29. September 2011

Neues Face fürs "sejas grāmata"

Alle in Lettland warten auf die Bildung einer neuen Regierung. Alle? Nein, ein paar Freundinnen und Freunde der virtuellen Welt des Internets machen sich Sorgen, trotz frisch gewählter Regierung könnte Lettland jemand in der großen, weiten Welt da draußen niemand mögen. "Niemand mag Lettland! Warum? Weil Lettland keine Facebook-Seite hat!"

Diese Sorgen macht sich offenbar die Regierung höchst selbst. Wenn also eine regierungsamtlich betriebene Seite in Facebook existieren würde, könnte es vielleicht ganz leicht erreicht werden, dass Tausende von Menschen (Letten wohl möglich auch!) die lettische Regierung mögen. Wie man das erreicht? Das staatliche lettische Institut schreibt einen Wettbewerb aus zum Design und den Inhalten dieser Seite, ergänzt die Bedingungen was auf dieser Seite stehen darf, und verhandelt mit Facebook selbst damit ausnahmsweise mal ein Nutzer auch einen Ländernamen haben kann (was normalerweise so ohne weiteres nicht zulässig ist).  
Gesagt, getan: Rihards Kalniņš, seines Zeichens zuständig für die PR beim Lettischen Institut, schrieb zusammen mit einer Vertreterin der lettischen Staatskanzlei Anfang September einen Wettbewerb aus. Bis zum 4.Oktober können nun alle, die diese Entwürfe im Internet anschauen, ihre Favoriten wählen (mit dem Facebook-üblichen Kennzeichnen durch "Gefällt mir"). Fünf Entwürfe stehen zur Wahl, der Sieger bekommt einen Sachpreis. Der Aufwand ist nicht unerheblich: Ende August wurde extra zu diesem Zweck ein Treffen von wie es heißt - Medienexperten, Bloggern und "Experten der sozialen Medien" - einberufen, um über wünschenswerten Inhalten und Strukturen einer Facebook-Seite zu beraten. Die Entscheidung über die Entwürfe bewertet eine Jury von 16 Personen. Zanda Šadre, angestellt bei der lettischen Staatskanzlei, erzählte lettischen Journalisten wie die Idee entstand: "Ich habe die englischen BBC-Nachrichten geschaut. Da wurde der griechische Präsident gefragt, welche Länder er als positive Beispiele ansehe, wie man gut aus der Wirtschaftskrise wieder heraus kommen könne. Ich dachte natürlich jetzt würde Lettland genannt, aber er konnte kein Beispiel nennen. Da verstand ich, dass die Art wie die Regierung mit den Menschen kommuniziert geändert werden muss, und so jeder leichter an Informationen kommen könnte."

Nur die übliche Parteiendenkweise, wenn die Wählerzustimmung zurückgeht? (= Kommunikation mit unseren Wählern muss verbessert werden). Ich muss da auch unwillkürlich an die kürzlich erfolgte Schließung der "Baltikum"- Fremdenverkehrszentrale in Deutschland denken. Wäre die lettische Regierungsstrategie eine pure Erfolgsgeschichte, so müsste ja die Schließung auch ein Erfolg sein (die Gründe wurden übrigens immer noch nicht öffentlich bekannt gegeben, aber vermutlich spielen zwei Dinge eine große Rolle: die Finanzen, und Streit um das Konzept). Nun fangen lettische Regierungsmitglieder also an sich zu beklagen, dass niemand im Ausland etwas von Lettland kennt (trotz Zuwachs an Billigtouristen, offenbar). Unbezahlte lettische Nachwuchskräfte (der "Sieger" bekommt einen Sachpreis, wie gesagt) sollen es nun richten. Den Aussagen von Frau Šadre zufolge war es Ministerpräsident Dombrovskis höchst selbst, der den Brief an Facebook schrieb (hat Mr. D denn selbst eine Facebook-Seite? Ja, er hat! Die Infos, die draufstehen, sind kopiert von Wikipedia, und er hat momentan 51 "Freunde"!). Lettland wäre nach Aussagen der Staatskanzlei das weltweit erste Land mit eigener Facebook-Seite. 
Hoffentlich kommt keine Anfrage zurück. Von Facebook an Mr. D. "Sind Sie noch befugt, für die lettische Regierung und ihre Facebook-Seite zu entscheiden?" Und hoffentlich findet jemand eine Antwort - sonst muss mit dem Slogan gerechnet werden: "Dream the impossible - like Latvia, even if it has strange governments ..."


23. September 2011

Letten mißtrauen sich selbst

Dieser Text ist vor den außerordentlichen Parlamentswahlen entstanden.

Also über Politikverdrossenheit wird auch in den etablierten Demokratien Westeuropas seit so langer Zeit diskutiert, daß jeder Student jahrzehntealte Werke zum Thema in der Uni-Bibliothek finden kann. Mal heißt es Politik-, dann Parteien- oder Politikerverdrossenheit, was man wissenschaftlich mit verschiedenen Methoden auseinanderdröseln kann. Selten jedoch hinterfragt mal der Durchschnittsmensch seine eigenen Erwartungen an den Staat und seinen Beitrag zum Schlamassel.

Die Letten haben nun plakativ das Mißtrauen gegen sich selber geäußert, indem sie in einem Referendum am 23. Juli 2011 das von ihnen selbst erst am 2. Oktober 2010 (neun Monate und 21 Tage, die Zeit einer Schwangerschaft!) gewählte Parlament in die Wüste geschickt haben. Umfragen belegen nicht nur, daß viele Wähler so wie immer vor Wahlen in den vergangenen 20 Jahren nicht wissen, wen sie wählen sollen, sie zeigen auch, daß sowohl Referendumsmuffel – die eine Neuwahl meist für überflüssig hielten – als auch Befürworter der Entlassung des Parlamentes wenig Erwartungen in die Neuwahl setzen. Ein vom lettischen Radio interviewter Passant bringt es auf den Punkt: zunächst einmal müsse sich die Gesellschaft verändern.

