22. Dezember 2006

Zeugnisse per Internet

Ungewöhnlich der Zeitpunkt, und wenig vorweihnachtlich das Thema: anläßlich einer gemeinschaftlichen Presseveranstaltung gaben das lettische Ministerium für Bildung und Wissenschaft gemeinsam mit dem "Zentrum für digitale ökonomische Entwicklung" (DEAC - Motto: "Information ist mehr wert als Geld") in Riga bekannt, in Zukunft mehr digitale Zugangsmöglichkeiten zu Zeugnissen und Schülerbeurteilungen schaffen zu wollen.
Schau, was bringt der Weihnachtsmann? Den gläsernen Schüler?

Info-Allianz zwischen Schulen und Eltern
Seit Anfang November läuft ein Projekt des Ministeriums, in dessen Rahmen Schulen eine digitale Kommunikationsmöglichkeit mit den Eltern der Schüler angeboten wird. Im Oktober 2005 waren im lettischen Parlament dazu die rechtlichen Grundlagen beschlossen worden. Bereits 300 allgemeinbildende lettische Schulen nehmen an diesem Projekt der "E-Klassen" teil, 250 davon bereits sehr aktiv, so berichteten die lettische Ministerin für Bildung und Wissenschaft, Baiba Rivža, gemeinsam mit der lettischen Ministerin für die besonderen Aufgaben der elektronischen Verwahlung, Ina Gudele. Eigentlich sei das Projekt auch bereits 2003 in Lettland gestartet, aber dann von der damaligen Regierung unter Einārs Repše gestoppt worden. Nun soll es also richtig los gehen.

Das Ergebnis könnte auch "gläserner Lehrer" genannt werden. Denn die Lehrer geben in Form eines "elektronischen Berichtes" auf einem Internetportal (www.e-klase.lv) registrierten Eltern laufend Auskunft über die Notengebung der betreffenden Schüler. Im Laufe der kommenden zwei Jahre sollen die in dieses System einbezogenen Lehrpersonen alle mit mobilen Rechnern ausgestattet werden, um alle Vorteile des Systems jederzeit nutzen zu können.

Erste Erfahrungen: Eltern sind begeistert.
Sandra Sīle, Direktorin des Agenskalns Gymnasiums in Riga, berichtete auf der Presseveranstaltung von den ersten Erfahrungen. "Das ist eine effektive und schnelle Möglichkeit, Eltern über die Leistungen ihrer Kinder in der Schule zu informieren." (Delfi / Latvijas Avize 21.12.06)

Auch die Sicherstellung sonstiger schulischer Dokumente auf digitale Art - anstatt alles auszudrucken - wird von den Projektbetreibern nicht ausgeschlossen. Gegenwärtig gebe es aber an vielen lettischen Schulen noch einen großen Mangel an den dafür notwendigen Rechnern. Jegliche Information rund um die betreffende Ausbildungseinrichtung, über Kurse, Lehrer und spezielle Bildungsangebote sollen so verfügbar sein - auch für Gemeindeverwaltungen und andere staatliche Institutionen. Die Datensicherheit soll in sofern gewährleistet sein, dass Eltern durch einen speziellen Zugangscode wirklich nur jeweils Zugang zu den Informationen betreffend ihrer Kinder erhalten. Es wird allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Eltern pro Nutzung zukünftig auch eine Gebühr zahlen müssen (10 - 15 Santīmi, also 15-22 EuroCent). Für die Schulen soll das System kostenlos bleiben.

In der lettischen Presse (Latvijas Avize 21.12.06) wurden dazu auch Elternvertreter des Agenskalns Gymnasiums interviewt. Die Mutter einer Schülerin erklärt dort, dass sie Auskünfte über die laufenden Lernerfolge ihrer Tochter bereits jetzt nicht nur per Internet, sondern auch direkt auf ihr Handy bekommen könne.

Über Wortmeldungen von Seiten der Schülerinnen und Schüler war in der lettischen Presse bisher noch nichts zu lesen. Die DEAC-Projektbeschreibung sagt dazu: "Nicht alle Schüler sind so gewissenhaft wie es wünschenswert wäre." Auch Rauchen, Alkoholmißbrauch und Drogen werden als Gefahren an der Schule benannt, worüber das Infosystem für die Eltern nun offensichtlich schneller Auskunft geben soll - falls die eigenen Kinder betroffen sind.

