28. Dezember 2008

Ein Lette entscheidet das "rheinische Derby"

Kennen Sie Herberts Vasiljevs? Nein? Dann sind Sie wohl kein Eishockey-Fan. Wer Fußballspiele kennt - die können schon mal 0:0 ausgehen. Beim Eishockey wird nach Vierteln gezählt: 0:0, 0:0, 0:0 und 0:0 stand es am Spielende der Partie Düsseldorfer EG ("Metro Stars") gegen den Krefelder EV ("die Pinguine"), zwei deutsche Eishockey-Traditionsclubs. Jahresabschluß in der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt, am 28.Dezember.

"Doch dann kam Vasiljevs", so oder so ähnlich wird es in den Sportberichten heißen. Nach 3,31 min der Verlängerung. Es gibt deutsche Zeitungen, die bei derartigen Ereignissen gnadenlos aus dem Englischen fachsimpeln: ein "plötzlicher Tod" (Express). Der lettische Nationalstürmer spielt schon einige Zeit für die "Pinguine" in Krefeld und wird auf der dortigen Homepage doch tatsächlich als "Integrationsfigur" bezeichnet: ist das typisch für einen Starspieler mit internationalem Format, der mit immer wieder wechselnden Mannschaften, wechselnden Menschentypen, und anderen Ländern klarkommen muss?

Auf der Homepage der "Pinguine" kann der interessierte Fan lesen, dass Vasiljevs Vater schon seit 1994, als auch Herberts zum ersten Mal nach Krefeld kam, dort als Nachwuchstrainer tätig ist. Der Sohn spielte bei mehreren Klubs in Kanada und den USA, ging dann nach Russland, und kam dann über die Nürnberger Ice-Tigers zurück an den Niederrhein nach Krefeld, wo er in der Saison 2006/2007 sogar Torschützenkönig war. Sein Club bezeichnet ihn heute als einen der besten Spieler in der ersten Liga in Deutschland, und registrierten mit Freude, dass Vasiljevs einen Vertrag über drei weitere Jahre unterschrieb.

In Lettland ist Vasiljevs Kapitän der lettischen Nationalmannschaft. Wer einmal in der US-Liga (NHL) gespielt hat, wird auch aus lettischer Sicht in den Pantheon des Eishockeys aufgenommen. Olympia- und WM-Teilnahmen ergänzen das noch. Also steht Vasiljevs auch auf dem Wunschzettel so manchen Trainers der lettischen ersten Liga, wie kürzlich in Lettland die "Latvijas Avize" berichtete. Dem stehen die Hoffnungen der Krefelder Fans vorerst entgegen, die hoffen der Eishockey-Star könnte sich auch privat längerfristig an Deutschland binden. Aber beides ist vorerst nicht entschieden - da Vasiljevs seine Frau in den USA kennengelernt hat und die Familie dort auch ein Haus besitzt, könnte die Zukunft auch in Übersee liegen.

Spielbericht bei "der Westen"

die Krefelder Pinguine über Herberts Vasiljevs


Porträt auf den Seiten der Deutschen Eishockeyliga: "Riga, Ruhrpott, Amerika und zurück"

15. Dezember 2008

Lettisch in Moskau

Natürlich, Sie möchten gern Lettisch reden lernen!
Und hier sind sieben Antworten auf die Frage: Warum eigentlich?

1. Diese Sprache ist sehr archaisch und interessant.
2. Es ist eine schöne Sprache (was natürlich über jede Sprache gesagt werden könnte)
3. Sie werden in der Lage sein, im Original das zu lesen, was lettische Politiker wirklich sagen, und Sie können Ihre Meinung dazu äußern – ungefiltert oder beinflußt durch russiche oder ausländische Massenmedien.
4. Sie können den Lieder von “Brainstorm” (“Prāta Vētra”) zu hören und diese sogar verstehen
5. Sie können bei Freunden und Verwandten Eindruck machen, dass Sie etwas können, was jene absolut nicht können.
6. Es ist wirklich überhaupt nicht teuer.
7. Für mich selbst ist es interessant, etwas in der lettischen Sprache zu erreichen
Vielleicht gibt es noch weitere Gründe? Jeder ist tauglich!
Wenn Sie an dieser Anzeige interessiert sind, schreiben Sie an ***@one.lv oder schicken Sie Ihre Fragen. Ich biete außerdem an, die Sprachstunden nicht nur gegen Geld, sondern es gegen etwas anderes Interessantes oder Nützliches zu tauschen. –


So hatte ich es im August 2006 geschrieben, in einem auf Privatstunden spezialisierten Blog im Internet. Ich könnte nicht sagen, dass ich Antwortbriefe gleich haufenweise bekam, aber einige Studenten bekam ich doch zusammen. Innerhalb von zwei Jahren wuchs ihre Zahl dann auf 15 an. Einige gingen, andere kamen. Mit einigen trafen wir uns buchstäblich ein einziges Mal, mit anderem arbeiten wir lange, setzen es heute noch fort, und können mit ihnen auch mehr als nur die Familie und die Speisekarte erörtern (eines der ersten Themen in jedem Lehrbuch). Nein, wir sprechen auch über Literatur, Geschichte, das russische und das lettische Kulturleben.
Als ich diese Anzeigen schrieb, wusste ich noch nicht wirklich, welchen Leuten in Moskau die lettische Sprache notwendig sein könnte. Ich dachte, dass– falls ich überhaupt jemand suche –es bei allen wohl nicht mehr als bloße Neugier und der Wunsch, mit etwas zu überraschen oder sogar zu schockieren, sein könnte. Aber es zeigte sich, dass ich damit nicht Recht hatte.
Hier gebe ich sieben Antworten wieder auf die Frage: „Warum habe ich mich dafür entschieden, Lettisch zu lernen?“. Und nicht eine Antwort gleich der anderen. Sehr verschiedene Leute, alle sehr interessant. Ich liebe meine Arbeit!


Olga, 51 Jahre, Wirtschaftsmathematikerin
In meinem Fall alles ist sehr einfach. In meiner Kindheit lebte ich in Riga. Mein Vater war Flieger, und ich selbst sah uns immer als Lettlands „Okkupanten“. Daher zogen wir sobald es nur möglich war weg, verloren unsere Wohnung in Riga. Als wir dort noch wohnten, habe alle auch Lettisch gelernt, einschließlich meiner Schwester, die eine lettische Schule besuchte und deren Schulnoten in den Sprachstunden eine „Fünf plus“ (also die bestmögliche) erreichten. Ich war aber noch sehr klein. Heute, wenn ich wieder in Riga bin fühle ich, dass ich in die Heimat zurückkehre, obwohl ich damals in Riga nicht so dachte. Ich würde wirklich gern wenigstens ein wenig die Sprache meines Heimatlandes lernen, und damit dem lettischen Volk danken. Es ist auch sehr angenehm und bequem, die Sprache des Staates sprechen zu können, den ich oft besuche. Es hebt bedeutend die Lebensqualität in diesem Staat. Und das ist alles.

