31. Juli 2015

Versunkener Felsen

Staburags kann vielleicht mit Recht als ein lettischer Mythos bezeichnet werden; der Felsen an der Daugava wird von lettischer Seite gern mit der deutschen Lorelei verglichen. Genau 50 Jahre ist es jetzt her, dass der Bau des Daugava-Stammdamms bei Pļaviņas begonnen wurde. Der Fluß wurde 1965/66 aufgestaut und der Staburags-Klippen, die als einer der schönsten Aussichtspunkte in Lettland galten, um die sich viele Sagen, Legenden und Volkslieder rankten, versanken in den Wasserfluten. Bis dahin hatte sich der Felsen 18,5m über den übrigen Wasserspiegel des Flusses erhoben.

Heute sorgt das Kraftwerk Pļaviņas für ein Viertel der lettischen Stromerzeugung. Aber ihr einstiges kulturelles Heiligtum haben viele Menschen noch nicht vergessen. Taucher berichten, das Kliff, dessen Spitze heute ca. 6m unter dem Wasserspiegel liegt, sei heute von vielen Süßwasserschnecken besiedelt. Das angestaute Wasser hat die ehemalige Flussbreite von 250m auf knapp einen Kilometer ansteigen lassen.

Auch durch Künstler in der Erinnerung verewigt:
Staburags an der Daugava,hier gemalt
durch Edgars Vinters
Als das Tal geflutet wurde, schah das zunächst nur bis zur Hälfte der Höhe des geplanten Wasserspiegels. Dann kam der Winter, der Fluß fror zu, und im nächsten Frühjahr wurde der Rest der Flutung innerhalb einer Woche vorgenommen. Aus Sicht der heutigen Wasserbauingenieure sei der Kraftwerksbau auch unter modernen Gesichtspunkten heute noch zu rechtfertigen. Harijs Jaunzems, damals Chefingenieur des Projekts, gibt zu: "Schon damals wurden die kulturellen Argumente den ökonomischen geopfert," meint er, "entweder man hätte zwei kleinere Kraftwerke, oder einen Umgehungskanal von 40km Länge bauen müssen, und das kostet einfach zu viel." (LSM)

Heute ist Riga vor jedem kurzfristigen Stromausfall gesichert - weil eben Pļaviņas in der Nähe ist und die Versorgung sichert. 80 Menschen finden hier Arbeit.Damals mussten Gräber umgebettet werden, aber auch viele Häuser zerstört und Bäume gefällt, bevor das Tal geflutet wurde. Denjenigen, die umziehen mussten, erhielten ziemlich mickrige Entschädigungen, aber das reichte ja nicht um in der Nähe neue Häuser zu bauen. "Andere werden zum Jubiläum ihres Schulabschluß eingeladen - meine Schule existiert nicht mehr!" erzählt Zane Niedre, eine der früheren Bewohnerinnen (LSM). Aber unabhängig davon, dass damals mit dem Staburags ein nationales Symbol verlorenging sind die heutigen Einwohner von Pļaviņas und Jēkabpils überzeugt, dass der Staudamm auch verantwortlich ist für das in neuerer Zeit immer häufiger auftretende Hochwasser.

Nach stark sich ausbreitenden Protesten wurde der weitere Ausbau des Staudamms 1986 gestoppt, ähnlich erging es den damaligen Plänen für einen UBahnbau in Riga. Die lettische Naturerbestiftung "Dabas retumu krātuve"  hat in einem eigenen Projekt eine Karte von verlorenen Naturerbestätten erarbeitet - der Staburags-Felsen ist nur eines der bekanntesten davon. Die Naturfreunde listen neben Höhlen, Quellen, Bäumen und Wasserfällen auch große Steine auf, die in Lettland als besondere Überbleibsel der Eiszeit gelten, manche gelten auch als Zeugen der Existenz früher Kultstätten der "alten Letten", also der verschiedenen Stämme vor der Ankunft des deutschen Ordens und der Hanse.

