12. Februar 2013

Künstlerische Fastenzeit

Einen Tag zu früh - aber dennoch als eine Art "künstlerischer Aschermittwoch" kommt der heutige 12.Februar für Liebhaber der lettischen Kunst daher. Die Fastenzeit wird länger dauern: das 1905 errichtete Hauptgebäude des Lettischen Nationalen Kunstmuseums (Latvijas Nacionālais mākslas muzeja / LNMM) mit seinen 8 249 m² Grundfläche, an der Krišjāņa Valdemāra iela gelegen, schließt bis zur Fertigstellung der Modernisierung für mindestens die kommenden zwei Jahre, und die umfangreiche Gemäldesammlung verschwindet für diese Zeit in Speicherhäusern an (aus Sicherheitsgründen) unbekanntem Ort.

Die Umbauarbeiten müssen bei sehr knappem Personalbestand bewältigt werden: 5.000 Gemälde stehen unter der Aufsicht von 4 Angestellten, für 10.000 Grafiken sind drei Angestellte zuständig und für die 24.000 Bücher nur einer. Als im Herbst 2010 der Rigaer Stadtrat mit dem litauischen Architekturbüro "Process Office" / „Andrius Skiezgelas Architecture”den Gewinner der Ausschreibung zur Renovierung des nationalen Kunstmuseums bekannt gab hoffte man noch, die Wiedereröffnung für 2014 vorsehen zu können - davon ist jetzt keine Rede mehr.

Ausblick mit Perspektive:das lettische nationale
Kunstmuseum hofft mit Beginn von Umbauarbeiten
schon jetzt auf baldige Wiedereröffnung
Das Museum wird zum ersten Mal seit seinem Bestehen renoviert, die Kostenschätzung beläuft sich derzeit auf 24 Millionen Lat. Schon einige Male wurde der Beginn der Renovierung angekündigt und wieder verschoben. Im Januar 2013 ging es dann ganz schnell: einstimmig genehmigte der Stadtrat 15 Millionen Lat für Umbau und Renovierung des Museumsgebäudes, stimmte den 7.9 Millionen Lat Co-Finanzierung aus dem EU-Regionalfond zu und auch für 211.000 Lat Zuschuß aus dem Staatshaushalt wurde der Weg frei gemacht. Die Verträge mit der Baufirma Re&Re wurden schnell unterschrieben, die eine Beendigung der Bauzeit nach 29 Monaten vorsehen.

Während des Kulturhauptstadtjahres 2014 wird es also kein Möglichkeit geben sich die lettische Nationalsammlung anzusehen. Das lettische Zentrum für zeitgenössische Kunst (Laikmetīgās mākslas centra LMC) wird Installationen in der Innenstadt fördern, aber natürlich die Möglichkeiten eines Museums nicht ersetzen können. "Aber besser im nächsten Jahr den Gästen die Zukunftspläne zeigen," meint Museumsdirektorin Māra Lāce, "als Risse und Flecken an den Wänden. Einige Werke werden wir ja in den dann fertig gestellten Räumlichkeiten der Rigaer Börse und der neuen Nationalbibliothek zeigen können, ein Teil der Werke lettischer Kunst des 20.Jahrhunderts werden für eine Ausstellung nach Norwegen gehen."

11. Februar 2013

Was Letten wünschen ...

Eine bemerkenswerte Umfrage ist auf der Webseite der lettischen Regionalzeitung "Kurzemnieks" nachzulesen, die mit einer Auflage von gegenwärtig etwa 6000 Exemplaren erscheint und auf eine bis zum Jahr 1910 zurückreichende Tradition zurückblicken kann. Damals war die Redaktion in Kuldiga beheimatet, heute fällt unter anderem der hohe weibliche Anteil am Redaktionsteam auf.

Sicher wäre so manches der Übersetzung wert, über das dort berichtet wird - allein schon weil es eben regionale Themen aus "Kurzeme" sind, also nicht sich alles auf die Hauptstadt Riga konzentriert. Für den Moment greife ich aber nur eine kleine Umfrage heraus, die vor einiger Zeit gestartet wurde und gegenwärtig (Stand 11.2.13) immer noch läuft. Die Frage lautet dort - natürlich auf Lettisch gestellt: "Wie ist ihre Reaktion, wenn sie, in dem sie einen Laden betreten, der Verkäufer sofort fragt: 'Kann ich helfen? Was kann ich ihnen anbieten?' "

Dorfladen in Kurland:Schwellen-
ängste und lästige Fragen?
Eine gewöhnliche Frage vielleicht. Als Deutsche erinnern wir uns vielleicht an Bäckereifachverkäuferinnen oder ähnliches in Deutschland, die mit lauter Stimme "Darf's sonst noch was sein?" durch den Laden schallen lassen.
Aber die Antworten sind doch erstaunlich. Es gibt vier Antwortmöglichkeiten. Ein kommerzieller Erfolg wäre so eine direkte Frage nach den Kundenwünschen offenbar nicht: nur 21.4%, also nicht einmal jeder vierte, antwortet mit: "ich sage meine Wünsche und gemeinsam mit dem Verkäufer finde ich eine Lösung". Wesentlich mehr, nämlich 38,9% der Befragten, sind sich vollkommen sicher in einer ziemlich krassen Reaktion: "Ich wende mich um, verlasse den Laden, und komme solange nicht wieder dorthin wie dieser Verkäufer dort arbeitet."

Oha! Sprich bloß keinen Kunden an! Das scheint die Devise im Kurland von heute zu sein. Es kommen sogar noch weitere 6,1% dazu, die meinen: "Bei dieser Frage vergesse ich völlig was ich wollte, kaufe irgend eine Kleinigkeit und verlasse schnell den Laden." Und 33,6% haben noch eine "andere Variante" im Kopf, die aber offenbar auch nicht in Richtung eines konstruktiven Verkaufsgesprächs haben.

