30. August 2011

Kalvītis: Soros klassischer Oligarch

Der ehemalige Ministerpräsident der Volkspartei, Aigars Kalvītis hat jetzt der Zeitung Latvijas Avīze gegenüber erklärt, in Lettland gäbe es keine Oligarchen.

Die Definition solcher Personen sei aus dem russischen übernommen und es handele es sich um Menschen mit ökonomischer Macht und solcher über die Medien. Ein typisches Beispiel dafür sei Georg Soros, der sowohl Währungen als auch Finanzmärkte kontrolliere. Auf die Frage, ob Ainārs Šlesers, Aivars Lembergs und Andris Šķēle, die in Lettland gemeinhin als Oligarchen tituliert werden, silche seien, billigt Kalvītis den genannten eine entsprechende Macht nicht zu, diese kontrollierten nicht „alle Prozesse“. Selbst bei der Union aus Grünen und Bauern gäbe es viele Meinungen und Lembergs kontrolliere diese Partei nicht. Šlesers wiederum könne man mit Lembergs und Šķēle nicht vergleichen, ihm gefalle es vielleicht, als dritter Oligarch bezeichnet zu werden, doch sein Einlfuß auf Wirtschaft und Medien sei nicht so groß. Kalvītis meint, Oligarchen gäbe es in Lettland nicht, diese Bezeichnung werde nur herangezogen für Personen, die alle kennten und eine wichtige Rolle in der „öffentlichen Politik“ (sic!) spielten, doch als „klassische Oligarchen (sic!) könnte man diese nicht bezeichnen. (Latvijas Avīze)

29. August 2011

Lettland vor der Wahl: Zweifel der Oligarchen an sich selbst?

Lettland wählt im September außerplanmäßig ein neues Parlament, nachdem der letzte Urnengang nicht einmal ein Jahr zurück liegt. Ex-Präsident Valdis Zatlers hatte im Zweifel über seine Wiederwahl und vorgeblichem Zorn über den Schulterschluß der Angeordneten mit einem Oligarchen dem Volk die Möglichkeit zur Entlassung des Parlamentes vorgelegt, was die Wähler nur neun Monate nach ihrer vorherigen Entscheidung akzeptierten.

Zatlers begründete seinen Schritt mit dem großen Einfluß außerhalb des Parlament befindlicher Personen – der Oligarchen. Ein nur bedingt zutreffender Vorwurf, war doch der Anlaß für sein Handeln die Verweigerung des Parlamentes, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben, der als einer von drei wichtigen Oligarchen gilt, also nicht außerhalb der Politik steht – und stand. So argumentiert Ainārs Šlesers auch, er habe über all die Jahre immer ein Mandat des Volkes gehabt. Zatlers ist seiner Meinung nach ein Beispiel für den Zynismus im Lande. Vier Jahre lang habe dieser auf Staatskosten gemeinsam mit Lembergs, einem weiteren der namentlich Angegriffenen, gegessen, um nach seiner verfehlten Wiederwahl plötzlich irgendwelche Sündenböcke zu suchen. Gemeinsam mit Lembergs wirft er Zatlers vor, was dieser nun vier Jahre lang in der Rigaer Burg gemacht habe.

Eine kurze Straßenumfrage des lettischen Radios ergab ebenfalls, daß der Kampf gegen die Oligarchen bei den Wählern nicht oben auf der Liste steht. Alle erklärten, die Wirtschaft und die soziale Situation seien entschieden wichtiger. Viele Menschen sind auch der Ansicht, daß die Frage der Oligarchen vor den Wahlen künstlich aufgebläht würde.

