31. März 2009

Gefährliche Ruinen in Riga

Am 29.März stürzte ein Teil der Fassade eines Hauses Ecke Marijas und Elizabetes Straße im Zentrum von Riga auf Fahrbahn und Gehweg. Das ist nicht nur generell gefährlich, sondern besonders an dieser Stelle, weil zahlreiche Trolleybuslinien mit Endstation in Bahnhofsnähe stadteinwärts an dieser Kreuzung links abbiegen.

Das Jungendstilgebäude mit der Adresse Marijas iela 6 ist die wohl bekannteste Ruine der ganzen Stadt. Freilich gibt es in Riga viele verfallene und verfallende Häuser. Im Stadtzentrum jedoch sind die meisten während der vergangenen Jahre entweder renoviert oder aber entfernt worden. Der letzte spektakuläre Fall eines gefährlichen Einsturzes ereignete sich vor einigen Jahren, als ein altes Holzhaus in der Nähe des Zetralmarktes an der Ecke Maskavas und Turgeņeva iela auf die Sträße stürzte und die Schienen der Straßenbahn Nummer 7 für eine Weile blockierte.

Der Stadt ist das Problem an der Marijas seit langem bewußt. Abfall im Innenhof belegte, daß die Ruine über Jahre hinweg von Drogensüchtigen und Obdachlosen als Unterkunft genutzt wurde. Erst vor einem Jahr wurde darum über Maßnahmen diskutiert, was die Verwaltung im Falle jener Ruinen unternehmen kann und sollte, die nicht kommunales Eigentum sind. Nach einem neuerlichen Brand im Hof des Hauses wurde im Oktober 2008 schließlich beschlossen, daß die Eigentümer das Gebäude absichern müssen und andernfalls die Stadtverwaltung auf Kosten der Eigentümer diese Aufgabe selbst übernehmen werde.

Im Januar dieses Jahres haben die Eigentümer der Stadt ihrer Bereitschaft übermitteln lassen, sich um die Probleme zu kümmern. Im Innehof wurde ein vier Meter hoher Zaum errichtet. Entsprechend der Vereinbarung hätten die Arbeiten an einem Behlefsadach dann im Februar beginnen müssen. Das aber geschah nicht.

Während die Teileigentümerin Ludmila Baumane erklärte, sie plane seit langem, ein Hotel in dem Gebäude zu einrichten, klagte sie gleichzeitig über Probleme, sich mit dem zweiten Eigentümer, dem Esten Toomas Tool, zu einigen. Dieser wurde in der estnischen Wirtshcftszeitung Äripäev als Immobilienmagnat bezeichnet.

Nachdem nun der Ernstfall eingetreten ist, hat die Stadt von den Eigentümern ultimativ verlangt, bis zum 30. März etwas zur Absicherung des Geländes zu unternehmen. Geschehe dies nicht, so werde die Stadt selbst handeln und dies den Eigentümern in Rechnung stellen. Diese Schritte setzt die Verwaltung derzeit in die Tat um.

Das Haus an der belebten Kreuzung im Zentrum Rigas steht seit langem leer und verfällt. In den 90er Jahre gab es einen kleinen Metallhandlauf um das Gebäude, der Passanten zwang, Abstand zur Fassade zu halten. Später wurde diese mit einem Netz verhängt, damit keine Fassadenteile auf die Straße fallen können. Vorübergehend gab es auch einen Holztunnel, wie bei Baustellen üblich.

25. März 2009

Wer sucht, der findet ...?

Das Datum ist bekannt: Am 14. März 2008 soll in Nordlettland im Bezirk Valka, nicht weit von der estnischen Grenze, ein Meteorit eingeschlagen sein. Viele haben ihn gesehen oder gehört, aber keiner hat ihn bis jetzt gefunden. Es gibt aber schon eine lettische Baufirma Somers Būve, die Interesse hat, ihn zu erwerben und als ein außergewöhnliches und besonderes Baumaterial zu benutzen. Sie ist bereit 500 Lat (700 Euro) für ein Kilogramm zu zahlen. Viele Menschen haben sich schon auf die Suche gemacht.

Bis jetzt weiß noch keiner, wie groß er gewesen ist. Und überhaupt, ob dieses Objekt ein Meteorit oder ein anderes astronomisches Objekt gewesen ist. Auch die Berichte der Augenzeugen sind unterschiedlich: Einige wollen blaues Licht, andere - gelbes, wieder andere – grünes oder rotes Licht gesehen haben, alles sei hell wie am Tag gewesen. Einige hörten die Erde beben, andere wieder - einen schrillen Lärm.

Es ist aber immer noch nicht sicher, ob das unbekannte Objekt aus dem Weltenraum in Lettland oder in Estland abgestürzt ist. Auch die Menschen in Estland haben einen Lärm und helles Licht am Himmel gesehen. Viele sind mittlerweile überzeugt, dass der Meteorit in den Wäldern zwischen Estland und Lettland zu suchen ist.

Interessant ist, dass bis jetzt auf dem lettischen Boden nur vier Meteorite gelandet sind – alle im 19. Jahrhundert. Dieser könnte der Fünfte sein.

Meteoriten sind inzwischen auch beliebte Sammler- objekte geworden: Auf dem Schwarz- markt kosten „normale Meteorite“ aus Stein oder Metall ein paar Dollar pro Gramm; Die Meteorite aus dem Mars oder aus dem Mond kosten ein paar tausend Dollar pro Gramm ...

Na ja, der Volksmund sagt: wer sucht, der findet. Und wer findet, kann auch damit noch gutes Geld verdienen. Aber zu erst sollte der glückliche Finder einen Spezialisten aufsuchen und die Meteoritenpreise vergleichen. Vielleicht kann man ihn bei Ebay noch teuerer verkaufen, als die lettische Baufirma bereit zu zahlen ist?

