23. September 2005

Schröders Vorbild: Aigars Kalvitis?

Die Tageszeitung DIE WELT stellt in ihrer Ausgabe vom 22. September 2005 eine interessante These auf (unterst�tzt von Informationen der Nachrichtenagentur AFP): in allen drei baltischen Staaten wird das praktiziert, was Kanzler Schr�der sich in seinem allgemein als "anma�end" empfundenen Fernsehauftritt nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in Deutschland gew�nscht hatte. Auch der Lette Aigars Kalvitis ist Regierungschef, obwohl seine Partei nicht die st�rkste Partei oder Fraktion im Parlament ist.

Zitat DIE WELT: "In Lettland f�hrt der Chef der konservativen Volkspartei, Aigars Kalvitis, seit Dezember 2004 eine Mehrparteien-Koalition, obwohl seine Partei mit 21 Sitzen nicht die st�rkste Kraft im Parlament ist. Doch sein wichtigster Koalitionspartner, die rechtsliberale Neue Zeit, scheiterte zuvor trotz ihrer 26 Sitze an der Bildung einer Regierung. Zum Regierungsb�ndnis geh�ren au�erdem die christdemokratische Erste Partei und die Gr�nen/Bauernunion. Letztere hatten zuvor gemeinsam mit der konservativen Volkspartei eine Minderheitsregierung gebildet, wobei die Gr�nen zum ersten Mal in Europa den Regierungschef gestellt hatten. Die Regierung hielt allerdings nur acht Monate."

Das von vielen Politologen als "chaotisch" und instabil beschriebene Parteienwirrwarr Lettlands als Vorbild f�r Schr�der? Es wirkt ein wenig bizarr, beinhaltet aber doch �berraschende Parallelen. Immerhin gelingt es Kalvitis derzeit, den "Citplanietis" ("Ausserirdischen") und Hauptegomanen der lettischen Politik, Einars Repse, soweit im Zaum zu halten, dass dessen Partei inzwischen nicht mehr unangefochten als Nr.1 im Lande gilt. Siehe Foto unten. Also: Auf zur Dienstreise, Herr Schr�der!

Foto: Kalvitis (oben), muss seine Exzentriker in den "befreundeten Parteien" immer im Auge behalten ...

22. September 2005

Letten sichern schwedische Sozialleistungen - und ernten heftigen Protest
Der schwedische Wohlfahrtsstaat ist f�r seine hohen Steuern, aber auch f�r seine weitgehenden Sozialleistungen bekannt. So ist in der deutschsprachigen Fassung der Infobrosch�re "Service f�r �ltere" der schwedischen Hauptstadt Stockholm zu lesen: "Die Stadt Stockholm hat die Ambition, f�r alle �lteren in Stockholm ein Kontaktnetz von Sicherheit, F�rsorge und Service bereitzuhalten, f�r das u.a. die Altersf�rsorge der Stadtteilverwaltungen verantwortlich ist. Das Ziel der Altersf�rsorge ist es, jedem, der auf eigenen Wunsch in seiner gew�hnlichen Umgebung wohnen bleiben m�chte, dieses zu erm�glichen und dort den f�r das t�gliche Leben notwendigen Service und andere Hilfeleistungen anzubieten."

Dies sind bei weitem nicht die einzige Dienstleistungm, die Stockholm seinen �lteren B�rger/innen anbieten. Laut dem schwedischen Gesetz �ber Sozialleistungsdienst hat jeder, der sich in einer Gemeinde aufh�lt, ein Recht auf Sozialhilfe f�r seine Versorgung und sonstige Lebensf�hrung. Das schlie�t das Recht f�r �ltere ein, beim Sozialamt finanzielle Hilfe daf�r zu beantragen.

