10. Oktober 2017

Wagner-Dämmerung: Richard ist unser!

Wagnersaal – so wurde das Haus in der heutigen Riharda Vāgnera 4 (ehemals Königstraße) in Riga in der Zeit von 1988 bis 2007 genannt, als es in der obersten Etage als Konzertsaal betrieben wurde. Hier befand sich einst das erste deutsche Theater der Stadt, das Stadttheater Rigas, das einen Zuschauerstamm von etwa 3000 Personen gehabt haben soll, 1782 als Privattheater des Barons von Vietinghoff gegründet. Es wurde 1835 umgebaut und ab da privat gemeinschaftlich finanziert. Bürgerliche Deutsche, die sich hier trafen, hatten einen Kulturverein gründeten - die sogenannte "Musse". Treu Deutsch, das bedeutete damals: bei stetig bekräftigter Treue zum russischen Zaren. Beim Umbau waren die Trennwände zwischen den Logen eingerissen worden: das Ziel war Geselligkeit, nicht Privatheit, so sagen die Bauhistoriker. Als erster Direktor wurde ein Adeliger gewählt: Karl von Holtei, aus einer kurländischen Adelsfamilie stammend, der auch Schriftsteller war und unter anderem auch einen der ersten Kriminalgeschichten Europas hinterließ ("Mord in Riga").

Als Richard Wagner vom August 1837 an in Riga war, wohnte er anfangs in einer kleinen, im Winter sehr kalten Wohnung in der Kalēju iela. „Den Winter, mit welchem wir in das Jahr 1838 traten, brachten wir noch in einer engen, unfreundlichen Wohnung in der alten Stadt zu”, so beschrieb Wagner es in "Mein Leben". Am 1. September 1837 dirigierte er erstmals als Kapellmeister, 24 Jahre alt. Insgesamt dirigierte und inszenierte Wagner etwa 20 französische, italienische und deutsche Opern, darunter fünf Uraufführungen in Riga. Als aber dann die Ehefrau von Direktor von Holtei starb, reiste dieser aus Riga ab und kehrte nicht mehr zurück. Vielleicht wäre Wagner gern sein Nachfolger geworden - aber das Theaterkomittee holte lieber jemand anderen - und im März 1839 wurde Wagner dann auf Betreiben des Theater-Comitees entlassen.

Am 9. Juli 1839 brach Wagner mit seiner Frau per Kutsche aus Riga auf, ohne Paß - um nicht erkannt zu werden (als Sachse brauchte er außerhalb Sachsens einen Reisepaß). Mit dem Segelschoner "Thetis" ging es Richtung London und von dort weiter nach Paris. Die stürmische Überfahrt soll ihm Inspiration für den „Fliegenden Holländer“ gebracht haben. In Riga hatte er auch die Arbeit an seiner ersten Oper „Rienzi“ begonnen. Die Reaktion eines Rigensers beschrieb Wagner später so: „welcher erstaunt war, von den Erfolgen eines Menschen zu hören, von dessen Bedeutung man während eines zweijährigen Aufenthalts in der doch nicht sonderlich großen livischen Hauptstadt nicht das mindeste wahrgenommen hatte.“

Die Kronleuchter hängen zwar noch im
"Wagner-Saal" - aber das ganze Gebäude ist
heute dringend renovierungsbedürftig
Mit der Aufführung von Schillers "Wallenstein" wurde 1863 das neue Haus des Deutschen Theaters eröffnet, heute befindet sich dort die Lettische Nationaloper. Die "Gesellschaft der Musse" residierte noch bis 1940 in ihrem Gebäude, der ehemalige Theatersaal wurde mehrmals umgebaut. 1988 wurde dann die obere Etage des Gebäudes restauriert. Nun fanden hier Kammermusikkonzerte statt. Aber mit der Verschlechterung des technischen Zustands der Gebäude wurde das Konzertleben 2007 gestoppt - seitdem ist das Gebäude geschlossen worden.