Meteorite bei Ebay

„Dankbare Zeit für neue Parteien“

Die Überstrift steht in Anführungszeichen, sie stammt nicht von mir. Ilze Kuzmina hat so, natürlich in lettischer Sprache, einen Artikel in der Neatkarīgā (Die Unabhängige) überschrieben.

Lettland ist unter den postsozialistischen Staaten, in denen Regierungen viel häufiger wechseln als in Wetsuropa, der Spitzenreiter. Das gerade angelobte Kabinett Dombrovskis ist das 15. seit der Unabhängigkeit 1991.[1] Außerdem wurden in keinem Land so häufig und so viele neue Parteien gegründet. Mit Ausnahme der letzten Wahlen 2006 war die Siegering immer eine erst kurz zuvor entstandene politische Kraft.[2]

Eine dankbare Zeit, neue Parteien zu gründen, besteht derzeit tatsächlich, da sich die politische Klasse seit 2007, als die Menschen erstmals wieder auf den Straßen demonstrierten, derart diskreditiert hat, daß das Volk nach neuen Gesichtern verlangt – mehr als früher, als es die Erfolge neuer Parteien in der Vergangenheit erklärt.

Neue Parteien sind in jüngster Zeit bereits entstanden. Aigars Štokenbergs und Artis Pabriks, ehemalige Mitglieder und Minister der Volkspartei, haben die „Gesellschaft für eine andere Politik“ gegründet – über den geistreichen Namen wurde bereits geschmunzelt. Sandra Kalniete von der Neuen Zaeit gründete mit dem bei der Kandidatur um den Parteivorsitz von Für Vaterland und Freiheit unterlegenen Ģirts Valdis Kristovskis, der früher einmal bei Lettlands Weg war, die „Bürgerliche Union“. Selbstverständlich handelt es sich damit in beiden Fällen um Parteien, die wie schon früher aus der Mitte der politischen Elite heraus entstanden wurden.

Jetzt kündigt sich erstmals seit langer Zeit die Gründung einer Partei aus der Mitte des Volkes an. Die Gründer sind im wesentlich junge, bislang in der Öffentlichkeit unbekannte Personen wie der Präsident des Verbandes der Fischproduzenten, Didzis Šmits, der in Frankreich Diplomatie studiert hat und als Presseskretär der Neuen Zeit und im Außenministerium tätig war. Er selbst sagt, daß die potentiellen Mitglieder alle Professionelle seien, wenn sie auch bislang in „Privātā Dzīve“[3] nicht in Erscheinung getreten seien. Dazu zählt etwa Kristīne Drēviņa,[4] die derzeit am Europäischen Gerichtshof wirkt. Ebenefalls von der Neuen Zeit geprägt ist die ehemalige Büroleiterin von Kalniete, Dace Dzedone. Aleksandrs Tralmaks war bei der Tagszeitung Diena früher für die strategische Planung zuständig. Das wirtschaftspolitische Gesicht soll der neuen Partei der Dozent der Stockholm School of Economics Riga, Vjatscheslaw Dombrovski, geben. Er begründete sein Engagement damit, in diesen kritischen Zeiten könne er nicht als Zuschauer am Rande stehen.

Die Idee, so Šmits, sei bei Diskussionen unter Freunden in der Küche entstanden, weil bei allfälligen, vorgezogenen Neuwahlen keine Partei existiere, für die man guten Gewissens stimmen könne. Infolge dessen gehörten zu den potentiellen Mitgliedern vorwiegend Freunde von Šmits aus der Schul- und Studienzeit, wie etwa die Ökonomin der Nationalbank, Agnese Bičevska, Ehefrau eines Staatsekretärs im Finanzministerium, der selbt der Volkspartei angehört. Der PR-Experte Vladimir Novodvorski wiederum arbeitet für das Uneternehmen Ventsbunkers, das wiederum in Verbidung steht zu den Unternehmern Olafs Berķis und Oļegs Stepanovs, deren Bekanntschaft jüngst als Hinderungsgrund genannt wurde, daß Ģirts Kristovskis neuer Verkehrsminister werden könnte. Einstweilen aber habe die Partei aber nicht viel mehr als die zur Gründung erforderlichen 200 Unterstützer, sagt Šmits.

Bereits vor einer Woche hatte Šmits mit Bekannten den Verein „Tautas Laiks“ (Die Zeit des Volkes) gegründet. Was zunächst als Absetzung von einer als Zeit der Oligarchen und abgehobenen Politik empfundenen Periode vernünftig zu klingen scheint, könnte allerdings auch als Satire mißverstanden werden. Immerhin hatte Andris Šķēle 1995 die Volkspartei gegründet und Einārs Repše 2002 die Neue Zeit. Diese wird im Englischen als New Era übersetzt und von dort aus im Deutschen oft auch als Neue Ära.

Über die ideologische Ortung hält Šmits sich bedeckt, weil sich in Lettland noch keine Schichten herausgebildet hätten. Die Ausrichtung sei aber gewiß marktwirtschaftlich, wenn auch angesichts der Krise staatliches Eingreifen befürwortet werde. Die Partei wird darum voraussichtlich eine sozialliberale sein.

Da eine Parteigründung in Lettland ohne Gerüchteküche schier ausgeschlossen ist, fühlte sich Šmits aufgerufen, eine Unterstützung von Šķēle zu dementierten. Er habe aber zahlreiche andere Unternehmer angesprochen, denn ohne Geld könne man keine Partei gründen.

Berechtigter seinen Spekulationen über Expräsident Guntis Ulmanis. Šmits gibt zu bedenken, daß das Volk zwar nach neuen Gesichtern verlange, jedoch, tauchten diese auf, sogleich fragten, wer denn das sei, diese Leute kenne man nicht. Und so habe Ulmanis seine Teilnahme am Gründungskongress angekündigt, den Eintritt in die Partei aber nicht versprochen. Šmits würde ein solcher Schritt zwar freuen, doch die Partei sei nicht auf der Suche nach Wahllokomotiven.