F�r �rger und Aufsehen sorgte jetzt die Regelgung, auch einen Fahrdienst in Anspruch nehmen zu k�nnen. Den Informationen der zust�ndigen Beh�rde zufolge kann jeder, der "aufgrund von k�rperlichen Behinderungen Schwierigkeiten bei der Benutzung von �ffentlichen Verkehrsmitteln hat", ein Recht auf Fahrdienst haben und die M�glichkeit haben, in einem Taxi oder Spezialauto zu niedrigen Kosten bef�rdert zu werden. Der Provinziallandtag tr�gt die Verantwortung f�r den Fahrdienst im Regierungsbezirk Stockholm.
Laut einem Bericht der lettischen Tageszeitung DIENA vom 21.September 2005 zufolge verlegte jetzt eine der f�r die Bef�rderung der �lteren Leute in Stockholm zust�ndige Firma ihre Telefonzentrale ins lettische Riga. Ab dem 16.Oktober sollen Anfragende von Lettland aus betreut werden. 20 lettische Angestellte, die in Stockholm geschult werden und auch eine Sprachpr�fung in Schwedisch absolvieren m�ssen, sollen Anfragen aus 28 schwedischen Kommunen bedienen.

W�hrend der schwedische Taxiunternehmer bekannte Argumente auff�hrt ("wenn ich die hohen Personalkosten nicht abbaue, m�sste ich 25 Angestellte entlassen"), erntet die Ma�nahme vor allem Protest bei den schwedischen Rentnerverb�nden. "Das ist doch absoluter Wahnsinn! Wie sollen sich denn diese Leute in Stockholm orientieren k�nnen?" So wird Anita Mikus, Ombudsfrau beim schwedischen Rentnerverband in der DIENA zitiert. "Wir haben nichts mit dieser Firma zu tun, aber wir m�ssen die Interessen unserer Mitglieder sch�tzen", so Mikus. "Viele rufen uns an und bef�rchten, das die Qualit�t der Dienstleistung sich verschlechtert, oder komplizierter wird. Viele Rentner haben ausserdem auch selbst Sprech- oder H�rprobleme, und der lettische Akzent ist Ihnen ungewohnt, und schwer zu verstehen."

Die zust�ndige Stadtverwaltung in Stockholm dagegen hat keine Einw�nde gegen diese angesrebte Neuordnung des Fahrdienstes. Die gewohnte Telefonnummer bleibe unver�ndert, und viele der Betroffenen w�rden gar nicht bemerken, dass sie von ausserhalb Stockholms bedient w�rden, so ein Sprecher der Stadtverwaltung in der DIENA. Schlie�lich k�nne man auch auf die Erfahrungen einer anderen schwedischen Firma in diesem Gewerbe bauen, das seine Telefonzentrale nach Tallinn verlegt habe. Angeblich seien die Erfahrungen durchweg positiv gewwesen.

17. September 2005

Warten auf Merkel
Am Tage vor der Bundestagswahl in Deutschland gibt es f�r die lettische Presse nur einen Aufmacher: Merkel ist bereit zum Regieren. "Mit dem Wechsel in der deutschen Regierung wird es eine neue deutsche Aussenpolitik geben", so titelt die Tageszeitung DIENA am 17.September. Im gleichen Beitrag werden Aussagen der BBC zitiert, nachdem ungleich zur letzten Wahl, als die aussenpolitischen Programme der beiden gro�en Parteien weitgehend gleich gewesen seien, k�nne sich diesmal Deutschlands Rolle in der Welt �ndern. Vor allem in den Beziehungen Deutschlands zu Russland, zu den USA und zur T�rkei erwartet die lettische Presse �nderungen.

"Wir werden gr��ere Aufmerksamkeit auch auf die Interessen der kleineren Staaten in Europa legen", so wird Wolfgang Sch�uble, in Merkels Schattenkabinett zust�ndig f�r Aussenpolitik, aus einem Interview in "DIE WELT" zitiert. Ebenfalls Sch�uble werden Aussagen zugeschrieben, nach denen er die Pl�ne Russlands und Deutschlands zum Bau einer Gaspipeline kritisiert, denn die baltischen Staaten und Polen seien �bergangen worden.