Galina, 24 Jahre, Managerin.
Ich habe mich für die lettischen Sprachkurse deshalb angemeldet, weil: erstens habe ich lettische Freunde hier in Moskau, und für die war es kompliziert, die ganze Zeit Russisch zu reden. Um auch zu verstehen, was sie untereinander reden, und ihnen die Kommunikation mit mir zu erleichtern, habe ich mir gedacht da lerne ich eben ihre Sprache.
Zweitens möchte ich sehr gern Arbeits- und Lebenserfahrungen in einem anderen Land sammeln. Vielleicht könnte es Lettland sein? Ein sehr schönes und interessantes Land! Und wenn nicht dort arbeiten, dann würde ich wenigstens für die Erholung ein paar Monate dorthin fahren – und wie angenehm wäre es doch, dort mit den Menschen ihre Sprache sprechen zu können!
Drittens: Sprachen lernen entwickelt den Menschen. Aber auf der Welt gibt es so viele verschiedene Sprachen ... warum dann Lettisch? Na, eben aufgrund der ersten beiden Gründe. Und dann deshalb – weil es banal ist. Ja, alle wollen irgendwie originell sein (lacht).

Fjodor, 23 Jahre, arbeitet im Marketing
Ich habe mich für die lettische Sprache angemeldet aus Interesse an Lettland. Kein anderes Land hat bei mir bisher ähnliches Interesse hervorgerufen, daher habe ich mir gedacht auch Lettisch zu lernen. Lettland ist natürlich kein westliches Pfefferkuchenland, hat aber eine eigene Atmosphäre, und Riga, die größte Stadt in der baltischen Region, steht mir als Mokowiter am nächsten. Auch noch interessant ist für mich ein post-sowjetisches Land zu beobachten, wo viele Russen leben. Das ist ein sozio-kulturelles Experiment, und ich bin überzeugt davon überzeugt dass dies noch genauer wissenschaftlich erforscht werden muss. Und ich bin Linguist, ohne Ausbildung, und möchte gern ”die Gehirnzellen trainieren”.

Alla, 46 Jahre alt, Hausfrau
Meine Mutter wurde 1929 in Lettland geboren. Nach dem Krieg zog sie nach Moskau und begann an einer Hochschule zu arbeiten: sie begann die Arbeit, heiratete, und blieb in Moskau. Alle Verwandten meiner Mutter leben in Lettland. Seit meiner Kindheit mochte ich es immer sehr, sie zu besuchen. Heute ist das kompliziert, aber dennoch fahre ich mit meiner Familie oft dorthin. Alle meine Verwandten können Lettisch reden, alle sind lettische Staatsbürger. Wenn ich in Lettland bin, wollte ich immer verstehen was die Leute auf der Straße reden, im Fernsehen, was die Zeitungen und die Zeitschriften schreiben. Ich freue mich sehr darüber, dass ich die Möglichkeit habe Lettisch in Moskau zu lernen. Fremdsprachen zu lernen ist doch immer sehr interessant! ”Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen” (Johann Wolfgang von Goethe)

Marija, 28 Jahre, Personalchefin
”Prāta Vētra” (Brainstorm) wurde für mich mehr zum Vorwand jemand kennenlernen - mehr als zur Begründung für das Lernen. Nein, glaubwürdiger war es so: die lettische Sprache ist nicht sehr verbreitet, und man hört sie nur sehr selten. Aber es gelang mir, ich hörte ”Prāta Vētra”. Schwer zu sagen, was es ist: ob es die Energie ist, die in den Liedern zu verspüren ist, oder dass Renārs (der Leadsänger) nicht nur mit den Texten arbeitet, aber auch wie diese klingen: die lettische Sprache wurde für mich etwas Magisches, so etwa wie die Sprache der Elfen bei Tolkien. Schon bald nachdem ich mich dahingehend orientiert hatte, regte sich bei mir auch Interesse für die morphologischen und grammatischen Eigenarten, für das, was die Worte verändert, für Suffixe und Konstrukte (an dieser Stelle sollte eine lange Rede über philologische Themen folgen, die dann mit wortreicher vollständiger Beschreibung von Schneemännern endet – aber das kann nicht geschrieben werden, das ist zu ”freakig” für gewöhnliche Menschen). Aber alles beginnt, natürlich, mit Menschen, und mit den wunderbaren Dingen, welche sie in Lettisch machen.

Pjotrs, 26 Jahre, Linguist.
Mein Interesse für die lettische Sprache ist eng verbunden mit meiner beruflichen Arbeit. Da ich Linguist bin, auf die Grammatik der litauischen Sprache spezialisiert, habe ich verstanden dass meine Möglichkeiten im Lettischen sehr eingeschränkt sind. Dennoch ist die lettische Sprache eine der geschriebenen Sprachen Europas, und ich möchte doch Beiträge zur wissenschaftlichen Forschung leisten.

Jeļena, 23 Jahre, Abteilungsleiterin
Ich habe mir ausgesucht die lettische Sprache zu erlernen, da der von mir am meisten geliebte Mensch in Lettland lebt und ich gern zu ihm ziehen möchte. Das bedeutet, man wird eine bisher gewohnte Lebensweise ändern, und es wird notwendig sein, sich an die Kultur eines anderen Landes und den Umständen dort anzupassen. Ich möchte auch weiterhin arbeiten, nach Möglichkeit ohne Unterbrechung. Daher ist es notwendig, auch die Sprache des neuen Staates zu kennen. Im Moment bin ich Abteilungsleiterin, und möchte auch am neuen Arbeitsplatz keine geringe Arbeit annehmen als die gegenwärtige – gemäß den lettischen Gesetzen muss ich dafür Sprachkenntnisse der 3.Kathegorie haben.
Wann immer ich in Moskau bin fällt es mir viel leichter, Lettisch zu lernen – die Atmosphäre ist einfach eher wie zu Hause. Daneben setze ich das auch in Lettland fort, besser auf einer guten Basis als von Null anzufangen.

Daher versuche ich heute, wenn ich meine Anzeige wiederhole, niemand mehr mit ausgedachten Gründen zu packen:
jeder hat seine Gründe für die Liebe zur lettischen Sprache.