Generell interessiert sich ethnisch lettische Wähler für das Thema mehr als die Russen. Interessant auch, daß Ainārs Šlesers selbst im Wahlkampf 1998 gegen die Oligarchen agitierte und 2002 mit der Neuen Zeit eine Saubermann-Partei erschien, die das Thema für sich beanspruchte. Während der sogenannten „fetten Jahre“ 2006 interessierte sich wiederum niemand für die Frage der Korruption. Dies waren auch die einzigen Wahlen in Lettland seit der Unabhängigkeit, zu der keine neue politische Kraft antrat. Bei der damaligen Wahl hatten zwei Listen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgrenze für Wahlausgaben überschritten, zwei politische Kräfte, die anschließend gemeinsam die Regierung bildeten. Juristisch wurde dieser Verstoß zwar 2008 vom Verfassungsgericht konstatiert, hatte aber keine politischen Folgen mit Ausnahme der sogenannten Regenschirmrevolution im Herbst 2007, ein halbes Jahr nach Amtsantritt von Valdis Zalters als Präsident, der damals „im Zoo“ von den Oligarchen selbst aus dem Hut gezaubert worden war.

Wie die Wahlen im nächsten Monat ausgehen werden, traut sich kaum jemand zu prognostizieren. Schon nach der Regenschirmrevolution waren außerordentliche Wahlen von einigen Experten verlangt worden nicht zuletzt wegen der fraglichen Verfassungsmäßigkeit des Urnenganges. Präsident Zatlers machte aber von seinem Recht eben erst jetzt zum Ende seiner Amtszeit Gebrauch und bietet den Wählern nach gescheiterter Wiederwahl eine eigene politische Alternative an. Einstweilen billigen Umfragen dem Harmoniezentrum 18% und der Zalters Reformpartei 17% zu. Die Wahlsiegerin vom letzten Jahr, die Einigkeit des Regierungschefs Valdis Dombrovskis muß federn lassen und liegt bei nur 10% gefolgt von den Nationalisten mit gut 7% sowie der Union aus Grünen und Bauern mit rund 8%. Die Partei Lembergs steht damit erstmalig überraschend schlecht da und leidet wohl wie die Einigkeit unter dem Malus der Regierungsverantwortung. Da Zalters kategorisch abgelehnt hat, mit Oligarchen zu koalieren, dürfte ein Pakt mit den Grünen und Bauern ausgeschlossen sein. Die lettischen Wähler sind wohl für ein Bündnis der „sauberen“ Parteien mit den Russen noch nicht bereit. Damit läuft unabhängig von den genauen Kräfteverhältnissen alles auf eine Koalition der Einigkeit mit Zatlers und den Nationalisten hinaus, ggf. auch ohne sie, wenn es für eine Mehrheit reichte. Damit zöge eine neue politische Kraft an die Macht, die sich im politischen Alltag unerfahren vermutlich aufreiben wird.

Lettisches Absurdum: Einbürgerung zwecks Auswanderung

Lettland hatte sich wie Estland nach der Unabhängigkeit 1991 entschieden, den während der Sowjetzeit zugewanderten Menschen die Staatsbürgerschaft der Wiederhergestellten Staaten nicht automatisch zuzugestehen, eine Einbürgerung ist erforderlich nach Sprach- und Geschichtstest.

Das Interesse an der Einbürgerung war in Lettland nach dem Beitritt zur EU vorübergehend zehn Mal größer als gegenwärtig, erklären die Behörden in Daugavpils, der zweitgrößten Stadt des Landes im Südosten mit besonders hohem Anteil ethnischer Russen. Derzeit kämen nur etwa zehn Personen am Tag, um sich nach den Möglichkeiten zu erkundigen. Die Gründe für das Interesse an einer Einbürgerung seien verschieden: Teilnahme an Wahlen aber eben auch der Wunsch, einen Arbeitsplatz in einem anderen EU-Land zu finden. Unter den Interessenten sind Vertreter aller Altergruppen, manche sind Anfang 20, andere bereits Rentner.

Der junge Igor etwa sagt, er habe die neunte Klasse beendet, also nach lettischen Verständnis eine Grundausbildung erhalten, so etwas wie ein Hauptschulabschluß, in Riga und anderswo gearbeitet, jetzt aber gäbe es nirgends Angebote mit einer vernünftigen Bezahlung. Also wolle er sich einbürgern lassen, um anschließend so schnell wie möglich Lettland den Rücken zu kehren. Das größte Hindernis für den jungen Mann sind seine schlechten Lettisch-Kenntnisse, aus diesem Grunde lerne er derzeit fleißig.