DIENA zitiert ausserdem drei Stimmen zur Wahl in Deutschland.
"Schr�der ist mehr orientiert an den Gespr�chen zwischen den Gro�m�chten, um ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen. Merkel dagegen will auch die kleinen Staaten einbeziehen. Aus der lettischen Perspektive gesehen, w�re ein Sieg Merkels positiv. In den Beziehungen zu Russland wird Merkel auch die schwierigen Fragen, wie zum Beispiel zum Thema Tschetschenien, mit ansprechen. Nach Merkels Sieg wird man nicht mehr von der Achse Deutschland-Frankreich sprechen k�nnen, welche die Weiterentwicklung Europas aufh�lt. Sie respektiert mehr den europ�ischen Stabilit�tspakt. W�hrend Schr�ders innenpolitische Reformen mehr kosmetischer Art waren, wird Merkel es grundlegender angehen." Toms Rostoks, Politologe

"Alles wird davon abh�ngig sein, ob der Sieg Merkels ein �berzeugender Sieg sein wird. Wenn wir uns die Aussenpolitik unter Kohl oder unter Schr�der ansehen, gab es meiner Ansicht keinen gro�en Bruch. Es k�nnte nun nat�rlich eine Verbesserung des Verh�ltnisses zu den USA geben, und Merkel k�nnte enge Beziehungen zu dem vielleicht kommenden Pr�sidenten in Frankreich aufbauen, Nikolas Sarkozy aufbauen. Es k�nnte auch sein, dass beide die Rolle Frankreichs und Deutschlands im zuk�nftigen Europa neu definieren. Merkel k�nnte auch bestrebt sein, die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU wieder zu beleben. Die Beziehungen zu Russland k�nnten sich ver�ndern, und k�nftig w�rde nicht mehr, so wie bei Schr�der, �ber die K�pfe der Polen hinweg entschieden." Ojars Skudra, Doktor der Geschichte und Universit�tsdozent.

"Von Deutschland ist auch der Erfolg Eurropas abh�ngig, und Merkels Angebote scheinen besser. Jedoch zweifle ich daran, ob es nach der Wahl gro�e Ver�nderungen gibt. Positiv zu werten ist nat�rlich der Wunsch von Merkel, die Interessen Osteuropas ernster zu nehmen. Sie will auch die Beziehungen mit Russland ver�ndern - das zeigt auch das k�rzliche Treffen mit Putin, als sie das Gespr�ch zun�chst in Russisch f�hrte. F�r Merkel wird die Europapolitik wichtiger sein, als sie es f�r Schr�der war. Meiner Meinung nach wird man sich in Deutschland mehr der klassischen Werte bewu�t werden, mit denen die gegenw�rtige Regierung gebrochen hat. Dennoch wird sich wohl in den Beziehungen zwischen Deutschland und Lettland nichts wesentliches �ndern."
Andris Gobins, Pr�sident der lettischen europ�ischen Bewegung.