Und meine Anzeige sieht viel lakonischer aus: ”Ich biete Privatstunden in lettischer Sprache an. Moskau, Tel. 8*********, ***@gmail.com


zur lettischsprachigen Fassung dieses Textes

zur russischsprachigen Fassung dieses Textes

12. Dezember 2008

Die Finanzkrise, Godmanis und die politische Krise

In Lettland herrscht unter einfachen Leuten derzeit die Meinung vor, kaum ist Godmanis an der Macht beginnt die Krise.

Es gibt mehrere Gründe zu vermuten, daß die Regierung Godmanis nicht mehr lange im Amt sein wird. Und das bei weitem nicht nur, weil bislang die Regierungen keine lange Lebensdauer hatten, sondern wegen der Koalitionsarithmetik. Ein allfälliger Sturz der Regierung würde den Wunsch der Volkspartei offenbaren, in die Staatskanzlei zurückzukehren. Godmanis gehört der kleineren Fusion aus Lettlands Erster Partei und Lettland Weg an.

Anzeichen dafür lieferte jüngst der Konflikt des Minister für regionale Angelegenheiten und Kommunalverwaltung, Edgars Zalāns, mit dem Rigaer Bürgermeister Jānis Birks. Gegenstand ist das Regime der Einfahrt in die Altsatdt. Seit Jahren darf gegen Gebühr jeder hinein. Und für viele gehörte es bislang zum Prestige dort tätiger oder ansässiger Personen, mit dem Wagen zu prahlen. Selbst Touristen aus der nicht armen Schweiz äußern verwundert, noch nie so viele so teure Autos auf einem Haufen gesehen zu haben. Zalāns kritisiert nun, in der Altstadt seien zu viele Fahrzeuge, das geltende System funktioniere nicht und sei folglich nichts weiter als eine Methode des Geldverdienens. Das ist sicher zutreffend, aber warum kommt der Minister erst jetzt zu diesem Schluß? Bürgermeister Birks beklagte, daß der Stadtrat ein entsprechendes Schreiben des Ministers über den bevorstehenden Lizenzentzug erst jetzt erhalten habe, während der behauptet, bereits im Sommer die Aufhebung des derzeitigen Regimes angekündigt zu haben. Folglich verschwinden die Barrieren zum 1. Januar, ohne durch eine andere Politik ersetzt zu werden.

Hinter diesem Disput verbirgt sich freilich auch die Parteizugehörigkeit der beiden Amtspersonen. Zalāns ist Mitglied der Volkspartei, während Birks bei der konservativen "Für Vaterland und Freiheit" ist, die sowohl im nationalen Parlament als auch im Stadrat mitregiert.

Aber es gibt auch einen Grund, warum Godmanis noch eine Weile Regierungschef bleiben könnte: Die Finanzkrise.

Und so gibt es im Volke auch eine andere Meinung, die wohl zutreffender davon ausgeht: kommt die Krise, brauchen wir Godmanis. Dabei geht es nicht unbedingt um dessen Begabung zum Krisenmanagement.

Die Auftritte des Physikers in den Medien während der letzten Tage führen eher zu dem Schluß, daß der Ministerpräsident die Fianzkrise und die Reaktionen der Regierung in einfachen und für den Durchschnittsbürger verständlichen Worten entweder nicht erklären will oder kann. Wobei der Qualifikation der Journalisten ebenfalls mit einem Fragezeichen versehen ist, da sie Godmanis’ mit seinen monologartigen Antworten ebenso gewähren lassen wie auch seine Unterbrechungen und die Fortsetzung desselben dulden.

Das erweckt auch den Eindruck, als sei das Verbleiben im Amt verbunden mit der Überlegung, welcher Dumme bereit ist, die Verantwortung in der Krise zu übernehmen und damit auch die Unbill des Volkes auf sich zu ziehen.

Wenn also die Parteien einstweilen kein Koalitionsrevirement anstreben, bleibt eine mögliche Parlamentsauflösung als Ursache für den Sturz der Regierung Godamnis. Dies kann nur durch den Präsidenten der Republik in die Wege geleitet werden, der im vorgeschriebenen Referendum jedoch dabei seinen eigenen Posten riskiert.

Präsident Zatlers hat in den vergangenen Monaten so ziemlich alles unternommen, seine Absichten im Unklaren zu belassen. Selbst jene politische Kräfte, die seine Kandidatur 2007 aus dem Hut zauberten, werden von ihm mittlerweile manchmal heftig kritisiert.

Die Gelegenheit zur Parlamentsauflösung während der Regenschirmrevolution ließ der Präsident im vergangenen Herbst ungenutzt verstreichen. Um so erstaunlicher die Behauptung des Volkspartei-Politikers Gundars Bērziņš, welcher jüngst in einem Interview mit der Zeitung die Unabhängige (Neatkarīgā) sagte, Zatlers werde diesen Schritt im Frühjahr machen. Bērziņš war 2004 jener Finanzminister, dessen Budget Parteifreund Aigars Kalvītis als Fraktionsvorsitzender ablehnte, um die Regierung Emsis zu stürzen.

10. Dezember 2008

Krise, oder Ausverkauf?

Manche mögen sich nach "den guten alten Zeiten" zurücksehen: wer etwas Geld übrig hatte, tat es aufs Sparbuch, und gut war's. Heute wird der geneigte Medienkonsument von allerlei Anlagetipps und Finanzratgebern verfolgt, so als ob beim großen Monopoly mit Spielgeld bezahlt werden könnte.
Noch vor wenigen Wochen geriet die Parex-Bank in Lettland auch in die deutschen Schlagzeilen: Anfang November verstaatlichte die lettische Regierung PAREX kurzerhand, und alles stand unter der Schlagzeile: nun ist die Finanzkrise auch in Lettland angekommen.

Anlagetipps im deutschen TV

Heute nun soll plötzlich alles ganz anders sein? Wer heute (10.12.) um 13 Uhr das ARD/ZDF Mittags- magazin schaute, traute wohl seinen Augen nicht: da wird als Anlagetipp doch tatsächlich die PAREX-Bank empfohlen! (höchste Zinsen auf Festgeld). Auch im Internet findet sich der Tipp wieder: auf einer Seite des Bayrischen Rundfunks. Drunter steht auch die Quelle: die FMH-Finanzberatung mit Sitz in Frankfurt am Main - also keine eigenen ZDF- oder ARD-Experten. Wer verdient hier Geld mit was?