Wagner-Demo in Riga am 3. Oktober
Technische Untersuchungen ergaben darauf, dass eigentlich umfangreiche Maßnahmen zur Verstärkung des Fundaments nötig wären. Hoffnungen auf eine staatliche Finanzhilfe zerschlugen sich 2013, als nach dem Brand im Rigaer Schloß klar wurde, dass dort größere Renovierungsarbeiten nötig sein würden. 2014 wurde dann eine Stiftung zur Renovierung des Wagner-Saals gegründet, die mit der "Richard Wagner-Gesellschaft Riga" (Rīgas Vāgnera biedrība) zusammenarbeitet. Verschiedene Ideen zur zukünftigen Rolle der renovierten Gebäudes wurden entwickelt - als eine der möglichen Varianten galt eine Ausstellung zur Musikgeschichte in Riga hier unterzubringen. Vorsitzender der Wagner-Gesellschaft ist Ex-Regierungschef Māris Gailis, der ebenso wie seine Frau, die Architektin Zaiga Gaile bereits viele andere Kulturprojekte in Riga angeschoben und realisiert hat.

... gar mancher Kopf sucht nun sich zu vergleichen ...
Schon 2012 hatte eine Kommission des lettischen Parlaments auf Initiative des Musikwissenschaftlers Arnolds Klotiņš das Gebäude besichtigt, aber seitdem war nicht viel passiert. Träume von einer Kooperation mit einem Partner aus der Industrie hatten sich bisher als bloße Luftschlösser erwiesen. Seit 2006 ist das Gebäude Eigentum eines staatlichen Immobilienfonds (Va/s Valsts nekustamie īpašumi VNĪ).

Vor einigen Tagen hatte eine "singende Demonstration" Aufsehen in Riga erregt (wie anders als "singend" können Demos in Lettland sein?); waren es "einige Dutzend" (wie einige deutsche Medien schreiben / Neue Musikzeitung / BR / 3sat / Deutschlandfunk), oder mehr? Jedenfalls waren die Gesänge wie üblich länger als die gehaltenen Reden - in der lettischen Presse war von "Hunderten von Chorsängern" die Rede. Eigentlich war es als "Flashmob" organisiert (lettisch = zibakcija). Unter dem "Hashtag" #VāgneRīga hatten sich Unterstützer/innen versammelt, allerdings nicht als Protestaktion, sondern eher wie ein "Wagner-Fanclub": unter der Leitung des Dirigenten Māris Sirmais, und mit kräftiger Unterstützung von Orchesterleiter Valdis Butāns und seines Blasorchesters "Riga". So waren dann auch Lieder aus Wagners "Tannhäuser" zu hören, und Wagners Urenkelin Eva Wagner-Pasquier war selbst zugegegen und zeigte sich gerührt. Beim lettischen Fernsehsender LTV war gar von "800 Sängerinnen und Sängern aus 50 verschiedenen Chören" die Rede.

Es zeigt sich, dass auch Ex-Politiker Gailis in seinen Bemühungen schon bis zu Bayreuther Politikern vorgedrungen ist (auch wenn dort die korrekte Schreibweise des Namens noch nicht ganz verstanden wird). Nun müsse allerdings die lettische Regierung noch die notwendigen Beschlüsse für eine finanzielle Unterstützung fassen. - Wagners Urenkelin selbst soll nun die Schirmherrschaft für das anstehende Renovierungsprojekt übernehmen (lsm). "Ich bin gerührt vom Enthusiasmus der Lettinnen und Letten für Musik und Gesang," sagte sie der lettischen Presse. Von Seiten der Kulturministerin Dace Melbārde war dazu bisher nur zu vernehmen, dass zunächst der Neubau eines Konzertsaals in Riga erste Priorität der Kulturpolitik sei. Für den Wagnersaal hoffe sie auf ein "Public-Private-Partnership"-Projekt, also eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft (lsm). Unter den verschiedenen Vorschlägen gibt es auch eine Idee, das Haus für 30 Jahre zur Nutzung an einen privaten Investor zu vergeben, wenn dieser einen Großteil der nötigen Renovierungskosten übernimmt.

6. Oktober 2017

Weniger "Jānis" und "Inese", mehr "Daniels" und "Sofija"

Wer in Deutschland Kurt, Karl-Heinz oder Franz-Josef heißt, wird vielleicht auch ohne Foto eine Vorstellung davon erzeugen, wie alt dieser Mensch ungefähr sein mag - vielleicht geht es denjenigen ähnlich, die einer Helga, Renate oder Gertrud begegnen. Auf Lettland übertragen, gibt es nun ebenfalls einen Leitfaden zu den populärsten Vornamen im Wandel der Zeiten, herausgegeben vom lettischen Statistikamt.

