13. Dezember 2021

Das Moor, die Schuldigkeit

Torf, für gesunde Ernährung und gesunde Umwelt - so wirbt der lettische Torfverband (Latvijas Kūdras asociācija LKA) heute noch für seine Produkte. Laut einer Informationsbroschüre des Lettischen Naturschutzfonds nahmen 1997 Torfmoore 316 ha oder 4,9% der Landesfläche Lettlands ein ("Dzīvība purvā") - 1980 sollen es noch 9,9% gewesen sein (LVGMC). 1995 hatte Lettland die auf dem Umweltgipfeltreffen von Rio de Janeiro 1992 beschlossene "Klimakonvention" ratifiziert. Bereits 1982 war Teiči, mit fast 20.000 ha Lettlands größtes Hochmoor, unter Naturschutz gestellt worden. 

Nach Angaben des lettischen Zentrums für Umwelt, Geologie und Meteorologie (Latvijas Vides, ģeoloģijas un meteoroloģijas centrs) wurden Ende der 1980er Jahre in Lettland noch mehr als 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr an Torf abgebaut. In den 1990er Jahren ging der Abbau allmählich zurück, 1998 waren es noch 209.000 Tonnen. Torf wurde in Lettland vielfach genutzt - unter anderem auch für Torf-Heizkraftwerke (ab 2003 eingestellt). 

Nun gibt es die neue EU Strategie "Green Deal", der zufolge die Verwendung von Torf im Gartenbau bis 2030 oder spätestens bis 2035 auslaufen sollte, wenn alternative Materialien zur Verfügung stehen. Deshalb befindet sich der Torfabbauverband LKA, zusammen mit dem Verband der lettischen Gartenbaubetriebe (biedriba “Latvijas dārznieks”) und dem Wirtschaftsmininsterium Lettlands gegenwärtig in Gesprächen mit der Europäischen Union, welche Auswirkungen die neue EU-Strategie auf Lettland haben könnte (LKA-Bericht). Wird also die Torfproduktion bald von Lettland nach Belarus oder Russland abwandern, wie es die lettische "Dienas bizness" befürchtet?

In einem Informationsblatt der Europäischen Union ist Folgendes zu lesen: "Es wurde festgestellt, dass Ersparnisse in der Größenordnung von 183 kg CO2-eq je Tonne Kompost erzielt werden, wenn Torf durch Kompost ersetzt wird." Und weiterhin auch: "Torf ist ein nicht erneuerbares Material, das aus dem Boden gestochen wird. Dieser Abbau führt zu einem Verlust natürlicher Ökosysteme und dem daraus resultierenden Rückgang der biologischen Vielfalt und der Arten."

Längerfristig geht es also um die Einstellung der Torfnutzung sowohl im Energiesektor, um Rekultivierung degradierter Torfmoore und "Öko-Wirtschaft" auch im Torfsektor. Journalistin Ingūna Mieze berichtete kürzlich für die "Latvijas Avize" aus Irland: Lettland hatte 3600 t Torf dorthin exportiert, nachdem die irische Regierung den einheimischen Torfabbau gestoppt hatte - nun protestierten irische Gartenbaufachleute und Pilzzüchter mit dem Argument, nur frischer Torf sei vollwertig zu gebrauchen, ein Import von Torf sei also inakzeptabel. 

Das deutsche Umweltbundesamt sieht es so: "Es wird ferner angenommen, dass bis 2030 ein Viertel der inländisch produzierten Torfmenge durch Komposte ersetzt werden kann. Bis 2040 wird der Abbau vollständig eingestellt. Entscheidend ist dabei, dass die Substitution der inländischen Torfe nicht durch importierten Torf (z.B. aus dem Baltikum) erfolgt." 