Mein Kommentar:
Auf den ersten Blick scheinen sich in Lettland viele Menschen von einer Kanzlerin Merkel einiges zu versprechen. Aber ist dies nicht eher der fehlenden Deutschlandkenntnis der lettischen Journalisten zuzuschreiben, wie auch einer gewissen grunds�tzlichen Sympathie mit den Konservativen? Die f�hrende lettische Machtelite ist stolz auf die guten Beziehungen zu den USA, die ihnen erst k�rzlich im Mai 2005 mit dem exklusiven Besuch des US-Pr�sidenten Bush den R�cken gegen�ber russischen Anspr�chen st�rkte. Also: Meines Freundes Freundin ist auch meine bevorzugte Gespr�chspartnerin, k�nnte das Motto lauten.
Ausser der DIENA �ussern sich andere lettischen Zeitungen, wie etwa "Neatkariga Rita", auch zur�ckhaltender. Und in manchen Zeitungen, wie die "Latvijas Avize", scheint die Wahl in Deutschland gar keine so gro�e Rolle zu spielen. Allerdings wird ein nicht unbedeutender Faktor nahezu von allen lettischen Kommentatoren vergessen: Pr�gend f�r die Aussenpolitik unter Kohl war vor allem immer ein FDP-Aussenminister. Und was die so im Parteiprogramm f�r die aussenpolitische Zukunft stehen haben, das hat sich wohl niemand richtig angesehen. Ob die Versprechungen von Merkel und Sch�uble gegen�ber den "kleineren Staaten" in Europa wohl �berhaupt zum Tragen kommen, wenn sich letztendlich doch das "Business as usual" der Wirtschafts- und Neoliberalen durchsetzt? Denn wie wir es gewohnt sind, regiert dort auch eher der Grundsatz: Nur es nicht verderben mit denjenigen, mit denen man Gesch�fte machen kann. Also w�re dann auch mit einer CDU-FDP-Regierung wieder "alles beim Alten", und die Balten, die selbst h�chstens als Bauland f�r westlich dominierte Supermarktketten taugen, aussen vor.

14. September 2005

Frau Ministerin offensiv

In einem Interview für die das Schweizer Komittee der Europäischen Kulturstiftung äussert die lettische Kulturministerin Helena Demakova Erstaunliches:
"Die Schweiz ist das langweiligste Land der Welt" provoziert sie ihre Diskussionspartner - an dieser Stelle verzeichnet die schriftliche Fassung des Gespr�chs noch ein Lachen (es ist nicht nachzuvollziehen, ob es ironisch gemeint war). Befragt danach, wie sie der Angst vieler Schweizer vor einem Zustrom von Osteurop�ern (also auch Letten) begegnet, wird Demakova noch deutlicher: "Städte wie Berlin oder Rom sind doch wesentlich anziehender. Ich habe noch nie einen jungen Letten kennengelernt, der davon tr�umte, (bei Ihnen) in der Schweiz zu leben!"

Auch zur Frage der Perspektiven für Europa nimmt die lettische Kulturministerin kein Blatt vor den Mund: "Was die Europäer im Grunde am stärksten bedroht, ist ihre wirtschaftliche Schw�che aufgrund ihrer mangelnden Flexibilität."
Sie nennt auch Beispiele: "Ich glaube aber, dass beispielsweise die Lage der von der Union subventionierten französischen Bauern kein Mindeststandard ist. Sie leben wie im Paradies! Einen solchen Lebensstandard wird man niemals allen Bauern des Kontinents gewährleisten. Und wenn ich daran denke, dass genau diese Bauern gegen die Europäische Verfassung gestimmt haben, begreife ich überhaupt nichts mehr. Eine ziemliche Dreistigkeit!"

Oho, Frau Ministerin! Das wird die Franzosen nicht freuen, und klingt nach Parteinahme für die Konzepte von Tony Blair.
Aber auch bezüglich der Situation des eigenen Landes, bleibt die Lettin selbstbewußt: "Ich kann mit Stolz sagen, dass es sehr einfach ist, Lette zu werden. Viel einfacher, als zum Beispiel die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten."
Demakova ergänzt: "Tatsache ist, dass Russland keine demokratische Macht ist. Es sucht aus innenpolitischen Gründen Streit mit uns. Doch zugleich unterhalten wir mit Russland intensive, insbesondere wirtschaftliche Beziehungen, die dadurch erleichtert werden, dass in Lettland viele Menschen fließend russisch sprechen."


Das vollständige Interwiev, mit Datum vom 24.August 2005, ist zu lesen auf den Seiten des Schweizer Komitees der Europ�ischen Kulturstiftung, die hiermit eine Diskussionsveranstaltung ank�ndigen wollte, die am 9.September 2005 unter dem Motto "der Osten hat das Wort" in Bern stattfand. Diskutanten waren hier unter anderem auch Borislaw Geremek und Tomasz Kowakowskiaus aus Polen, Tereza Brdeckova aus der Tschechischen Republik und Laszlo Rajk aus Ungarn.

