28. August 2017

Zeitzeuge aus Riga: Vollendung eines Lebenswerkes

Mit diesem Foto erinnert die
US-amerikanische Flüchtlingsinitiative HIAS
an einen ihrer aktiven Unterstützer: "Max
schaffte es, eine Geschichte von Leid und
vielen Qualen in eine Verpflichtung zu
Gerechtigkeit und Unterstützung für
die Schwachen und Machtlosen
zu verwandeln", schreibt die Initiative zum
Gedenken.
In den USA war er einer der engagiertesten Zeitzeugen des Holocaust in Lettland: Max Michelson, 1924 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Riga geboren. Die Familie war 1920 ins unabhängig gewordene Lettland zurückgekehrt, von wo sie 1915 wegen der Kriegsereignisse geflohen war. Der Vater Dietrich-David (geboren 1879 in Riga) und die Mutter Erna Griliches (geboren 1890 in Wilna) waren beiden keine orthodoxen Juden, fühlten sich aber sehr verbunden mit den verschiedenen jüdischen Gruppierungen in Riga, die Michelson in seinen Erinnerungen eindrucksvoll beschreibt.

Michelson war 15 Jahre alt, als Nazi-Deutschland Lettland besetzte. „Übernacht wurden wir nicht mehr als Menschen angesehen“, erzählte  er einmal. Er verlor seine gesamte Familie und überlebte selbst drei Konzentrationslager nur knapp. Zwei Jahre nachdem er 1945 durch Einheiten der US-Armee aus dem KZ befreit wurde, übersiedelte er in die USA.

Michelson hielt bis ins hohe Alter im wieder Vorträge an Schulen und setzte sich sowohl für rückhaltlose Aufklärung über die begangenen Verbrechen, wie auch für Versöhnung und gemeinsames Arbeit für eine bessere Zukunft ein. Er arbeitete auch zusammen mit Wissenschaftlern in Lettland, wie auch dem Lettischen Staatsarchiv. Außerdem engagierte er sich auch für Flüchtlinge aus Syrien. Auf Deutsch liegt sein Buch "Stadt des Lebens, Stadt des Sterbens - Erinnerungen an Riga" vor, dessen Manuskript Michelson zusammen mit seinem Sohn Gregory erarbeitete, und das 2007 in deutscher Fassung im Psychosozial-Verlag erschien.
Vor vier Jahren, im August 2013, war er mit Unterstützung der Schwarzkopf-Stiftung auch in einem Gymnasium in Berlin zu Gast gewesen.

Max Michelson starb am 10. August 2017 im Alter von 92 Jahren.
Leo Michelson, dem ein eigenes Kunstmuseum in Marshall, Texas gewidet ist, war ein Onkel von Max Michelson.

17. August 2017

Alles in Butter?

Lettland importiert Deutsches

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es offenbar ganz einfach: "Konsumwachstum steigert Importbedarf", so formuliert es die GTAI (Germany Trade and Invest) in ihrer aktuellen Analyse zur Wirtschaftslage in Lettland. Gemeint ist damit allerdings nicht nur privater Konsum, sondern vor allem Wachstum in Industrie und Bauwesen. 2016 stiegen die Warenlieferungen deutscher Unternehmen nach Lettland gegenüber dem Vorjahr um 6,7%; dazu werden auch noch die Erneuerung der Flugzeugflotte beim nationalen Carrier kommen, so die Prognose. Durch Fachkräftemangel sei ein relativ starker Anstieg des Reallohnwachstums von 2,7% ausgelöst (nach der Slowakei das höchste in der EU) - so sehen es die deutschen Wirtschaftsvertreter. Die realen Zahlen sagen aber auch, dass der rein statistisches "Durchschnittslohn" in Lettland weiterhin bei nur etwa 850 Euro liegt, bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 380 Euro (= 2,25 € pro Stunde).

Dennoch stellen mit 11,3% die Lebensmittel die zweitgrößte Gruppe der Einfuhrgüter dar (GTAI Wirtschaftsdaten). Aus deutscher Sicht: größte Warengruppen aus Deutschland eingeführt nach Lettland sind Holz 15%, Rohstoffe 14,7%, Nahrungsmittel 9,3%,Kfz und -Teile 7,3%, Textilien und Bekleidung 6,4%. Deutschland ist mit 12,% Anteil (insgesamt) das zweitwichtigste Lieferland - aber nur 6,9% der lettischen Exporte gehen nach Deutschland.


Regionale Produkte? Ja gerne, aber wo?