... und ex...
Vergangenheit und Gegenwart

Derweil macht PAREX in Lettland andere Schlagzeilen.
Ministerpräsident Godmanis verkündete vor der lettischen Presse: die PAREX-Bank soll verkauft werden, am besten an eine Bank in Westeuropa (Financenet, 10.12.). Ist das nun die neue Verkaufsstrategie? Erst um Einlagen von Auslandskunden werben, und dann die Bank von außen retten lassen, wohl möglich mit Geldern von Währungsfond und EU?

Dem lettischen Journalisten Lato Lapsa scheint es erneut vorbehalten zu sein, Fakten zur PAREX-Bank zu veröffentlichen. Ein neu erschienenes Buch "Kargins Superstar" versucht die Umstände zu beleuchten, unter denen die PAREX-Bank entstand. Dabei geht es um die massenhafte Eröffnung von privaten Geldwechselstellen in den Jahren kurz vor Einführung des Lat, also 1991-93.
Die allererste offizielle Geldwechselstelle befand sich damals im Hauptbahnhof - für die Einwohner Rigas eine Sensation. Kargins soll dem frisch ernannten Chef der lettischen Nationalbank, Einars Repše, damals gedroht haben: "wenn Du mir keine Banklizenz ausstellst, sorge ich dafür, dass der Wechselkurs des neuen Lat so niedrig ist wie bei der italienischen Lira."
Ein weiterer Ausspruch des ehemaligen PAREX-Superstars Kargins
: "da waren diese Volksfront-Politiker an die Macht gelangt und sehnten sich nach finanzieller Unabhängigkeit, hatten aber keine Ahnung wie sie das machen sollten".
Oder auch, sehr vielsagend dazu, wie es damals zuging: "die ersten US-Dollar kauften wir für 17 sowjetische Rubel und verkauften für 21. Warum gerade 21? Wir dachten einfach, 21 ist doch eine Glückzahl!" (alle Zitate aus Lapsa: "Musu vesture 1985-2005", Bd.1).

Bemerkenswert
bei all diesen eher abenteuerlichen Geschichten, dass der damalige Regierungschef derselbe war wie heute: Ivars Godmanis.

9. Dezember 2008

Sterben für Buntmetall?

Schon vor Jahren wurde in den lettischen Medien berichtet, daß wertvolles Buntmetall in Lettland gestohlen wird, wo es nicht niet- und nagelfest ist.

In diesem Zusammenhang standen von Beginn an die Spekulationen über das Schicksal des Fischkutters Beverīna, der am 30. November in See gestochen war und in der Nacht zum 3. Dezember vor der kurländischen Küste sank.

Der Eigentümer des Schiffes hatte am 2. Dezember den Schleppdienstes des Hafens Liepāja darum gebeten, die Beverīna wegen des ausgefallenen Motors in den Hafen zu ziehen. Dies aber wurde vom Kapitänsdienst abgelehnt. Der Tag war stürmisch, und vermutlich wollte man verhindern, daß das Schiff im Hafen selbst sinkt, mutmaßt der Eigentümer. Er wurde gebeten, bis zum nächsten Tag das Schiff etwas weiter entfernt vom Hafen driften zu lassen.

In der Nacht dann sank das Schiff. Die in der Nähe befindliche Virsaitis half angeblich nicht. Deren Kapitän hätte wegen der Wetterverhältnisse möglicherweise auch das Leben der eigenen Mannschaft riskiert. Die Rettungskräfte des Hafens hätten ebenfallskeine Hilfe geleistet und nach der Besatzung erst zu suchen begonnen, nachdem die Beverīna bereits gesunken war. Es wurde aber keiner der sechs an Bord befindlichen Seeleute geortet.

Sofort kam es zu Spekulationen, was an Bod passiert sein könnte, und warum die Beverīna schließlich sank. Zunächst wurden Hinweise publik, der Fischkutter habe sich weniger um Fisch als für das “Fischen” nach alten sowjetischen Unterseekabeln aus hochwertigem Buntmetall bemüht. Dies könnte, so wurde postuliert, auch der Grund gewesen sein, warum die Seeleute lieber keine Hilfe hatten in Anspruch nehmen wollen und möglicherweise sogar nicht bereit waren, das sinkende Schiff zu verlassen.

Mittlerweile haben Taucher das Schiff überprüft und keine Leichen gefunden. Eine Vermutung wurde damit also nicht bestätigt. Die andere jedoch erweis sich als zutreffend, es wurden tatsächlich Kabel entdeckt. Das ist wohl ein Hinweis darauf, daß die tatsächlichen Interessen der Mannschaft des Fischkutters nicht unbekannt waren.

Aber war dies auch ein Grund für die zögerliche Hilfe für das havarierte Schiff? Der Inspektor der Havarie-Untersuchungskommission der Seeadministration Lettlands, Stanislav Čakšs, betont, daß das “Fischen” nach alten Kabeln keineswegs unfraglich verboten sei.

Die Beverīna könnte gesunken sein, weil der Umgang an Bord mit dieser sich von Fisch grundlegend unterscheidenen Ladung die professionellen Kenntnisse der Seeleute überstiegen hat, und diese nicht wie erforderlich verankert war.

Leider ist bislang keines der Besatzungsmitglieder tot oder lebendig gefunden worden.

4. Dezember 2008

Riga – Hauptstadt des Sextourismus?

Das ist eine auch in Lettland gern diskutierte Frage. Mythen 2001 sorgte der schwedische Regisseur Pal Hollender mit seinem Film „Buy Bye Beaty” für einen Aufschrei der Entrüstung, auch wenn die meisten Kommentatoren den Film, der angeblich von schlechter technischer Qualität ist, nicht gesehen hatten – den Autor dieser Zeilen eingeschlossen. Hollender behauptete in seinem Streifen, daß in Riga etwa 15.000 bis 18.000 Prostituierte ihrer Tätigkeit nachgehen und wenigstens 50% der Frauen wenigstens einmal im Leben Sex gegen Geld hatten. Die Polizei unternehme nichts gegen dieses illegale Gewerbe, weil sie korrupt sei. Darüber hinaus sieht der Schwede angeblich die Ursache dafür in der Politik ausländischer Firmen, eingeschlossen schwedischer, welche den Letten lächerliche Gehälter zahlten, weshalb viele Menschen unter der Armutsgrenze lebten. 

