Reformen von Gemeindegrenzen, die Frage, welcher Ort Verwaltungssitz ist und welcher nur Ortsteil einer größeren Nachbargemeinde, sorgt überall für böses Blut. In den mit ca. 35 Einwohnern pro Quadratkilometer dünn besiedelten baltischen Staaten ist das Thema seit der Unabhängigkeit 1991 virulent gewesen. Viele Regierungen haben die Entscheidungen auf die lange Bank geschoben.
In Lettland gab es Ende der 90er Jahre ein Gesetz, nach dem die alten Gemeinden (pagasts) abgeschafft und durch größere Kreise (novads) ersetzt werden sollten. Geplant war anfangs eine Freiwliigkeit bis 2003, wovon eine Reihe von Gemeinden auch Gebrauch gemacht haben. So entstanden zügig die Kreise Kandava in Kurland und Salacgrīva in Livland, Schritte, die auch vor Ort durchaus als Erfolg gesehen wurden.
Eine endgültige neue Karte trat zu den Kommunalwahlen im Juni 2009 in Kraft. Und gegen die regt sich nun mancherorts Widerspruch.
Zunächst gab es Krach an der kurländischen Küste der Rigaer Bucht. Die Orte Mērsrags und das größere Roja vetragen sich nicht. Dieser Streit veranlaßte das Regionalministerium, einen Inspektor aufs Land zu schicken. Dabei wurde festgestellt, daß beide Orte ihre Schulen und Kindergärten haben, zu denen die Schüler aus der Umgebung mit dem Bus gebracht werden. Auch die medizinische Versorgung ist gewährleistet. Allerdings gab es in Mērsrags Gerüchte über eine bevorstehende Schließung der Mittelschule und des Kindergartens.
Interessant ist, daß einige Journalisten von Bürgern von Mērsrags zufriedene Stimmen hörten, auch das kulturelle Leben und die sozialen Versorgung habe sich seit der Vereinigung sogar verbessert. Dem lettischen Radio hingegen klagten andere, die Gehälter seien drastisch gekürzt worden.
Wesentlicher Stein des Anstoßes waren jedoch unprofessionelle Entscheidungen bezüglich der Fischfanglizenzen, bei denen Mērsrags eindeutig zu kurz gekommen war. Dieses Problem wurde inzwischen zur Zufriedenheit der Fischer in Mērsrags behoben. Trotzdem hatte im Februar das Parlament über den Wunsch des Ortes zu entscheiden, sich von Roja zu trennen. Obwohl die Entscheidung positiv ausfiel, ist ein neuerlich selbstständiges Mērsrags aber erst zu den turnusgemäßen Kommunalwahlen 2013 realisierbar.
Für diesen Entschluß stimmten die Neue Zeit und die Union aus Grünen und Bauern, deren Unterstützung gerade auf dem Land groß ist. Diese Partei äußerte die Ansicht, es mache keinen Sinn, Orte auf Gedeih und Verderb zum zusammenleben zu zwingen, wenn dies vor Orts niemand wolle. Die Volkspartei lehnte die Trennung ab. Ihr Regionalminister, Edgars Zalāns, befürchtet, das Beispiel könne Schule machen. Er hält den Streit für politisch motiviert. Massenweise Anträge auf eine revidierung der Reform halten andere Politiker wiederum für unwahrscheinlich und sind der Ansicht, daß die Reform zehn Korrekturen verkraften könne.
Seither haben sich bereits weitere Orte gemeldet. So will Staicele in Livland, nahe der estnischen Grenze, von Aloja trennen. Die Bürger von Staicele sind der Ansicht, man habe in eigener Initiative seit der Unabhängigkeit entschieden mehr bewerjstelligt als der Nachbarort. Die Zusammenlegung sei nie eine Liebe nie gewesen, die Mentalität unterscheide sich grundlegend.
Tatsächlich stellt Staicele in der Kommunalpolitik die Mehrheit und stört sich am Mißtrauen der zumeist aus Aloja stammenden Opposition. Bürgermeisterin Dace Vilne nennt ständige Kontrollen als Ursache des Unmuts. So habe man den Saal und das Dach der örtlichen Musikschule mit Sponsorengeldern renoviert, woraufhin Alojas Politiker unterstellten, es handele sich um unsaubere Finanzmittel. Die stellvertretende Direktorin der Schule wirft der Opposition vor, daß sie nur an die Macht kommen wolle. Das wäre an und für sich selbstverständlich die Aufgabe einer Opposition.
Doch es gibt begründete Probleme. Beide Orte verfügen über eine Mittelschule und eine Musikschule. Im gemeinsamen Kreis droht nun, daß die schlechter wirtschaftende Schule geschlossen werden könnte. Da die Mittelschule von Staicele den Fußballverband als Partner gewonnen hat, gibt es dort eine verstärkte Ausbildung in diesem Sport. Und so betrachten es die Bürger von Staicele nicht als Zufall, daß ausnahmsweise die Trennung von Aloja und Staicele im gegenteil zu Roja und Mērsrags in beider Interesse liegt und ebenso von beiden Seiten unterstützt wird.
Südwestlich von Riga im Städtchen Baloži wird ebenfalls eine Trennung von Ķekava diskutiert. Der bisherige Bürgermeister von Baloži verbreitete das Gerücht, sein Ort könnte den Status der Stadt verlieren. Die Bürger zeigten jedoch auf Nachfrage generell wenig Interesse an dem Thema, und einige waren sogar der Ansicht, daß die Vereinigung nur Vorteile bringe.