In ihrem Bestreben, möglichst einheimische, regionale Produkte zu kaufen, sahen sich die lettischen Verbraucher den vergangenen Jahren vor allem drei Varianten: entweder Läden der Kette RIMI - manche stufen sie als "lettisch" ein, dahinter steht jedoch der schwedische ICA-Konzern. MAXIMA, der Konkurrent, ist in litauischem Besitz. Die dritte Einkaufsmöglichkeit ist die Nutzung von Märkten - der größte davon nahe des Hauptbahnhofs in Riga. Für die meisten lettischen Verbraucher ist die Situation also genauso wie in Deutschland: die EU-Regelungen zur Milchproduktion sowie die Rahmenbedingungen der großen, international vernetzten Lebensmitteldiscounterbestimmen den Markt. Als Resultat steht ein Absurdum: im Land der niedrigsten Löhne regiert die höchste Preisniveau.

Die lettische Kette RIMI bietet das günstigste Päckchen Butter derzeit für 8,28€ pro kg an, also 2,07€ pro 250g = 28Cent über dem Preis, den die Deutschen in Deutschland als "viel zu hoch" empfinden - und dabei ist noch nicht gesagt, wo diese Butter eigentlich herkommt. Nimmt man eine der qualititiv guten lettischen Marken wie etwa "Cesvaines", so muss der RIMI-Kunde hier sogar 3,04€ hinblättern (250g).Litauische Butter ("Annele") liegt mit 2,99€ nur knapp darunter. Der Konkurrent, die (litauische) Kette MAXIMA bietet in Lettland litauische Billigbutter der Marke "Farmmilk" kurzfristig sogar für 1,79€ an. "Annele" liegt hier bei 2,49€, "Cesvaines" bei 2,99€. Zusammenfassend kann man wohl sagen: wer einfach im nächsten Laden in Lettland Butter kauft, wird 2-3 Euro pro 250g-Päckchen auf den Tisch legen müssen. Man könnte auch sagen: Lettinnen und Letten müssen für ein Päckchen Butter oft schon eine Stunde (Mindestlohn) oder 25 Minuten (Durchschnitt) arbeiten. Jetzt kann sich zum Vergleich bitte jede/r Deutsche den Vergleich selbst ausrechnen.

Mit Hilfe eines eigenen Labels (mit dem
Löffelchen) versuchen lettische Lebensmittel-
hersteller, die lettischen Kund/innen zum Kauf
einheimischer Produkte zu bewegen
Laut Auskunft der Vereinigung der Händler Lettlands (Latvijas Tirgotāju asociācijas - LTA) und ist der Butterpreis in Lettland im Mittel von 8,35€ im Jahr 2016 auf gegenwärtig 13,10€ pro Kilo gestiegen (+53%) (siehe Delfi). Eines ist offenbar: Lettland kann sich nicht abkoppeln von der europäischen Preisentwicklung, auch wenn manch stolzer Lette gerne darauf verweist, dass schon in den 1930iger Jahren Butter aus Lettland als eines der hochwertigsten Produkte der ganzen Branche galt, so dass damals manch teures Hotel in Berlin mit der Verwendung von "lettischer Butter" warb. Auf dem internationalen Markt ist "lettische Butter" bisher kein eigenständiges Label, und auf dem lettischen Markt möchten ja gerade die Milchbauern nicht auf dringend nötige Einkünfte verzichten.

Dace Ozola, Sprecherin der lettischen Milchbauernvereinigung (Piensaimnieku asociācija), nennt außer der gesunkenen Milchproduktion in der EU auch noch zwei andere Gründe für die Situation: einerseits liege es in der USA im Trend, doch wieder Butter als Naturprodukt zu verwenden, und andererseits sei jetzt auch der chinesische Markt geöffnet (lsm). Jedenfalls seien auch für die lettischen Herstellerfirmen die Zeiten vorbei, wo sie noch um Exportmärkte im Ausland kämpfen mussten. Produkte aus Cesvaine zum Beispiel gehen nach Skandinavien, aber auch nach Isreal, Großbritannien und Australien. Um aber den einheimischen Bedarf zu decken bzw. stabil zu halten, geben einzelne Hersteller zu, wird Butterfett im Ausland eingekauft um dann damit "lettische Butter" zu produzieren.

