in Kontakt kommen", erklärt "Celvia"-Repräsentant Kaarel Krjutškov. "Die DNA -Sequenzen von Hunderten und Tausenden von Arten beschreiben die Zusammensetzung von Nektarpflanzen und ermöglichen unter anderem die Überwachung von Bienenpathogenen und Parasiten. Gleichzeitig hilft das DNA-Profil dabei, die Authentizität und den Ursprung des Produkts zu identifizieren, da die Pflanzen den geografischen Bereich der Biene zeigen“.  

Unlauterer Wettbewerb?

Lettische Imkerinnen und Imker fordern nun eine einheitliche Regelung für alle Länder der Europäischen Union: erstens die Anerkennung der DNA-Testmethode, und zweitens soll alles, was dort als nicht natürlich identifiziert ist, nur noch als "künstlicher Honig" verkauft werden dürfen (PVD).  

Allerdings gibt es auch auf dem lettischen Honigmarkt Tendenzen, die ungewöhnlich wirken. In Lettland gibt es fast 5000 Honigerzeuger (siehe LBB), da möchten manche gern durch besondere Angebote auffallen: Honig mit Johannnisbeer- oder Himbeer-Zugabe, oder "Schokoladenhonig" sind da nur Beispiele. Ein Beerenanteil von 30% pro Glasinhalt scheint ziemlich üblich - und sogar Beeren vom Schneeballstrauch oder vom Chinesischen Limonenbaum (lettisch "Citronliāna") können sich im Honigglas wiederfinden (z.B. meduspils). Zwar gilt wohl das Argument "alles auf Grundlage des Naturprodukts", aber dem könnte zum Beispiel entgegen gehalten werden, dass zum Beispiel Schokolade ja nicht mit in Lettland hergestellten Rohstoffen hergestellt wird. 

Stolz auf die eigene Ernte

Der Imkerverband empfiehlt die Kennzeichnung regionaler (lettischer) Produkte mit “Ievākts Latvijā” (sinngemäß: "geerntet in Lettland"). Damit sei garantiert, dass keine Zweitvermarkter am Werk waren, es sich nicht um ein Mischprodukt handle, und der Honig "nicht aus der Ukraine, China, oder anderen Ländern" komme. (Meduspils)

Gemäß Umfragen der Agentur SKDS geben 68% der Verbraucherinnen und Verbraucher in Lettland an, Honig als Zusatz zu Getränken wie Tee, Kaffee, Wasser etc. zu verwenden. 26% nutzen Honig als Bestandteil der Essenszubereitung, so dieselbe Umfrage. 

Um Honig im öffentlichen Bewußtsein präsent zu halten, baut das lettische Honig-Marketing unter anderem auf das "Honigfrühstück" ("Eiropas medus brokastis") - eine Kamapgne, die 2007 in Slowenien zuerst durchgeführt wurde. Seit 2013 besuchen auch in Lettland Imkerinnen und Imker Schulen und verteilen Honig-Kostproben (Sala, Talsi, Vecsaule, Daugavpils, Taurupe, Valmiera, Priekule, Staļģene, und viele andere). In Deutschland berichtete zwar das "Bienenjournal", mitmachende Schulen gab es jedoch bisher nicht. 

Eine andere lettische Inititave versucht, bestimmte Orte zu "Bienenbotschaften"("Bišu vēstniecības") zu erklären. Diesem Konzept hat sich das Hotel "Janne" in Riga angeschlossen. Ein kleines 3-Sterne-Hotel im Ortsteil Āgenskalns, das auf dem Dach eigene Bienenstöcke ("Bienenhäuser") betreibt. "In Āgenskalns sind Linden weit verbreitet, die die Hauptnektarquelle für Jannes-Bienen darstellen", heißt es hier.

Kundenfragen und Zunftsvisionen

Um aber mit billigen Massenprodukten konkurrieren zu können, zählt auch die Ästhetik. "Manchmal bildet sich etwas weißer Schaum auf dem Honig im Glas", gibt Imkerin Baiba Tikuma zu, "und in Internetforen wird dann gefragt: Ist das gefährlich?" Verbraucherinnen und Verbraucher mögen es eben gern transparent und sauber. ("IR") In diesem Fall sind es aber nur Luftbläschen - die sich vor allem dann bilden, wenn wenig Wasser im Honig vorhanden ist – also eher ein Qualitätsmerkmal.