Da sehen wir schnell, dass auch der moderne Lette / die moderne Lettin ihren Sohn nicht mehr automatisch "Jānis" nennen will - auch wenn das Mitsommer-Feiern dann noch schöner wird. Immerhin hielt sich "Jānis" bis zur Jahrtausendwende auf Platz 1 der beliebtesten lettischen männlichen Vornamen. Gegenwärtig populär sind eher "Roberts", "Gustavs" und "Ralfs". Dahinter ist auch "Kārlis" wieder im Kommen - ein guter alter lettischer Name, wie auch "Artūrs". Bei den Mädchen und Frauen war früher mal "Anna" unangefochten, später gab es eine Zeit der "Kristīna's", "Anastazija's" und "Viktorija's" - heute ist tatsächlich "Sofija" auf dem Beliebtheits-Zenit.

Natürlich zieht die lettische Statistik auch Bilanz verschiedener Jahrzehnte. In den 70iger und 80iger Jahren war es die Zeit für "Inese", "Inga", "Ilze" und "Dace" - heute also alles gestandene Frauen. Bereits 1918 bis 1940 populär waren "Sofija", "Emīlija", "Marta", "Alise", "Katrīna" und Elza - allesamt feiern heute so etwas wie ihr Revival. Es gibt auch Benennungen nach Filmfiguren: wie "Lāsma", eine Rolle aus dem Filmklassiker “Limuzīns Jāņu nakts krāsā”, der 1981 Premiere hatte.

Eine statistische Spielerei: Lettlands
"Geschlechterkarte": je blauer, desto mehr
Übergewicht der Jungs unter den Neugeborenen,
je mehr Rot, desto mehr Mädchen
Und es gibt regionale Unterschiede: während in Vidzeme "Marta" heute ganz vorn in der Popularität liegt, drängen sich in Kurzeme auch noch "Sofija" und "Anna" unter die fünf beliebtesten, in Latgale aber auch "Viktorija", "Anastasija" und "Milana". Auf ganz Lettland gesehen, tauchte ein Name wie "Emīlija" früher nur in den 1920iger Jahren auf - um nun im neuen Jahrtausend es fast ganz nach oben zu schaffen. Außerdem haben die lettischen Statistiker herausgefunden, dass der Name "Monta" es in Vidzeme und Kurzeme in den 1990iger Jahren unter die 20 beliebtesten schaffte, während man ihn in Latgale vergeblich sucht.

Bei den männlichen Vornamen ist in Lettland gegenwärtig schon seit einigen Jahren "Daniels" der beliebteste (ohne "Jack", mögen Witzbolde vielleicht hinzufügen). Der gute alte "Jānis" übrigens wird von denjenigen lettischen Eltern, die im Ausland leben und arbeiten, nur noch auf einem Platz so um die siebzig geführt - öfter als im Heimatland tauchen hier "Nikola", "Mia" oder "Aleksandra" auf, bei den Jungs neuerdings die "Olivers", "Dominiks" oder "Davids".

Abschließend noch eine statistische Spielerei: gemäß den aktuellen Zahlen des lettischen Statistikamts ist der Überschuß an neugeborenen Mädchen in Varakļāni (75%), Vecpiebalga (68%), Kocēni (62%), Aizkraukles (61%) und Jaunpiebalga (60%) am höchsten. Dagegen werden in Aknīste (73%), Rugāja (69%), Naukšēni, Nīca und Alsunga (je 67%) weit überwiegend Jungs geboren.

1. Oktober 2017

Lettland und Katalonien

Ja, es gibt eine Verbindung zwischen Lettland und Katalonien. Es ist nicht nur der schnelle Gedanke, die Unabhängigkeitsbewegungen der baltischen Staaten könnten mit der Kataloniens verglichen werden - nein, es ist konkreter.

Es war Lettlands Ex-Premier Valdis Dombrovskis, der im September 2013 relativ beiläufig erklärte, Lettland könne sich prinzipiell vorstellen, die Unabhängigkeit Kataloniens anzuerkennen - nachdem die Katalanen eine 500km lange Menschenkette gebildet hatten als Symbol für ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit von Spanien. Die Reaktion aus Madrid erfolgte umgehend: der lettische Botschafter wurde zur Befragung zitiert. Auch vom damaligen litauischen Ministerpräsident Algirdas Butkēvičius waren ähnliche Äußerungen zu vernehmen gewesen (und Litauen hatte zu dieser Zeit die EU-Präsidentschaft). Eine Wiederholung des "Baltischen Wegs", diesmal innerhalb der Europäischen Union?