Neue Marktteilnehmer, neue Ängste

"Demokrātiskāk" nennt der Lette einen Preis, den er akzeptabel findet - wörtlich übersetzt: "demokratischer". Ausgerechnet jetzt möchte auch die deutsche Lidl-Kette den lettischen Markt erobern. Die lettischen Verbraucher erwarten davon offenbar einen Art von "Zwang zum Kauf von schlechter Qualität aus dem Ausland" - viele Kommentare in den Internetforen gehen in diese Richtung. Nachdem LIDL schon einmal, vor zehn Jahren, einen Markteinstieg versuchte und damals daran scheiterte, dass einfach alle günstigen Flächen schon an andere Nutzer vergeben waren, steht diesmal der Einstieg eines zusätzlichen Mitbewerbers unter den Discountern in Lettland unmittelbar bevor.

Als am 2.Juni 2016 die ersten LIDL-Läden in Litauen eröffneten, gab es lange Schlangen und einen riesiegen Medienhype. LIDL wirbt in Litauen damit, dass etwa die Hälfte aller angebotenen Artikel aus Litauen stammen sollen.
Eine Reporterin der lettischen Zeitung "Latvijas Avize" ist schon mal in Litauen gewesen und hat sich in den dortigen neuen Lidl-Läden umgesehen. Butter sei dort für 7,75€ und 8,33€ pro kg zu haben gewesen (= 1,94€ / 2,08€ pro 250g). Am günstigsten sei aber die Butter der Marke "Pilos" gewesen (5,83€ / 1,46€), ein Label unter dem LIDL Litauen Produkte aus Litauen vermarktet. Allerdings fand die lettische Journalistin auch bei "Aibe", einem Konkurrenten von LIDL in Litauen, mit Preisen um 2,20€ (250g) vergleichsweise günstige Butter (für lettische Verhältnisse).

Heute noch ein Stück Grün zwischen tristen
Wohnblocks, morgen schon "Lidl-Land"?
Baugelände im Nordosten Rigas
Willkommen also, LIDL in Lettland? Vorteil oder Nachteil für die heimischen Produkte? Einige Kommentare weisen auch darauf hin, dass die Mehrwertsteuer auf Butter in Deutschland 7%, in Lettland aber auf 21% angesetzt sei. Laila Vārtukapteine von der Lebensmittelkette "ELVI Latvija", die hauptsächlich nach dem Franchising-Prinzip arbeitet, sieht in LIDL nicht nur neue Konkurrenz, sondern auch einen "massenweisen Import von Billigprodukten aus dem Ausland" (delfi). ELVI wirbt mit dem Slogan "Wir sind national gesinnte Kleinhändler mit lettischem Herzen".

Aber es gibt auch andere Probleme vor dem LIDL-Start. Auf dem Grundstück der Dzelzavas ielā 75b in Riga, wo LIDL den Start in der lettischen Hauptstadt plant, müssten für einen Neubau viele Bäume gefällt werden. Das Grundstück ist kürzlich von der "MMS Property" erworben worden, einer Tochterfirma der deutschen "CE - Beteiligungs GmbH". Da gibt es auch Anmerkungen, dass schon zu Sowjetzeiten versucht wurde, dieses Stück Grün zuzuplanen - damals wurde es von den Anwohnern verhindert, heute wird es LIDL erlaubt. Da hilft es auch wenig, wenn der - bisher nicht als Umweltschützer bekannte - Bürgermeister Užakovs verspricht sich dafür einzusetzen dass möglichst viele Bäume stehen bleiben können. Das zuständige städtische Komittee hatte die Fällung bereits abgenickt, und zwar von (und hier wurde von Naturfreunden, zusammen mit dem Stadtrat, genau gezählt) 6 Ahornbäume, 12 Linden, 3 Fichten, 1 Rosskastanie, 5 Birken, 1 Trauerweide, 1 Eberesche und 1 Ulme.

Die Protestierenden haben sich unter der Facebook-Gruppe "Stop Lidl" zusammengeschlossen. Dort werden unter anderem LIDL-Werbeanzeigen aus Deutschland und aus Litauen verglichen: identische Produkte, höhere Preise (in Litauen). Andere Kritiker weisen darauf hin, dass nur durch günstige Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) LIDL überhaupt in der Lage sei, den osteuropäischen Markt zu erschließen (pietiek.com). "Mehr Investitionen, gut und schön", schreibt Juristin Laima Lancmane, "aber wo zunächst ein paar neue, mit EU-Geldern gebaute Gebäude ein paar Euro mehr kommunale Steuern einbringen werden, dürfte auch klar sein, dass andere vom Markt verdrängt werden. Damit geht der Effekt dann gegen Null."

