20. Mai 2019

Kein Weg zurück

Lettland findet keine Weg aus dem Müll - so scheint es. Auch 15 Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union hat Lettland immer noch kein Rücknahme-System für Plastik-flaschen. Egal wie eifrig auch "Cūkmens" (Blog1  / Blog2) umherzog, mahnte und bat - die zuständigen Politiker/innen erhörten es nicht. Ob es daran lag, dass die Posten der Umweltminister in letzter Zeit meist eher nach Parteiproporz als nach dem Grad des Engagements für die Umwelt vergeben wurden?

Die Einführung von Rücknahmesystemen in Estland und Litauen haben sowohl die Häufigkeit illegaler Müllentsorgung (im Wald, am Straßenrand etc.) verringert, wie auch die Recyclingquote erheblich erhöht - das geben zumindest die lettischen Umweltaktivisten zu. Gegenwärtig landen vielfach Glas-, Plastik- und Aluminium-Verpackungen irgendwo in der Natur. Zwar rühmen sich die Lett/innen regelmäßig der im Frühjahr mit großer Beteiligung durchgeführten Aufräumaktionen (lett. = "talkas") - aber das hier teilweise 80% des aufgefundenen Mülls aus PET-Flaschen besteht, ist Anlaß zur Frustration. Bereits über 12.000 Unterzeichner/innen konnte eine auf dem Portal "manabalss" ("Meine Stimme") gestartete Petition für die Einführung eines Rücknahmesystems sammeln - nun befasst sich inzwischen auch das Parlament damit. Aber weiterhin sind von der Poltik nur pauschale Ausflüchte zu hören: ineffetiv und zu teuer seien solche Rücknahmesysteme (also wird alles weiterhin "effektiv" in der Natur hinterlassen). Schließlich seien ja bereits Container zur Abfalltrennung vorhanden - wenn sie nur besser genutzt würden.
Noch vor einem Jahr sprach sich der damalige Landwirtschaftsminister Janis Dūklavs strikt gegen die Einführung eines Rücknahmesystems aus - er wurde dafür scharf kritisiert und eines Interessenkonfliktes verdächtigt, da er ja gleichzeitig Miteigentümer der "Piebalga"-Brauerei sei (lsm).

Gegner sind angeblich vor allem die Händler - während die Plastik-Produzenten sich teilweise dafür aussprechen, allerdings auch eine finanzielle Unterstützung durch die EU verlangen (bnn). Angeblich seien landesweit 3000 Anlagen zur Rücknahme von Flaschen nötig - und Investititionen von 78 Millionen Euro (Baltic Times), so behauptet es die Industrie. Um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, könne es nicht sein die Rücknahmesysteme nur in einigen ausgewählten Läden stehen zu haben.

Und dann bleibt ja auch die Frage: was geschieht mit den wieder eingesammelten Flaschen? Wenn damit nur eine Verbrennungsanlage befeuert würde, würde Lettland die in der EU angestrebten Recyclingquoten weit verfehlen, so mahnen die Umweltschützer/innen der "Zaļā brīvība” ("Grüne Freiheit") in einem offenen Brief an die lettischen Umweltbehörden. 2016 konnten nur 25,2% des Hausmülls in Lettland einem Recycling zugeführt werden (Litauen 48,0%, Deutschland 67,1%), und Lettland sei der einzige EU-Mitgliedsstaat, der sogar verlange die EU solle Müllverbrennung mitfinanzieren. Bisher sei das System der lettischen Müllverwertung nur "ein Geschäft, das seine Mission vergessen hat und dem es nur um Gewinnmaximierung geht" (Zaļa brīļvība).

89% der Einwohner Lettlands sprechen sich für die Einführung eines Rücknahmesystems aus, so eine Umfrage der Agentur SKDS. Unter dem Eindruck schärferer EU-Gesetze gegen Einwegplastik diskutierte das lettische Parlament am 28. Oktober 2018 in erster Lesung einen Gesetzentwurf, dem zufolge ab 2020 ein Rücknahmesystem kommen soll; per Preisaufschlag soll das System finanziert werden. Gleichzeitig werden kostenlose Plastiktüten aus den Supermärkten verbannt.