Die Behauptungen über die sozialen Verhältnisse wie auch über die Polizei sind gewiß, vor allem für die damalige Zeit, nicht von der Hand zu weisen. Doch der Autor macht sich selbst unglaubwürdig mit seinen Quellen vorwiegend des Hörensagens und muß sich die Frage gefallen lassen, ob er den Film nicht doch eher zum eigenen Vergnügen gedreht hat. Denn nach seinen Angaben hat er mit sechs Rigaer Mädels für jeweils 200 US-Dollar das Bett geteilt. Fakten Aber dieser Film ist nur ein kleiner Teil des Themas, das sich anhand ernsthafter und bestätigter Fakten diskutieren läßt. Wie einfach oder schwierig es ist, eine Zufallsbekanntschaft aus einer Bar oder Diskothek zu Intimitäten zuüberreden, mag dahingestellt sein. Dies ließe sich nur beim Feldversuch herausfinden, wie ein Kommentator im Internet schreibt, und diese Möglichkeit für sich und seinen Freundeskreis ausschließt, der sich nur selten in der Rigaer Altsstadt aufhalte. 

Was noch vor zehn Jahren als Freizeitvergnügen taugte, verdirbt heute schon einmal eher die Laune. Und das ist nicht nur auf Erfahrungen von Touristen zurückzuführen, über welche die Presse berichtet und die dem Autor dieser Zeilen leider als Reiseleiter ebenfalls schon begegnet ist. Ein einfacher abendlicher Gang durch die Altstadt wird durch aufdringliche Verteiler von Flyern für einschlägige Etablissements gestört, worüber sich Ende November sogar der national-konservative Abgeordnete des Rigaer Stadtrates und Livenaktivist, Dainis Stalts, öffentlich echauffierte. Und handelt es sich nicht um dieses Übel, so müssen junge Frauen auch in Begleitung ihrer Partner mit Annäherungsversuchen von betrunkenen Billigtouristen rechnen. Ursache dafür sind die Bemühungen des inzwischen zweitmaligen Verkehrsministers Ainäārs Šlesers, der unter allen Umständen einen unrealistisch großen Ausbau des Rigaer Flughafen vorantreibt. Und darum kommen eben Easy Jet und Ryanair mit der entsprechenden Fracht. Daß am Rigaer Flughafen ein großes Plakat für eine der alstädter Stripteasebars warb, störte denselben man vor einigen Jahren publikumswirksam. Šlesers vetritt die sogenannte Erste Partei, die wegen der zahlreichen dort aktiven Geistlichen auch Priesterpartei genannt wird und sich kategorisch gegen die Ausrichtung der Homosexuellenparade richtet. 

Politischer Aktionismus 

Dainis Stalts ist offenbar in der Stadtverwaltung nicht der einzige, dem langsam der Geduldsfaden in Sachen Sextourismus reißt. Der für Ordnung verantwortliche Ausschuß des Stadtrates hat nun einstimmig beschlossen, daß es eigentlich überhaupt keine Einrichtungen dieser Art in der Altstadt geben sollte, und eben entsprechende Normen gefunden werden müßten, mit deren Hilfe dieses Business eingeschränkt werden könnte. Einstweilen gibt es in der Altstadt von Riga 21 Einrichtungen, die intime Dienstleistungen anbieten, darunter 14 Striptease Bars. Darüber hinaus gibt es sechs Salons für erotische Massage. Nach Auskunft des juristischen Beraters Ingmārs Freidenfelds ist eine Kontrolle alles andere als einfach. Deshalb setzt der Stadtrat nun auf die Hilfe der Regierung, entsprechende Normen zu setzen. Andere Politiker haben jedoch ihre Zweifel. Riga sei auch historisch keine Stadt gewesen, in der nur Moral und Anstand herrschten. Wie aus Spaß Ernst wird Ob diese Versuche an den derzeit beklagten Umständen wirklich etwas ändern können, ist fraglich, denn die wirklich kriminelle Energie zeitigt ihre Folgen an anderer, schwerer kontrollierbarer Stelle. Junge Damen sprechen auch in ganz normalen Clubs bewußt Ausländer an, die nicht gerade das erste Bier trinken und schlagen nach einem Drink den Wechsel der Lokalität vor. Wenn die Rechnung kommt, kosten 4cl eines handelsüblichen Whisky plötzlich umgerechnet über 200 Euro. Protest hilft dann wenig, denn die Situation wird natürlich von Komplizen kontrolliert.

Andere Bars haben von vornherein einen zweifelhaften Ruf. Selbst wenn der Gast die Dame nicht aktiv anspricht, folgt ihrer Kontaktaufnahme bereits der Zwang zur Übernahme der Kosten für das bereits servierte Getränk. Export Aber der Sextourismus ist inzwischen noch breiter verstehen. Nicht nur Touristen verlangen nach Intimdienstleistungen vor Ort in Riga, sondern vor Ort in Riga werden Mädchen für das Ausland rekrutiert. So verführen Kuppler inzwischen mit Stellenangeboten jungen Frauen, auf ein vermeintlich gut klingendes Angebot zu reagieren. Darunter sind solche, die bei der ersten Kontaktaufnahme ehrlich erklären, um welche Art von Arbeit es sich handelt und solche, die dies zunächst zu verschweigen versuchen. Die tatsächliche Arbeit erstreckt sich von der Darstellerin pornographischer Filme bis hin zur Prostitution. Die Filme werden im Inland produziert, aber die Interessierten dürfen sich das Set nicht erst einmal anschauen, sondern müssen sofort entscheiden, ob sie teilnehmen möchten oder nicht. Adressen werden nicht bekanntgegeben, weil vermutlich die Prosuzenten keine Steuern zahlen. Das horizontale Gewerbe hingegen findet im Ausland statt. 

Jüngst berichteten zwei russische Damen in der Presse ziemlich offen über ihre Arbeit in Frankreich. Viel hänge davon ab, so die eine, wie man sich anzubieten verstehe. Die Freier können auf einer Internetseite Bewertungen abgeben; eine positive verhelfe zu verstärkter Nachfrage. An ihrem besten Tag habe sie acht Kunden gehabt. Anfangs habe sie auch noch verhältnismäßig wenig verdient, später dann aber 6.500 Euro in zwei Wochen nach Hause gebracht. Das sei bereits ihr dritter Aufenthalt dort gewesen. Bleibt noch zu erwähnen, daß Kondome zur Verfügung stehen und von den meisten Damen aus Sorge um Infektionen auch benutzt würden. Die Befragte jedoch habe keine Angst, lasse sich nach jeder Rückkehr in Riga untersuchen, und verdiene so eben im Fall noch einmal 100 Euro extra. Allgemeines Desinteresse Gewiß, Prostitution hat es immer gegeben und wird es auch wohl immer geben.