Von Dombrovskis und Butkēvičius waren danach Äußerungen zu hören wie etwa diese: sie seien stolz darauf, wenn der "Baltische Weg" andere Menschen inspiriere. Alles müsse aber in legalem Rahmen geschehen. Immerhin hatten beide eines erreicht: gab es vorher vielleicht Menschen in Katalonien, die nicht wußten wo sich die baltischen Staaten befinden - jetzt wurden sie aufmerksam. Und aus Spanien wurden Gerüchte gestreut, Dombrovskis habe 6 Millionen Euro Bestechungsgelder kassiert um eine Aussage zugunsten der Katalanen zu machen (Interviú).

"Es ist die Zeit gekommen" - auch in Katalonien werden
lettische Lieder gesungen
Sympathie findet Dombrovski auf Seiten der lettischen Presse. "Die 7,5 Millionen Katalanen sind ein großes Volk, mit ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Identität," schreibt Otto Ozols in der "Latvijas Avize"."Während der Franco-Diktatur war es viele Jahre lang verboten, Bücher und Zeitschriften in Katalan herauszugeben. Die Sprache war lange verboten in Schulen und Hochschulen. Franco ließ katalonische Patrioten erschießen, ins Gefängnis werfen und trieb sie ins Exil. Wir dürfen nicht feige zusehen, wenn nun auch noch die Klatschpresse Lettland erniedrigt!" -

Sonst sind Korruptions-Vorwürfe und Schimpftiraden gegen eigene Politiker ja eher gewöhnlich in der lettischen Öffentlichkeit - in diesem Fall aber wachsen die kaum versteckten Sympathien für Katalonien nur noch weiter an. In einem aktuellen Kommentar bezeichnete Ozols die Versuche der spanischen Polizei, die Abstimmung zu verhindern, als "Angriffe wie im hybriden Krieg" (Delfi). Damit stellt Ozols Katalonien sogar der Ukraine gleich - ein Auspruch, den die Presseschau der Bundeszentrale f. pol. Bildung leider nur ungenau wiedergibt. Für Ozols ist die Sache einfach: "demokratische Prozesse können Europa nicht erschüttern, nur stärken".

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt lettisch-katalonischen Gleichklangs. Beinahe im wahrsten Sinne des Wortes. Das hängt mit dem Lied "Saule. Pērkons. Daugava" zusammen, eines der beliebtesten Lieder auf den großen lettischen Sängerfesten. Die Worte des Textes stammen von Rainis, die Melodie vom lettischen Komponisten Martiņš Brauns. Seit einigen Jahren gibt es eine Version in katalanischer Sprache mit der Melodie von Brauns - "Ara és l'hora" (es ist an der Zeit) wurde zu einer der Hymnen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, aufgeführt vom „Cor Jove de l’ Orfeó Català”; verwendet wurden Verse des katalanischen Dichters Miquel Martí i Pol.

Gelegentlich registrieren auch deutsche Journalisten dieses Lied bei den Katalanen, allerdings ohne seinen lettischen Ursprung (siehe FAZ, Junge Welt). Wer weiß, wie gerne Lettinnen und Letten singen wird ahnen können, wie nahe ihne die katalonische Unabhängigkeitsbewegung ist. "Die Katalanen haben zu den Spaniern dieselbe Beziehung wie wir Letten mit den Russen," so ließ sich Komponist Brauns in der Presse zitieren (Kas Jauns). Geld habe er aber für die Melodie von den Katalanen nicht genommen, so Brauns. "Lettland ist uns ein Beispiel für die Freiheit", das sagt Roger Albinyana, Beauftragter der katalanischen Regierung für "auswärtige Angelegenheiten", der lettischen Tageszeitung "Diena". Albinyana reist schon seit Monaten in der Welt umher um für die katalanischen Ideen zu werben. "Ich verstehe, dass Europa innere Stabilität haben möchte," sagt er, "die 7 Millionen Katalanen sehen in den baltischen Staaten unser Vorbild."