8. September 2005

Radlerparadies Lettland - aber nicht in Riga!

Auch 2005 haben immer mehr Radtouristen die baltischen Staaten entdeckt. Besonders der Tourismus auf dem Lande wei�, was den Radlern zu verdanken ist: gerade die Deutschen nehmen gern das Radl mit und pr�gen so auch in den baltischen Landen die Tourismusentwicklung. Mehrere F�hrlinien �ber die Ostsee freuen sich ebenfalls �ber den G�steansturm, und die Zahl der Radreiseberichte zum Thema "Baltikum" nimmt nicht nur im Internet zu.

Allerdings m�ssen die Radreise-Interessierten immer noch einen gro�en Bogen um die Stadt machen, die gern sich so gern "baltische Metropole" nennt. Hier kollabiert nicht nur der PKW-Verkehr Tag f�r Tag in einem Ma�e, dass ein Radausflug in die lettische Hauptstadt schon l�nger Zeit schlicht einfach als "gef�hrlich" einzustufen ist.

Bild unten:
Radfahren in Riga - Abenteuer auf eigene Gefahr....

Ein Bericht der Tageszeitung RIGAS BALSS von Anfang dieser Woche best�tigt nun erneut diese Zust�nde.

Trotz steigender Zahl der Unf�lle mit Fahrr�dern im Stadtverkehr hat die Stadt Riga die Sicherung und Entwicklung des Fahrradverkehrs v�llig verschlafen.

Es folgen Ausz�ge aus einem Beitrag der Journalistin Laura Brance (sinngem�� �bersetzt).

Schon wieder ein Fahrradfahrer vom Auto �berfahren
Beitrag von Laura Brance, RIGAS BALSS

Der Bau von Radwegen geht nur langsam voran, obwohl jetzt auch der Rigaer Stadtrat beginnt die mindestens 10.000 Radler in Riga zu unterst�tzen. Immer wieder gibt es Unf�lle.

Ein Velokurier, der in der ersten Septemberwoche von den Vorderreifen eines Autos �berfahren wurde, blieb direkt mitten vor dem Auto liegen. Der Mann �berlebte und wurde ins Krankenhaus eingeliefert.

Auf den Stra�enbahnschienen zu Fall gekommen
Der Fahrer eines Mercedes war Freitag morgen um etwa 9.30 Uhr auf der VEF-Br�cke Richtung Zentrum gefahren, als er sich pl�tzlich fragte, ob nicht vor dem Auto ein Radfahrer gelandet w�re. Die Information der Polizei sagte nichts dar�ber aus, was die genaue Untersuchung des Unfallhergangs ergeben hat. Aigars Berzins konnte als Polizeisprecher nichts dar�ber sagen, wei schwer die Verletzungen seien, aber "leicht seien sie sicher nicht". In diesem Jahr n�hert sich in Riga die Gesamtzahl der verletzten und zu Tode gekommenen Radler bereits der 100. Daher bem�ht sich die Stadtverwaltung auch darzulegen, dass etwas geschehe, damit auch die Sicherheit dieser Verkehrsteilnehmer erh�ht werden kann.

Radwege auf Fusswegen angeblich unrealistisch
Der Pressesprecher der Verkehrsabteilung in der Stadtverwaltung, Andris Pudans, erz�hlte RIGAS BALSS, dass spezielle abgetrennte Fahrradstreifen auf Rigas Fu�g�ngerwegen praktisch unm�glich seien, obwohl diese Praxis ja im sonstigen Europa weit verbreitet sei. Rigas Fu�g�ngerwege seien nicht so breit, und dazu schlie�en an vielen Stellen noch die Haltestellen der �ffentlichen Verkehrsmittel diese M�glichkeit aus: dort k�nnte es zu Zusammenst��en mit anderen Verkehrsteilnehmern kommen. Daher m�sse es zum Bau spezieller Radwege kommen, die nach M�glichkeit auch weit ab von Hauptverkehrswegen entstehen sollen, so Pudans. Gegenw�rtig f�hre der einzige innerst�dtische Radweg von vom Ortsteil Imanta ins Zentrum. Die Stadt plant eine Verl�ngerung bis nach Bergi un Vecmilgravis. Am besten sei eine Verl�ngerung gleich bis hinaus nach Vecaki, erg�nzt der Pressesprecher des Stadtrats, Dzintars Zaluksnis.