Der Name "Staburags" lebt heutzutage auch noch anders weiter: diesen Namen trägt die Lokalzeitung für die Region "Aizkraukle" sicherlich mit Stolz. 2003 wurde oberhalb der Stelle des Staburag-Felsens eine Gedenkstätte eröffnet, das "Gottesohr" (Dieva auss). Die Besucher sollen hier ihre offenen oder geheimen Wünsche "ins Ohr flüstern", so sie denn in Erfüllung gehen sollen - eine ganz eigene Ironie auf die Situation vor 50 Jahren, als viele Menschen machtlos vor den Ereignissen standen. Und eine Erinnerung daran, dass "Staburags lebt - nur momentan eben unterhalb der Wasseroberfläche".

22. Juli 2015

School is out!

Auch in Lettland haben längst die großen Sommerferien begonnen - wer auch in den Ferien vom Gedanken an die Schule nicht lassen kann, der könnte sich ja mal das lettische "Schulrating" anschauen. Kein dubios betriebenes Internet-Portal ist dazu nötig, auch kein Einlassen auf kommerziell betriebene Seiten - in Lettland macht das der "Atis Kronvalds Fonds" (Stiftung Atis Kronvalds), eine gemeinnützigen Einrichtung. Dabei wird zwischen großen (mehr als 100 Schüler) und kleineres Schulen unterschieden, und es wird hier auch kein Internet-Bewertungssystem zur Verfügung gestellt, sondern neben einer Durchschnittsberechnung der Schulnoten sind sind "Olympiaden" die Grundlage, die auch landesweit ausgetragen werden. Keine Möglichkeit also für Schülerinen und Schüler, ihre eigenen Schulen zu bewerten, sondern pure Leistungstests.

"Schulolympiaden sind sehr populär unter den Schülern," - das behauptet zumindest die zuständige Behörde (National Center for Education). Ähnlich wie im Sport, werden auf internationaler Ebene errungene "Medaillen" gezählt. Lettische Sprache, Literatur, Informatik, Mathematik, Französisch, Deutsch, Geschichte, Chemie, Biologie, Physik, Ökonomie, Philosophie, Umwelt: alles Wissensgebiete für lettische Schülerolympiaden - für die Durchführung gibt es eigens gesetzliche Bestimmungen des Bildungsministeriums: das geht soweit, dass z.B. nur dunkelblaue oder schwarze Kugelschreiber genutzt werden dürfen. Auf internationaler Ebene nehmen lettische Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Mathematik, Biologie, Physik, Chemie, Informatik, Geographie, Philosopie und Umweltschutz an entsprechenden Olympiaden teil. Bei der Durchführung der Deutscholympiaden hilft die Deutsche Botschaft, der Deutschlehrerverband und auch das Goetheinstitut.

Gern gesehene Schlagzeilen in der lettischen
Presse: Schüler als Olympiade-Sieger
Viele Schulen werben inzwischen mit den Erfolgen ihrer Schüler bei Olympiaden. Das "Schulrating" jedenfalls summiert nur die Bestenlisten: so kann 2015 das 1.Gymnasium Riga erneut seinem Ruf gerecht werden und führt die Bestenliste auch in diesem Jahr bei den größeren Schulen an, gefolgt von der russischen Mittelschule in Daugavpils und dem Staatlichen Gymnasium in Sigulda. Die Sieger erhalten jedes Jahr die "große Eule" (Liela pūce). Bei den kleineren Schulen stehen gleich zwei Schulen aus Daugavpils vorne, gefolgt von einer Mittelschule aus Saldus.
Warten auf die Besten im
Schul-Rating: "große Eulen"
als "Wanderpokal"
Aber auch Schulen, die sich bei diesen "Bestenlisten" ganz unten wiederfinden, wie z.B. das Katholische Gymnasium in Riga, werben mit dem, was sie haben: wenigstens ein paar Mathematik-Sieger kann auch diese Schule aufbieten. Vor einigen Jahren machte gerade diese Schule aber andere Schlagzeilen: insgesamt 20 Lehrerinnen und Lehrer wollten die Privatschule aus Protest verlassen, weil die Schuldirektorin zu Schuljahrsbeginn plötzlich entlassen worden war - von Kardinal Pujats höchst selbst. Sogar die Schließung der Schule wurde in der Presse für möglich gehalten (Kas Jauns).