An den Wahlen zum Europaparlament will die Partei nicht antreten, jedoch an einigen Orten Kandidaten für die am selben Tag stattfindende Kommunalwahl aufstellen.
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[1] http://www.rulers.org/ bietet eine andere Zählung an. Während der Autor dieser Zeilen jede Veränderung der Koalitionszusammensetzung wie auch der Neubildung einer Regierung mit den gleichen Partnern als eine neue Regierung betrachtet, ist die zählweise umstritten. Die genannte Seite zählt das Kabinett von Aigars Kalvītis nach dem Austritt der neuen Zeit 2006 nicht separat, die Präsidentin mußte keinen neuen Minsterpräsidenten benennen. Auch Andris Šķēles Rücktritt und neuerliche Ernennung 1997 wird nur als eine Regierung gewertet.
[2] Der Autor dieser Zeilen hat über das Parteiensystem promoviert und sieht sich bei Nachfragen zu länger zurückliegenden Ereignissen mitunter gezwungen, die Antwort in der eigenen Dissertation nachzuschlagen.
[3] „Das private Leben“ ist wohl eines der bekanntesten Boulevardmagazine in Lettland.
[4] Eine Anmerkung zum Journalismus in Lettland am Rande: in einer anderen Zeitung hieß diese Dame plötzlich Grīviņa.

23. März 2009

Letten, Konfektes und Natur

Die Letten lieben nicht nur Poesie und Natur, sondern auch Süßigkeiten. Und die Liebe zur Natur, zur Poesie, zur Kunst und zu den Süßigkeiten vereinen sie in Konfektes. Konfektes ist Lettisch, und bedeutet Bonbons und Pralinen.

Das berühmteste Beispiel ist Konfektes Gotiņa. Gotiņa ist Lettisch und bedeutet Kühchen oder kleine Kuh (die Letten mögen es, alles zu verkleinern). Hier wird nicht nur eins der beliebtesten Konfektes nach einem Tier benannt, sondern in dem Konfektespapier auf der Innenseite ist ein Tautasdziesma (ein lettisches Volkslied) zu lesen. Ein Beispiel:

Ich war der Sohn eines guten Vaters,

Ich wollte nur stets das Gute:

Gutes spannen, Gutes fahren

Gute, Schöne mitnehmen.

Also Genuss pur – ein bischen Süßes, ein bischen Natur und ein bischen Poesie. Typisch Lettisch.

Es gibt auch andere Beispiele, z. B. die leckeren Pralinen Lācītis Ķepainītis (Bärchen Pfötchen), die den lettischen Sinn für die Kunst zeigen. Hier ist zwar kein Gedicht zu lesen, aber auf dem Bonbonpapier ein Fragment des Gemäldes des russischen Malers Iwan Schischkin (1832-1898) „Morgen in einem Fichtenwald”. Dort sind Braunbären in einem Wald bei der Morgendämmerung spielend abgebildet. Da freut sich das Auge und der Gaumen!

Weitere leckere Konfektes aus der Tierwelt sind Vāverīte (Kleines Eichörnchen), Vētrasputns (Sturmvogel), Vēzītis (Krebschen), Zosu Kājiņa (Gänsefüßchen), Zelta Teliņš (Goldenes Kälbchen). Konfektes aus der Blumenwelt: Rudzupuķe (Hornblume), Sarkanā Magone (Roter Mohn, in dem kein Mohn drin ist, aber eine hübsche Mohnblume auf dem weißen Papier), Gundega (Hahnenfuß), Vijolīte (Veilchen). Es gibt natürlich auch Konfektes mit Obst und Beerengeschmack. Besonders lecker klingt Ziemeļu ķirsis (Nordische Kirsche).

Ist das nicht wieder einmal ein gutes Beispiel für die lettische Naturverbundenheit?

15. März 2009

Über Rumpelstilzchen und lettische Kühe

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Wer kennt in Deutschland dieses Märchen über das kleine, hässliche Männchen mit den außergewöhnlichen Namen nicht? Die Namensverheimlichung des kleinen Männleins hat eine geheimnisvolle Bedeutung – wenn jemand erfährt, wie es heißt, dann wird es auf die Königstocher verzichten müssen. Das Wissen seines Namens hat etwas Magisches und Mystisches, was etwas bewirken kann.

Hier wirkt der Namenszauber - eine magische Praktik, die in vielen archaischen Kulturen verbreitet war. Er versucht Personen mithilfe ihres Namens auf eine magische Weise zu beeinflussen. Eine Erklärung der Bedeutung des Wissens eines Namens liefert die lettische Folklore – wenn jemand den Namen des Unbekannten kennt, hat er die Macht über ihn. Wer den Namen des Teufels kannte, der musste ihn nicht fürchten. Wer einen Namen hat, ist nicht mehr fremd, chaotisch, bedrohend.

Was in Deutschland nur im Märchen überliefert ist, wird in Lettland immer noch praktiziert. Der Glaube (oder der Aberglaube, wie ein moderner aufgeklärter Mensch sagen würde) an die Magie der Namen lebt in Lettland noch fort. Auch heute noch bekommt in den Bauernhöfen fast jedes neugeborene Kalb einen Namen, was etwas bewirken soll. In einigen Gebieten Lettlands werden gewöhnlich die Kühe nach einem Fluss genannt – Gauja, Salaca, Daugava. Warum gerade nach einem Fluss? Damit die Kuh so viel Mich hat, wie in einem Fluss Wasser ist; und damit sie auch so rasch wie das Flusswasser fließt. In der lettischen Folklore sind auch zahlreiche Zaubersprüche und Namenszauber überliefert, die den Milchfluss der Kuh anregen sollten. Einige davon wurden noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angewendet.

