Schon seit längerer Zeit weist der lettische Verband der Ärztinnen und Ärzte (Latvijas Ārstu biedrība LĀB) auf Mißstände im lettischen Gesundheitswesen hin. Wie in vielen anderen Ländern auch, ist diese Branche gerade während der Pandemie oft in der Diskussion gewesen. Unter der Schlagzeile "ein kranker Mensch - ein kranker Staat" weisen die Fachverbände auf erhebliche Unterfinanzierung hin: mit nur 1766 Euro pro Einwohner/in finanziert Lettland das eigene Gesundheitswesen (2505€ Litauen, 2512€ Estland). "Es sind nicht nur die überlangen Arbeitszeiten, sondern es gibt aufgrund der Zustände auch Menschenleben, die wir nicht retten können", sagt Ärzteverbands-Chefin Ilze Aizsilniece.
Zur Zeit verlassen jedes Jahr 200 Ärztinnen und Ärzte Lettland - und das nicht wegen der Pandemie, so der Ärzt/innen-verband. "Mindestens 700 Millionen Euro werden für den Gesundheitssektor noch benötigt,
um die vom Gesundheitsministerium gesetzten Prioritäten für das nächste
Jahr umzusetzen", so Journalistin Inga Paparde in einem Beitrag für die Zeitung "Neatkarīgā". "Bisher sieht der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr lediglich 130,5 Millionen Euro vor". Das Gehaltsniveau soll zwischen 4% und 6% steigen.
Dabei ist unabhängig von konkreten Summen auch die Frage umstritten, in welche Bereiche zuerst investiert werden soll. Manche sehen die Schwächen in der Krebsvorsorge und -behandlung, andere wollen Löhne und Gehälter pauschal erhöhen. Aber auch für die Ausbildung des Ärztenachwuchses muss etwas getan werden, und die Pfegeberufe erwarten dringend eine Reform. Die Regierung möchte auch den Zugang zu den Palliativpflegediensten verbessern, für Menschen mit Behinderungen muss etwas getan werden, und auch die Preise für Medikamente sollen nicht unermesslich steigen.
Kürzlich meldete sich auch Andris Vilks, Vorstandsmitglied der Lettischen Zentralbank und Ex-Finanzminister Lettlands sich zu Wort mit der Anmerkung, in den Nachbarländern Estland und Litauen seien bei der Entwicklung des Gesundheitswesens wesentlich weiter. "Das ist besonders schmerzlich deshalb, weil wir nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit in derselben Startposition waren. In diesen Jahren gab es dort sowohl bereits Reformen wie auch mehr Haushaltsmittel," bestätigt auch Artūrs Šilovs, Vorsitzender der lettischen Jungärztevereinigung LJĀA (Latvijas Jauno ārstu asociācija) (Apollo).
Mit einem Land wie Norwegen, das 5748 Euro pro Einwohner und Jahr für das Gesundheitswesen ausgibt, kann sich Lettland zwar vergleichen, aber wird diese Summen nie erreichen. Kürzlich veröffentlichte Daten des staatlichen Statistikamtes zeigen, dass der durchscnittliche Bruttolohn vor Steuern in Lettland jetzt bei 1237 Euro liegt. Beschäftigte im Gesundheitswesen liegen mit 1564 Euro darüber, ebenso wie der Finanz- und Versicherungssektor (2258 Euro), Informations- und Kommunikationsdienste (1955 Euro), die Energieversorgung (1644 Euro), wissenschaftlich-technische Dienstleistungen (1400 Euro).(stat.gov.lv)