Und so verwundert es auch wenig, daß, obwohl andere Passanten bekundeten, ausschließlich für neue Gesichter stimmen zu wollen, da die alten ihre Zeit in mehreren Parlamentszusammensetzungen abgesessen hätten, bei der anstehenden Neuwahl viele alte Gesichter wieder zur Wahl stehen – inklusive Ainārs Šlesers sogar als Spitzenkandidat seiner Partei, dessen von den Abgeordneten-Kollegen abgelehnte Immunitätsaufhebung der Grund für den historisch einmaligen Schritt des abgetreten Präsidenten Valdis Zatlers zur Parlamentsauflösung war.

Damit bleibt einstweilen und ziemlich sicher auch danach alles beim Alten. Der politische Diskurs verändert sich nicht. Der Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, steht erneut als Chef der Exekutive zur Verfügung, weigert sich aber wie immer, sich in die Niederungen des politischen Alltags zu begeben und Abgeordneter zu werden.

Šlesers bemerkt zutreffend, daß sich die Menschen weniger für Wahlrechtsänderungen interessierten als für ihren Lebensstandard und sich die Politik deshalb genau darum zu kümmern habe, ohne zu erklären, warum er als langjähriger Minister in Regierungen saß, die dieses Ziel gewiß nicht als Priorität behandelt haben. Der Spitzenkandidat des Harmoniezentrums, Jānis Urbanovičs will auch erst einmal expressiv verbis für drei Jahre als Priorität den Lebensstandard heben, danach könne sich die Politik Fragen widmen, ob es nun eine Okkupation gegeben habe oder nicht.

Hintergrund ist die Forderung der Einigkeit nach den letzten Wahlen, das Harmoniezentrum müsse, um eine Zusammenarbeit in der Regierung möglich zu machen, die Okkupation anerkennen. Rigas Bürgermeister Nil Uschakow war ebenfalls kritisiert worden, daß er bei seinem Besuch im Museum dieses Namens gleich gegenüber des Rathauses diesen Begriff sich geweigert hatte in den Mund zu nehmen.

Die seit den letzten Wahlen nationalistischer gewordenen Nationalisten legen in Umfragen zu. Darüber freut sich Nationalist Raivis Dzintars, der ebenfalls mit dem alten Dauerbrenner in den Wahlkampf ziehen will, es müsse künftig ein Machtzentrum beim Präsidenten statt im Koalitionsausschuß gehen, will sagen, die Verfassung müsse geändert werden.

Mit anderen Worten, während Lettland und seine Bevölkerung unter den Folgen der Krise leidet, diskutieren die Politiker über Verfassung und Vergangenheit und versuchen, sich Pfründe und juristische Sicherheit zu erhalten. Es steht zu befürchten, daß die Wähler sich auch erneut für diese Positionen entscheiden werden.

Einziger Neuzugang im politischen Spektrum ist die Partei von Ex-Präsident Zatlers, der mit der Benennung seiner Partei als Zatlers Reformpartei unter Aufnahme seines Nachnamens sowohl schwer an den deutschen Joachim Siegerist mit seiner fragwürdigen Siegerist Partei erinnert, als auch bislang auf eine Festlegung in Fragen von Inhalten und Personal weitgehend verzichtet, was er in seinem weiterhin abgehackten Redestil gern in jedes Mikrophon rechtfertigt.

Ja, wahrscheinlich werden die lettischen Parteien wieder einmal nicht mit dem Harmoniezentrum koalieren wollen. Vermutlich sollte es für die Einigkeit mit Zatlers und den Nationalisten reichen, vielleicht aber auch in anderer Konstellation mit der Union aus Grünen und Bauern. Ohne letztere wäre allerdings ein positiver Aspekt anzumerken, es gäbe erstmalig keine Oligarchen mehr in der Regierung. Wie professionell jedoch Zatlers politische Genossen arbeiten werden, nachdem er einen in den 30ern stehenden Unternehmer als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ausgerufen und einen Millionär für das Finanzministerium nominiert hat, bleibt ebenso ungewiß wie die Frage, wie die eher national denkende Bürgerliche Union innerhalb der Einigkeit mit den Nationalisten in einer allfälligen Regierung erneut in die nationale Frage über die sozio-ökonomische stellt.

Lettland hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren in der Öffentlichkeit vorwiegend mit der Vergangenheit statt mit der Zukunft beschäftigt, während im Hintergrund ganz andere politische Inhalte verfolgt wurden. Einstweilen deutet alles darauf hin, daß sich daran auch nach dem nächsten Urnengang nichts ändert. Sechs Monate sieht die Verfassung vor, ehe eine neuerliche Parlamentsauflösung möglich ist. Seit vergangenem Jahr kann dies auch das Volk allein mit einem Referendum anstrengen, den Präsidenten braucht es dazu nicht mehr. Mal sehen, wie lange die Letten dieses Mal Vertrauen in ihre eigene Entscheidung setzen.

Der Jurist Jānis Pleps erklärte, daß die Gesellschaft ihre Meinung, Politik sei ein schmutziges Geschäft, zügig ändern müsse. Politiker sei ein Job mit hoher Verantwortung, der enorme Kenntnisse verlange. Die negative Einstellung gegenüber der Politik in der Bevölkerung halte die kompetentesten Leute von einer politischen Karriere ab. Also Politikverdrossenheit als self-fulfillig prophecy. Und da steht Lettland dem Westen in nichts nach oder vor. Der aus der ehemaligen DDR stammende Politologe Dieter Segert gab seinem Sammelband über die Parteiensysteme Osteuropas bereits vor Jahren den Titel Osteuropa als Trendsetter.