Die versprochenen Millionen
Im st�dtischen Kommittee f�r Verkehrsfragen hat f�r das kommende Jahr 2006 ein Radweg vom Zentrum nach Vecm?lgr?vis h�chste Priorit�t. Dieses 1,32 Millionen-Lat Projekt (ca. 1,9 Millionen Euro) wurde k�rzlich auf der Priorit�tenliste des Komittees von Platz 19 hinauf auf Platz 4 gesetzt. Dennoch muss diese Projektliste erst noch vom Komittee f�r Haushalts- und Finanzfragen und auch vom Stadtrat selbst noch genehmigt werden. Erst im Dezember wird gekl�rt werden k�nnen, wie der Haushalt f�r 2006 genau aussehen wird.
Zaluksnis wertet speziell den Abschnitt auf der Brivibas iela in der N�he der lettischen sportp�dagogischen Akademie als "Todessstreifen" f�r Radfahrer, mehrere Kilometer lang. Auf die Projektierung einer Umgestaltung muss hier noch lange gewartet werden. Auch f�r eine beantragte staatliche Hilfe von 59.648 Lat (85.714 Euro) f�r einen Radweg vom Zentrum nach Darzini, soll nun angeblich genauso wie der Radweg nach Bergi (15.000 Lat / 21.500 Euro) hohe Priorit�t bekommen. Bisher existiert aber nach den Worten von Zaluksnis noch kein einziger Fall, dass eine solche Beihilfe vom lettischen Staat auch tats�chlich gew�hrt wurde.

In Zahlen:

Tote bei Radlerunf�llen in Riga Januar bis August 2005: 3
Verletzte im gleichen Zeitraum: 75


Infos �ber Radfahren in den baltischen Staaten, �ber Radtouren-Angebote, und Kontakt zu Radlerinitiativen erhalten Sie am besten
- �ber die Internet-Seite des Projekts BALTIC CYCLE (Ansprechpartner in Litauen): www.bicycle.lt
- �ber den Fahrradclub ADFC: www.adfc.de
- beim estnischen Fahrradklub V�NTA �GA: www.bicycle.ee
- bei den Velokurieren von Riga: www.velokurjers.lv
- und nat�rlich auf den Seiten von www.infobalt.de

Foto unten:
Fahrradkurier in Riga - ein gef�hrlicher Job!

2. September 2005

Was bringt den Balten ein Regierungswechsel in Berlin?

Wie auch im Estland-Forum bereits diskutiert, denken die Balten inzwischen laut dar�ber nach, was ihnen ein Regierungswechsel in Deutschland wohl bringen wird. Dabei muss man allerdings wissen, dass es sich seit den 90er Jahren in weiten Kreisen in Estland, Lettland und Litauen eingeb�rgert hat, von Deutschland eher wenig zu erwarten. Allzu deutlich war auch Kanzler Kohls "M�nnerfreundschaft" mit Jelzin, also die Konzentration der Aussenpolitik Deutschlands in erster Linie auf Russland. Der damalige Aussenminister Kinkel, sozusagen der Inbegriff des Images seiner "Anwaltspartei" FDP, verk�rperte den Spruch "Deutschland ist der Anwalt der Balten" perfekt: 10 relativ wage formulierte Thesen lie�en sich dazu in verschiedenen Papieren der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung finden, aber umgesetzt wurde in Richtung einer Modernisierung des deutsch-baltischen Verh�ltnisses wenig. Es war die Zeit der "Heimatt�melei" - so wie die Reisebranche damals noch davon leben konnte, dass sich lediglich ein paar �lter gewordene Abk�mmlinge von Deutschbalten auf Heimatreise begaben. Dem gro�en Rest Deutschlands war die baltische Region als aktuelle politische Frage unbekannt.

