31. Dezember 2017

Aus dem Schrank, in den Sack

Überraschend war auf jeden Fall der Zeitpunkt des Bekenntnisses. "Ich war KGB-Agent" - dieses Bekenntnis des lettischen Schriftstellers Jānis Rokpelnis erschütterte die diesjährige Weihnachtsruhe der lettischen Kulturszene; "Mein Deckname war 'Miķelis' " bekannte der vielfach ausgezeichnete Poet in einem Zeitungsinterview (NRA).

So hat nun Lettland, kurz vor dem Jubiläumsjahr 2018, die Diskussion um die sogenannten "Čekas maisi" ("Säcke der Tschecka", KGB-Säcke) wieder auf dem Tisch. Noch kurz vor Weihnachten hatte das Portal "Manabalss" ("Meine Stimme") zu einer Unterschriftensammlung aufgerufen, die in den lettischen Archiven vorhandenen Informationen zu KGB-Informanten endlich zu veröffentlichen (mit 5300 Unterschriften dafür). Auch eine öffentliche Diskussion zum Thema wurde organisiert.  
Als die Sowjets Lettland 1991 verließen, war nur noch wenig von den Unterlagen des KGB übrig: die meisten Dokumente waren schon zerstört oder nach Russland verbracht worden. Das, was in Lettland noch aufzufinden war, galt als zu bruchstückhaft um nur auf dieser Grundlage Kriminalprozesse anzustrengen, und alle bisherigen Präsident/innen entschieden sich bisher gegen eine Publizierung dieses Materials.


Angefangen sei für ihn zu der Zeit, als er noch viel Alkohol getrunken habe, erzählt nun Rokpelnis. Im legendären "Skapis"  ("Schrank"), einer Bar im Hotel Riga, habe er, bereits ordentlich angetrunken, mal einen anderen Gast angeschrien mit den Worten: "Was, du bist Kommunist? Ich erschieße dich!" - Und prompt sei eine Vorladung zum KGB-Verhör die Folge gewesen. "Aber damals wagten sie mich nicht anzurühren, es schützte mich wohl einzig der Name meines Vaters", meint Rokpelnis (NRA). Der Vater Fricis Rokpelnis war Co-Autor der sowjetlettischen Hymne, Direktor des Rainis-Literaturmuseums und nahm wichtige Posten in der sowjetischen Kulturverwaltung ein.

Sohn Rokpelnis behauptet sogar, anfangs nur "erkunden zu wollen, wie der KGB arbeitet" - und kurz danach sei ja auch "Glasnost" verkündet worden, eine interessante Zeit also (lsm). Er habe immer nur mit einem einzigen Kontaktmann geredet: KGB-Offizier Juris Miļevskis; als dieser beim KGB aufgehört habe, sei auch seine Kontakte mit dem KGB beendet gewesen.
Miļevskis habe vor allem wissen wollen, wie die Schriftsteller denken, vor allem Uldis Bērziņš un Knuts Skujenieks, mit denen Rokpelnis gut bekannt war. Einmal habe er auch etwas über den Esten Arvo Valton herausfinden sollen, das habe er aber abgelehnt.

Er habe niemand angeschwärzt beim KGB, oder denunziert. Der KGB habe vielmehr verstehen wollen, wie die lettische Intelligenzia denkt. Auch Geldzahlungen habe er abgelehnt, behauptet Rokpelnis. In den 90igern habe er dann Miļevskis nochmals wiedergetroffen. Ein dunkler Wolga mit getönten Scheiben sei vorbeigefahren, man habe ihn hereingebeten.
Ob er irgend etwas bedaure? Nun ja, meint Rokpelnis nachdenklich, in den 90iger Jahren habe er auch gelegentlich schon mal an Selbstmord gedacht. Am meisten habe er Angst vor seinen Leserinnen und Lesern - den Literaturfreunden also. Wie werden sie ihn nun beurteilen? Werden sie dennoch seine Werke noch lesen wollen? Er hoffe aber, dass sein Geständnis auch andere ermutige, gleiches zu tun. "Meine Erleichterung ist riesengroß," so Rokpelnis.

Jānis Rokpelnis, geboren 1945, ist ein in Lettland anerkannter und vielfach ausgezeichneter Dichter und Schriftsteller; schon 1976 erhielt er die ersten Preise, zuletzt erhielt er 2016 den lettischen Literaturpreis für sein Lebenswerk. Seine Werke wurden bisher ins Englische, Französische, Italienische, Litauische und Russische übersetzt.