Aus Estland gab es auch schon mal den Vorschlag, ein gemeinsames Rücknahme- und Verwertungssystem mit Lettland aufbauen zu wollen - schließlich seien eine Vielzahl der Flaschen in beiden Ländern in Gebrauch (und verursachten auch Probleme). Diese Gespräche fanden allerdings noch vor den Wahlen in Estland statt - heute sind es sogar in beiden Ländern andere Verantwortliche (baltic-course).

Immerhin gibt es in Lettland schon 3000 Abgabestellen für Altbatterien (siehe: "Zaļais punkts"). Schon seit 2003 gibt es "Pet Baltija", eine Firma die das Polyethylenterephthalat der gebrauchten Plastikflaschen zu Flocken verarbeitet. Interessant ist vielleicht, dass lettische Hersteller solcher Plastikflocken wie "NordicPlast" bereits heute auch auf ("Rohstoff"-)lieferungen aus Litauen und Estland zurückgreifen. Umgekehrt wird per Container in Lettland eingesammeltes gebrauchtes Glas heute in Litauen und der Ukraine weiterverarbeitet (recycleriga). Und wer global denken gelernt hat, wird schnell feststellen dass ein großer Anteil des bisher für eine Wiederverwertung vorgesehenen Plastiks einfach nach China exportiert wurde - dies wurde dort nun gestoppt (angeblich aus Vorsorge für die Umwelt). Leicht auszumalen, welche neuen Wege nun gesucht werden: die scheinbar leichteste Lösung - "nur schnell weg damit!" - also Verbrennung? Aber auch Recycling kann nur dann sinnvoll sein, wenn Abfallvermeidung die Strategien ergänzt. Diese Diskussion wird auch in Lettland weiter anhalten - auch nach der Einführung von Rücknameautomaten.

12. Mai 2019

Stalin in Jelgava

Vor 70 Jahren - am 9.Mai 1949 - kam ein Film in die sowjetischen Kinos, der voll in die Zeit der Heroisierung Stalins passte: "Stalingradskaja Bitwa" (deutscher Titel: "Die Stalingrader Schlacht"). Was jedoch kaum jemand weiß: viele Szenen dieses Films wurden nicht in Russland, sondern im damals sowjetlettischen Jelgava gedreht - und sowjetische Pyrotechnik zerstörte auf diese Weise die letzten Reste des historischen Stadtkerns von Jelgava (früher deutsch=Mitau), der seit einem Angriff der Roten Armee im Sommer 1944 zur Produktionszeit 1948 nur noch in Ruinen stand.

Die ehemalige "Perle von Kurland" war also gerade gut genug zur Illustration einer der größten Schrecken des Krieges. Nur wenige Jahre nachdem die Stadt bereits heftige Schäden durch eine Bombardierung davongetragen hatte, wurden während der Filmarbeiten im Sommer 1947 noch einige weitere Reste historischer Mauern zerstört. "Das, was die Rote Armee nicht geschafft hatte, vollendeten nun die Filmleute", schreibt Elmārs Barkāns in einem Beitrag für das Internetportal "Jauns.lv".

Aber auch aus lettischer Sicht sind die Erinnerungen daran, was die „Mosfiļm” aus Moskau in Jelgava drehte, offenbar nahezu verschwunden. "In unseren Archiven befindet sich dazu nichts, wird Dace Grants vom Rigaer Kinomuseum zitiert. Und Aldis Barševskis vom Museum für Geschichte in Jelgava (Ģ.Eliasa Jelgavas VMM) sagt sogar: "Uns haben Museumsbesucher von den Filmarbeiten erzählt. Gedreht wurden auf dem Marktplatz, in der Uzvaras und der Akadēmijas ielā, und beim Schloß. Dort sind im Film zusammenstürzende Mauern sichtbar - und um genügend Rauchentwicklung zu erzeugen, wurden sogar Reifen angezündet und Ölfässer angesteckt." Da zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen war, in Jelgava neue Wohnblocks zu errichten, wurden die Reste der Häuserreste wirklich gesprengt. Einige meinen sogar, in einer der ersten fertigen Szenen des Films sei ein Haus mit der lettischen Inschrift „Gulbja aptieka” ("Schwanen-Apotheke") zu erkennen gewesen - eine Stelle, die möglicherweise später herausgeschnitten worden sei.