Die befragten Rentnerinnen sagten, sie lebten seit 1969 in Lettland und hätten sich ja schon lange einbürgern lassen, aber wie bei Igor liegen die Schwierigkeiten bei der Sprache. Schade sei es, daß es keine gratis Kurse mehr gebe. Im Grunde würden die Russen ja gerne Lettisch lernen, aber es fehlten die Möglichkeiten. Im Ausland, so die Dame, würde sogar dafür gezahlt, daß eine Sprache erlernt werde. 20 Lat sei für viele viel Geld. Wesentlicher Grund für den Wunsch auf Einbürgerung sei, daß sie einerseits zwar Steuern zahlten, aber den politischen Prozeß nicht beeinflussen könnten.

In Lettland gibt es nach offiziellen Angaben derzeit noch etwa 350.000 Menschen, die den sogenannten Nicht-Bürger-Paß haben. Sie sind ständige Einwohner des Landes mit Staatsbürgern weitgehend gleichgestellten Möglichkeiten, die jedoch kein Wahlrecht haben, dafür aber nach Rußland visumsfrei reisen. Auch dies ein Grund dafür, daß viele dieser Menschen die Einbürgerung nicht anstreben.

28. August 2011

Bronzesprung

Als Sportlerin steht Ineta Radēviča schon eine ganze Weile im Licht der heimischen Öffentlichkeit. Spätestens vor einem Jahr wurde sie international bekannt, als sie Europameisterin im Weitsprung wurde und gleichzeitig mit 6,92m einen neuen Landesrekord aufstellte. Auch den Titel als lettische Sportlerin des Jahres 2010 sicherte sie sich. Nun steht sie erneut im Mittelpunkt des Interesses: bei der Leichtathletik-WM im südkoreanischen Daegu holte sie die Bronzemedaille. Auch wenn es nicht der Titel war: es war die erste Medaille für Lettland bei Weltmeisterschaften der IAAF seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Zuletzt war 1983 ein Lette, der Speerwerfer Dainis Kūla, als Mitglied der UDSSR-Mannschaft WM-Dritter geworden. 

Einige Zeit lang hatte die 1981 in Krāslava geborene Radēviča vergeblich versucht, einen größeren internationalen Titel zu gewinnen - bei Olympia in Athen 2004 scheiterte sie in der Weitsprung-Qualifikation (im Dreisprung 20.), 2005 bei der WM in Helsinki schied sie im Vorkampf aus, und auch im Dreisprung kam sie nicht in Endkampfnähe. Dafür sorgte ihre für den PLAYBOY 2004 aufgenommene Fotoserie für mehr Aufsehen. Damals war sie noch mit ihrem ersten Mann, dem Leichtathletik-Trainer und ehemaligen 800-Meter-Läufer Viktors Lācis zusammen, den sie 2003 geheiratet hatte. 2005 erfolgte die Scheidung.

Vielleicht gilt wieder mal der Wahlspruch: eine Frau kann auch nach der Geburt eines Kindes sportlich noch etwas erreichen. Als Radēviča kurz vor den Olympischen Spielen in Peking bekanntgab, sie werde nicht starten da sie ein Kind erwarte, war die lettische Öffentlichkeit überrascht. Auch deshalb, weil sich die Sportlerin die Öffentlichkeitsarbeit mit ihrem russischen Mann, dem russischen Eishockeyspieler Pjotrs Ščastļivijs (Stschastliwy) teilte: sie kündigte das freudige Ereignis der lettischen, er der russischen Presse mit. Äußerungen in lettischen Sportforen zufolge sehen die meisten Fans ihren Weitsprungstar weiterhin positiv.

Sportlich wird die erfolgreiche Weitspringerin Lettland noch eine Weile erhalten bleiben: bis zur Olympiade in London 2012 will sie auf jeden Fall weitermachen.
Weitere lettische WM-Sporthoffnungen dieser Woche konzentrieren sich vor allem auf den Speerwurf: Madara Palameika bei den Frauen, sowie Vadims Vasiļevskis, Zigismunds Sirmais und Ēriks Rags bei den Männern.