Das überraschende Bekenntnis von Rokpelnis löste sehr unterschiedliche Reaktionen in der lettischen Öffentlichkeit aus. Verständnis äußerte die Journalistin Sanita Jemberga, und schrieb gleichzeitig, dass ihr Respekt für Rokpelnis als hervorragender Dichter sich mit dem Bekenntnis nicht ändern werde. 583 Hinweise auf Kollaborateure aus dem Kulturbereich sollen unter den KGB-Materialien noch zu finden sein - so Kārlis Kangeris, Vorsitzender eines Komittees, das gegenwärtig die Inhalte "KGB-Säcke" untersucht (insgesamt sollen es 4300 Personennamen sein, die sich in den noch vorhandenen KGB-Dokumenten finden). Das Komittee hatte vorgeschlagen, die Veröffentlichung für Mai 2018 vorzusehen. Viele Stimmen in der lettischen Öffentlichkeit bezweifeln aber die ehrliche Absicht der lettischen Regierung, eine vollständige Veröffentlichung zuzulassen - zu viele weitere bekannte Persönkeiten werden unter den KGB-Informanten vermutet.

15. Dezember 2017

Hinter dem Hühnerstall

Es mag viele Wege zum Gelderwerb geben in Lettland, und vor allem auf dem Lande ist das Leben schwierig. Auch der kleine Ort Taurupe hat die ruhmreichen Zeiten längst hinter sich. Von hier sind es 95km Wegstrecke nach Riga - je weiter weg von der Hauptstadt, desto mehr davon unbefestigt. Baron von Transehe, der letzte Eigentümer des hier in Taurupe 1724 erbauten und um 1900 im neogothischen Stil umgebauten Gutshaues, wurde 1905 während der Unruhen der "russischen Revolution" von Aufständischen erschossen, das Haus verwüstet. In den Resten des ehemaligen und inzwischen frisch renovierten Guthauses ist heute eine Schule untergebracht, der Ort hat 900 Einwohner.

Nein, nein, nur keine falschen Rückschlüsse: diese Herren
sind - trotz ihres etwas traurigen Gesichtsausdrucks - nicht
die geständigen Verbrecher, sondern die Vertreter der Polizei
Zugegeben, der Ort ist nicht gerade oft in den Schlagzeilen. Nur selten kommen Touristen vorbei, und falls doch, werden so wohl durchreisen. Dass gerade hier Autos wie ein Audi6 oder ein luxuriöser Mercedes vor dem Haus stehen, wäre wohl am ehesten aufgefallen. Andere Anzeichen gab es nicht für Ungewöhnliches in Taurupe - bis zu dieser Woche, als Spezialeinheiten der lettischen Polizei zwei Drogenlabors aushob (ein weiteres im 40km entfernten Allaži), in denen kiloweise Methadon hergestellt worden sein soll. Die Labors waren gut versteckt: im 2. Stock einer Tischlerei, und hinter einem Hühnerstall.  Zwei Laboratorien wurden entdeckt, neun Personen festgenommen (LETA), allesamt lettische Staatsbürger.

Die Festgenommenen gingen alle "nebenbei" noch anderer Arbeit nach, heißt es. Schon seit Juni waren erste Hinweise bei der lettischen Polizei eingegangen, es Drogenlabors gesucht, auch unter Einbeziehung der lettischen Anti-Terrorismus-Einheit "Omega". 6 kg Methadon wurde sichergestellt, dazu eine große Menge der Ausgangsstoffe, 80.000 Euro in bar und einige Luxuslimousinen, die gegen Bargeld gekauft worden waren ("Ir"). Die lettische Polizei nimmt an, dass dieses jetzt aufgefundene Labor bereits einige Jahre in Betrieb war. Ein Kilo Methadon, hat einen Marktwert von etwa 40.000 Euro. Methadon ist ein synthetisches Opiat und wird auch als Heroinersatz bezeichnet. Süchtige, die den Stoff aus illegalen Quellen kaufen gehen das Risiko, dass die Dosierung nicht genau einstellbar ist und daher unmittelbar Lebensgefahr besteht. Der Handel mit Methadon ist genauso strafbar wie bei Heroin und Kokain.

13. Dezember 2017

Händel am Hagensberg

So warb bisher der Markt im Rigaer Stadtteil
Āgenskalns: "Einkaufen ohne den Stress
der Großstadt"
Das Gebäude des Hagensberg-(Āgenskalns-)Marktes gilt als hervorragendes Beispiel der Jugendstil-Architektur - "rationaler Jugendstil", wie es die Selbstdarstellung der Rigaer Märkte bezeichnet (RCT). Gebaut aus roten Ziegelsteinen, abgesetzt mit weißem Gips, bietet sich hier heute eine Marktfläche auf 8300 qm. Im Frühling, Sommer und Herbst standen hier bis vor kurzem 219 einzelne Handelsplätze bereit. Doch zum 1. Januar 2018 soll der Markt in Āgenskalns nun geschlossen werden und sieht einer unsicheren Zukunft entgegen.