Nun ist es vielleicht unverschämt, als Deutscher sich Gedanken über mögliche Gründe machen zu wollen - zu leicht könnte es entweder in interkulturellen Mißverständnissen enden, oder schlicht den großen Unschärfen dieser Internetumfrage geschuldet sein. Wer als Deutscher in Kurland lebt, könnte vielleicht schon eher mitreden. Als nur gelegentlich, aber regelmäßig durchreisender Tourist fallen mir folgende mögliche Einflußfaktoren ein:
- zu Sowjetzeiten wiesen die Verkäufer die "Kunden" oft ziemlich scharf zurecht. Ein strenger Befehlston, wie man sich im Laden zu verhalten hatte, war nicht selten. Vielleicht sind heute gerade die Älteren Leute, eben im Hinblick auf alte Zeiten, einfach froh möglichst in Ruhe aussuchen zu dürfen?
- handelt es sich vielleicht, gerade angesichts des hohen Frauenanteils in der Redaktion dieser Zeitung, um ein Problem das vor allem Verkäuferinnen mit männlichen Kunden haben? Wie hoch ist der Anteil der Männer, die den Monatslohn stillschweigend in Schnaps oder Zigaretten anlegen, statt nach ihren "Wünschen" gefragt zu werden? Auch in Deutschland dürfte der Anteil "schüchterner" männlicher Kunden höher liegen als der weibliche.
- Sprachprobleme (Russisch-Lettisch) sind in diesem Fall auszuschließen, da erstens auf dem Lande prozentual weniger Russen leben als in Riga (und auch bei diesen steigen die Lettisch-Kenntnisse), und zweitens läuft die umfrage ja ausschließlich in Lettisch, also nur Lettisch-Kundige antworten. 
- oder ist es vielleicht die Geldnot, die Kundinnen wie Kunden zu Ausflüchten treibt? Erstmal in den Laden gehen (wo es warm ist!), dann mal sehen, ob man sich irgend etwas leisten kann, und ggf. still wieder hinausgehen ohne belästigt zu werden? Gerade auf dem Lande geht es vielen Leuten immer noch nicht besonders gut.
- nur ungern würde ich auf die häufigen lettischen Ausflüchte zurückgreifen nach dem Motto "das ist eben unsere Mentalität". Die individualistischen, wankelmütigen, oft mürrischen Letten, die erst mit der Zeit, und nur in einer vertrauten Atmosphäre "auftauen".  So gesehen wären dann alle diese Umfrageergebnisse einfach "normal", alle kennen das schon und richten sich danach ein. Zumindest dem Redaktionsteam des "Kurzemnieks" war es aber wert doch mal genauer nachzufragen.

Die Kurzemnieks-Umfrage lässt sich hier nachlesen.

6. Februar 2013

Who the hell are „Depardjē“ and „Olands“?

Auf Lettisch muß man ja noch aussprechen Ualands für den zweiten. Wer Rēcs, Rēts, Rētcs oder Rētss sein könnte, mag dem Leser sich schneller eröffnen. In den 90ern gab es eine amerikanische Fernsehserie, die in Lettland „Beverlihilsa“ hieß. Noch ein bißchen einfacher. Und wie steht es mit „Klāra Šūmane-Wīka“?

Wem nicht gleich klar ist, von welchen Personen und Orten hier die Rede ist, möge ein wenig knobeln.

Worum geht es? In der lettischen Sprache werden Eigennamen nicht einfach übernommen, sie werden transkribiert. Die Letten sollen sie anschließend in ihrer Schreibweise so aussprechen können, wie im Original. Das natürlich ist schwer möglich, da es für viele Laute gar keinen lateinischen Buchstaben gibt und man auch erst einmal über Philologen aller Sprachen der Welt verfügen müßte, um die unzähligen Diphthonge zu kennen. Darum heißt die Iron Lady im Lettischen eben „Tečere“ und der frühere französische Präsident ist der mittlere Rand oder eben „Miterands“.

Was hier so lustig daher kommt, hat durchaus auch juristische Folgen. Vor einigen Jahren klagte eine Lettin nach ihrer Hochzeit mit einem Deutschen namens Mentzen vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bekam dort nicht Recht. Den Richtern genügte das Angebot der lettischen Behörden, die Originalschreibweise in ihrem Paß wenigstens in Klammern hinzuzufügen.

Der Autor dieser Zeilen wird in sämtlichen Verträgen – also juristischen Dokumenten – ebenfalls nur im Original genannt. Da er über keinen lettischen Paß verfügt wäre es sonst auch nicht ganz einfach zu beweisen, daß mit einer der eingangs genannten Schreibweisen in einem Dokument tatsächlich er gemeint ist.

Nichtsdestotrotz ist Anlaß für diese neuerliche Erwähnung des Themas ganz gewiß der Umstand, daß man ja meistens wie bei „Rihards Vāgners“ und im Genitiv der „Riharda Vāgnera iela“ noch halbwegs darauf kommt, wer gemeint sein könnte. „Olands“ hingegen stellt nun wirklich auch gegenüber mittleren Rändern eine neue Dimension dar.

Einzige Entschuldigung ist, daß die vielen vom lateinischen Alphabet abgeleiteten Sonderzeichen der slawischen und auch baltischen Sprachen denn auch in der deutschen oder englischen Presse ignoriert werden. Aber wer verlangt, jedweden fremdsprachigen Namen in jedwedem Land richtig auszusprechen?