Immer fein nach Art der alten Rittersleut' - so sieht es
Karikaturist Gatis Šļūka
Tatsache ist: noch mehr Werbung braucht LIDL in Lettland gegenwärtig nicht. Wie auch die Journalisten der "Latvijas Avize" bei einem Besuch im grenznahen Šiauliai (Litauen) feststellten, spricht schon jeder dritte Kunde im dortigen LIDL lettisch. Die meisten Kundinnen und Kunden warten offenbar nur darauf, dass die Anfahrtswege kürzer werden.

Da bleibt nur zu hoffen, dass es weiterhin "demokratischer" zugeht in Lettland. Die deutschen LIDL-Manager werden vielleicht bald die Feinheiten der lettischen Sprichwörter kennenlernen, die sich um die Butter drehen: "Dzīvē iet kā pa sviestu” (das Leben geht wie auf Butter = alles geht glatt) ist dabei etwas völlig anderes als „kas tas par sviestu!” (was ist das für Butter! = Unsinn / Durcheinander).

4. August 2017

Rigas größte Schiffskatastrophe

Als im November 2011 in Riga ein Supermarkt einstürzte, hieß es wiederholt in der Presse: Lettlands größtes Unglück seit dem Untergang der Majakowski. Doch was hat es mit diesem Schiff, das den Namen eines Dichters trug, eigentlich auf sich?

An einem heißen Tag im August

Die zweite große Schiffskatastrophe in Lettland ereignete sich in der Sowjetzeit. Der Dampfer "Majakovskis" war auf der Fahrt in Richtung "Mežapark". Ein großes Gedränge von Menschen löste den Untergang aus, und verursachte den Tod von 147 Menschen, darunter 48 Kinder. Auch dieses Schiff war auf der Werft "Lange & Sohn" gebaut worden; 25 Meter lang, zunächst mit dem Namen "Vilnis" (Welle).

1940 war "Vilnis" verstaatlicht worden und kursierte Ende des 2.Weltkriegs sogar zwischen Lettland und Schweden, transportierte möglicherweise auch Flüchtlinge. In der Nachkriegszeit kursierte das Schiff kurz zwischen Skandinavien und Tallinn, um dann in den Heimathafen Riga zurückzukehren.

Aufgrund des Alters und schlechten technischen Zustandes wurde auf der Rigaer Schiffswerft (am anderen Daugava-Ufer, zwischen dem späteren Pressehaus und Hotel Radisson) eine Reparatur vorgenommen. Damals erzählte man, das alte Schiff sei bereits zweimal gesunken: einmal 1912 und einmal 1937. Ausgebessert wurden nun sowohl die Stahlhülle, Kessel und die Dampfmaschine wurden ausgetauscht, Sanitäreinrichtungen eingebaut, alles mit einem Metalldach überzogen, darauf weitere Aufbauten - alles zusammen kostete 400.000 Rubel. Nach diesem Umbau bekam das Schiff den Namen "Majakovskis". In Betrieb genommen wurde es am 1. August 1950. 14 Personen Besatzung sollten den Betrieb sicherstellen, einschließlich Kellner/innen fürs Buffet und Fahrkartenkontrolleure. Die Passagierzahl sollte von 200 auf 175 verringert werden, später bis 150, da durch zusätzliche Aufbauten der Schiffskörper schwerer geworden war und auch der Schwerpunkt des Schiffes sich verändert hatte.

Ein tragischer Feiertag

Am 6. August nahm die "Majakovskis" seine geplante Route auf: auf der Daugava über den Ķīšezers auf der Route Rīga–Mežaparks. Dreimal am Tag sollte die Tour gehen. Um das den Kunden bekannt zu machen, gab es überall Werbung: so im Radio und in der Zeitung "Padomju Latvija" ("Sowjetlettland"). Waren es am 6. August noch vier Gäste pro Tag, so fanden sich am 11. August schon 200 Interessierte ein. Zeitungen warben für eine Fahrt mit dem Schiff, hatten aber fälschlich von einem Fassungsvermögen des Schiffes von 250 Passagieren geschrieben.

Am 13. August 1950 um 10.30 Uhr legte das Schiff vom Anleger am Ķīšezers ab und näherte sich um 12 Uhr dem Zentrum von Riga am "Komjaunatnes krastmala" (heute "11.novembra krastmala", nahe der Akmens tilts / Steinbrücke). Augrund der großen Reklame, es war Sonntag und um die 22 Grad heiß bei sonnigen, wolkenlosen Himmel, war diese Fahrt auch deshalb besonders, da im Mežaparks gerade eine Feier zugunsten der sogenannten "Stahanov-Bewegung" (oder "Helden der Arbeit") stattfand. Daher hatten sich mehrere Hundert Interessierte vor dem Boot eingefunden, die mitfahren wollten. Beim knappen Halt versuchten also alle, die aufs Schiff gelangten, schnell sich Plätze zu sichern. Der Zugang wurde schlecht kontrolliert, und auf die eine oder andere Weise gelangten viele weitere auf das Schiff, zunächst über die Schiffstreppe, schließlich auch unter Umgehung derselben - wobei die Treppe sogar zusammenbrach (es gab nur einen Zugang per Gangway). Die Tickets wurden dabei erst auf dem Schiff verkauft. Manche kletterten sogar aufs Schiffsdach.