Die Aufregung darüber wirkt künstlich, so lange es sich nicht um Zwang oder Frauenhandel handelt, und zeigt politische Doppelmoral. Ab und zu wird Aufregung in Szene gesetzt, aber sicherlich gibt es eben auch genug Menschen, die am Business gut verdienen. Die Exzesse gegenüber Ausländern ließen sich jedoch durch konsequentes Vorgehen wenigstens einschränken. Touristen wundern sich zumeist über die große Polizeipräsenz in der Rigaer Altstadt, die Kleinbusse mit dem hellgrünen Streifen patroullieren beständig. Diese Munizipalpolizei ist jedoch nichts weiter, als ein aufgerüstetes Ordnungsamt. Sie bestrafen verblüffte Besucher, wenn Sie auf einer Bank sitzend alkoholische Getränke konsumieren. Das ist nämlich seit Jahren verboten. Sie sind aber nicht an den Lokalen anzutreffen, von denen die Behörden nach zahlreichen Vorfällen ja nun wissen, daß dort Ausländer unter Androhung von Gewalt gezwungen werden, überhöhte Rechnungen zu bezahlen. Was wird wohl der Grund dafür sein?

Meinungen und Panik in der Gerüchteküche (aktualisiert)

Die Behörden in Lettland wollen offensichtlich erneut unter Beweis stellen, daß sich ihr Land zu einer Bananenrepublik entwickelt. Jedenfalls gab es Kritik nicht nur im Inland, sondern deutliche Worte auch aus Schweden. Hintergrund ist der Umgang mit den Problemen im Rahmen der Finanzkrise. Erst am zweiten Novemberwochende hatte die Regierung plötzlich über Nacht die größte in Lettland ansässige Parex Bank verstaatlicht, nachdem in Folge von Gerüchten über einen bevorstehenden Zusammenbruch die Menschen massenhaft ihre Einlagen abgehoben hatten. 

Am 14. November verhaftete die Polizei den Dozenten für Finanzen und Buchhaltung der Hochschule Ventspils, Dmitrijs Smirnovs, wegen bewußter mündlicher Verbreitung von Falschinformationen und behielt ihn während 48 Stunden in Gewahrsam. Smirnovs hatte während einer Diskussion der örtlichen Zeitung “Ventas Balss”, an der auch Bürgermeister Aivars Lembergs teilgenommen hatte, seine Zukunftprognose für Lettland geäußert. In dem am 2. Oktober veröffentlichten Text wird er mit der Empfehlung zitiert, Geld nicht in Banken zu halten und auch nicht in Lat, dies sei derzeit sehr gefährlich. Am 14. November trat in Jelgava die Gruppe “Putnu Balle” auf. Während der Gitarrist nach dem zweiten Lied sein Instrument stimmte, wandte sich Valters Frīdenbergs ans Publikum. Der Musiker scherzte, daß derzeit alle wie verrückt die Geldautomaten stürmten, doch das Publikum möchte damit wenigstens bis zum Ende des Konzertes warten. Der Musiker wurde darufhin ebenfalls von der Polizei verhört. Im lettischen Radio kommentierte der Prorektor der Rigaer juristischen Hochschule und Dozent für Menschenrechte, Mārtiņš Mits, dies sei ein Verstoß gegen Menschenrechte und die freie Meinungsäußerung. 

Smirnovs Äußerungen seinen möglicherweise falsch oder auch zutreffend, daß könne er nicht beurteilen, er sei kein Ökonom. Er prognostizierte den beiden betroffenen Personen jedoch im Falle einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Erfolg. Die Reaktion der Polizei sei völlig unverhältnismäßig gewesen. Die in Schweden lebende Publizistin Sandra Veinberga zeigte sich ebenfalls schockiert. Sie habe noch nie davon gehört, daß jemand wegen einer vergleichbaren Meinungsäußerung verhaftet werde. Auch in Schweden werde öffentlich oft über eine mögliche Abwertung der Landeswährung diskutiert. Die schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet habe die Vorgänge jenseits der Ostsee sogar als Horrorfilm bezeichnet; an eine solch harte Kritik des Nachbarlandes könne sie sich nicht erinnern. Andris Lariņš von der Nordea Bank erklärte, daß Gerüchte ohne Begründung zu verbreiten, wenig hilfreich sei. Diskussion müßten aber immer möglich sein. 

Die plötzliche Reaktion der Polizei ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß im Rahmen der Finanzkrise die immer wieder aufkommende Diskussion über eine Abwertung des Lats neu angefacht wurde und am fraglichen Wochenende viele Menschen tatsächlich zu den Wechselstuben gestürmt waren, um ihr nationals Geld in Euro umzutauschen. In den folgenden Tagen spielten lettische Radiostationen andauernd den Titel “Spārni un vējš" der gruppe Putnu Balle. In einem Interview äußerte sich inzwischen der Präsident der lettischen Nationalbank, Ilmārs Rimšēvičs. Er verstehe das Vorgehen der Sicherheitspolizei nicht. Die beiden Verhörten seien gewiß nicht verantwortlich für die Verbreitungr von Gerüchten. Dies geschehe vielmehr per SMS ohne genaue Datumsangabe der bevorstehenden Abwertung. Die Festnahme von Sänger und Dozenten bezeichnete er als lächerlich. Es sei ihm unangenehm. Rimšēvičs räumte jedoch ein, daß die Frage der Gesellschaft vielleicht nicht hinreichend erklärt worden sei, daß nämlich einzig lein die Nationalbank eine solche Entscheidung treffen könne.

3. Dezember 2008

Zweisprachigkeit durch die Hintertür? – Wie sich Vertreter von Lettlands Elite als Hinterwäldler outen

Für lettische Leser habe ich den Titel gewählt: Ein wie lettisches Lettland ist für die Letten erforderlich? (Cik latviska Latvija latviešiem nepieciešama?) Ein lettisches Lettland propagierte der autoritäre Herrscher Kārlis Ulmanis. Die Folgen dieser Politik kann man noch heute in der Altstadt von Riga bewundern, wo historische Bausubstanz aus Mittelalter und Hansaepoche durch die Monumentalarchitektur der 30er Jahre ersetzt wurde. 

Ende der 80er Jahre protestierten die Letten gegen den geplanten U-Bahn-Bau. Heute würde man sich im Stau steckend manchmal wünschen, es gäbe eine solche Tunnelbahn. Aber damals wäre mit dem Bau des modernen Verkehrssystems die weitere massenhafte Ansiedlung von Arbeitskräften aus Rußland in der lettischen Haupstadt Riga verbunden gewesen, in der die Letten sowieso zu diesem Zeitpunkt schon in der Minderheit waren. Die Überfremdung war ein wichtiger Grund für den Protest gegen die Sowjetherrschaft in der liberaleren Gorbatschow-Ära und den anschließenden Kampf für die Wiederlangung der Unabhängigkeit. 