18. September 2011

Auf der Suche nach dem Wahlgewinner

aktuell ergänzt - Vorläufige Ergebnisse der Parlamentswahlen in Lettland vom 17.September, nachdem fast alle Wahlkreise ausgezählt sind (1026 von 1027): 

Saskaņas Centrs ("Harmonie-Zentrum") SC - 28,37% und voraussichtlich 31 Mandate
Zatlers Reform Partei ZRP - 20,82% und 22 Mandate
Vienotība (Einigkeit) V - ca. 18,83% und 20 Mandate
Visu Latvijai / Nationala Apvienība (Alles für Lettland / Nationale Liste) VL - 13,88% und 14 Mandate
Zalo un Zemnieku Savienība (Liste der Grünen und Bauernpartei) ZZS - 12,22% und 13 Mandate

Genaue Zahlen finden sich hier

Im Gegensatz zu manchen Schlagzeilen deutschsprachiger Medien heißt das nicht unbedingt, dass "russische Parteien" die Wahl gewonnen hätten. Zumindest hätten es dann im Oktober 2010 dieselben Schlagzeilen sein müssen: Saskaņas Centrs (SC) bekam im Oktober 2010 bei 29 Mandate 251.400 Stimmen (26%) - also nur ein ganz leichter Stimmengewinn (259.749 Stimmen diesmal).
Das Lager der bisherigen "Vienotība-Wähler" hatte diesmal das zusätzliche Angebot sich vielleicht auch für die Zatlers-Partei sich zu entscheiden. 171.907 (18.82%) und 20 Mandate blieben übrig (2010 waren es 301.429 / 31,2% und 33 Mandate). 
Aus dem Stand, innerhalb der Sommerferien schaffte die am 23.Juli gegründete Zatlers-Partei ZRP 190.098 Stimmen und 22 Mandate. Sollte die bisherige Beobachtung, dass die ZRP der Vienotība sehr nahe steht und den Kern der künftigen Regierung bilden wird (die ZRP besteht nicht einmal darauf, dass ihr Spitzenkandidat Regierungschef wird), dann hätten beide Parteien zusammen wesentlich mehr Rückhalt bei den Wählern als vorher Vienotība allein. Könnte Regierungschef Dombrovskis weitermachen wäre das sicher ein Stabilitätszeichen an das europäische Ausland. Allerdings wird sich die frisch aus drei Listen vereinigte "Vienotība" möglicherweise personell neu sortieren müssen, denn durch die Möglichkeit der lettischen Wähler mit Plus- und Minuszeichen Kandidatenliste zu beeinflussen, sieht es ganz danach aus, dass weder Außenminister Kristovskis, noch Kulturministerin Ēlerte oder Justizminister Štokenbergs ein neues Mandat erhalten haben.

Eindeutig klar verloren haben diejenigen Parteien, die bisher als von "Oligarchen" finanziert galten. Die "Tautas Partija" (Volkspartei) von Andris Šķēle löste sich noch vor den Wahlen ganz auf, und der mehrfache Regierungschef Šķēle verspricht, sich ganz aus der Politik zurückzuziehen und bezeichnet jetzt die Milchwirtschaft als Schwerpunkt seines Interesses. 
Ainārs Šlesers, der so gerne einmal die Nr.1 im Staate geworden wäre und im täglichen politischen Geschäft Lettlands einen ähnlich furchtbaren "Lautsprecher"-faktor auswies wie in Deutschland vielleicht Guido Westerwelle, hat nun mit 2,4% nach 2010 schon seine zweite krachende Niederlage hintereinander eingefahren und hat so noch etwas gemeinsam mit Westerwelle: der Zeitpunkt des Rückzugs scheint absehbar. 
Aivars Lembergs wiederum stand zwar gar nicht zur Wahl, aber bei der von ihm unterstützten Partei ZZS, die ihn zum Spitzenkandidaten als Regierungschef erkoren hatte, stürzte ab von 19,68% und 190.025 Stimmen (22 Mandate) auf nun nur noch 111.358 Stimmen und 12 Mandate. Da insbesondere Zatlers sich gegen die ZZS ausgesprochen hatte, dürfte die ZZS diesmal nicht zur Koalitionsbildung benötigt werden und damit - mangels Ministerposten - ihren politischen Einfluß ziemlich einbüssen. 

Nun tritt als nächster Schritt wieder eine Besonderheit im lettischen Wahlrecht zu tage. Präsident Bērziņš fällt das Recht zur Entscheidung zu, wem er die Regierungsbildung zutraut. Neben dem starken Ergebnis der Saskaņas Centrs, die vor allem mit dem populären Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs und in Latgale punkten konnte (in Riga 41,5%, Latgale 52%), hat auch die "Nationale Vereinigung" am rechten Rand punkten können. Da bleibt Spielraum für Interpretation: ist es ein Zeichen an die anderen "lettischen Parteien", nicht vom Konzept eines "lettischsprachigen Lettland" abzuweichen und das Nationale weiter als "Herzenssache" zu begreifen? Oder ist es umgekehrt eine Warnung, das trotz schwächelnden Oligarchenparteien die Gefahr immer noch vorhanden ist, Klientalpoltik zu betreiben anstatt das Land zu modernisieren und für Europa fit zu machen? Die gewählten Mandatsträger werden diese Fragen zu entscheiden haben. 

