Einiges haben wir schon über die lettische Unabhängigkeitsbewegung gehört und gelesen. Die einen kennen
Sandra Kalniete, schon durch ihr auch ins Deutsche übersetztes Buch "Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee". Andere kannten vielleicht eher
Džemma Skulme, die sich als damalige Vorsitzende der lettischen Vereinigung der Künstlerinnen und Künstler für die lettische Unabhängigkeit einsetzte. Wieder andere erinnern sich vielleicht stärker an
Mavriks Vulfssons, dem es zu verdanken ist, dass der historische Text des geheimen Zusatzabkommens zwischen Hitler und Stalin nicht nur in Lettland, sondern auch beim damaligen Kongress der Volksdeputierten der UdSSR öffentlich verkündet wurde.
Als
Ita Marija Kozakeviča 1981 ihr Studium der Französischen Philologie abschloss, begann in Lettland gerade diese unruhige Zeit. Kozakeviča, 1955 als Tochter eines polnischen Vaters und einer lettischen Mutter in Riga geboren, war Philologin und Journalistin, aber vor allem in den 1980iger Jahren im Vorstand der Gesellschaft der Freunde der lettisch-polnischen Kultur tätig und wurde dann auch zur Vorsitzenden der damals neu gegründeten Polnischen Union Lettlands gewählt. Sie beherrschte insgesamt neun Sprachen, galt als "moralischer Kompass" der lettischen Unabhängigkeitsbewegung (
IR) und wurde auch Abgeordnete des "
Obersten Rates" - dem sowjetlettischen Parlament, das seit den Wahlen vom 18.3.90 schlicht "Latvijas Republikas Augstākā Padome" / "Oberster Rat der Lettischen Republik" genannt wird, obwohl die nationale Selbstständigkeit zum Zeitpunkt der Wahl noch gar nicht beschlossen war. Immerhin hatten bei den Wahlen am 18.März 1990 insgesamt 1.593.019 Menschen teilgenommen, das entsprach 81,25% der Wahlberechtigten. Eine Mehrheit bekannte sich zur neu gebildeten "
Tautas Fronte" ("Volksfront"), und am 4. Mai 1990 stimmten 138 der insgesamt 201 Abgeordneten für die Unabhängigkeit Lettlands (
jauns). Nur 11 der 201 Abgeordneten dort waren Frauen. (
saeima.lv)
Ita Kozakeviča (1955-1990) kam auf tragische Weise am 28. Oktober 1990 zu Tode. Sie ertrank beim
Schwimmen im Tyrrhenischen Meer in der Nähe der Stadt Gaeta in Italien, südlich von Rom gelegen, als sie dort einen Kongreß des Weltverbandes der
Auslandspolen besuchte. Sie wurde also nur 35 Jahre alt.
Nach ihrem Tod wurde die 1991 neu gegründete polnische Schule in Riga nach ihr benannt (
Rīgas Itas Kozakēvičas Poļu vidusskola). 2023 beschloss der Stadtentwicklungsausschuss des Rigaer Stadtrats einen Abschnitt der bisherigen Nīcgales-iela nach Kozakeviča zu benennen, da dort in der Nähe sich auch die Schule befindet, die jetzt ihren Namen trägt. (
jauns) Bis 1940 hatte es in Lettland polnische Schulen, eine polnische Presse
und in Riga ein polnisches Theater gegeben. Zu Sowjetzeiten gab es
dagegen keine Möglichkeit, in Schulen die polnische Sprache zu
benutzen. Ita Kozakeviča hatte die Initiative, wieder eine polnische Schule in Riga zu gründen, mit angestoßen. (
lsm) Allerdings bleibt es auch heutzutage schwer, polnischsprachige Schulen in Lettland zu erhalten - was zum Beispiel der aktuelle Konflikt um eine mögliche Schließung der polnischen Schule in Krāslava zeigt (
lsm).
