19. August 2009

Partnertreffen mit Polizeibetreuuung

Lettland in der Krise - wie kann deutsch-lettische Partnerschaft helfen? Diese Fragestellung tauchte auch beim 3.Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforum vom 12.-16.8. 2009 in Selm-Bork (Nordrhein-Westfalen) immer wieder auf. Ein Treffen, zum großen Teil finanziert durch Gelder der Europäischen Union, das auf ungewöhnlichem Terrain stattfand: auf dem Trainingsgelände der nordrhein-westfälischen Polizei (= NRW-Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten d. P.). Da die zahlreich angereisten lettischen Gäste hier ja nicht "zur Abhärtung" über Trainingsparcours gescheucht wurden, konnte man die Annehmlichkeiten dieser sorgfältig umzäunten und für 700 Polizeianwärter großräumig ausgelegten Anlage genießen und hier, auf gut bewachter Dienstreise, die Sorgen des Alltags in Lettland zu vergessen versuchen.

Krisenstimmung
775 Millionen Euro musste Lettland Ende vergangenen Jahres zur Rettung der maroden PAREX-Bank einsetzen. Damit war die Krise da - daran erinnerte nochmals Ilgvars Kļava, Botschafter Lettlands in Deutschland, in einem Gastvortrag in Selm. Weitere 1,2 Milliarden Euro wurden zur Stabilisierung der Bankgeschäfte eingesetzt - etwa ein Fünftel des gesamten Staatshaushalts. Auch in Estland und Litauen gab es ähnliche Schwierigkeiten, aber keine Bankpleite wie Parex - hier liegt der Unterschied für Lettland, meinte Kļava. Seit 2004 konnte Lettland mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum um die 10% rechnen, für 2008 ist nun ein Rückgang um 18% vorausgesagt. "Ähnlich große wirtschaftliche Schwerigkeiten hatten wir nur kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion," sagt Kļava, "nun liegt dies wie eine schwere Last auf den Schultern aller Einwohner Lettlands."

Drastisch zurückgehende Steuereinnahmen, Sparzwang in den öffentlichen Haushalten, steigende Arbeitslosigkeit, Schwierigkeiten in fast allen öffentlich subventionierten Sektoren - so auch bei der Polizei, dem Gesundheitswesen, den Schulen und Hochschulen. Wo Lehrern bis zu 40% ihres Lohnes kurzfristig gekürzt werden, ganze Kranken- häuser von Schließung bedroht sind, und die Schließung der lettischen Polizeiakademie bereits beschlossene Sache zu sein scheint - was können deutsch-lettische Städtepartnerschaften daran ändern?

Nein, Resolutionen an die zuständigen Regierungen suchte man auf dem Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforum vergebens. Auch Elmar Brok, Vorsitzender der Europaunion und Abgeordneter im Europaparlament, wurde eher wie ein "Freund der Familie" empfangen, und beantwortetet Fragen nach mehr Bürgerbeteiligung professionell mit einem schlichten "Wenden Sie sich an mein Büro". Auch das abendlich auf dem Polizeisportplatz abgebrannte Feuerwerk hätten sich manche der Teilnehmer auch lieber direkt in praktisch angewandte Hilfsmaßnahmen umgewandelt gewünscht.

Sorgen hier und dort
Deutlicher vernehmbar war da die vorsichtige Anfrage von deutscher Seite, ob nicht doch wieder eine vermehrte Berechtigung bestünde, Aktionen humanitärer Hilfe neu aufzulegen. Vorsichtig deshalb, weil viele sowohl auf der öffentlichen wie
persönlichen Ebene mit ihren Partnern inzwischen dahingehend überein gekommen sind, dass nur Aktionen mit gegenseitigem Wert wirklich einen Sinn haben. Wer sich allzu leicht selbst als "Retter Lettlands" ausruft, Geld oder Dinge aus 2.Hand sammelt, um sie dann in aufwändigen Transportaktionen und selbstverständlich mit Pressebegleitung nach Nordosten zu transportieren, der könnte auch übersehen, wie bessere Wirkung vor Ort auch mit einfacheren und vor allem lokalen Mitteln erreicht werden könnte.