Die Kühe in einer lettischen Großfarm haben leider keine Flussnamen mehr, sondern Nummern, genauso wie die Kühe in Deutschland. 234, 112 oder 456 ... Aber vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass es im kleinen Lettland gar nicht so viele Flüsse gibt, wie Kühe heutzutage in einer modernen Farm ...

(Karikatur: Gatis Šļūka, Latvijas Avize)

14. März 2009

Smirnow meldet sich erneut zu Wort

Der an der Hochschule Ventspils lehrende Ökonom Dmitrij Smirnow war vergangenes Jahr wegen der Verbreitung von Gerüchten über eine Abwertung des Lats festgenommen worden. Nun hat er sich in einem Interview uber die Zukunft Lettlands geäußert. Das Szenario könnte dramatischer nicht ausfallen. Ausführungen hierzu.

12. März 2009

Die Krise, ihre Ursachen und ihre Folgen

Die Krise in Lettland hat wie in den USA eine wesentliche Ursache: die Bevölkerung hat über ihre Verhältnisse gelebt. In beiden Ländern gab es eine Spekulationsblase im Immobilienbereich. Damit aber erschöpfen sich bereits die Gemeinsamkeiten.

Finanzmarkt und Realwirtschaft
Während es in den USA eine Produktion gibt, hat der Autor dieser Zeilen in seinem ersten lettischen Zeitungsartikel vor Jahren bereits darauf hingewiesen, daß die vielen Neuwagen und Mobiltelefone in Lettland nicht mit unbehandeltem Holz und Damenunterwäsche dauerhaft finanziert werden können. Inzwischen beschränkt sich die Wirtschaftsleistung Lettland weitgehend auf das unbehandelte Holz, denn was es an Textilindustrie vor zehn Jahren noch gab, ist angesichts der Lohnkostenentwicklung und sicher auch einer falschen Produktpolitik weitgehend verschwunden.

In den USA haben die Menschen auf Pump gelebt und eine gute Weile darauf spekulieren können, daß der Wert ihrer mit Krediten erworbenen Häuser im Laufe der Zeit steigt, und dann irgendwann die Liegenschaft mit Gewinn verkauft und nach dem Auszug der Kinder eine kleinere Unterkunft erworben werden kann. Das war in Lettland nicht so. Selbstverständlich wurde mit ganzen Gebäuden und Eigentumswohnungen im historischen Jugendstilviertel von Riga spekuliert. Das trifft aber nicht zu auf die heruntergekommenen Holzhäuser in der Moskauer Vorstadt oder die Plattenbauten von Ķengarags oder Iļģuciems, die überwiegend in den 70er Jahren für eine Lebensdauer von 30 Jahren errichtet worden waren, ganz zu schweigen von Immobilien ähnlicher Qualität in den Klein- und Kleinststädten.

Selbstverständlich haben auch hier die Preise in den letzten zehn Jahren angezogen. Und genau hierin liegt im Unterschied zu den USA die Ursache der Krise in Lettland. Mit Hilfe eines Kredites eine Wohnung zu kaufen, war in den nach Aigars Kalvītis „fetten Jahren“ billiger, als eine Wohnung zu mieten. Die monatlichen Zinsen waren geringer als der Betrag, den Vermieter verlangt haben. Die in Lettland Kommunalgebühren genannten Betriebskosten müssen auch bei privatisierten Wohnungen an das die Mehrfamilienhäuser bewirtschaftende, sogenannte Kooperativ gezahlt werden.

Die Banken in Lettland haben auch nicht wie in den USA Kredite an Personen vergeben, deren Kreditwürdigkeit von vornherein in Zweifel zu ziehen war, sondern nur an solche, die wenigstens für örtliche Verhältnisse ordentlich verdienen haben.

In Lettland gab es somit sehr wohl jene, bei denen die „fetten Jahren“ nicht ankamen. Viele, die vor der Arbeitslosigkeit auf dem Lande nach Riga geflohen waren, konnten sich hier gerade einen Schlafplatz leisten. Konkret heißt dies, daß in einer Wohnung mit mehreren Zimmern in jedem davon gleich mehrere Personen wohnen.

Woher kommt dann die Krise in Lettland?
Gewiß, in Lettland wurden Kredite auch an Interessenten vergeben, die in einem westeuropäischen Land ohne Zweifel von der Bank eine Absage erhalten hätten; ebenso waren entsprechende Sicherheiten nicht vorhanden, die im Falle einer Wohnung im Plattenbau auch das erworbene Objekt selbst nicht bot. Der einmalige Kauf machte für den Einzelnen noch Sinn, nicht jedoch eine ggf. erforderliche Zwangsversteigerung.

Kredite wurden aber nicht nur gewährt und in Anspruch genommen, um mit Immobilien in die eigene und die Zukunft der Kinder zu investieren. Vielmehr gab es umfangreiche Leasingangebote, die gerne für moderne und teilweise auch luxuriöse Autos verwendet wurden. Selbst Schweizer Besucher fühlten sich beim Besuch Rigas zu Kommentaren hingerissen, daß auf so engem Raum sie nicht einmal daheim solche Fahrzeuge sehen würden.

Das alles war natürlich nur möglich, weil salopp formuliert, die Banken in den Markt wollten und teilweise aggressiv entsprechende Angebote unterbreitet haben.

Und dieser Trend zum Konsum auf Pump zog sich hin bis zu Kleinstkrediten, also letztlich Ratenkauf – wofür im Einzelhandel oft auch mit dem verzicht auf eine Anzahlung geworben wurde.

„Fette Jahre“ mit verdächtigen Kennziffern
Damit allein ist die Krise jedoch nicht zu verstehen. Dem Kauf auf Kredit steht auch ein Verkäufer gegenüber, welcher über die gesamte Kaufsumme sofort verfügt. Und diese Gelder gingen ebenfalls vorwiegend in den Konsum und nicht in Investitionen.