Laut lettischem Amt für Statistik ist die Honigproduktion in Lettland stark angestiegen: waren es 2013 noch 1555 Tonnen, so waren es 2023 schon 2319 Tonnen. Der Verbrauch jedoch geht zurück: gegenwärtig sind es pro Jahr und Einwohner/in noch 710 Gramm - fast 100g weniger als vier Jahre zuvor ("IR"). In Deutschland dagegen deckt heimischer Honig nur 30% des Bedarfs. Imkerin Baiba Tikuma hat einen interessanten Vorschlag für die Zukunft in Lettland: "Bei uns hat doch jeder seinen eigenen Zahnarzt, jeder und jede den eigenen Friseur. Warum nicht auch den eigenen Imker oder Imkerin? Das ist doch genauso eine Frage der Gesundheit!" ("IR")

19. Januar 2025

Alles für die Katz

Wird 2025 ein gutes Jahr für Lettland? Schon am fünften Tag des neuen Jahres waren viele überzeugt: ja, ganz bestimmt! An diesem Tag wurden die "Golden Globes" verliehen, und als Ergebnis könnte man ausrufen: "Alles im Flow!". 300 in Hollywood akkreditierte ausländischen Pressejournalistinnen und -journalisten aus etwa 80 Ländern stimmten ab über die Filme des Jahres 2024. (lsm)

"Flow" ist der Titel eines Animationsfilms, ein Produkt belgisch-französisch-lettischer Produktion: das Studio "Dream Well" in Lettland (extra für diesen Film gegründet), "Sacrebleu Productions" aus Frankreich und "Take Five" aus Belgien. Der lettische Titel "Straume" ("Strom / Strömung") weist auf das Grundthema hin: Tiere fliehen vor einer riesigen Flutwelle. (Trailer). Nun also auch mit dem "Golden Globe" prämiert, als erster Film aus Lettland überhaupt. 

Kein Stubentiger

Regisseure und Produzenten, von links: der Franzose
Ron Dyens, Gints Zilbalodis und Matīss Kaža
Für "Straume" steht vor allem Gints Zilbalodis: Regisseur, Drehbuchschreiber (zusammen mit Matīss Kaža) und Co-Produzent (zusammen mit Matīss Kaža, Ron Dyens, Gregory Zalcman). Und zusammen mit Rihards Zaļupe stammt auch die Musik von ihm. Das belgische Studio „Take Five“ war für einen Teil der Postproduktion von „Flow“ verantwortlich. "Vielen Dank, dass Sie sich für unseren kleinen Katzenfilm entschieden haben", so wird Regisseur Zilbalodis nach der Preisverleihung zitiert (fold).

"Flow" feierte in Cannes seine Weltpremiere und hatte als Deutschlandpremiere die 66. Nordischen Filmtage Lübeck eröffnet. Von lettischer Seite wird gerne auch die vermeintliche "Moral" der Filmgeschichte, die ganz ohne Dialoge und Sprache auskommt, betont: Tiere nutzen ihre Fähigkeiten und kooperieren - eine tierische Schicksals-Gemeinschaft trotzt auf einer Arche der Sintflut. Auch die belgische Seite betont ihren Anteil am Erfolg: "Da der Film keine Dialoge enthält, ist die Intensität des Klangs sehr entscheidend für das Endergebnis und die Wirkung auf den Zuschauer." (vrt)

Lettisches Produkt in schwierigen Zeiten

48 weitere Preise habe der Film zwischen der Premiere in Cannes und dem "Golden Globe" bereits eingesammelt, so die lettische Presse - und inzwischen sei es Tradition beim Filmteam, nach jeder Preisverleihung einen ordentlichen "Burger" zu essen (IR / Facebook). Schon im November 2024 wurde Gints Zilbalodis zum "Rigenser (Einwohner Rigas) des Jahres" ernannt. (tv3) Im Dezember kam auch noch der Titel als "Europäer des Jahres" (verliehen von der Europabewegung Lettlands) hinzu.

Sehr besonders sei auch, dass der Film mit Software erstellt wurde, die im Prinzip überall kostenlos erhältlich sei, so heißt es. Angebote, in Hollywood zu arbeiten, habe Gints Zilbalodis ablehnt - er arbeite bereits an seinem nächsten Film, möchtet aber nicht nur als "Regisseur von Katzenfilmen" in Erinnerung bleiben, kündigt er an (Jauns). 

auch Karikaturist Gatis Šļūka thematisiert
die neuen lettischen Filmhelden

"Wir haben den Film ja in einer sehr unruhigen Zeit hergestellt,"sagt Produzent Matīss Kaža. "Erst die Covid-Pandemie, und dann der Krieg in der Ukraine." Es sei außerdem eine Zeit beängstigender Veränderungen, die nur mit Hilfe von Empathie, Verständnis und Zusammenarbeit überstanden werden könne. (IR) "Eigentlich schien doch schon die Nominierung für den 'Golden Globe' der größte Erfolg für die lettische Filmindustrie zu sein, gerade neben diesen Multimillionen-Dollar-Giganten", so Kinokritikerin Dita Rietuma; ihr kam die Preisverleihung wie ein ganz besonderes Geschenk vor, denn sie fand genau am Tag ihres Geburtstages statt.