"Dank der Persönlichkeit von Ita Kozakeviča verlief der Prozess
der Wiederlangung der Uanbhängigkeit im damals ziemlich russifizierten und sowjetisierten Lettland relativ ausgeglichen und erfolgreich," meint Dainis Īvans, 1988-90 eine der Führungsfiguren der lettischen Unabhängigkeitsbewegung. "Ita schaffte es in ihrem kurzen Leben," meint er, "solide Grundlagen zu legen für die Verankerung der Menschenrechte in der Verfassung der Republik
Lettland und für die europäische Minderheitenpolitik." (lasi.lv)
Seit kurzem ist nun der Film "Mana brīvība" ("
Meine Freiheit") der jungen lettischen Regisseurin Ilze Kunga-Melgaile in den lettischen Kinos zu sehen. (
Filmtrailer) Der Film nimmt besonders den Zeitabschnitt 1988 bis 1990 in den Fokus, und stellt auch wichtige Entwicklungsphasen der lettischen "Tautas Fronte" ("Volksfront") dar, verwendet sogar einzelne Sitzungsprotokolle von damals. Auch die Figuren einzelne Künstler und Dichter tauchen im Film auf, die für reale historische Vorbilder wie zum Beispiel Leons Briedis oder Knuts Skujenieks stehen. Die Drehbuchautorinnen Anna Kalniņa und Inga Rozentāle haben ihre Hauptfigur Alicija genannt, aber natürlich ist Ita Kozakeviča gemeint - in der Hauptrolle ist die Schauspielerin
Ērika Eglija-Grāvele zu sehen.
Doch jeder Spielfilm baut auch auf der künstlerischen Freiheit derer auf, die ihn machen. Es seien bereits Beschwerden bei der Filmproduktionsfirma eingegangen, berichtet Elīna Reitere für "Kinoraksti", die tatsächliche Wohnung von Ita Kozakeviča habe völlig anders ausgesehen als es im Film zu sehen ist. Entschiedene Unterstützung dagegen erhält der Film durch die Nominierung als Lettlands Beitrag für den Wettbwerb um einen Oscar (in der Kathegorie "bester ausländischer Spielfilm" / lsm), verliehen durch die US-amerikanische "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" (AMPAS)
Wahrscheinlich erhofft man sich Pluspunkte schon deshalb, weil eine Frau Regie führt, so kommentiert Journalistin
Monta Krūze (LSM) die Nominierung. Zweifelhaft aber sei, ob Menschen im Ausland überhaupt die Darstellung solcher für Lettland so entscheidender Schicksalsmomente auch emotional werden nachvollziehen können. Der Film sei "ein bisschen Drama, ein wenig biografische Darstellung, ein Stück historischer Genrefilm und teilweise auch Roadmovie." Krūze stellt auch die Frage, welche Art von "Freiheit" der Filmtitel eigentlich meine und stellt fest, Ita Kozakeviča sei vor allem eine Frau gewesen, die sich für andere Menschen interessiert habe, ihnen zuhörte und sich für gemeinsame Ziele einsetzte. Aus heutiger Sicht, wo eher der Individualismus dominiere, besonders erwähnenswert, meint Krūze.
Ihr Resumee ist aber, dass der Film ziemlich genau die damalige Alltagsperspektive der Menschen trifft - man musste mit sehr unterschiedlichen Menschen auskommen, von Kommunisten bis zu Nationalisten, von Tscheka-Agenten bis
zu Freunden und Ehepartnern oder sogar Politikern und Schöpfern des
unabhängigen Lettland. Journalistin Kristīne Simsone (IR) fühlt sich sogar ein wenig an den Film "Das Leben der anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck erinnert.
Aber die Filmemacherinnen hätten sich eben auch die Freiheit genommen, in diesem Film nicht nur Geschichtspathos zu verbreiten, sondern "auch etwas über die Liebe zu erzählen", wie Kinokritikerin Kristīne Matīsa in der Zeitung "Diena" schreibt. Matīsa hebt auch die besondere Qualität der von Kameramann Maksim Efros produzierten Bilder hervor, den die Regisseurin Kunga-Melgaile schon aus Studienzeiten in St.Petersburg kenne. Zitat: Die Atmosphäre der Zeit in halbdunklen und verrauchten Räumen, genau im richtigen Moment den Fokus vom Vordergrund in den
Hintergrund und umgekehrt verschieben, die rein körperlich empfundene Enge im
Flur einer kleinen Wohnung und das helle Morgensonnenlicht im Hof der
Fabrik in Daugavpils – genau und nur dort, wo Alicia aus dem Auto
steigt."
Bleibt zu hoffen, dass der Film auch Aufführungen in deutschen Kinos erleben darf.