Es nimmt also kein Wunder, wenn der Anteil des Einzelhandels an den hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahre verdächtig hoch, das Außenhandelsdefizit größer war als in Südostasien vor der Krise der 90er Jahre. Und es war auch nicht überraschend, daß 2007 und 2008 die Inflation in Lettland, aber auch den baltischen Nachbarstaaten, ungekannte Ausmaße erreichte und zweiteilig beinahe bei 20% lag.

Bei den Letten hingegen sind volkswirtschaftliche Kenntnisse nicht verbreitet. Sie verwechselten den hohen Nennwert ihrer nationalen Währung, 1 Lat ist bereits 1,50 Euro, mit einem hohen Wert ihrer Währung an und für sich.

Aber dies waren nur die hausgemachten Probleme.

Mit dem Beitritt zur EU öffneten Großbritannien und Irland ihre Arbeitsmärkte für die neuen Mitgliedsländer sofort. Eigentlich eine Geste, die im Gegensatz zum Protektionismus anderer Staaten im Rahmen der Globalisierung als Schritt einer liberalen Politik anzusehen ist.

In der Folge verließen viele Menschen aus dem Baltikum und Polen ihre Heimat, um für mehr Geld teilweise auch minderwertigere Arbeit zu verrichten. Dies aber war nicht nur ein persönliches Schicksal, sondern zog Arbeitskräfte ab aus einem heimischen Markt, in dem ebenfalls gerade die Bauwirtschaft boomte. Hier mangelte es nun an Arbeitern, weshalb die Löhne in Lettland unverhältnismäßig stark und schnell stiegen. Es kann kaum mit der Produktivität erklärt werden, wenn Einkommen plötzlich jährlich um ein Drittel steigen.

Die Diskussion über Gastarbeiter aus Weißrußland oder Moldavien wurde zwar geführt, aber nicht entschieden. Und so trug die Immobilienblase noch zu den Auswüchsen des Lohnsektors bei. Das wiederum ähnelt Island.

Gewöhnlicher Krisenbeginn und dramatische Folgen und Stilblüten
Der Kollaps in Lettland wurde schließlich durch ein Ereignis ausgelöst, mit dem sich zahlreiche andere Regierungen in Europa während der letzten Monate ebenfalls konfrontiert gesehen hatten. Der einzigen tatsächliche lettischen Bank, die Parex Banka, drohte das Ende. Dies wurde noch dadurch verschärft, daß die Letten den Zusammenbruch der Banka Baltija 1995 noch in guter Erinnerung haben. Die Menschen stürmten, anders als in Deutschland und ähnlich wie bei der schottischen Northern Rock, die Schalter und zogen ihre Einlagen ab, was den drohenden Bankrott noch beschleunigte.

Die Parex Bank war insofern systemrelevant, wie die jüngste Wortschöpfung heißt, weil der Großteil der staatlichen Institutionen ihre Bankgeschäfte über dieses Institut abwickeln.

Der Staat wäre nun ohne die Hilfe Europas und des IWF zahlungsunfähig. Die ersten Gegenmaßnahmen wurden getroffen, die Mehrwertsteuer zum 1. Januar um drei Prozent erhöht und die Einkommen für alle Staatsbediensteten gekürzt. Viele Mitarbeiter wurden sogar entlassen. Das gilt selbstverständlich auch für die Privatwirtschaft.

Da viele Menschen ihre Arbeit verloren oder drastische Einkommensausfālle von in manchen Fällen bis zu 40% zu verkraften haben, droht ebenfalls die Zahlungsunfähigkeit von Privathaushalten, weil die Menschen ihre Kreditverbindlichkeiten nicht mehr bedienen können.

Doch damit nicht genug: Nicht erst seit Wochen oder Monaten, sondern eigentlich schon seit Jahren wird immer wieder über eine Abwertung der Landeswährung Lats spekuliert. Erst im vergangenen Herbst wurde wegen der Verbreitung von Gerüchten ein Hochschullehrer zwei Tage von der Polizei festgehalten und ein Sänger immerhin vernommen. Dies ist ein Zeichen für die Nervosität der Behörden und den Notenbank. Die Skeptiker, die sich vor der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro in Deutschland zu Wort gemeldet hatten, sind damals wie jetzt wegen ihrer Zweifel bestenfalls publizistisch angegriffen worden.

Abwertung als Rezept?
Selbstverständlich ist die Abwertung neben einem (noch) drastischeren Sparkurs eine mögliche Strategie zur Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit. Aber weil die Krise in Lettland andere Ursachen hat, hat sie auch andere Folgen.

Selbstverständlich würde eine Abwertung Exporte verbilligen und Importe verteuern. Während letzteres kein Nachteil für die heimische Wirtschaft sein sollte, es schränkte den ungestümen Konsum von Konsumgütern ein, so liefe ersteres in die Leere – was exportiert Lettland?

Eine Abwertung der Währung würde die Schwierigkeiten bei der Bedienung von Krediten noch einmal deutlich verschärfen. Denn weil die Landeswährung trotz ihres hohen Nennwertes (1 LVL=1,50 Euro) eben keine Hartwährung ist, nach der sich andere Volkswirtschaften die Finger schlecken, haben die meisten ihre Kredite in Fremdwährungen aufgenommen, vorwiegend in Euro, aber auch in Schweizer Franken und Yen. Und da die Kreditnehmer vorwiegend junge Menschen sind, träfe eine Abwertung gerade den produktiven Teil der Gesellschaft am heftigsten. Eine soziale Katastrophe könnte folgen. Und das scheut das offizielle Lettland wie der Teufel das Weihwasser.

Wegen der seit dem EU-Beitritt festen Wechselkursbindung an den Euro wäre die Abwertung nicht allein auf nationaler Ebene entscheidbar, sondern nur in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank. Innerhalb der Europäischen Union gibt es ebenfalls einer Abwertung entgegenstehende Interessen.