16. September 2011

Flick Affäre, lettisch

So sehen die Satiriker bei TVNET die Vorwahlsituation :
"diesmal bevorzugen wir Lembergs" wird
Konzernchef Flick in den Mund gelegt, und
Šlesers
antwortet: "Ich gebe Dir, Du gibst mir ..."
Mitten im lettischen Wahlkampf taucht ein Name auf, den jeder Deutsche - jedenfalls alle, die in den 80er Jahren schon Zeitung gelesen haben - gut kennt. Es ist der Name "Flick", und es geht um den Streit um die halbstaatliche lettische Fluggesellschaft AIR BALTIC.
Ich möchte zunächst mal außen vor lassen, ob Berthold Flick, der 1995 als Consultant nach Lettland kam, bei der Gründung der Fluggesellschaft mithalf, und 2002 ihr Vorstandschef wurde, irgendwelche strafbaren Handlungen begangen hat (siehe früherer Post). Dafür ist mir das Geschäftsgebaren aller denkbaren Beteiligten zu undurchsichtig, nicht nur in diesem Fall. Weder lettische, russische, deutsche oder andere Menschen mit Geld, die meinen genug Bares übrig zu haben, um mit einer nationalen lettischen Fluggesellschaft Geld verdienen zu können sollte ideele Ziele unterstellt werden - Idealisten werden in Lettland zerrissen, ökonomisch wie politisch. Wahrscheinlich glauben einige, Lehren gezogen zu haben aus "dem Kapitalismus", so wie Lettland ihn nun ertragen musste. Bewundert werden meist entweder diejenigen, die schnellstmöglichst ohne Rücksicht auf Verluste zu Geld kommen (und damit auch in die Klatsch- und Neidspalten der Yellowpress). Oder es sind die immer neuen "Helden", vorgeben Lettland retten zu wollen - die "starken Männer", deren Stern aufgeht und schnell im Streit der Menschen untereinander wieder verglüht. 

Deutsche als Krisengewinnler?
Aktuell geht es darum: AIR BALTIC ist in der Krise. 52,6% der Aktien werden noch vom lettischen Staat gehalten, 47,2% gehören der "Baltic Aviation Systems" (BAS), 0,2% der russischen TransAero. Anteilseigner bei BAS wiederum ist zur Hälfte Flick, zur anderen Hälfte eine auf den Bahamas registrierte Firma "Taurus Asset Management Fund Limited", die laut lettischer Presse dem russischen Milliardär Vladimir Antonov zugeschrieben wird.
Wie das lettische Verkehrsministerium inzwischen offiziell zugeben musste, belaufen sich die Verluste bei Air Baltic für 2010 auf 34,2 Millionen Lat (etwas mehr als 50 Millionen Euro). Die BAS ihrerseits wirbt auf ihrer Internetseite immer noch mit den 14,2 Millionen Euro Profit, der ausgerechnet im Krisenjahr 2009 eingestrichen wurde (vielleicht dank der Pleite der Konkurrenz von "Lithuanian Air"?). Etliche Vorgänge seitdem lassen darauf schließen, dass sich Flick aus diesen guten Jahren gute Gelder selbst zukommen ließ (= international übliches Lohnniveau von Spitzenmanagern), und es nun anderen überlässt, ob die notwendigen zusätzlichen Gelder aufgebracht werden können. Nach kurzem Zögern erklärte sich die Regierung Dombrovskis bereit, AIR BALTIC finanziell zu unterstützen - was zusätzliche Staatsschulden für ein Land bedeuten muss, das selbst erst vor kurzem vor der Pleite durch internationale Geldgeber gerettet werden musste.

ein Foto aus alten Zeiten: Flughafen Riga 1995
Die Interessen haben sich hier national verschoben. In ihren Anfängen war AIR BALTIC von dänischen, schwedisch, norwegischen Geldern getragen. 2008 bot die Fluggesellschaft SAS ihren Anteil von 47,2% dem lettischen Staat an - der lettische Staat, in Person des damaligen Verkehrsministers Ainārs Šlesers - lehnte ab. Flick bewarb sich für die BAS um das Aktienpaket, mit Hilfe eines Kredits der "Latvijas krājbanka", eine Bank an der Millionär Antonov 32% und die litauische Bank SNORAS 53% der Aktien besitzen (und 67% der Aktien bei SNORAS gehörden ebenfalls Antonov). Als dann 2010 die BAS für einen symbolischen Euro die Hälfte der Aktien bei TAURUS kaufte, schienen die Abhängigkeiten und Geschäftsbeziehungen klar. 
Als die BAS 2008 die Aktienanteile kaufte, wurde der bestehende Aktionärsvertrag leicht geändert - wiederum unterschrieben von Šlesers. Einer der Punkte war, dass nun der private Anteilseigner - nämlich Flick - Vorstandsvorsitzender eines Vorstands werden konnte, der nur aus der Person Flick besteht. Der von Šlesers unterschriebene Vertrag billigte Flick auch weit größere Vollmachten zu als zuvor: bis zu einem Vertragswert von mehreren Millionen Euro brauchte Flick nun seinen staatlichen Partner gar nicht mehr zu fragen - zum Beispiel ob neue Flugzeuge angeschafft werden. Seitdem kann Flick allein fast alle Vorschläge auf Änderung dieser Verhältnisse abblocken - denn dazu müssten beide Anteilseigner zustimmen. In Deutschland dagegen tat Flick einiges, um ein gutes Image aufzubauen: 2009 wurde die lettische Airline zum offiziellen Partner des deutschen Bundesverwaltungsamtes - ein Abo auf Dienstreisen, sozusagen (BizTravel). Und "die Welt" pries Flick in einem ausführlichen Interview zur gleichen Zeit als "Mann, der die Zeichen der Zeit erkannt" habe, und interpretierte sein Wirken als "Liebeserklärung an Lettland" (Die Welt, 5.7.09).  