Welchen Wert ein eigener Staat für ein Volk bedeutet, betonte in seiner Ansprache im Rigaer Dom am 90. Jahrestag der Staatsgründung jüngst auch Bischof Jānis Vanags. Viele Völker dieser Welt, die an Zahl mehr Menschen umfassen als die Letten, haben ihren eigenen Staat nicht. Selbstverständlich ist jedem Volk auch die eigene Sprache heilig. Weltweit sind viele durch Druck oder Assimilierung bereits ausgestorben wie in Lettland beispielsweise nahezu auch das Livische.[1] Mancherorts wird von staatlicher Seite darum gerungen, Minderheitensprachen zu erhalten wie etwa mit dem Rätoromanischen in der Schweiz. Lettland erkämpfte sich 1991 schließlich die Freiheit. Doch viele russischsprechende Einwohner, die während der Sowjetzeit nach Lettland gekommen waren sowie deren Kinder und Kindeskinder haben das Land anschließend nicht verlassen – entgegen dem Wunsch in nationalistischen Kreisen.[2] Mit der Gesetzgebung zur Staatsbürgerschaft und dem Status des Lettischen wurde über Jahre versucht, diesen in Staat und Gesellschaft zu festigen. Und das bedeutete auch, Russisch nicht als zweite offizielle Staatssprache anzuerkennen.[3] 

Philologen in Sorge 

Jetzt fürchten Sprachwissenschaftler in Lettland die Einführung der Zweisprachigkeit im Lande, durch die Hintertür. So wenigstens äußerten sich einige in einer Sendung des lettischen Radios. Dort sagte der Professor an der Fakultät für moderne Sprachen der Universität Lettlands, Andrejs Veisbergs, der auch der staatlichen Sprachkommission vorsitzt, daß immer häufiger in Stellenanzeigen unbegründeterweise Kenntnisse des Russischen verlangt würden. Der Gebrauch des Russischen im öffentlichen Raum weite sich generell zunehmen aus etwa durch die Präsenz von russischen Serien im Fernsehen. Ebenso häufig sei etwa im Fitnessstudio, in billigen Cafés oder auch in Geschäften die Verständigung nur auf Russisch möglich. Besonders stört sich der Sprachwächter an der Hauptnachrichtensendung Panorāma des lettischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, wo manchmal von sieben kurzen Straßeninterviews fünf auf Russisch geführt würden. Freilich, lenkt Veisbergs ein, würden diese übersetzt. Aber es sei psychologisch schlecht, wenn das Russische überall so präsent sei. Die Anbieter von Kabelfernsehen, fährt der Wissenschaftler fort, verkauften Pakete mit hauptsächlich russischen Kanälen. Folglich lebten die Einwohner nicht im Informationsraum der Europäischen Union, sondern Rußlands. Dies könne eine Gefahr auch für die nationale Sicherheit sein etwa im Falle der Berichterstattung über den Georgienkonflikt im vergangenen August. 

In Lettland sei es möglich zu überleben, ohne die Lettische Sprache zu benutzen oder überhaupt nur zu verstehen. Die Abgeordnete der Neuen Zeit und frühere Bildungsministerin (Dezember 2004 bis April 2006) und Professorin an der Fakultät für Pädagogik und Psychologie der Universität Lettlands, Ina Druviete, stimmt den Befürchtungen Veisbergs bezüglich der Gefahr für die nationale Sicherheit zu. Die Vorsitzende des nationalen Rundfunkrates, die Juristin Dace Buceniece, meint allerdings, daß man nicht alles mit Gesetzen regeln könne. Dies könnten die Privatsender auch als Beschränkung ihrer Tätigkeit auffassen. Die Wissenschaftlerin der Lettischen Universität, Dzintra Hirša, schlägt darum vor, auf andere Möglichkeiten zurückzugreifen, etwa steuerliche Erleichterungen für jene Sender einzuführen, die vorwiegend auf Lettisch senden. Alle in der Sendung befragten sind sich einig über die Bedrohung des Lettischen, wenn auch Professor Veisbergs einräumt, daß er die Existenz des Lettischen nicht als grundlegend gefährdet betrachtet. Gegen die von ihm bemängelten Beobachtungen könne die Wissenschaft jedoch nichts unternehmen, dies sei Aufgabe der Politik. Auch Staatspräsident Valdis Zatlers habe ihm beigepflichtet und versprochen, in der Öffentlichkeit ausschließlich Lettisch zu sprechen. Dies ist nach Meinung des Professors auch die Pflicht aller Politiker, in Ausübung ihres Amtes nur in der offiziellen Staatssprache zu kommunizieren. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spreche schließlich mit den zehn Millionen Türken in Deutschland auch nicht türkisch. 

Leider beteiligt sich der Professor auf diese Weise an der Verbreitung von in Lettland sowieso schon verbreiteten Mythen, daß etwa Deutschland voller Türken sei, die in Wahrheit etwa vier Millionen Menschen sind und bei einer Gesamtbevölkerung von fast 82 Millionen damit einen Anteil von weniger als fünf Prozent stellen. Auch lassen alle erwähnten Wissenschaftler ein regelmäßiges Bekenntnis vieler Letten außer Acht, daß sie wegen des nicht mehr vorhandenen Bedarfes einer beständigen Verwendung des Russischen inzwischen diese Sprache auch deutlich schlechter zu sprechen als in Sowjetzeiten. Darüber hinaus haben viele Jugendliche überhaupt keine Russisch-Kenntnisse, weil die Sprache seit der Unabhängigkeit kein obligatirisches Schulfach mehr ist. Viele haben auch nicht die Gelegenheit, Russisch automatisch beim Spiel mit den Nachbarskindern zu erlernen. Bildung Sprachkenntnisse sind ein Reichtum. Sie ermöglichen, sich in verschiedenen Informationsräumen zu bewegen. 