Was sind die besten Schulen in Lettland? Die Erfolgreichen bei den lettischen "Olympiaden" würden sicher antworten: "Unsere!"
"Die internationalen Schülerwettbewerbe gehen überwiegend auf Initiativen von ehemals sozialistischen Ländern mittelost- und Osteuropas zurück," schreibt Bildungsforscher Kurt A. Heller in seinem Buch 'Begabt sein in Deutschland', "weshalb sich auch der im dortigen Sprachgebrauch verwendete Begriff 'Olympiade' durchgesetzt hat." Er stellt fest, dass auch deutsche Teilnehmer im internationalen Maßstab respektabel abschneiden - es droht also zumindest keine neue "Pisa"-Diskussion. Lettische Schulen mögen sich weiter an "Olympiaden" orientieren - in Deutschland wird die Verschiedenartigkeit der Einschätzungen und Konzepte dazu allein schon durch die 16 Bundesländer gesichert sein.

19. Juli 2015

Alles Käse!

Die dürren Zweige auf dem Logo
wirken noch verbesserungs-
bedürftig, aber das Motto ist klar:
"Das Beste aus Lettland!"
Alle reden vom Wirtschaftsembargo gegen Russland - nein, nicht alle. Für die lettischen Käsehersteller gibt es offenbar inzwischen andere Ziele. Aktuelle Zahlen besagen, dass zwischen Januar und Mai 2015 in Lettland 17.400 Tonnen Käse produziert wurden - 34% mehr als in den ersten fünf Monaten des Vorjahres. Vanda Davidanova, die Präsidentin des seit 2002 bestehenden "Siera Klubs" ("Käse-Klub", einem Zusammenschluss von mehreren lettischen Käseherstellern mit 62 Mitgliedern) fasst zusammen: "Im vergangenen Jahr wurden 38.400 t Käse hergestellt, im Jahr davor 35.200 t. (siehe "Baltic Course")
Dabei wurden 6131 t exportiert,und statt vorwiegend nach Russland geht der Export jetzt auch nach Deutschland (2.096 t, eine Steigerung um 34%), in die Niederlande (1165 t, 19% Steigerung) und Estland (695 t, 11% mehr). Dabei habe aber auch der Inlandskonsum pro Haushalt innerhalb der letzten 10 Jahre um 26% zugenommen.

"Warenzeichen des Jahres" wurde 2015 "Trikata", einer der erfolgreichsten Käsehersteller. Die Auszeichnung wird von der lettischen Handelskammer (Latvijas Tirdzniecības un rūpniecības kamera - LTRK) zusammen mit den lettischen Milchverarbeitern (Latvijas piens) verliehen. "Das Ziel von 'Trikāta' ist es, den Käse aus Trikāta auf die Weltkarte des Käse zu bringen - ähnlich wie es Edamer oder Gouda bereits sind." (aus dem Text der Preisverleihung - "Latvijas Piens"). Auch auf der größen Lebensmittelmesse in Deutschland, der ANUGA in Köln, wird lettischer Käse wieder zu degustieren sein.

Mehr zu lettischem Käse

10. Juli 2015

Papi am Pranger

Steuersünder legen ihr Geld gerne in der Schweiz an - das ist spätestens seit dem Aufkauf von illegal erzeugten Datenlisten bekannt, die von den zuständigen Ämtern in Deutschland aufgekauft wurden, um die betreffenden Personen zur korrekten Steuerzahlungen auffordern zu können. Allein 24.000 Menschen sahen sich im Jahr 2013 zu einer "freiwilligen Selbstanzeige" veranlasst, 2014 waren es noch mehr - um befürchteten Strafzahlungen möglichst zuvorzukommen. Ab Januar 2015 wurden zudem die entsprechenden gesetztlichen Bestimmungen erheblich verschärft. Öffentlich diskutiert wurden vor allem die Fälle, wenn - eigentlich illegal, da die Ämter solche persönlichen Angaben nicht herausgeben dürfen - doch prominente Namen sich in der Presse wiederfanden, so etwa Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer. Inzwischen wollen sogar die Schweizer Behörden selbst Daten von deutschen Steuersündern ins Internet stellen, wenn sie auf anderem Wege nicht erreichbar sind.