Ganz tierisch

"Was bewegte Sie dazu, diesen Film zu machen?" wird Zilbalodis nach der Preisverleihung gefragt. Antwort: "Meine Katze" (Interview) und er verrät auch: "Alle meine bisherigen Filme waren ohne Dialoge. Und wir haben die Tiere sich wie Tiere verhalten lassen, nicht wie Menschen." (siehe making of) Zilbalodis betont auch, dass aufgrund des engen Finanzrahmens sehr exaktes Arbeiten gefragt war: "Wir haben nichts gedreht, was wir später wieder vernichtet hätten," meint er.


"Wir haben uns bei unserer Story keine Gedanken darüber gemacht, wo denn in dieser Geschichte die Menschen geblieben sein könnten", meint Gints Zilbalodis (Interview). Mit den eigenen Ängsten zu leben, dass lerne seine tierische Hauptfigur im Laufe des Films, meint er. Und die Zuschauer sollen lernen, genau hinzusehen. Erst kurz vor der Premiere in Cannes sei der Film fertig geworden, und es sei dann doch sehr befriedigend gewesen wie das Publikum dort reagiert habe, meint er - und freut sich, dass "Flow" nun wohl der am meisten in der ganzen Welt verbreitete Film aus Lettland sein wird, ganz ohne die Mühe einer Überetzung. 

Symbolik im Trend?

Steht der Erfolg dieses Films auch für andere gesellschaftliche Trends? Für den Kampf fürs Klima und gegen drohende häufige Überschwemmungen? Von lettischer Seite ist dazu nichts zu hören oder lesen. Im Film ist das auch kein Thema. Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, Gemeinschaft, Mitgefühl, Liebe - das ja. "Eine großartige emotionale Reise, die in der heutigen zynischen Welt äußerst selten ist", meinte eine lettische Kinokritikerin schon im August 2024, als der Film in die lettischen Kinos kam (IR). Die lettische Zeitschrift "Kinoraksti" fragt sogar nach einem möglichen "Zeitalter der Katzenhaftigkeit", mit Bezug auf die Häufung niedlicher Katzenvideos im Internet - und bemerkt aber auch, das in diesem Film die Katze völlig namenlos bleibt. 

Das Filmteam auf dem Rückflug nach Lettland, unterstützt
auch von der heimischen "Air Baltic"

Bereits viel diskutiert wurde offenbar in den lettischsprachigen sozialen Netzwerken über die Farbe der Katze im Film: schwarz, oder doch eher dunkelgrau? "Eher dunkelgrau", stellt der Schöpfer des Tieres klar (Facebook). Die lettische Presse berichtet indessen begierig über weitere lettische Erfolge: so habe "Straume / Flow" allein in Mexiko innerhalb von nur zwei Wochen schon eine Million Zuschauer gehabt. (LA)

Lettische Sintflut auch für deutsche Kinos?

Was sagt das deutsche Publikum? Erst Anfang März wird "Flow" in den deutschen Kinos zu sehen sein. Einige Kritiken gibt es schon: Joachim Kurz sieht sich für "Kino-Zeit" auf "Augenhöhe mit einer namenlosen Katze" und diese "als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits". Und "Polyfilm" (Österreich) titelt: "Wie die Katze ihre Angst vor dem Wasser verlor."

Nicht so überzeugt wirkt die Schweizerin Viktoria Engler für "What the film".  Zwar outet sie sich als "eingefleischte Animationsfilm-Liebhaberin", Bei knapp 90 Minuten Film konstatiert sie "biblische Ausmaße" - vielleicht wegen dem Boot, das ähnlich einer Arche Tiere vor der Sintflut rettet? Lob gibt es für "das viele Wasser" im Film, das "schwierig zu animieren" sei. Die Handlung jedoch sei stark von der visuellen Atmospähere getragen, weniger von spannendem Verlauf. "Zu seicht" - so hier das Urteil, mit etwas milderem Fazit: "Es gibt zu wenige Werke, die sich auf nicht-Menschliches konzentrieren; mit solchen Filmen kann man eventuell ein grösseres Verständnis für die Natur und ihre Bewohner schaffen."

Der "Goldene Globus" hat - unter Katzenbewachung -
bereits einen Platz im Nationalen Kunstmuseum gefunden

Prädikat "Besonders wertvoll" heißt es bei der "Deutschen Film- und Medienbewertung" (FBW). Die Jury formuliert es so: "eine fesselnde Fabel, die nicht nur durch ihre eindrucksvolle Animation und ihr starkes Sounddesign überzeugt, sondern auch durch ihre tiefgreifenden Themen von Umweltzerstörung, Vergänglichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen." (freigegeben ab 6 Jahren)

Anfang März 2025 wird "Flow" auch in die deutschen Kinos kommen. Der Film ist auch für den "Oscar" nominiert. Zu den vielen Kooperationspartnern gehörte das Nationalen Lettischen Filmzentrum, die Staatlichen Kulturstiftung Lettlands, Eurimages, das Französische Nationale Filmzentrum, Arte, Canal+ sowie verschiedene regionale Stiftungen und Förderprogrammen in Frankreich und Belgien.