Unternehmer gegen Regierungschef
Neuerdings versuchte Regierungschef Dombrovskis prüfen zu lassen, ob Šlesers mit seiner Unterschrift unter diesen Vertrag den Interessen Lettlands zuwider gehandelt hat. Die Stellungnahme der lettischen Staatsanwaltschaft dazu ist bisher geheim geblieben, aber alles deutet darauf hin dass es keine Gerichtsklage dagegen geben wird.
Werbung am Flughafen - immer eine gute
Markenpositionierung
Der andere Punkt ist aber, dass Flick bald nach dem Aktienkauf begann, sein "Netzwerk" aufzubauen. Eine Reihe mit BAS verknüpfte Firmen wurden gegründet: zur Betreuung der Flugzeuge am Boden, Dienstleistungen für Piloten, und vieles mehr. Die neu gegründete Taxi-Firma lieferte sich erstmal einen "Taxi-Krieg" mit den anderen Rigaer Taxifirmen. Die Zeitschrift IR zitiert aus den offiziell zugänglichen Firmendaten folgende Beteiligungen:  SIA North Hub (100%), SIA North Hub Services (50%), SIA AirBaltic Hotels (100%), SIA North Hub Fuel (50%), SIA RIJA LV (50%) un SIA Baltic Taxi (70%). Die Versuche von BAS, weiter an Einfluß zu gewinnen, sieht die Regierung Dombrovskis inzwischen als schädlich für die lettischen Interessen an und versuchte 2011 bereits zweimal, Flicks Ablösung zu betreiben - um dies zu verhindern, zog aber BAS seine Vertreter aus dem Aufsichtsrat zurück und machte diesen damit handlungsunfähig.

Das verkaufte Logo
Ein für die lettische Seite schmerzlicher Punkt ist weiterhin ein Vertrag vom 22.12.2009 (also ebenfalls im Krisenjahr), mittels dessen (ohne Widerspruch der damaligen staatlichen Vertreter im Aufsichtsrat) BAS für 13 Millionen Euro die Rechte an der Marke "AIR BALTIC" erhielt. Wie Flick sagt: um die Firma aus finanziellen Schwierigkeiten zu retten, der Rückkauf könne jederzeit stattfinden - die staatlichen Vertreter dagegen behaupten, der Vertrag sei nur aufgrund einer mündlich vorgetragenen Präsentation geschlossen worden. Noch am gleichen Tag schlossen BAS und AIR BALTIC dann einen Lizenzvertrag, der eine Lizenzgebühr in Höhe von 0,7% des Firmenumsatzes vorsah - ca. 140.000 Euro im Monat. Der lettischen Öffentlichkeit wurde dies erst im Herbst des Folgejahres bekannt, als die Jahresbilanz vorgelegt wurde. Eine der angebotenen Rückkaufvarianten würde zur Folge haben, dass der Staat seine Mehrheit der Aktienanteile verlieren würde. 
2010 ging AIR BALTIC dann gegen den Rigaer Flugghafen vor Gericht. Eingeklagt werden sollten die angeblichen Verluste, die durch die Gewährung günstiger Bedingungen an die Billigfluggesellschaft RYANAIR entstanden seien. Im Gegenzug verlangte der Flughafen die Begleichung von angeblichen bisher nicht bezahlten Dienstleistungen. AIR BALTIC wandte sich auch an das lettische Anti-Korruptionsbüro (KNAB) wegen angeblicher Ausnutzung einer Monopolstellung durch den Flughafen. Im April diesen Jahres schlossen beiden Seiten dann ein "Friedensabkommen", dessen Inhalt nicht bekannt ist - aber AIR BALTIC sicherlich nicht schadet. Kürzlich beschloss die lettische Regierung einerseits, sich um die Fluggesellschaft zu kümmern, sei es auch mit zusätzlichem Geldaufwand. Aber es werden folgende Bedingungen genannt: eine Änderung der bestehenden Vertragstexte, die Bewahrung des Flughafens Riga als Hauptstandort von AIR BALTIC, und: ein Rücktritt von Flick. 
Seit einigen Wochen ist das Anti-Korruptionsbüro (KNAB) aber bereits tätig, um weitere Hintergründe dieser Affäre aufzuklären. Eine Untersuchung der Privaträume von Ex-Verkehrsminister Šlesers scheiterte an der fehlenden Zustimmung durch das lettische Parlament - und dieser Vorgang wurde ja bekanntlich zum Auslöser, die Volksabstimmung zur Parlamentsauflösung auszurufen, und zur Grundlage der morgigen Neuwahlen. Der Verdacht: Šlesers halte, ebenso wie die "Oligarchen-Kollegen" Lembergs und Šķēle, heimlich Anteile an BAS. Flick selbst entzog sich den Befragungen vorerst dadurch, dass er vorerst nicht mehr in Lettland auftrat.  