Schulden am Kind
Solche Verfahren scheinen auch in Lettland der Trend zu sein - Ämter stellen private Daten ins Internet. Momentan erzeugt Aufsehen, was eine lettische Behörde unternommen hat, die seit 2004 für die Garantie der Unterhaltszahlungen zuständig ist (Uzturlīdzekļu garantiju fonds - UGF). Seit dem 1.Juli 2015 steht dort eine Liste von Personen öffentlich im Internet, die mit Unterhaltszahlungen im Rückstand ist - vorab genehmigt durch Beschluß des lettischen Parlaments (lsm). "Eine Maßnahme zum Schutz der Kinder", so die Behörde."Im Laufe von 11 Jahren haben die Zahlungsrückstände insgesamt 140 Millionen Euro erreicht", sagt Edgars Līcītis, Direktor der UGF. 90 Euro zahlt die UGF für Kinder bis zu 7 Jahren monatlich, für ältere bis zur Volljährigkeit 108 Euro. Man hoffe noch immer, dieses Geld von den säumigen Vätern (in seltenen Fällen auch Müttern) zurückzubekommen, und die Gesellschaft habe ein Recht zu erfahren, was der Staat inzwischen finanzieren müsse. Härtefälle würden natürlich berücksichtigt, aber es sei zu vermuten, dass viele ihre wahren Einnahmen verheimlichen.

Schulden am Staat
So finden sich nun Name, Nachname, Geburtsjahr und erster Teil der Personennummer auf öffentlich einsehbarer Liste. Die typischen Zahlungsverweigerer seien Männer bis 40 Jahren, die offiziell angeben, monatlich weniger als 100 Euro zu verdienen, so die Behörde.
Ganze  29.561 Personen sollen es sein, die gegenwärtig ihren Ex-Frauen, Ex-Männern bzw. Kindern ganz oder teilweise Unterhalt schuldig sind.Öffentlich einsehbar sind nun aber nur etwa 1700 davon, 122 davon Frauen. Ausgenommen von der Veröffentlichung sind Betroffene mit körperlichen Beeinträchtigungen, Arbeitsunfähige und alle diejenigen, deren ehemalige Ehepartner der Veröffentlichung nicht zugestimmt haben. Es hätten auch schon einige bei der Behörde angerufen und gefragt, was sie tun können um von der veröffentlichten Liste gelöscht zu werden, berichtet Linda Sparāne, Chefin der juristischen Abteilung der UGF.

Im Jahr 2014 zahlte die UGF an 19.092 Personen eine Beihilfe zu Gunsten der unter ihrer Obhut lebenden Kinder, nur 156 Neuträge wurden abgelehnt (siehe Jahresbericht), in 525 Fällen konnte die Zahlung eingestellt werden, weil das verantwortliche Elternteil selbst die Zahlungen übernahm. 29.650 Kinder profitierten davon.
Im lettischen Fernsehen (Panorama) werden Frauen interviewt, deren Männer die Alimente verweigern. "Soll er doch mal seine Verantwortung anerkennen!", meint Santa, eine Betroffene, Mutter von drei Kindern. "Aber die Veröffentlichung wird nicht ändern, gar nichts", meint sie. "Vielleicht zahlt er für seine zwei Autos, vielleicht für die Wohnung - aber Schulden gegenüber dem Staat? Niemals!"

Ungeteilte Freude an Kindern - hier in Riga - am besten
in ungeteilten Familien
Schuldner im Netz
Doch dem neu geschaffenen öffentlichen Pranger droht Widerstand. Juris Jansons, vom Parlament bestellter Ombudsmann für Bürger- und Menschenrechte, verglich die Idee der Veröffentlichung der Zahlungsrückständigen mit der Wiedereinführung eines mittelalterlichen Schandfpahls. Das neue Verfahren widerspreche Paragraph 96 der lettischen Verfassung, welcher die Unverletzbarkeit der Privatsphäre festlege. Jansons kündigte an, Protest beim lettischen Verfassungsgericht einlegen zu wollen. Dabei bezweifele er auch die Effektivität dieser "Geldeintreibung": die Schuldner seien zumeist mittellos, und das Risiko ins soziale Abseits zu rutschen, sei in Lettland, mit sehr niedrigen Löhnen in vielen Bereichen, eben riesengroß.Jansons weist auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin, der ebenfalls für den Schutz des Privatlebens eintritt.

Noch hat es keine Fälle in sozialen Netzwerken gegeben, wo die nun öffentlich zugänglichen Daten säumiger Zahler ausgenutzt würden. Noch ist nicht abzusehen, ob die neu geschaffene Regelung auf Dauer Bestand haben wird.