So war die Kathastrophe unvermeidlich. An der Stelle des Untergangs ist der Fluß 8 Meter tief. Die Wellen eines vorbeifahrenden Motorboots sollen die "Majakowskij" aus dem Gleichgewicht gebracht haben, nur 50m von der "Akmens tilts" (Steinbrücke) entfernt. Um 12.30 Uhr sendete das Schiff die ersten Notsignale. Als das Schiff unterging, blieb das Steuerhaus über der Wasserlinie - so konnten einige gerettet werden.
Von der Schiffbesatzung kam bis auf einen niemand zu Schaden - es wurden aber alle verhaftet und verbrachten mehrere Nächte in den Verhörzellen des KGB. Ein russischer Matrose kam auf tragische Weise ums Leben, nachdem er schon fünf Menschen gerettet und an Land in Sicherheit gebracht hatte - beim Versuch weitere zu retten. Erfolgreiche Rettungsversuche unternahmen vor allem einige Soldaten, und 26 junge Männer eines Moskauer Instituts, die 70 Menschen retteten indem sie ins Wasser sprangen und den Ertrinkenden ihre (Hosen-)Gürtel entgegen streckten. Wann eigentlich die Wasserrettung und die medizinische Hilfe vor Ort erschienen, lässt sich nicht mehr feststellen (der offizielle Bericht behauptet, ein Teil des Rettungsdienstes sei nach 15 Minuten, ein anderer Teil nach einer Stunde eingetroffen). Aleksandrs Ņikonovs, damals Sekretär der Komunistischen Partei in Lettland, schrieb in einem Brief nach Moskau dass die Opferzahlen geringer hätten sein können, wenn es auf der Daugava überhaupt eine Wasserrettung gäbe. Ņikonovs erwähnt in seinem Bericht auch, dass seiner Schätzung nach an den Ufern etwa 10.000 Leute gestanden haben und das Unglück sahen - auf diese Weise seien vielen herannahenden Rettern die Wege blockiert gewesen. Eine Schätzung im Nachhinein besagt, dass sich zum Zeitpunkt des Unglücks 421 Menschen an Bord befunden haben müssen - eine unglaubliche Überlastung.
Im "Jahrbuch der lettischen Schifffahrt" 2011 sind auch die Namen einzelner Retter aufgeführt, sich sich besonders engagierten: einer rettete eine Familie (Vater, Sohn, Mutter) und weitere drei Menschen, und einige weitere, die jeder bis zu acht Menschenleben retteten. Auch 13 Matrosen einer Taucherschule werden dort genannt, die sehr viele aus dem Wasser bargen - für die meisten kam allerdings die Hilfe bereits zu spät.

Foto: Rigasatbalss
Die Folgen: ein langwieriger Gerichtsprozess und ein verschwundener Kapitän
 
Später wurden in einem Gerichtsprozeß sechs Menschen verurteilt - zu 5 bis 25 Jahren Arbeits-lager: vier leitende Angestellte der Wasserschifffahrts-verwaltung, der Schiffskapitän (der am Unglückstag Urlaub hatte und sich zu Hause erholte), und der Assistent des Kapitäns. Zurücktreten musste auch der damalige Vorsitzende des Rigaer Rats, Arnolds Deglavs. Aber niemand der Verurteilen musste die teilweise mehrjährigen Haftstrafen absitzen - nach Stalins Tod wurden alle begnadigt.

Sehr speziell war auch die Art und Weise, wie der offizielle Bericht die Toten zählte: ganz nach "sozialistischer" Art: Arbeiter extra gezählt, und acht Menschen verdienten hier eine namentliche Erwähnung: diese acht waren Kommunisten. 

Erst 60 Jahre später, im Sommer 2011,wurde am Ufer in der Nähe der Unglücksstelle eine Gedenkplakette angebracht.
(Infoquellen: Diena 2014, Nekropole, rigaspieminiekli.lvDiena 1999, Vēstnesis, Latvijas Jūrniecības Gadagrāmata 2011)