Der Platz hat eine lange Tradition: geht man zurück bis ins 17. Jahrhundert, so gab es damals jenseits der Daugava (Düna) nur fünf sogenannte "Höfchen", darunter der Hagenshof und das Gravesche Höfchen. 1669 erwirkte Heinrich von Hagen für sich auch das Recht, einen Krug betreiben und Bier brauen zu dürfen, aber Handel zu treiben war bis 1797 das Vorrecht der Kaufleute in der Stadt auf der anderen Seite der Daugava gewesen. Nun erwarb auch der aus Danzig stammende Kaufmann Friedrich Wilhelm Seuberlich mehrere Grundstücke hier in Pārdaugava und wurde so zum Vorreiter der Handeltreibenden in diesem langsam wachsenden Teil der Stadt. 

So soll der "Sētas krogs" in Āgenskalns ausgesehen
haben (Gebäude links), in dessen Hof das Markttreiben
begann (Bildquelle: Rigaer Museum für Stadtgeschichte
und Schifffahrt
)
Die Anfänge des Markttreibens von Āgenskalns (deutsch "Hagensberg") lagen eigentlich an der Stelle wo die Straßen Lielo Nometņu, Tirgus und Puķu iela zusammenlaufen; hier befand sich damals eine Schänke, der "Sētas krogs" ("Zaun Krug", auch "Caunes Krogs" genannt), in dessen Hinterhof die ersten Marktstände platziert waren. Die heutige "Sētas iela" hat noch ihren Namen davon - an der Stelle der Schänke stehen heute schmucklose, mehrstöckige Gebäude der Technischen Universität Riga (RTU).

Ansonsten fand das Marktgeschehen damals einfach auf der Straße statt. 1895 beschloss eine speziell eingerichtete Kommission des Rigaer Stadtrats die Verlegung des Marktes auf ein großes, bis dahin unbebautes Grundstück - zwischen die heutigen Straßen Nometņu, Zeļļu und Bāriņa iela. Die Stadt erwarb das Grundstück für 15.000 Rubel, der Markt wurde 1898 eingeweiht. Hier hatte einst das Gravesche Höfchen gestanden - lettisch wurde der neue Markt im Volksmund auch "Grāvmuižas tirgus" genannt; der Begriff "Āgenskalns tirgus" setzte sich erst einige Zeit später durch.
Einige Händler blieben dennoch an der alten Marktstelle, alles fand weiterhin unter freiem Himmel statt. Durch den Bau von Straßenbahnlinien wurden die neuen Marktflächen teilweise wieder eingeschränkt. Die Händlerzahl war bis 1914 auf über 600 angewachsen, auch sanitäre Einrichtungen gab es bis dahin nicht; die Behörden sahen die Notwendigkeit den "Basar" zu ordnen und einheitlichen Regelungen zu unterwerfen.

Die Anfänge des Marktgeschehens in Āgenskalns
(Bildquelle: Rigaer Museum für Stadtgeschichte
und Schifffahrt
)
Begonnen wurde der Bau eines Marktpavillons bereits 1911, das musste aber zunächst wegen des Krieges unterbrochen werden. Die Fertigstelluing erfolgte dann 1923-25. Damals war dieses Marktgebäude noch um einiges moderner als die Marktstellen auf der anderen Seite der Daugava - mit Zentralheizung, ausgebautem Keller und einer Galerie im 1.Stock. Der Entwurf stammte noch von Reinhold Georg Schmaeling, der bis zum 1.Weltkrieg Stadtarchitekt in Riga war - eines seiner letzten Projekte, er wurde 1915 pensioniert und starb 1917.

Auch ein Kühlhaus sollte geschaffen werden, was aber vorerst aus Mangel an Finanzen aufgegeben wurde. Weitere Umbauten geschahen in den 20iger und 30iger Jahren nach Plänen von Architekt A.Grīnbergs, ein neuer Eingangsbereich, wo auch zunächst ein Restaurant geplant war. In den 1930iger Jahren entstand rund um das Marktgelände ein Metallzaun, gehalten von Betonstäben, und ein Wärterhäuschen.