18. August 2011

Kein Highlight der Woche

Lettland zur besten Sendezeit im ZDF: vielleicht ist es gar nicht weiter aufgefallen, was da am Montag im Zweiten Deutschen Fernsehen Hand in Hand über den Bildschirm flimmerte. Wer es nicht gesehen hat - nichts verpasst.
Zwar sind Geschmäcker verschieden, wie man so schön sagt. Aber zumindest aus der lettisch interessierten Perspektive lässt sich sagen: zwei gemeinsam leidenden Frauen manchen noch kein Bedürfnis aus, dass diese Geschichte unbedingt lettischen Bezug haben muss. 

Ärztin und Geigerin - lettische Landschaften
in ostdeutschen Phantasien
"Hand in Hand", laut ODEON-Film die "Entwicklungsgeschichte zweiter Frauen", bringt eine krebskranke Ärztin mit einer angeblich aus Lettland stammenden Geigerin zusammen (siehe auch NOVAFILM). Die eine im Angesicht des Todes, die andere mit der Angst nach einer Handoperation nie wieder spielen zu können. Das einzige, was hier hundertprozentig passte: die spätherbstliche Novemberstimmung zum deutschen Sommerwetter 2011.

Wie gesagt: diese Kritik ist nur auf "lettische Perspektive" bezogen. Wer Lettland nicht kennt - und durch diesen Film auch nicht kennengelernt hat - wird vielleicht nichts vermissen, und sich mäßig unterhalten gefunden haben. Vielleicht kann man sich auch an schönen Bildern aus Dresden erfreuen. 

Die Einwände. Zum ersten: die Hauptdarstellerin. Erst ein Blick ins Schauspielerhandbuch verrät, dass Margarita Breitkreiz deutsch-russischer Abstammung ist (geb. in Omsk). Aber nur sowjet-nostalgische Romantik könnte hier verursachen, dass sie damit auch gleichzeitig geeignet wäre eine lettische Abstammung vorzugaukeln. Der Haken: wäre sie lettisch (dann wäre die dörfliche Abstammung vielleicht logisch), wäre weder das angelernt-gekünstelte Lettisch nötig, noch das "Edelzicken"-Image (siehe die vielen Vorbilder hervorragender lettischer Geigerinnen in der Realität, zum Beispiel Familie Skride). Wäre sie aber russisch-lettisch, so wäre ihr Ausbildungsgang wohl eher über Riga gelaufen (kommt im ganzen Film nicht vor), und sie könnte natürlich einfach russisch als Muttersprache sprechen. Und in ihrem angeblichen Herkunftsdorf hätten dann wohl auch noch ein paar andere Menschen russisch gesprochen - der mühselige Aufbau eines altertümlichen rein lettischen Märchendorfes wäre nicht nötig gewesen. Da aber auch das Elternhaus völlig weggelassen wird (nur das Haus des Lehrers spielt eine Rolle), bleibt hier vieles im Dunklen und Unklaren.Und übrigens: "Mathildas" gibt es in Lettland eher wenig, erst recht mit "h" im Namen.