Die international engagierten Banken haben schon genug Summen abschreiben müssen. Da in Lettland vorwiegend große Häuser aus Skandinavien aktiv sind wie SEB und Swedbank, würde gerade Schweden sehr viel verlieren.

Der vor allem im Nahrungsmittelbereich umfangreiche innerbaltische Handel würde durch eine Abwertung der nationalen Währung in nur einer Republik das Gleichgewicht aus den Fugen bringen.

Was also tun?
Es besteht kein Zweifel, daß die Regierung Lettlands, werde sie nun von Valdis Dombrovskis geführt oder von jemand anderem, vor der Wahl zwischen Teufel und Beelzebub steht.

Der scheidende Ministerpräsident Ivars Godmanis hat bereits in einem Zeitungsinterview sein Unverständnis über den Sturz seiner Regierung gegrummelt: Es wäre seiner Ansicht nach vernünftiger gewesen, unpopuläre Entscheidungen noch seinem Kabinett aufzubrummen, um nach der Europa- und Kommunalwahl eine neue Regierung zu bilden. Dahingegen behaupten Beobachter, daß die Königsmörder Volkspartei und Grüne und Bauern an der Bereitschaft der Partner zweifelten, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, und aus diesem Grunde das Bündnis erweitern wollten

Jetzt hat Dombrovskis die Erste Partei / Lettlands Weg aus dem Boot geworfen, weil erstens auch ohne sie die Regierungsfraktion auf 64 Mandate kommen und zweitens diese Partei ultimativ am Verkehrsministerium festhalten wollte. Damit hat er nun aber die Königsmörder verärgert, die ihrerseits an der Bündnistreue bei der Neuen Zeit des designierten Regierungschefs ebenso zweifeln wie an der Bürgerlichen Union.

Und in der Tat, deren Fraktionsvorsitzende Anna Seile hat bereits angekündigt, nicht ohne wenn und aber für jeden schmerzhafte Vorschlag zu stimmen. Dem schlossen sich die Abgeordneten Janīna Kursīte-Pakule von der Bürgerlichen Union und Inguna Rībene von der neuen Zeit an, die ihr Gewissen und die Bedeutung der kulturellen Bildung in Lettland vorschoben.

Zweifel bestehen aber nicht nur bei den bislang oppositionellen Kräften. Auch die Bildungsministerin von den Grünen und Bauern, Tatjana Koķe, stellte angesichts des Sparzwangs ihre Bereitschaft in Frage, für das Amt erneut zur Verfügung zu stehen.

Situation bleibt undurchsichtig
Ob Godmanis’ Bereitschaft, alle Unbill auf sich zu nehmen einer staatsmännischen Einstellung oder einem anderen Kalkül geschuldet ist, mag zunächst dahingestellt bleiben. Beinahe erwecken all diese Konflikte um und während der Regierungsbildung den Eindruck, als hätten die Politiker und Parteien vergessen, daß Ende des Monats der Präsident mit einer möglichen Parlamentsauflösung droht.

Daß die Forderungen des Ultimatums in diesem Zeitraum zu erfüllen sind, ist so gut wie ausgeschlossen, zumal die Parteien jetzt genug Zeit mit der Regierungsbildung verbracht haben, welche überdies noch nicht einmal abgeschlossen ist.

Fraglich ist aber auch die Ernsthaftigkeit der Drohung, den Präsident Zatlers spielt ggf. mit seinem Amt. Lehnt das Volk im obligatorischen Referendum das Ansinnen des Staatsoberhauptes ab, so muß er selbst abtreten. Zwar geben zwei Drittel der Bevölkerung an, mit ja stimmen zu wollen. Aber viele Menschen sind auch skeptisch angesichts des Fehlens von Alternativen. Erreicht die Wahlbeteiligung das Quorum von mindestens 50% der Wahlberechtigten nicht, steht der Präsident nicht weniger bedröppelt dar. Und da sei erinnert, daß das Parlament den Präsidenten ebenfalls mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit absetzen kann.

Harte Realitäten in Lettland
In den letzten Wochen ist immer wieder von Staatsbankrott die Rede, dessen Möglichkeit mitunter in Frage gestellt wird. Dies geschieht deshalb, weil auch ein hochverschuldetes Land eine höhere Kreditwürdigkeit besitzt, als ein Individuum oder eine Firma, die sich als Faß ohne Boden darstellt. Und der Grund für dieses Paradoxon liegt in dem Umstand, daß eine insolvent Firma nach dem Verkauf ihrer Sachwerte zugunsten der Gläubiger einfach verschwindet. Eine Privatperson stirbt irgendwann. Territorium und Einwohner eines zahlungsunfähigen Staatens verschwinden mit der Pleite jedoch nicht.

Wo andere Regierungen im Westen Konjunkturprogramme auflegen, letztlich also Geld drucken, ja sogar Steuern senken (wollen) und die Menschen zum Konsum aufrufen, geschieht in Lettland das Gegenteil.

Wenn im Westen gewitzelt wird, der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus bestehe darin, daß in diesem die Unternehmen erst verstaatlicht und dann ruiniert würden, es im anderen System umgekehrt sei, so ist das lettische Dilemma, daß die Geldwertstabilität ruiniert wurde, bevor die Krise begann, während im Euroraum die Krise mit der (möglichen?) Ruinierung des Geldwertes zu bekämpfen versucht wird.

Gewiß, was die Politik im Euroraum exakt für Folgen haben wird, wagt wohl kaum jemand zu prognostizieren. Tendenziell muß sich jedoch der Druck auf die Inflation erhöhen. Lettland hat diese Option nicht.