Hektische Woche
das aktuelle AIR BALTIC Angebot dieser Woche
Während ein Teil der lettischen Öffentlichkeit nun wohl denkt, nur eine neue Regierung könnte die anstehenden Konflikte in dieser Sache lösen, gestaltete AIR BALTIC die Vorwahlwoche turbulent. Am Montag überraschte die Fluggesellschaft ihre Kunden mit der Ansage, 22 Flüge kurzfristig ausfallen zu lassen - darunter auch Verbindungen nach Berlin und Brüssel. Flick meldete sich in der lettischen Presse mit der Behauptung, AIR BALTIC sei zur "Geisel des lettischen Wahlkampfs" geworden. Lettische Reiseagenturen reagierten auf die plötzlichen Flugausfälle natürlich mit Entrüstung. Aber noch größer war die Entrüstung einen Tag später, als selbst der lettische Staatspräsident Andris Bērziņš bei seiner Rückreise aus Brüssel augrund der Ausfälle gezwungen war, über Hamburg zu fliegen und dadurch erst um 1.20 Uhr nachts endlich am Flughafen Riga ankam. "Was ist denn an dieser Fluggesellschaft lettisch, wenn die nicht mal in der Lage sind den Präsidenten angemessen von einem Ort zum anderen zu bringen?" - solche Stimmen sind jetzt zu vernehmen. Und andere ergänzen: "Das sollte mal jemand versuchen, in Russland zu machen!" 
Ex-Minister Šlesers, der mit dem Wahlresultat 2010 sehr viel von seinem vorherigen politischen Einfluß aufgrund der schlechten Wahlergebnisse seiner Partei bereits verloren hatte, versucht die Situation zu nutzen und schreibt einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem er die Schuld für die Vorkommnisse "der Entschlusslosigkeit der Regierung Dombrovskis" zuschreibt. Die für den Flugverkehr zuständige Gewerkschaft meldet sich in der Presse mit Vermutungen, AIR BALTIC plane etwa die Hälfte ihrer Angestellten zu entlassen (LAAF / Apollo). Andere lettische Quellen wiederum titeln: "Flick hat Schulden bis über die Ohren, AIR BALTIC ist längst in den Händen des Russen Antonov" (nozare.lv/TVNET/Finanznet).Der Flughafen Tallinn meldet sich mit einer Pressemitteilung: "Auch bei uns hat AIR BALTIC Schulden." (BalticBusinessNews). Der Flughafen Riga gibt bekannt, einige Konkurrenz-Airlines hätte bereits Interesse angemeldet, bisherige Linien von AIR BALTIC zu bedienen. Verbraucherorganisationen sollen bereits Warnungen herausgegeben haben, noch Tickets der lettischen Fluggesellschaft zu kaufen.

Lettischer Wahlkampf - langweilig? Alles nächste Woche wieder vorbei - wenn nur die "richtige" Regierung gewählt ist? Nur wer darüber etwas in den deutschen Medien zu finden versucht, könnte diesen Eindruck haben. Aber wer morgen die Qual der Wahl hat, wird vielleicht noch ein wenig über den möglichen Kreuzchen an verschiedenen Stellen brüten müssen.

12. September 2011

Okkupanten-Lehrstunde

Das Museum der Okkupation Lettlands in Riga hat ein neues virtuelles Infoangebot gestartet, auf das wir nicht versäumen wollen hinzuweisen. In Zeiten, wo schon die offizielle Verwendung des Wortes "Okkupation" zum Streitobjekt werden kann, ist es besonders begrüßenswert wenn zusätzliche Infomöglichkeiten geboten werden. 
Allerdings hätte ich mir persönlich weniger Stolz allein auf die 3-D-Effekte der neuen Präsentation gewünscht, sondern erstens auch eine russische Sprachfassung (angeboten wird Lettisch und Englisch), und zweitens vielleicht eine Übersicht zu aktuellen Diskussionen in Lettland zu Okkupation, Verbannung, Freiheit und Selbstbestimmung. Aber das hätte zugegeben vor allem mehr Personaleinsatz gekostet - der nicht mit der Erstellung und Eröffnung abgeschlossen wäre. Diejenigen, die heute bevorzugen statt Okkupation "unrechtmäßige Besetzung Lettlands" zu sagen, hätten eigentlich auch Darstellungsraum verdient. Wenn es hier nicht so sehr um die Oberhoheit der Geschichtsinterpretation ginge, sondern um einen Anstoß an die gesellschaftliche Diskussion.

Die vorliegende Darstellung entspricht immer noch der Auffassung, dass Lettland 1939 mittels des geheimen Zusatzprotokolls des Hitler-Stalin-Plaktes widerrechtlich unter den beiden Unrechtsregimes Sowjetunion und Nazi-Deutschland aufgeteilt wurde, und darauf folgend bis 1990 ununterbrochen (bzw. bis 1994, dem Rückzug der Truppen) okkupiert, also besetzt war. Eine Darstellung, deren zugrundeliegende Faktenlage ich nicht anzweifeln möchte. Die Art der Präsentation nach außen entspricht aber nicht ganz der Diskussionslage in der lettischen Öffentlichkeit - nur, dass hier die eine Seite die andere nicht ernst nimmt. Während die einen auch parteipolitisch die nationale Wahrheit für sich gepachtet haben meinen, und in der öffentlich präsentierten Symbolik provozierend nahe beim Hakenkreuz liegen (sicherlich unter Beschlagnahmung alter lettischer Volkstradition), zetern die andern immer noch über einen angeblich totalen Rechteentzug für alle Russischstämmigen und -sprachigen. Die demokratische Realität liegt - wie so oft - wieder mal dort, wo man sie selbst mitgestalten muss.

Der amtierende russischstämmige (wenn ich das mal so ausdrücken darf) Rigaer Bürgermeister Ušakovs erzeugt immer noch großes Erstaunen, dass er sowohl das Okkupationsmuseum wie auch die Feier des 9.Mai besucht. Vielleicht ist er untauglich als Vorbild - denn auch er ist nur Politiker, also auf Macht und Einfluß aus. Aber eine Präsentation lettischer Geschichte, die auf die konstruktive Ideenfindung in der lettischen Öffentlichkeit bauen würde, Gräben zu überwinden, würde mich mehr freuen als eine Bestätigung dessen, was ich inzwischen seit vielen Jahren weiß. Die angebotenen sehr kurzen virtuellen Texte werfen aber auch diesmal mehr Fragen auf als sie Antworten geben. Schade, denn wenn Geschichtsdarstellung nur im Interesse bestimmter gerade an der Regierung befindlicher ideologischer Richtungen instrumentalisiert wird, und mehr als verzweifelte Versuch einer positiven Imagebildung wirkt, kann zumindest die Diskussion hier nicht enden.