Zum zweiten: Landschaft und Dorfleben. Wer erwartet, ein paar schöne Bilder von irgend einer realen Landschaft in Lettland gezeigt zu bekommen, wird enttäuscht. Hektisch werden auf der Autofahrt ein paar Pirāgi verzehrt (die glücklicherweise nicht "Piroggen" genannt werden) - das war's auch schon. Später kommt noch mal eine schöne Brotszene - aber ohne das bekannte, typisch-lettische Brot.
Klarheit bringt der Blick in die Produktionsdetails: gedreht in der Umgebung von Dresden und Berlin. Einziger Trost: rein landschaftlich "könnte" es auch irgendwo in Lettland sein - aber leider fehlt jede konkrete Realität, wie sie in Lettland so einfach zu filmen gewesen wäre! Da muss ich "spiegel online" zustimmen: postkommunistische Märchenlandschaften. Da fast nur kaputte und leerstehende Häuser vorkommen, wird hier auch noch unterschwellig suggeriert: Orte in denen Verlierer wohnen, ausgebeutet und allein gelassen vom Kapitalismus. Selbst wer so ideologisch vorbelastet herangegangen wäre hätte Orte in Lettland filmen können. Aber eigentlich passt auch die Atmosphäre dieses Dorfes nicht - obwohl vielleicht ein paar lettischsprachige Kinderschauspieler engagiert wurden, denn die Kinder sprechen hier besseres Lettisch als alle Hauptdarsteller (Corinna Harfouch: "Lettisch ist ein seltsames Geräusch"). Auch runde-Brillen-tragen hilft da nicht weiter. Wäre es eine "postkommunistische" oder "postsozialistische" Umgebung, stünde hier wenigstens ein "Kulturhaus". Das hier als leer und verlassen gezeigte angebliche "Gutshaus" wirkt da eher wie aus Zeiten vor dem ersten Weltkrieg hervorgeholt. Auch die Beziehungen zwischen dem Lehrer, dessen Bediensteter und den übrigen Dorfbewohnern wirken eher "gutsherrnartig" als postkommu
nistisch: der gealterte Lehrer spricht fließend Deutsch ohne Akzent, die Bedienstete ebenfalls, die übrigen Dorfbewohner ausschließlich Lettisch. Logische Brüche zuhauf. Auch der vielleicht "ideologisch passende" Einbruch des Kapitalismus in die Dorfwelt wäre mühlos zu filmen gewesen in Lettland: Coca-Cola-Automaten, 00-24-Läden mit Importwaren und Leuchtschildern, für Konsumenten gesäuberte Tankstellen gibt es (in Lettland) fast überall. Hier im Film nicht. 
"Baltisches" gibt es übrigens auch: der "neureiche Unternehmer" des angeblich lettischen Dorfes heißt Kasaukas - also eher ein Hinweis auf Litauisches. Und ein Lehrer des Namens "Stokkeby" würde eher auf Dänemark, Schweden oder Estland tippen lassen als auf eine alte lettische Tradition (der bekannteste Träger dieses Namens, Bernd Nielsen-Stokkeby, stammt aus Estland). 

Die Frage bleibt: was will uns dieser Film eigentlich sagen? Den Lettland-Bezug erwähnen manche Filmfans konsequenterweise eher in Nebensätzen (z.B. Schattenblick). "Grenzsituationen" - die noch vor der Grenze enden. "Die erste Hälfte des Films ist besser als die zweite, " urteilt "Quotenmeter" und meint damit, dass alles was in Dresden spielt durchaus glaubhaft inszeniert wird. 
Vielleicht können die Echtheit dieser Frauenbeziehung ja nur Frauen wirklich beurteilen. Für den durchschnittlichen Fernsehzuschauer breitet sich zwar herbstblätterfallende Traurigkeit aus, aber kaum interkulturelle Lebensrealität. Liebe Filmemacher: Dresden ist schön - aber Lettland war das nicht. Ihr hättet auch Takatukaland nehmen können.

Dudajew und Bin Laden

An den Tschetschenenführer Dudajew erinnert sich in Deutschland wohl eher selten jemand. Das ist im Baltikum ganz anders. Der später von den Regierungen der Russischen Föderation als Terrorist dargestellte Mann war in der Sowjetzeit Kommandant des Militärflughafens im estnischen Tartu. An diese Kommandantur erinnert am heutigen Barclay-Hotel eine Gedenktafel. Warum? Dudajew hatte während der singenden Revolution in Estland, an die das letzte Auslandsjournal des ZDFs erinnerte dazu beigetragen, daß die sowjetische Armee nicht eingriff.

Damit nicht genug! Die erste Regierung Mart Laar stürzte 1994, also nach der Unabhängigkeit, über eine Verschwörung mit den Tschetschenen. Die Esten hatten nämlich ihre bei der Nationalbank gelagerten Rubel nicht wie gefordert an Moskau zurückgegeben, sondern über Mittelsmänner nach Grosny transferiert, wo dieses Geld vermutlich für Waffen investiert wurde.