Was hat 7 Jahre Rot-Gr�n an dieser Situation ge�ndert?
Vielleicht ist es eher der allgemeine Globalisierungstrend, der etwas ge�ndert hat, als dass es bewu�te deutsche Aussenpolitik gewesen w�re. Selbst f�r den sonst oft intellektuell hoch gelobten Joschka Fischer war die Ostsee nie ein wirkliches Thema - auf entsprechenden Konferenzen wie dem Ostseerat ward er selten gesehen. Ein bischen Meeresschutz, traditionell eher f�r gr�n gestimmte W�hler daheim geeignet, �berlie� er dem Kollegen Trittin. Nicht einmal die kurzzeitige "Regentschaft" eines gr�nen Ministerpr�sidenten in Lettland (Indulis Emsis im Jahr 2004) holte die Gr�nen aus der Untersch�tzung der baltischen Region heraus: alsbald glaubte man ausgemacht zu haben, dass "diese Gr�ne nicht wirklich gr�n" seien, und zog sich mit noch lauterem Grollen wieder zur�ck. Im Europaparlament arbeiten die Gr�nen mit der national-russisch orientierten Tatjana Zdanoka zusammen, die offen gegen Konzepte der Integrationspolitik in Lettland agitiert, unter der Fahne der Menschenrechtspolitik. Da stimmen wieder die gr�nen Parolen - aber �ber die Umsetzbarkeit, oder auch nur �ber eine realistische Einsch�tzung der Lage in Lettland, wird sich zumindest auf gr�ner Funktion�rsebene nirgentwo bem�ht.

Was hat die SPD erreicht?
Ausser dem gemeinsamen Beitritt der baltischen Staaten zur EU - was sicher gegen�ber einigen der alten EU-Mitglieder einige �berzeugungsarbeit bedurfte (und da hat sich die deutsche Regierung durchaus f�r die Balten eingesetzt), hat es ja noch einen weiteren Beitritt gegeben. Die Einf�gung der baltischen Staaten in die europ�isch-atlantischen Verteidigungsstrukturen ist reibungsloser vollzogen worden, als man es h�tte voraussehen k�nnen. Dieser Aspekt wird sicher auch aus baltischer Sicht oft untersch�tzt, und es k�nnte - angesichts des notwendigen Einflusses von Kanzler und Verteidigungsminister in dieser Frage, es auch f�r einen Erfolg der SPD halten - wenn er denn popul�r w�re zu verk�nden im eigenen Land. Im Gegensatz zur gr�nen Heinrich-B�ll-Stiftung hat auch die Ebert-Stiftung in den vergangenen 3-5 Jahren sich endlich begonnen auseinanderzusetzen mit den wirklich aktuellen Fragen in den baltischen Staaten - obwohl die besten und ausf�hrlichsten Analysen der politischen Lage Estland, Lettland und Litauen immer noch vom Leiter der Baltikum-Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung geschrieben werden. Die Ebert-Stiftung hat es aber immerhin geschafft, das Baltikum zum Thema sozialdemokratischer Bildungsarbeit zu machen, und zwar nicht in der Form, wie es sich gestandene Sozis gerne w�nschen w�rden, sondern tats�chlich ausgehend von der Perspektive der Balten.
In der Wirtschaftspolitik ist das Baltikum tats�chlich inzwischen zu einem erst zu nehmenden eigenen Thema geworden - nicht nur unter dem Aspekt, die "lieben baltischen Freunde" m�gen doch bitte ihre Rolle als "Br�cke zu den Russen" m�glichst ger�uschlos und pflegeleicht wahrnehmen. Vielleicht ist man sogar bei der SPD inzwischen davon abgekommen, die Balten - die Esten an erster Stelle - blo� als Hort des Neoliberalismus oder des nationalen Konservatismus zu identifizieren. Kann man mit Estland oder Lettland moderne Innovation schaffen? Auch in der SPD scheint es daf�r immer mehr Bef�rworter zu geben. Und selbst Schr�der's pers�nliche Intervention, der f�r die Balten auch nach dem EU-Beitritt sich eine siebenj�hrige Frist f�r den freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ausbat, scheint keine weiteren negativen Wirkungen hintgerlassen zu haben - eine CDU-Regierung h�tte es wahrscheinlich genauso gemacht.