Werbeseite der Firma
"Erden-Lensing", Dorsten

"Es gibt 60 Millionen Gründe, den Gebrauch von Torf auch nach 2030 weiter zu erlauben!", meint dagegen Laima Zvejeniece, Produktionsleiterin bei der lettischen Staatsforsten von "AS Latvijas valsts meži" (LVM). Von den 56 Millionen Jungpflanzen, die LVM jedes Jahr verkaufe, würden 80% zur Wiederaufforstung der Wälder verwendet, zählt sie auf. 94% der in Lettland erzeugten Setzlinge werden in Containerpflanztechnik angebaut - dafür kauft LVM jährlich bis zu 14.000 m3 Torfsubstrat und bis zu 25.000 m3 Mahltorf zu.
20% des in Lettland abgebauten Torfs gehen in den Export - meist im Rahmen langfristiger Lieferverträge nach Skandinavien. All dies sei durch den neuen "Grünen Kurs" der Europäischen Union nun gefährdet. (delfi)

Die EU solle nicht pauschal für ganz Europa urteilen, sondern die Situation in jedem Land einzeln bewerten, meint Zvejeniece. In Lettland beispielsweise sei die Situation im Bereich der Moore um ein Vielfaches besser. "Etwa 70 % der lettischen Moore sind unberührt und etwa 40 % befinden sich in besonders geschützten Naturgebieten. Nur in vier Prozent der Moore findet eine wirtschaftliche Aktivität, also der Torfabbau statt." 

Bei solchen Zahlen wird allerdings unterschlagen, dass Lettland viel zu viel Waldfläche per Kahlschlag vernichtet ("aberntet") - Holz bringt derzeit seht gute Verkaufspreise. Wo nichts mehr wächst und mit großen Maschinen der Waldboden geschädigt wird - da muss dann Ersatz her: sehr viel auf einmal, und sehr viel Torf. 

Die sogenannte "Plattform für einen gerechten Übergang" bietet den EU-Mitgliedsländern Hilfestellung bei erforderlichen Umstellungen an. Genau dazu hat die lettische Torfindustrie bereits ihre Planungen vorgestellt - es geht natürlich um Geld (Territorial just transition plan). 

Lettische Torfabbaufirmen wie ZIBU (Ventspils), Torfo oder Kudras (Valle, bei Bauska) bezeichnen, offenbar unangefochten von solchen Diskussionen, Torf immer noch als "wichtigste natürliche Ressource Lettlands" - im Sinne ihrer Nutzung, natürlich. Deutsche Firmen importieren und vermarkten eifrig Torf aus Lettland, so zum Beispiel: "Ziegler Erden", "Hawita" (Bericht), Klasmann-Deilmann (Osnabrücker Zeitung), "Erden-Lensíng" (Dorsten), Neuland-Hum (Wachenroth-Buchfeld), Mygreenhorizon (Moormerland), TerraCult (Oldenburg), Plantaflor (Vechta), SvenMagnussen (Elmshorn), oder auch die niederländische LEGRO aus den Niederlanden, die auch eine Niederlassung in Worpswede unterhalten. Im hessischen Bad Hersfeld wurde auch schon mal eine Torfladung bestoppt, die schlecht gesichert in losen Ballen auf dem LKW gestapelt war (Osthessen-News)

Was ist der größere Reichtum - der Torf oder die Natur? So fragte Artūrs Jansons schon vor Jahren in der lettischen Umweltzeitschrift "Vides Vestis". Er kritisiert unter anderem, die Zahlen über die Torfvorkommen in Lettland seien hoffnungslos veraltet und stammten teilweise noch aus Sowjetzeiten. In Lettland gäbe es kein Datenbank, wo alle Daten zu diesem Bereich zusammengefährt und ausgewertet werden könnten. 

Biologin Māra Pakalne, eine der bekanntesten Moorschutz-Expertinnen Lettlands, schreibt in einem Vorwort zu einem Naturschutzprojekt: "Verglichen mit anderen Staaten Westeuropas haben sich lettische Moore noch viel Ursprüngliches erhalten. Biologische Vielfalt, die in anderen Staaten durch menschliche Aktivitäten längst verloren gegangen ist, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier noch in der Realität erforschen."