Die Logik hinter diesem Vorgehen? Dudajew hatte sich nicht gegen die Unabhängigkeit des Baltikums von der Sowjetunion gestellt und da wollten sich die Betroffenen in der Gegnerschaft der Tschetschenen gegen die Russische Föderation nicht lumpen lassen. Und die für Westeuropäer zunächst überraschende Unterstützung für das kaukasische Volk drückt sich auch in einer nach Dudajew benannten Straße im lettischen Riga aus. Die Straße heißt zwar Allee, ist aber eine eher kleine Straße weit abseits des Zentrums am Ende von Purvciems.

Nunmehr gibt es neuerlich eine Diskussion über diesen Namen, den es erst seit einem guten Jahrzehnt gibt. Im Radio äußert sich eine russisch sprechende Anwohnerin gleichgültig, während ein Lette von seinem letzten Besuch in Moskau berichtet, wo man nicht fassen konnte, daß der Mann ernsthaft vorgab, in der Dudajew Allee zu wohnen. Da könne man ja gleich eine Straße nach Bin Laden benennen. Die Russin gibt jedoch zu, daß viele Nachbarn einen anderen Namen lieber sähen, während ein zweiter Lette den Namen unterstützt.

Der seit zwei Jahren amtierende russischstämmige Bürgermeister von Riga, Nil Uschkow, würde den Namen gerne ändern, doch das läßt sich gegen den Rat für Denkmäler nur schwer durchsetzen.

12. August 2011

Das Baltikum löst sich auf

Gehören die drei Staaten Estland, Lettland und Litauen zusammen? Eine Frage, die aus deutscher Sicht immer wieder aufkommt - besonders bei denen, die diese Region gar nicht kennen. Hartnäckig wird in manchen Wetterberichten immer wieder von "Hochs" oder "Tiefs" "über dem Baltikum" berichtet - und auch dazu wer wohl "die Balten" sein könnten, gibt es sehr verschiedene Vorstellungen. 

Ein Bild aus alten Zeiten: die "Baltikum Tourismuszentrale"
in der Katherinenstraße in Berlin, hier ein Foto
aus dem Jahre 2004
Ungeachtet der Schwierigkeiten, Gemeinsamkeiten für alle drei Länder und Völker zu finden, gab es in den unsicheren 90er Jahren vor allem das gemeinsame Gefühl vieler Estland-, Lettland- und Litauen-Sympathisanten, dass nur starke Interessenvertretungen helfen könnten, die weitere Entwicklung im Sinne der unabhängigen baltischen Staaten zu sichern. Nur realisiert wurde es selten: lieber erging man sich in historischen Betrachtungen, dass schon die "baltische Entente" in den 30er Jahren ja nie funktioniert habe, und schon innerhalb der einzelnen Ländern Einigkeit über bestimmte Konzepte oder Strategien zu erhalten eine schwierige Sache sei. Es gab eine einzige Einrichtung in Deutschland, innerhalb derer Estland, Lettland und Litauen in Deutschland gemeinsam auftraten: die Baltikum Tourismuszentrale. Ende Juli 2011 wurde sie nun offiziell geschlossen. 