Insbesondere die aktiven Partnerschaften des Kreises Gütersloh und der Gemeinden Willich (NRW) und Handewitt (Schleswig-Holstein) bildeten den Kern dieser Diskussion, denn sie konnten die bereits aus langjähriger Zusammenarbeit persönlich bekannten Personen aus Lettland nach Selm einladen (weitere auf deutscher Seite durch Teilnehmer vertretene Städte und Gemeinden z.B. Bremen, Bordesholm, Bodenteich, Darmstadt, Dülmen, Halle, Harsewinkel, Melle, Köln).
So entwickelte sich eine erstaunlich offene Diskussion, die auch die auf lettischer Seite vor- handenen latenten Ängste nicht unter den Tisch kehrte: werden nicht unsere (lettischen) besten Kräfte angesichts der Lohneinbußen unserem Land wieder vermehrt den Rücken kehren? Sogar den Jugendaustausch und auch Studierende in Deutschland begleiten oft solche Befürchtungen: wenn unsere Kinder erstmal sich an das Leben in Deutschland gewöhnt haben, werden sie auch zurückkehren und das aufbauen helfen, was hier (in Lettland) so dringend notwendig ist?

Deutsch anbefohlen - Lettisch bei Seite gelassen
Deutsch nimmt ab - Russisch nimmt zu. Auf dem Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforum waren Zahlen zu hören: 2008 lernten noch 13% der Schülerinnen und Schüler in Lettland Deutsch - etwa 236.000 Lernende sind das, knapp über 500 Lehrende. An dem Motto "Deutsch hat Zukunft" arbeiteten sich in einem Arbeitskreis des Partnerschaftsforums deutsche und lettische Gäste gemeinsam ab. Englisch miteinander zu reden, das scheint vielen (Deutschen) hier nach eigenem Bekunden nur ein gruseliges Gefühl auszulösen. Verwunderlich allerdings, dass gleichzeitig niemand auch nur den Finger heben wollte um Lettischkenntnisse und die Förderung von Lettischkursen in Deutschland zu bestärken. Da gingen selbst einige der geladenen Polit-Referenten gleich mehrere Schritte weiter - die Notwendigkeit gleichberechtigter und wechselseitiger Maßnahmen betonend.

Gut angelegtes Geld
Insgesamt läßt sich berichten, dass die 30.000 Euro, die seitens der EU als Unterstützung für dieses Vernetzungstreffen deutsch-lettischer Partnerschaftsinitiativen bereit stellte, sicherlich gut angelegt waren. Immerhin sind ähnliche Bemühungen, zu einem Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen Menschen und Gruppierungen mit deutsch-lettischem Hintergrund zu kommen, bereits über 10 Jahre her (1997 in Düsseldorf, 1993 in Bonn-Annaberg). Ob diejenigen, die sich in Selm-Bork unter vorzüglicher Polizei- betreuung trafen, in der Lage sein werden, dieses Netz weiter zu knüpfen, das muss allerdings abgewartet werden. Es gibt bisher weder eine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit (Satzung oder Verein), noch demokratisch strukturierte Regeln der Vernetzung und Beschlußfassung.

Wer repräsentiert hier eigentlich wen (und mit welchem Ziel)? Diese Frage musste allzu oft undiskutiert im Raum stehen bleiben. So blieb vorerst jeder bei seiner persönlichen Zielsetzung: für die einen ist das Deutsch-Lettische Partnerschaftsforum ein wenig Ersatz (Spielwiese?) für allzu zögerliche Bürgermeister innerhalb bestehender Gemeindepartnerschaften, für die anderen schlichtweg Mittel zur eigenen Öffentlichkeitsarbeit (mit Tendenz zum Zimmern an persönlichen "Denkmälern"). Und trotz jahrelanger Bekanntschaften sowohl unter den deutschen wie den lettischen Teilnehmern erscheint die beliebteste Form der gemeinsamen Beschlußfassung bisher noch die reine Akklamation zu sein: per bürgermeisterlicher Verkündung wurde das nächste (dann vierte) Deutsch-Lettische Partnerschaftsforum für Ende August 2010 im lettischen Salacgriva angekündigt.

Weitere Infos:
Eindrücke vom Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforum in Selm-Bork 2009

Informationen des Deutsch-Lettischen Freundeskreises Willich

Partnerschaft der Kreise Gütersloh (D) und Valmiera (LV)

LAFP Selm

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