Anfang November 2017 kündigte Ivars Jakovels, Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft "Rigaer Zentralmarkt" (“Rīgas Centrāltirgus” - RCT) die Schließung des Marktgebäudes in Āgenskalns an ("Laukos"). Der Zustand des Gebäudes ließe keine Alternative zu, hieß es. Nötig sei eine umfassende Renovierung. Eine technische Untersuchung war dem Schritt vorausgegangen. Aber ist auch genug Geld bereitgestellt, um das Haus zu renovieren? 100% der Aktien des RCT trägt die Stadt Riga - also eine Frage letztendlich an Bürgermeister Ušakovs.
Rettet den Āgenskalns-Markt! Eine Initiativgruppe
sammelt bereits Unterschriften und demonstriert
vor dem Rathaus
Ob die Stadt aber wirklich Interesse am Erhalt aller bisherigen Markthallen hat, daran bestehen Zweifel. Auch der "Vidzemes"-Markt im Norden der Stadt ist schon lange in beklagenswertem Zustand, das Gelände teilweise nur noch als Auto-Parkplatz genutzt. Vertreter des Stadtrats sagen nun gegenüber der Presse, der bisherige Betreiber (SIA “Roveks") sei für den beständigen Rückgang bei Umsatz und Gewinn in Āgenskalns verantwortlich zu machen (Latvijas Avize). Wie diesen Zahlen zu entnehmen ist, machte der Umsatz hier nie mehr als 5% aller Märkte in Riga aus. Liegt also die Kalkulation nahe, die Kunden würden schon den Zentralmarkt nutzen, wenn das Angebot im Vorort Āgenskalns wegfallen würde?

Jevgeņija Šeleņina, Direktorin der Betreiberfirma "Roveks" wiederum, beklagt sich über eine angebliche Weigerung der städtischen Behörden, über das Kulturministerium und die EU Gelder zum Erhalt des denkmalgeschützten Hauses beantragen zu wollen. "Die machen das nicht, wenn es über private Firmen abgewickelt wird," so Šeleņina (Latvijas Avize).

Oļegs Burovs, Vorsitzender des Rigaer Kommittees für städtisches Eigentum (Rīgas domes Pilsētas īpašuma komiteja), stellt die Situation anders dar. Jahr für Jahr habe man dem bisherigen Betreiber einen Vertrag gegeben, und immer habe dieser aufs Neue versprochen, auch etwas für den Erhalt des Gebäudes zu tun - und bisher sei nichts geschehen. Burovs stellt eine Entscheidung des RCT-Vorstands für den 15. Januar 2018 in Aussicht, wie es nun weitergehen soll. Dabei sei nicht ausgeschlossen, die Nutzung des Gebäudes auch längerfristig an einen Vertragsnehmer für 30 Jahre zu vergeben - die Fraktionen des Stadtrats seien sich aber einig, dass im bisherigen Gebäude jedenfalls nichts anders als einen Markt sein solle.

Der Markt von Āgenskalns - so, wie er momentan bekannt ist. Ein
markantes Gebäude, für viele Menschen ein beliebter
Treffpunkt - ob außen oder innen
Von Bürgermeister Nils Ušakovs ist eine Aussage bekannt, der zufolge er die Gesamtkosten der notwendigen Investitionssumme für den traditionsreichen Markt in Āgenskalns auf 10 Millionen Euro schätze.
Eine Protestinitiative aus Marktangestellten und Bürgern sammelte bereits Hunderte Unterschriften gegen eine Marktschließung und ruft zu Protestaktionen am Rathaus auf. Dabei ist es offenbar nicht einfach, politisch den Überblick zu behalten: wer steht da auf welcher Seite? Der bisherigen Betreiberfirma "Roveks" wird vorgeworfen, politisch der Bürgermeisterpartei "Saskaņa" nahezustehen und das Gebäude zu einem extraniedrigen Mietpreis genutzt zu haben. Bei den Protestierenden wiederum sind ebenfalls politisch unschwer Vorlieben auszumachen: hinter einer der Initiativen steht offenbar vor allem die im Stadtrat oppositionelle "Regionalpartei" ("Latvijas Reģionu apvienība/Latvijas attīstībai"). In den Internetportalen sind bereits Vermutungen zu lesen, vielleicht hätten Investoren wie die LIDL-Kette ja ein Auge auf das Gebäude geworfen.
Auch Architektin Zaiga Gaile, ihrerseits bekannt durch mehrere erfolgreiche Gebäudesanierungen in Pārdaugava, meldet sich zu Wort. "Ich lebe nun schon 20 Jahre auf Ķīpsalā, und gehe gern auf dem Markt in Āgenskalns einkaufen", sagt sie. "Ich kenne dort alle Händler, das ist der Markt meiner Kindheit!" - Sie weist auch auf zwei andere kleine Marktstellen hin, die sich in den letzten Jahren außerhalb der Markthallen etabliert haben: im "Berga bazars" (unter anderem mit Öko-Landwirten), und in der Kalnciema iela (mit vielen regionalen Produkten).

Könnte es solche neue Ideen auch für die Markthalle in Āgenskalns geben? Ein Thema mit Emotionen. Da kann man den Verantwortlichen und den anderen Akteuren nur viel Glück und ein glückliches Händchen wünschen.