4. September 2011

Freiwillig und gemeinsam, durch gute und schlechte Zeiten

Deutsch-lettische Partnerschaften müssen nicht rein bilateral gestaltet sein: vom 24. bis 28.August 2011 fand bereits zum fünften Mal ein Treffen deutsch-lettischer Partnerschaften statt. Ort des Geschehens war die dänische Hochschule Jarplund - und statt sich wie üblich vor allem mit dem großen russischen Nachbarn auseinandersetzen zu müssen, konnten die lettischen Gäste hier etwas zum deutsch-dänischen Verhältnis lernen. 

Deutsch-lettischer Tagungsort diesmal: die
Dänische Hochschule Jarplund
Die spezielle Situation von Minderheiten war aber nur eines der diskutierten Themen. Denn im Umfeld der Städtepartnerschaften sind es in der großen Mehrzahl Bürgervereinigungen, Freundschaftsvereine, Partnerschaftsinitiativen oder Jugendgruppen, welche den Austausch zwischen den Kulturen, Ländern und Sprachen am Leben halten. Wer nur auf diejenigen schaut, welche die Ehrenmedaillen und Lobesreden erhalten, würde verkennen auf welcher Basis ein lebendiger Austausch gebaut ist. Auch wenn genau diese These dann wieder in vielen Politikerreden vorkommt und es so aussehen soll, als sei Unterstützung ehrenamtlichen Engagements eine von allen Seiten unterstützte Selbstverständlichkeit: die ehrenamtliche Tätigkeit und ihre Rolle und Bedeutung in beiden Ländern, das war das Schwerpunktthema des diesjährigen 5.Deutsch-Lettischen Partnerschaftstreffens. 
beteiligte sich mit einem Beitrag zur Situation in Lettland
am Treffen in Handewitt: der lettische Botschafter
in Deutschland, S.E. Ilgvars Kļava

Dabei ergibt sich logischerweise, schon aus den sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Lettlands und Deutschlands, eine sehr unterschiedliche Ausgangslage. Ob Partnerschaftsaktive aus Ķekava, Salacgrīva, Kuldīga, Smiltene, Valmiera oder Jēkabpils: die Regionen leiden unter fehlenden Arbeitsplätzen, Abwanderungstendenzen in die Großstadt oder ins Ausland, und wirtschaftlichen Nöten auch für diejenigen, die voll im Beruf stehen. Kein Wunder, dass neueren Untersuchungen zufolge nur etwa 2,5% aller Lettinnen und Letten bei Umfragen angeben, ehrenamtlich tätig zu sein. Beim Blick auf diese Zahlen darf allerdings nicht vergessen werden, dass andererseits Zehntausende sich an "Talkas" beteiligten (unbezahlte Arbeitseinsätze für bestimmte Projekte, an bestimmten Tagen), und auch erstaunlich viele schon einmal gespendet haben in Lettland: für Bedürftige, Nachbarn oder Freunde in Not, oder über das Portal "Ziedot.lv".

mit dem Handewitter Bürgermeister Dr. Christiansen
(2.v.rechts) im Kreis deutscher und lettischer Gemeinde-
vertreter zu Gast bei der vielleicht bekanntesten Marke
des Ortes: in der Halle der SG Flensburg-Handewitt
Auf der anderen Seite stehen Menschen in Handewitt, Geesthacht, Bordesholm, Melle, Gütersloh oder Willich, die es gewohnt sind, dass im Notfall ein auf ehrenamtlichen Kräften aufbauender Katastrophendienst, die freiwillige Feuerwehr, oder ein Sozialdienst einspringt. Noch dazu sind diese gemeinnützigen Dienstleistungen mit vergleichsweise sehr guter Technik ausgestattet, so dass die Unterhaltskosten auch die Meßlatte der notwendigen Aufwändungen ergibt. Vieles geschieht integriert ins regionale Vereinsleben, und wer dort integriert ist der beteilligt sich meist auch mit einem ehrenamtlichen Beitrag.

Es bringt aber sicherlich nicht weiter, die Situation in beiden Ländern nun wertend gegeneinander aufzuwiegen. Innerhalb längerandauernder Partnerschaften kommt es vielmehr darauf an, Einseitigkeit zu vermeiden. Auf Seiten derjenigen, die öfter spenden für Projekte im Partnerland, könnte das Gefühl aufkommen ein "Faß ohne Boden" vor sich zu haben. Und auf Seiten derjenigen, die öfters Spenden annehmen, könnte angesichts von oft im Ausland nicht so sichtbaren Stärken der eigenen regionalen Wirtschaft das Gefühl entstehen, die andere Seite erwarte nur devote Dankbarkeit.

Natürlich ist es für eine möglichst gleichberechtigte Diskussion wichtig, bestimmte Grundlagen einer solchen Veranstaltung abgesichert zu haben. Es braucht Gemeindevertreter, die auch eigene Ausgaben ihren eigenen Gemeindemitgliedern gegenüber im Sinne der Partnerschaft rechtfertigen können. Es braucht EU-Projektzuschüsse, aufgrund der Größe der Veranstaltung (an die 150 Teilnehmer/innen) unverzichtbar. Es braucht auch Partnerschaftsverantwortliche, die sich nicht nur im Sinne möglichst großen Eigenlobs immer selbst in der eigenen Presse feiern lassen, sondern sich dem Austausch mit anderen deutsch-lettischen Erfahrungen stellen und diesen Austausch nicht nur ertragen, sondern auch fördern. Davon sind viele deutsch-lettische Partnerschaften leider noch weit entfernt; es hat sich allerdings im Laufe der letzten Jahre eine Art "familiäres Verhältnis" unter den lettischen und deutschen Beteiligten der vergangenen fünf Treffen herausgebildet, das eine Fortsetzung dieser Aktivitäten als selbstverständlich erscheinen lässt. Auch die wechselweise Gastgeberrolle scheint inzwischen fest etabliert: nach Selm 2009 war es Salacgriva 2010, Handewitt 2011, und wird es Jēkabpils 2012 und Melle 2013 sein. Verbunden sogar mit der Hoffnung der "Ausschuss der Regionen (der Europäischen Union)" könne sich in Zukunft speziell der deutsch-lettischen Partnerschaftstreffen annehmen - in Anerkennung dessen, was von den beteiligten Gemeinden bisher bereits geleistet wurde.