Was bringt eine Kanzlerin Merkel wirklich?
Wenn sich also so vieles relativiert beim Blick auf die m�glichen deutschen Interessen im Baltikum - was k�nnte denn anders werden unter einer Kanzlerin Merkel? Wird es wirklich nur die baltische Hoffnung sein, einen Gottesbezug konkret in die EU-Verfassung schreiben zu lassen, einen zu starken Zustrom an Ausl�ndern hinein in die EU zu verhindern, und ansonsten die deutschen Unternehmer in Estland, Lettland und Litauen m�glichst mit noch mehr Steuererleichtungen auf allen Seiten zu erfreuen?
Werden die Balten neue Atomkraftwerke bauen, wenn Merkel sie dazu ermuntert? Wohl eher nicht - zu gro� sind noch die Sorgen wegen bauf�lligen Alt-Anlagen in osteurop�ischen Nachbarl�ndern und in Russland. Beim Atomstrom wird es wohl �hnlich wie bei Gas und �l strukturiert werden: nicht jeder soll bitte etwas produzieren, sondern die gro�en Konzerne wollen ihren Strom einem m�glichst breiten Empf�ngerkreis verkaufen.

Nein, es ist wohl eher das rein psychologische Moment, was die Balten beeindruckt, gepaart mit ihrer durch die j�ngere eigene Geschichte gepr�gten Zur�ckhaltung gegen�ber jeder Spielart von "sozialistischen" Experimenten. Das ruft "Verbr�derung" mit offensichtlich Gleichgesinnten hervor.

Aufschlu�reich ist auch ein Interview, das Atis Lejins, Direktor und Gr�nder des lettischen Instituts f�r Internationale Beziehungen, am 25.August der lettischen Tageszeitung "Latvijas Avize" gab.
Gefragt danach, was sich denn �ndern w�rde mit einer neuen Kanzlerin in Deutschland, antwortete er: "Erst mal sehen, ob das �berhaupt etwas �ndert. Was die Politik Deutschlands mit Russland angeht, k�nnte es sich vielleicht um 10% verbessern. Vielleicht wird es weniger 'herzlich' sein, wie jetzt Putin und Schr�der. Aber Deutschland hat sich immer schon auf enge Beziehungen zu Russland konzentriert, da wird sich so leicht nichts daran �ndern."
Frage: Liegt das an den Erdgasleitungen, dass sich russische und deutsche Interessen vereinigen, und die Balten eher umgehen?
Lejins: "Das ist ein Aspekt. Fr�her haben wir uns mal vor einem zu starken Deutschland gef�rchtet, heute sollten wir das eher bei einem zu schwachen Deutschland tun. Bei den deutschen und russischen Beziehungen war das immer schon charakteristisch - ausgenommen die Zeiten Bismarks - ob nun die Deutschen etwas mehr die Russen lieben, und verlieren dabei, oder ob die Deutschen die Russen bek�mpfen, und ebenso verlieren."
Frage: Also vielleicht wird ja eine zuk�nftige Kanzlerin Merkel eine 'Bismarkistin" sein?
Lejins: "Darauf hoffe ich, aber sicher bin ich mir da nicht."