Jüngst diskutierten ehemalige Regierungschefs Lettlands über die Lage der Nation im Fernsehen. Während Valdis Birkavs und Māris Gailis, die beiden Regierungschefs während der ersten Saeima nach der wiedererlangten Unabhängigkeit analysierten und Empfehlungen abgaben, gestand Aigars Kalvītis Fehler ein. Andirs Šķēle bekundete sein Verständnis, daß vor zwei drei Jahren den Gehaltsforderungen der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst von Seiten der Regierung nicht wiederstanden wurde. Freilich, auch westeuropäische Staaten haben sich in Jahren der sprudelnden Steuereinnahmen nicht vernünftiger Verhalten.

Andererseits behaupteten Indulis Emsis und Andris Šķēle ebenfalls, Lettland trage an der Krise keine Schuld. Diese sei durch eine falsche Politik in den USA ausgelöst worden. Emsis ist kein Wirtschaftsexperte. Doch zugunsten von Šķēle ist man zu vermuten geneigt, daß er diese Behauptung nicht wirklich selbst glaubt.

Tragisch ist, daß die Einwohner Lettlands nicht erst heute die aktuelle Politik für ihre Situation verantwortlich machen und nur wenige verstanden haben, daß die Wurzel des Übels in dem halben Jahrhundert sozialistischer Diktatur liegt. Und dies gefährdet potentiell die demokratische Regierungsform im Lande.

10. März 2009

Die lettische Natur und Poesie

Es ist kein Geheimnis, dass die Letten eine enorme Liebe zur Poesie und zur Natur haben. Die lettischen Volkslieder, die Dainas, auf die die Letten so stolz sind, sind ein Teil der lettischen Identität. Und die Natur ist nicht nur ein beliebtes Thema in den Dainas, sie hat auch eine große Bedeutung bei der lettischen Selbstwahrnehmung.

„Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts,“ so äußerte sich Johann Georg Hamann vor mehr als zweihundert Jahren. Und in der Muttersprache können die Menschen sich am besten verständigen. Ohne kulturelle und soziale Grenzen. Aber vielleicht liegt das Geheimnis der Liebe zur Poesie einfach in der lettischen Natur? Lesen Sie selbst, wie die lettische Natur auch die deutsche Dichterin Betty Quast inspirierte. Auch die Fotos mit den schönen Blumen sind von Albert Caspari in Lettland aufgenommen worden.

Lettischer Morgen*

grün und nochmals grün

im sanften Laub der Birken

haucht der Wind

darüber sich ein weiter Himmel spannt

und aus den blauen Wolkenstreifen sickert

früh immer mehr das weiße Licht

im Auto spielt lettisches Radioprogramm

unter der Brücke schäumen

tiefblaue Wellen

Holzhäuschen wärmen sich

im Grasteppich

wie viele kleine Sonnen - Löwenzahn

vom Meer treiben die Schiffe an

verheißen Ferne

Tauben im Blätterdach, und abertausend Spatzen

tauchen ein, durchsichtig

die Luft, wie klares Wasser, Spiegelglas

so hebt sich der Schleier an

und ich erkenne dein Gesicht,

in diesem fremden, wunderschönen Land


Die Blätterfrau

aus deinen Haaren strahlt die Sonne

aus deinen Armen schimmert

Licht du Blätterfrau, du Sanfte

Sommersprossen im Gesicht

so leicht und freundlich

helle Stimmen rufen

Blumenkronen setzen sie auf

saftige Stengel, bunt voll Grün

Wiesenblüten Freunde bringen

es wird nie dunkel

Jungen springen in den See

nackt wie Fische gleiten sie dahin

und der frische neue Tag

wäscht dein Gesicht mit Morgentau,

du Blätterfrau


Betty Quast

geschrieben in Riga im Mai 2008

Betty Quast bei myspace

5. März 2009

Segen und Fluch einer Staatsbürgerschaft

Daß die Letten und Esten nach dem Zusammenbruch dewr Sowjetunion nicht ALLEN Einwohnern die Staatsbürgerschaft ohne Wenn und Aber gewährt haben, wurde in den nachfolgenden Jahren in der linken bis bürgerlichen Presse oft genauso als Diskriminierung bezeichnet wie in den Sozialwissenschaften.

Auf die Nuancen der Situation in den genannten beiden Staaten soll hier nicht eingegangen werden, aber über die Folgen der derzeitigen krise für diese Frage. Die lassen nämlich aufhorchen.

Bislang waren Sprachprobleme der Migranten aus der Sowjetzeit ein wichtiger Hindergrund der Einbürgerung, weil viele Lettisch und Estnisch entweder nicht zu lernen vermochten oder wollten. Die erschwerte Reise in die ethnische Heimat, nach Rußland oder in die Ukraine, war ein zweiter Grund. Weiter verschleppt haben viele Betroffene diese Frage, nachdem innerhalb der EU zwischen Bürgern der baltischen Republiken und den Staatenlosen zunehmend weniger Unterschiede machten.

Aber seit der Finanzkrise berichtet die Einbürgerungsbehörde von einem gänzlich neuen Phänomen. Es rufen Letten an, die zu keinem Zeitpunkt aufgrund ihrer Herkunft eine Einbürgerung hatten beantragen müssen, weil sie aus Enttäuschung über ihren Staat und seine Politik plötzlich ihre Staatsbürgerschaft abgeben wollen!

Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörde haben sich nun verzweifelt während der Bildung einer neuen Regierung an die oppositionellen Parteien gewandt mit der Bitte, doch etwas zu unternehmen, sie hielten diesen Druck psychisch nicht aus.

Selbstverständlich kann der Staat keine Bürger aus der Staatsbürgerschaft entlassen, wenn diese gleichzeitig nicht eine andere erhalten.