Und wem das alles zu theoretisch vorkommt, oder zu idealistisch, der kann sich auf den Partnerschaftstreffen jedesmal an den Ergebnissen der parallel ermöglichten Jugendtreffen erfreuen. Schon die lebenden Präsentationen zum Abschluß lassen keine Langeweile aufkommen, und persönliche enge Kontakte zu Partnerland oder Partnerstadt erscheinen da plötzlich auch für die Zukunft als ganz selbstverständlich. 

Weiter Eindrücke: 
Fotos vom 5.deutsch-lettischen Partnerschaftstreffen in Handewitt 2011

3. Deutsch-Lettisches Partnerschaftstreffen 2009 in Selm

Wer laut wird, hat Recht oder Zufallsgenerator an die Wahlurnen!

In Lettland hat jüngst der Vertreter einer Splitterpartei eine live übertragene Diskussion von Kandidaten zur vorgezogenen, außerordentlichen Parlamentswahl gestört. Der Mann fiel zunächst mit einigen Anhängern sowohl vor Beginn der Sendung als auch während der Übertragung durch laute Kommentare und pfeifen auf und wurde von den Moderatoren um mehr Disziplin gebeten. Auf diese Aufforderung reagierten die Angesprochenen jedoch nicht. Während der eine die Veranstaltung zu stören versuchte, wurde das Geschehen von einem anderen gefilmt. Ein Beteiligter reagierte während einer Werbeunterbrechung auch auf weitere Bitten selbst des Publikums nicht, sondern stürmte auf die Bühne. Er überschüttete die Kandidaten Augsust Brigmanis von der Union aus Grünen und Bauern und den Vertreter von „Alles für Lettland!“, Imants Parādnieks mit Wasser und wurde von der Polizei verhaftet.

Der während der Sendung in Bauska verhaftete Dainis Grabovskis behauptet nun, er habe nicht persönliche Aufmerksamkeit erregen wollen, sondern verlange gleiches Recht für alle. Er kandidiert für die Partei „Volkskontrolle“ und ist führendes Mitglied eines Vereins von Globalisierungsgegnern und wollte in der Funktion als Kandidat ebenfalls an der Fernsehdebatte teilnehmen dürfen. Es sei unfair, daß nur die großen Parteien zu solchen Sendungen geladen würden. Auf der Bühne stünden die Vertreter von im Parlament vertretenen Parteien, die im Juli durch Referendum entlassen worden seien, aber neue politische Kräfte, die angetreten seien, etwas im Lande zu verändern, erhielten keine Chance.

Grabovskis wird minderschweres Randalieren vorgeworfen, ihm droht eine Geldstrafe im „Wert“ von 15 Tagen Haft. Der Festgenommene stand nicht unter Alkoholeinfluß.

Armands Agrums von den Christdemokraten kritisierte im lettischen Radio zwar die Methoden von Grabovskis, stützt aber dessen Meinung, daß kleine Parteien weniger Möglichkeiten zur Darstellung in den Medien erhielten. Das Fernsehen sei schließlich kein Privatunternehmen und werde von den Steuern finanziert, die alle zahlten. Er meint, gegebenenfalls könnten sich dann ja die kleinen politischen Kräfte auch als die schlechtere Alternative präsentieren. Kaspars Lazdāns von der Partei Freiheit, frei von Mehrwertsteuer, Haß und Wut und pflichtet dem ebenfalls bei, es müsse eigentlich Gleichheit herrschen, doch die Umfragewerte „sortierten“ schließlich die Parteien. Das lettische Fernsehen rechtfertigt sich mit dem Argument, Debatten mit zu vielen Teilnehmern seien für den Zuschauer langweilig.
Der Jura-Dozent der Universität Lettlands, Dr. Artūrs Kučs, sagte dem lettischen Radio ebenfalls, daß die öffentlichen Medien in Lettland auf diese Weise die Prinzipien der Verfassung mißachteten. Die Wähler hätten ein Recht darauf, auch auf die Meinung der Splitterparteien zu hören. Sein Vorschlag, das Prinzip, allen eine Chance zu geben und die Zahl der Debattenteilnehmer gleichzeitig zu begrenzen: Bei den Einladungen sollte das Fernsehen das Zufallsprinzip anwenden.

Der Mann sollte noch einmal eine Stunde Mathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung nachholen. Auf diese Art und Weise könnte es erstens zu Debatten nur zwischen Splitterparteien kommen und in Umfragen an der Spitze stehende Parteien total ausgeschlossen werden. Bei 6 aus 49 ist die Wahrscheinlichkeit, daß mehrfach die gleiche Kombination entsteht nicht kleiner als die, daß die gleiche Zahl kein zweites Mal gezogen wird. Das öffentliche Fernsehen darf, auch wenn es von allen finanziert wird, nicht das Interesse der Zuschauer ignorieren. Eine Mehrheit der Zuschauer hat auch die Mehrheit der Finanzierung geleistet. Freilich soll an dieser in keiner Weise einer in Lettland verbreiteten Meinung das Wort geredet werden, Demokratie sei die Diktatur der Mehrheit.