In Jelgava erinnert man sich auch an die Versprechungen, den fertigen Film kostenlos sehen zu dürfen. Da es aber zu dieser Zeit in Jelgava kein Kino gab, habe eine solche Vorführung im Saal der alten Post stattgefunden. Der Film wurde mehrmals verändert und bearbeitet. Noch 1960 sei er nochmals geschnitten worden, um Szenen herauszubekommen, wo die Figur des Lawrenti Beria zu sehen war, der nach der Stalinzeit in Ungnade gefallen war und zum Tode verurteilt wurde.

In der DDR wurde "Die Stalingrader Schlacht" in gekürzter Form aufgeführt. 2008 kam eine DVD auf den Markt, in deren Booklet zu lesen ist, dass erst jetzt die verschwunden geglaubten Originalkopien des Films wieder aufgetaucht seien, und nun aufbereitet und komplett zu sehen seien.

7. Mai 2019

Mindestens, mindestens

Was bringt uns die Europawahl? Vielleicht hoffen die europafreundlichen Deutschen weiterhin auf lettischen Optimismus. Andere schauen genau hin: welche politischen Forderungen hätten in den kommenden Jahren eine Chance auf Realisierung?

Da wäre die Möglichkeit der Einführung eines europäischen Mindestlohns. Lettischen Pressemeldungen zufolge, hoffen zumindest die Neuen Konservativen ("Jaunā konservatīvā partija JKP"), die "Progressiven" (“Progresīvie”) und auch die Vereinigung der Russen (“Latvijas krievu savienība”) auf einen europaweiten Mindestlohn (LA). - In dieser Koalition werden sie es aber nicht erreichen können: wollen die einen doch Gesetze nach christlichen Werten ausrichten, die anderen streichen liberale Werte und Gleichberechtigung für alle heraus, und die dritten sehen Lettland von faschistischen Tendenzen beherrscht. So liegen die Forderungen der JKP auch ziemlich niedrig: 200 Euro Mindestlohn, und 500 Euro Mindestrente (lsm). Die Progressiven fordern auch eine europäische Arbeitslosenversicherung, besonders für den Fall von Massenarbeitslosigkeit.


Vier weitere Parteien halten einen europäischen Mindestlohn für eher unrealistisch: die "Grünen und Bauern" ("Zaļo un zemnieku savienība ZZS"), die "Lettische Regionalpartei" ("Latvijas Reģionu apvienība"), "Wem gehört der Staat" (“KPV LV”) und "Für Entwicklung" (“Attīstībai/Par!”). Aber auch unter diesen "Schwestern im Geiste" sollte ziemliche Uneinigkeit herrschen: kommt der Mindestlohn nicht, weil von der EU sowieso nichts Gutes zu erwarten ist, oder weil es einen stärkeren Wirtschaftsaufschwung behindert? Allerdings wird niemand den Spruch "Weiter so wie bisher" bzw. "Wir wollen rein, auch wenn es nichts bringt" auf die Plakate schreiben - auch wenn manche in diese Richtung denken. Ähnlich aber die Forderungen der Parteien dieser Gruppe nach besseren Bedingungen für Investitionen und Unternehmen, und mehr EU-Gelder für schlecht entwickelte Regionen.

Zumindest die "Latvijas Avize" ordnet in ihrer Darstellung die “Saskaņa”, die sich ja gern "sozialdemokratische Partei Saskaņa” nennt, gesondert ein: EU-Vereinbarungen für den sozialen Ausgleich ja, aber keine Aussage über die Erreichbarkeit konkreter Forderungen. Ähnlich wie die Vereinbarungen zur Finanzdisziplin müsse ein Pakt zum sozialen Fortschritt geschlossen werden. 

Die "Neue Einigkeit" (“Jaunā Vienotība”), die ja unter dem Namen “Vienotība” 2014 gleich vier Abgeordnete ins Europaparlament brachte (cvk), meint alle Entscheidungen zur Sozialgesetzgebung sollten im Verantwortungsbereich der Mitgliedsstaaten bleiben. Da sich Lebensstandard und Preisniveau von Land zu Land zu stark unterscheiden, seien auch Forderungen nach Ausgleich sozialer Unterschiede zu früh. Ähnlich denken übrigens auch die "Vaterländer" der "Visu Latvijai!" (hier war ja auch schon zu hören: "Hauptsache, die Einwanderer und Flüchtlinge bekommen nicht mehr als die Letten!"). Na, da sind sie dann doch wieder: die lettischen Optimisten!