21. Dezember 2006

Keine Coke zum Fest

Weltkonzerne haben es nicht leicht in Lettland. Wochenlang zieht Coca-Cola bereits mit einem kindgerechten Werbetruck durch die baltische Region, laute Musik voraus, rot-weiß befrackte Männchen und Weibchen inklusive (Foto: Coca-Cola-Truck in Vilnius).
Wieviele der superschnellen Zwischenstopps in litauischen oder lettischen Kleinstädten die eingesetzten Laiendarsteller bereits hinter sich haben - wir wissen es nicht.
In Lettland mussten die US-amerikanischen Konsumwerber bereits das Cola-Verbot an Schulen hinnehmen. Und jetzt das: lettische Politikerfrauen empfehlen: Feiern Sie Weihnachten - aber nur mit gesunden Lebensmitteln!

Am 19.Dezember war Undine Bollow-Pabriks, Gattin des lettischen Aussenministers, prominenteste Protagonistin der vom lettischen Gesundheitsministerium initiierten Kampagne "Gesunde Geschenke". Die meisten der überreichten Gaben, die an diesem Tag als Geschenke für das Rigaer Waisenhaus "Marsa Gatve" überreicht wurden, stehen bestimmt bei vielen anderen Kindern auch auf dem Wunschzettel: Teddybären, Kleidung, oder bunte Spielbälle. Als "gesunde Snacks" wurden den Kindern Fruchtsäfte, getrocknete Früchte und Nüsse gereicht - genau entsprechend der Kampagne, die vom lettischen Gesundheitsministerium bereits seit Beginn des laufenden Schuljahrs in Lettland initiiert worden ist.

Am 21.Dezember werden "als Gnome verkleidete Angestellte des Aussenministeriums" im Sozialzentrum Plavnieki eine ähnliche Aktion durchführen. Die öffentlichkeitswirksame Geschenküberreichung versteht sich dabei, gemäß einer entsprechenden Pressemitteilung, ausdrücklich als Nicht-Teilnahme an der von Coca-Cola auch in Lettland organisierten "Weihnachts-Karawane". Die überreichten Geschenke wurden gespendet von Diplomaten, die in Riga leben und arbeiten, aber auch von den lettischen Botschaften im Ausland, so gab es das Aussenministerium bekannt.

16. Dezember 2006

Der falsche Weihnachtsmann

Auch nach den diesjährigen Parlamentswahlen in Lettland, als zum ersten Mal eine amtierende Regierung weiterarbeiten konnte, ist das Vertrauen in die lettische Parteien nicht größer geworden. Allgemein wird die diesjährige Wahlentscheidung von politischen Beobachtern als "Wahl des kleineren Übels" bezeichnet. Allzu deutlich ist die Abhängigkeit der größeren Parteien von ihren Interessengruppen und Mäzenen im Hintergrund - nur wenige glauben daran, dass Politiker auch für das Allgemeinwohl arbeiten könnten. Aber trotz allem ist ein schlechtes Beispiel noch in Erinnerung. Wenn es darum geht, dass die Zustände in Lettland seit 1991 auch schon einmal schlimmer waren, die Demokratie auf wackeligen Beinen stand, dann wird gerne gesagt: "Ihr wollt doch nicht etwa einen wie den Siegerist wieder haben?"

Wähler durch Ausgabe von Bananen zu ködern, das war vielleicht nur das dümmste Beispiel der Wahlkampagnen des Joachim Siegerist Mitte der 90er Jahre in Lettland. Lettische Vorfahren für die eigene Karriere "ausgraben", aber kein Wort Lettisch lernen, zu Parlamentssitzungen nicht erscheinen, wegen Hetztiraden gegen verschiedene Minderheitengruppen vor Gericht verurteilt werden, aus mehreren Parteien rausfliegen, aber trotzdem frech verkünden "ich will lettischer Präsident werden" - ja, das ist alles passiert. Zu Zeiten, als Heilsverkündern aus dem Westen in Lettland noch etwas leichter geglaubt wurde.

Warum ist nie etwas aus Joachim Siegerist geworden?
Bekannt war er schon immer durch seine rührseligen Bettelbriefe an meist ältere Leute, von denen er sich Spendenbereitschaft für seine Wahlkampagnen erhoffte. Für's persönliche Überleben hat das so eingenommene Geld offensichtlich immer noch gereicht. Und siehe da: es gibt wieder eine Wahlkampagne, für die Siegerist sammelt: er hofft auf die Kandidatur zur Bürgerschaftswahl in Bremen, die im Mai 2007 stattfinden wird. Doch was tun, wenn ihn in Bremen keiner kennt?
Mitglieder in kirchlichen Initiativen, Partnerschaftsvereinen oder anderen Gruppen, die im Bremer Raum Kontakt nach Lettland haben, müssen sich seit einigen Wochen wundern. Nun bekommen auch sie - ungefragt, und in immer kürzerer Frequenz - Bettelbriefe von Herrn Siegerist.