Noch gibt es keine offizielle Pressemitteilungen dazu, keine Ministeransprachen, und auch keine offiziellen Gründe für die Schließung. Sicherlich werden fehlende Finanzen als erste Gründe genannt werden, wenn es um Entschuldigungen, Erklärungen und die Präsentation von angeblich besseren Konzepten gehen wird. Aber schon seit Wochen und Monaten wurde die Einrichtung, die auch im Internet durch eine gut sortierte Internetseite präsent ist, eher behandelt wie eine Titanic von der die Eigentümer längst wissen wann sie den Eisberg treffen wird. Wenn bereits Angestellte entlassen werden und Anfragen unbeantwortet bleiben, hegten einige offenbar noch die Hoffnung eine Weile vom schönen Schein leben zu können. 
1999 war es die Lettin Anda Šilde, die mit der organisatorischen Unterstützung des Lettischen Zentrums Münster anfing, erste Schritte zu einer gemeinsamen Vorstellung der baltischen Staaten in Deutschland zu gehen. "Go baltic!" war das erste Motto, und es traf damit genau die Zeit der eifrigen Vorbereitungen in Richtung Beitritt zur Europäischen Union. Estland, Lettland und Litauen erlebten die Zeiten eifrigen Aufbaus und vieler Hoffnungen. 2004 schrieb der Berliner Tagesspiegel von "günstigen Mieten und der Signalwirkung", die mehr und mehr touristische Vertretungen nach Berlin lockten. Auch die "Baltische Tourismuszentrale" war 2003 aus dem (lettisch geprägten) Münster (Šilde: "da waren wir weg vom Fenster") nach Berlin-Charlottenburg gezogen, in die "Drehscheibe zwischen Ost und West" (Šilde). Die Informationsarbeit fuhr noch zweigleisig: die Digitalisierung der Medien und der Kommunikation fasste in Deutschland erst zögernd Fuß, und so wurde sowohl eine Internetpräsenz augebaut wie auch gedruckte Broschüren mit sorgfältig zusammengestellten Listen von Reiseanbietern, Fährverbindungen und Reisetipps vertrieben (Auflage: mehrere Zehntausend). Die Rückbennenung auf "Baltikum" erfolgte damals mit der Begründung, die Deutschen würde es nunmal in dieser Form leichter verstehen. Und auf Messen in ganz Deutschland warb das Šilde-Team - jetzt verstärkt mit Mitarbeiterinnen auch aus Estland und Litauen - zunächst einmal um das deutsche Publikum: die große Mehrheit konnte Eesti, Lietuva, Latvija, Vilnius, Tallinn, Reval, Dorpat oder Libau weder selbständig auf Landkarten finden noch regionale, kulturelle oder geschichtliche Besonderheiten auseinanderhalten. 

Nun muss Lettland wieder allein für sich werben:
wie hier beim Empfang zu 80Jahre Unabhängigkeit
im November 2008 in Berlin
Manche sagen ja, dieser Zustand habe sich bis heute kaum geändert: die Deutschen glauben an die Existenz eines "Baltikums" - gewissermaßen einer Wundertüte unbekannten Inhalts - das sich vor Ort nicht auffinden läßt. Kein Wunder dagegen, dass es immer wieder Deutsche waren, die sich nach 1990 über die "neu errichteten Grenzen" zwischen Estland, Lettland und Litauen beschwerten und generös vorschlugen, hier könne man doch ähnlich den Benelux-Staaten verfahren (die allerdings inzwischen auch nicht mehr als Einheit angesehen werden). Aber die erste Boomphase des "Baltikum"-Tourismus zwischen 2003 und 2008 hat die "Baltikum Tourismuszentrale" wesentlich mit angeschoben. Immerhin wurde erreicht, dass nun wesentlich mehr Deutsche - auch jüngere - in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis jemand finden werden, die oder der schon mal da war. 

2008 erkannte Anda Šilde wiederum rechtzeitig die Zeichen der Zeit und überließ das Büro in der Berliner Katherinenstraße einem (deutschen) Nachfolger. Das war noch vor der Finanzkrise, aber schon damals war allzu deutlich zu vernehmen, was hauptsächlich den Spaß an der Arbeit verdarb: die Uneinigkeiten der drei Staaten untereinander. Zwar eifern alle drei inzwischen auch einem diffusen Wunschbild einer "nordischen" Identität nach - aber zu gemeinsamen Botschaften in Berlin wird es nicht kommen, das kann wohl sicher angenommen werden. 