Aber dafür bedarf es vielschichtiger Bildung. Ein Mensch mit mehr Wissen ist erstens fähig, die angebotene Information kritisch zu bewerten, was vielen Studenten in Lettland bezüglich sozialer, ökonomischer und politischer Fragen sehr schwer fällt. Zweitens wird in den Schulen der Sprachunterricht so weit vernachlässigt, daß jungen Menschen nicht nur kein Russisch verstehen und lesen, sondern häufig auch kein Deutsch, Französisch oder Spanisch, ja nicht einmal Englisch. Sie leben also einzig im lettischen Informationsraum, dessen Möglichkeiten sehr beschränkt sind. Hauptsächlich im Internet surfend kommen sie regelmäßig auf die Seiten der öffentlichen Enzyklopädie Wikipedia, die auf Lettisch meist nur Grundinformationen anbietet, welche überdies häufig fehlerhaft sind. Zu einer kritische Bewertung auch dieser Tatsachen sind die Studenten ebenfalls meist nicht imstande. Dace Buceniecei hat Recht, daß man mit Gesetzen die Zugänglichkeit von Fernsehkanälen nicht einschränken sollte. Das wäre auch ein ziemlich zweifelhaftes Mittel. Hitler verbot, die BBC zu hören. In der DDR war es offiziell nicht erlaubt, Westfernsehen zu schauen, was aber in der Realität nicht durchzusetzen war. Im Volksmund des Ostens wurde die ARD zu „Außer Raum Dresden”, weil es technisch durch die geographische Entfernung dort mit Antennen nicht möglich war, Westkanäle zu empfangen. 

Aber was eigentlich wollen die genannten Wissenschaftler eigentlich erreichen? Denkt man ihre Gedanken konsequent zu Ende, dann müßten alle Russen Lettisch können, die Letten aber am besten kein Russisch, damit sie nicht durch das russische Fernsehen beeinflußt werden können? Auf Nachfrage konkretisiert Veisbergs, es ginge ihm vorwiegend um lettische Russen. Sicher, auf diese Bevölkerungsgruppe treffen die Beobachtungen zu. Aber diese Menschen werden einmal nicht mehr da sein. Junge Russen dagegen studieren auf Lettisch. Es gibt auch genug patriotisch gesinnte ältere Letten, deren einzige Fremdsprache Russisch ist, die Putin verehren und sich einen vergleichbaren Politiker für ihre Heimat wünschten. Daß ein Unternehmen von seinen Mitarbeitern erwartet, eine im Land so weit verbreitete Sprache wie das Russische mit der Fähigkeit zum Kundenkontakt zu beherrschen, ist völlig normal. Und es kann nicht im Interesse eines lettischen Staates sein, wenn im Verhältnis zwischen Letten und Russen sich die Sprachkenntnisse im Vergleich zu sowjetischen Zeiten ins gegenteil verkehren. Ganz im Gegenteil. Das führt dann zwar zu einer wenigstens weit verbreiteten Zweisprachigkeit, die aber den Letten ihren Staat nicht raubt. Druviete hat als Professorin das Bildungsministerium bereits einmal geleitet! Auf diese Weise beweist die Elite Lettlands, daß an Stelle der in der Politik erforderlichen Weitsicht und der in den Wissenschaften erforderlichen neutralen Analyse manchmal Provinzialismus vorherrscht.

[1] Diese finno-ugrische Sprache verschwand durch die Assimilierung der Liven, die noch zu Zeiten der Kreuzritter namensgeben für ihr Land waren, im lettischen Volk. 

[2] Die Partei für Vaterland und Freiheit war mit einer solchen Forderung 1993 in den Wahlkampf gezogen: Deokkupation, Debolschiwisierung und Dekolonialisierung. Die aus der Interfront, also den Unabhängigkeitsgegnern hervorgeangene Bewegung „Gleichberechtigung“ wiederum plakatierte, die Uhr könne nicht zurückgedreht werden. 

[3] Gleichberechtigung verwies gern auf das Beispiel Finnland, wo die Muttersprache der Nachfahren des früheren Kolonialherren Schweden dieses Status genießt. Dabei wurde in aller Regel unterschlagen, daß die finnischen Schweden einen weit geringeren Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen und des Finnischen mächtig sind, die Voraussetzungen sich also grundlegend unterscheiden.

1. Dezember 2008

Was will der Präsident?

Einsame Entscheidungen gegen den Willen des politischen Establishment hat Lettlands Präsident Valdis Zatlers bereits getroffen, ohne daß erklärlich gewesen wäre, warum er die regierende Koalition gerade im Fall der UNO-Botschaft ärgern wollte. Auch sein unerwartetes Auftreten bei der Manifestation auf dem Domplatz im vergangenen Herbst bis hin zur Gesetzesinitiative, die dem Volk die Möglichkeit der Parlamentsuaflösung gebene soll, ließ eine Distanzieren Zatlers von jenen Kräfte vermuten, die ihn ins Amt gewählt hatten. Seine harsche Kritik an den Politikern während seiner Ansprache am Nationalfeiertag schienen dies zu unterstreichen.
Aber, was will dieser Präsident wirklich? Und was ist er bereit dafür zu tun?
Vergangenen Mittwoch kündigte der Journalist Jānis Domburs in seiner Sendung “Kas notiek Latvijā” (Was geht vor in Lettland)[1] den Präsidenten als abwesend an. Im Rahmen einer Diskussion über den erwähnten Gesetentwurf zur Verfassungsänderung habe sich das Staatsoberhaupt erst am Vorabend entschuldigen lassen.
In der Radiodiskussionssendung Krustpunktā bezichtigte Domburs den Präsidenten später der Doppelzüngigkeit. Noch zum 90 Geburtstag der Republik am 18. November habe er gewagt, die politische Elite für ihre ingorante Einstellung gegenüber der Bevölkerung anzuklagen. Nun sei er aber nicht bereit, auch mit den Opponenten seiner Vorschläge öffentlich zu diskutieren.
Der Politologe Ivars Ījabs bestätigt, der Präsident sei ob seiner fehlenden politischen Erfahrung im Amte offensichtlich bislang nicht gewachsen. Er trete seit Monaten faktisch nur noch in Kommerzstationen auf, nicht aber im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. Mit diesem Verhalten werde er auch kaum die entsprechende Erfahrung erlangen. Zatlers habe offensichtlich Angst vor unangenehmen Fragen und offenen Dikussionen. Im privaten Radio und Fernsehen seien die Fragen vorher abgesprochen.
Im Morgeninterview des lettischen Radios war der Präsident vor einem Monat das letzte Mal, in die erwähnte Radiosendung Krustpunktā wird er zwar regelmäßig alle zwei Wochen geladen, nahm dort jedoch zuletzt am 12. Mai teil. Im russischpsrachigen Radio 4 beteiligte sich Zatlers bereits seit 18 Monaten nicht mehr, während er im privaten Radio SWH gar wöchentlich zu hören sei.
Wenn er sich kritischen Journalisten verweigere und damit den Verdacht aufkommen ließe, daß er sich nicht auszudrücken versteht, dann dürfe er sich über Kritik nicht wundern, so der Moderator von Krustpunktä, Adis Tomsons.
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[1] Diese Diskussionsendung ist vergleichbar mit "Anne Will" oder "Hart aber fair" im deutschen Fernsehen.