Der Spenden-Erschleicher
Vieles, was da geschrieben steht, kommt so wirr daher, dass es wohl schnell in die Papierkörbe wandern wird. Aber: Da wird auch mit alten und kranken Leuten geworben, die sich persönlich nicht wehren können. So wie Pastor Claus von Aderkas. Der engagierte Deutschbalte von Aderkas hatte sich jahrelang für soziale und kirchliche Projekte in Lettland eingesetzt. Momentan ist er mit nachlassenden Kräften ans Bett gefesselt, und wird sich kaum vorstellen können, wie unverschämt aus seinem ideelen Erbe Kapital geschlagen wird. Siegerist verschickte nun Fotos, auf denen von Aderkas bei einem Besuch in einem Altenheim zu sehen ist, geschickt versehen mit einem Begleittext, der den Anschein erweckt, nur Siegerist sei in der Lage, die sozialen Projekte, die von Aderkas angefangen hatte, weiterzuführen. Natürlich ist das Ganze immer versehen mit Zahlscheinen, vorgedruckten Spendenanweisungen und Ähnlichem. Und vor allem: Pastor von Aderkas' Bekannte und Freunde bekommen nun - ungefragt - alle diese Post des Herrn S.
Warum? Absender ist die "Aktion Reiskorn" in Hamburg. Angefüllt sind diese Briefe mit merkwürdigen Texten, von "die Miezekatze der Buchhalterin Rosa" bis zu "Onkel Hermann will Foxtrott tanzen". "Ganz nebenbei" mit verkauft werden Behauptungen, Soldaten hätten im 2.Weltkrieg nicht für Hitler oder die NSDAP gekämpft, sondern vor allem gegen Stalin. Gegen Stalin? Hatte nicht Nazi-Deutschland mit nahezu allen Nachbarn einen Krieg angezettelt, Herr Siegerist?

Nicht diskutieren -aber alte Menschen ausnehmen!

Ja, auch ein Herr Siegerist wird eben älter. Da wird nicht mehr diskutiert - aber fleißig Geld eingesammelt schon! Das Prinzip ist einfach: es ist Weihnachszeit, und wer seriös aussehenden Briefen hübsch ausgefüllt Zahlkarten, immer schön mit dem eigenen Bankonto als Empfängeradresse beilegt, der kann vielleicht auf eine gewissen "Erfolgsquote" hoffen. Vor allem bei gutgläubigen alten Menschen. Kürzlich wurde gar ein komplettes Buch mitgeschickt, sozusagen "gestammelte Werke", die sonst niemand veröffentlichen wollte. Da hofft unser Herr Joachim wohl auf die Ordnungsliebe der Deutschen, die auf erhaltene Waren auch immer die Rechnung zahlen. Und, warum das alles? Warum das Risiko eines völligen Ruins des eigenen Rufs (der eh schon lädiert genug ist)?
Nun, in Bremen ist eben Wahlkampf. Und sowas kostet Geld. Noch hofft Herr Joachim, dass er mit einer frisch gegründeten Partei antreten kann, um Bremen 2007 zu retten. Radio Bremen berichtete am 9.10.2006 darüber. Hart gearbeitet hat Siegerist auch dafür, um seinen bisherigen Ruf als Rechtsextremist so zu bearbeiten, dass sich NPD (7.9.2005, NPD Sachsen) von ihm bereits distanzierte. Und die "Deutschen Konservativen" sagten schon mal über Herrn Joachim: "Stets an vorderster Front, wenn es darum geht, große Töne zu spucken". Aber auch in Lettland hatten gelegentlich groß publizierte Spenden an die jüdische Gemeinde in Riga die Rechtsaußen-Gesinnung nicht wirklich verdecken können - eine Einreise nach Israel wurde ihm untersagt (Hagalil 12.11.1998). Und dafür, dass er in der "Jungen Freiheit" gefeiert wird, schämt sich Siegerist natürlich ebenfalls nicht.

Er hätte es besser gelassen - nun ist es zu spät. Peinlich, peinlich, Herr Siegerist. Machen Sie nur so weiter: wehleidiges Gebettel, oder öffentliches Nachdenken über "alte Sünden". Der Kreis Ihrer erhofften Unterstützer ist längst nicht so groß wie Sie vielleicht glauben.
Wir erweisen Ihnen aber gern noch einmal die letzte Ehre - und erklären hiermit diesen aufdringlichen Mist für eine Schande: für Lettland schon lange, und nun auch für Bremen! Wer das nicht merkt, ist selber Schuld!