früher Innovation, jetzt nur
noch Nostalgie: gemeinsamer Auftritt auf
deutschen Reisemessen
Zurück bleiben vielfach nach wie vor ungeklärte Identitätsprobleme. Soll man den Deutschen nun weiterhin "Baltikum" versprechen wenn doch "Estland", "Lettland" und "Litauen" - manchmal sogar "Saaremaa", "Kurland", "Latgallen" oder "Žemaitija" drin ist? Wie lange wird sich Vilnius - angeblichen Traditionen deutscher Diplomatie folgend - in Deutschland noch "Wilna" nennen? Werden Deutsche von Litauen je mehr verstehen, als dass dort irgendwie doch die Kurische Nehrung ist, auf der Bernstein wächst und in der Nähe Ostpreußen und Wolfskinder wohnten? Will Lettland wieder das ganze Jahr über Weihnachtsbäume aufstellen und das für typisch lettisch erklären? Will Estland ganz aufs Digitale setzen, und im Fall von Fragen einfach sagen: "Please Sir, here is the Computer, please use the Internet" (ist mir schon so passiert).
In wenigen Tagen, am 23.August, wird wieder der Jahrestag des "Baltischen Wegs" - der größten gemeinsamen Aktion von Litauer/innen, Lett/innen und Est/innen gefeiert, die es wohl jemals gab, und die (neben den Sängerfesttraditionen) Weltruhm erlangten. Doch der "Baltische Weg" der drei Staaten in Deutschland ist vorerst zu Ende. In Zukunft wird man wieder darauf gefasst sein müssen, dass Agenturen oder Internetpräsenzen, die angeblich unabhängige Reiseinformationen anpreisen, doch eigentlich viel lieber nur ihr eigenes Produkt verkaufen wollen. 


P.S.: in eigentümlicher Überstimmung der Daten - passend zum Thema Lettland-Tourismus - wurde in den letzten Julitagen auch das "Hotel de Rome" in Riga geschlossen, das lange als besonders gelungene Geldanlage deutscher Investoren galt. Hier streiten sich nun Hauseigentümer (eine Kapitalgesellschaft), Hotelbetreiber (eine GmbH) und weitere Anteilseigner im Hintergrund um den Weiterbetrieb (siehe Delfi Bizness vom 10.8.11). Offenbar stehen Touristen nun (trotz gebuchter Zimmer) vorerst vor verschlossenen Türen (ohne dass sich bis heute auf der Homepage des Hotels ein Warnhinweis befinden würde). Wer berichtet in Deutschland darüber, oder berät irritierte Kunden? Ob der Mantel des Schweigens immer noch als Kleidungsstück der Imagewerbung taugt?

9. August 2011

Lettisches Gemurmel vor baufälligem Hintergrund

Lettische Komparsen dienen offenbar der Baumarktkette "Hornbacher" (Jappa-da-ja-jüppi-düppijäh) neuerdings als Anschauungsmaterial für Rückständig- und Renovierungsbedürftigkeit. (siehe: Trigger Happy Productions)
Lettland-Kundige, die aus Versehen mal bei Werbespots nicht wegschalten oder den Ton leiser drehen, werden während des Spots irgendwie Vertrautes wahrnehmen. Souffleusen werden hier nicht gebracht zur Belustigung der deutschen Kundschaft - das lettische Gemurmel läuft im Hintergrund einfach mit. Ein Grundkurs in Europakunde wird es auch nicht sein: ob hier wirklich ein lettisches Städtchen (Kandava? Tukums?) im Ergebnis ein paar Häuser renoviert bekommen hat bleibt unklar.

Hornbacher-Werbespot: "Es haben viele Menschen aus unserem Ort
mitgewirkt",schrieb die Gemeinde Kandava damals stolz
Was lernen wir daraus? Falsche Frage! Sind Werbespots zum lernen da?

Nein - ob die Spots nun informativ, langweilig oder lustig daherkommen, Hauptsache der Firmenname wird nur häufig genug genannt. - Wozu ich nun auch noch einen Teil beigetragen habe - aber ich drehe auch den Ton nächstes Mal wieder leiser. Versprochen.

Hornbacher ist zwar international aktiv, bisher in Osteuropa aber nur in Tschechien, Rumänien und der Slowakei. Ob sich hier nun die deutsche Kundschaft einen Witz auf Unbekannte (Idioten?) machen soll (es wird ja kein Hinweis eingeblendet, dass Lettisch gesprochen wird) - auch das bleibt vorerst unklar (der Spot wurde produziert von der Agentur "Heimat" / Berlin). Fleissige Deutsche und andere, die nur faul herumhängen mit den Händen in den Taschen - es passt ins Klischee der Kundschaft. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus: vielleicht würde lettische Kundschaft sagen: die Masche kennen wir schon! Denn dass deutsche Hersteller ihre Waren in Lettland teurer verkaufen als im verhältnismäßig reichen Deutschland, das kennen lettische Konsumenten schon länger.