Ganz anders die tendenz unter den Staatenlosen Lettlands. Der fließend lettisch sprechende Alexander erklärt etwa gegenüber dem lettischen Radio, daß er in Irland über Verwandte Arbeit gefunden habe. Die aber könne er nur antreten, wenn er die lettische und damit eine EU-Staatsbüregrschaft habe. Jewgenij hingegen hat andere Gründe. In der Wirtschaftskrise sei es überall schwierig, Arbeit zu finden. Er sieht in der Stastbürgerschaft angesichts womöglich steigender Kriminalität auch Selbstschutz.

Die Zahlen der Einbüregrungsbehörde sind jedoch eindeutig. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Einbürgerungswilligen deutlich gestiegen. Die Zahlen zeigen aber auch, so das Amt, daß Lettland gerade die Intellektuellen verlassen. Und für eine Arbeit im Ausland benötigt der Staatenlose neben der Aufenthaltserlaubnis auch eine Arbeitserlaubnis. Diese aber ist zu erhalten nur in Zusammenarbeit mit dem konkreten Arbeitgeber.

Die Kriminalität ist in den letzten Wochen deutlich gestiegen, regelmäßig gibt es mittlerweile sogar bewaffnete Überfälle auf kleine Geschäfte. Ob der morgendliche Überfall auf den Dirigenten Maris Sirmais in seiner Wohnung vor wenigen Tagen Motive hatte, die im privaten Bereich zu suchen sind, konnte einstweilen noch nicht geklärt werden.

4. März 2009

Alter Wein in neuen Schläuchen

Als Präsident Valdis Zatlers nach den Ausschreitungen vom Januar Parlament und Regierung ein Ultimatum stellte, gehörte zu den Forderungen auch die nach neuen Gesichtern. Der von ihm benannte Kandidat zur Regierungsbildung, den Neue Zeit Politiker Valdis Dombrovskis, hoffte als Vertreter der bisherigen Opposition öffentlich auf eine Aufhebung des Ultimatums oder wenigstens die Verschiebung des Termin vom 31. März. Doch aus der Rigaer Burg wurde sogleich verlautbart, das Staatsoberhaupt trage sich nicht mit einer solchen Absicht.

Während die Frage, ob die Benennung eines Oppositionellen anstelle des von der Volkspartei portierten Kandidaten als Emazipation des Präsidenten von jenen politischen Kräften zu werten ist, welche ihn selbst seinerzeit auf den Schild gehoben hatten, als umstritten gelten muß, so besteht kein Zweifel darüber, daß die Parteien und Politiker mitten in der tiefsten wirtschaftlichen Krise dieser in ihren Verhandlungen, abgesehen von einigen Zahlen aus dem Munde Dombrovskis, kaum Aufmerksamkeit widmen. Heißt es in Deutschland immer, es ginge zunächst um Sach- und erst anschließend um Personalfragen – was gewiß mitnichten immer zutreffend ist - so bemühen sich die Handelnden in Lettland nicht einmal darum zu verschleiern, daß es allem voran um die Postenfrage geht.

Das ist partiell auch damit verbunden, daß bei einigen kleinen Fraktionen sich deren Zusammensetzung mit einem Regierungswechsel ändert. Da in Lettland niemand gleichzeitig Mitglied des Parlaments und Minister sein kann, verliert mit der Rückkehr von Ex-Ministerpräsident Godmanis in die Saeima beispielsweise Dzintars Jaundžeikars, der gegenwärtig den Ausschuß für Nationale Sicherheit leitet, sein Nachrückermandat.

Der Hauptstreit jedoch entfachte um das Verkehrsministerium, welches seit geraumer Zeit die graue Eminenz der Partei des scheidenden Regierungschefs, Ainārs Šlesers, führt. Šlesers hatte vor einigen Jahren wegen seiner Verwicklung in den Jürmalgeit-Skandal seinen Hut nehmen müssen, war aber später auf diesen Posten zurückgekehrt. Während Fraktionschef Andris Bērziņš, früher selbst einmal Ministerpräsident, den Apsruch seiner Partei auf das Verkehrsministerium mit der Bennenung von Godmanis als Lackmustest bezeichnete, ob die Verhandlungspartner seine Partei überhaupt ernst nähmen, standen die Chancen für Šlesers wegen der ablehnenden haltung von seiten der bisherigen Opposition schlecht.

Es sei erinnert, daß Šlesers als einer der drei wichtigsten Oligarchen im Lande gilt neben Aivars Lembergs und Andris Šķēle. Diese wiederum stehen hinter den beiden bisherigen Regierungsparteien, die innerhalb von 14 Tagen einmal während eines Mißtrauensantrages von Dombrovskis’ Partei Godmanis unterstützt hatten, um ihn dann zum Rücktritt zu drängen.

Die Abtrünnige der Neuen Zeit, Sandra Kalniete, unterstrich den Wunsch nach einem Wechsel an der Spitze des Verkehrsressorts mit dem Wunsch, Ordnung in dieses Haus zu bringen. Es würden dort zu hohe Vergütungen bezahlt bezahlt, während staatliche Gelder an Tochterunternehmen beteiligter Personen flössen. Der Vorschlag, ihren Parteifreund Ģirts Kristovskis mit dem Verkehrsministerium zu betrauen, stieß wegen dessen Verbidungen mit Gegnern des Transitoligarchen Lembergs auf wenig Gegenliebe bei den anderen Parteien, so daß schließlich sogar von einer parteilosen Kandidatur gesprochen wurde.

Die Neue Zeit ist ihrerseits als federführender Akteur in der Zwickmühle neben durchsetzbaren Forderungen andere hinnehmen zu müssen. Unter anderem droht ihr, zum Feigenblatt der fortgesetzen Herrschaft von Lembergs und Šķēle im Hintergrund zu werden.

Doch dies ist es nicht allein. Die Neue Zeit selbst zeigt wenig Mut zu neuen Gesichtern, auch wenn ihr designierter Regierungschef noch jung ist und als Europaparlamentarier nicht direkt an den politischen Ränkespielen der letzten Jahre beteiligt war. So nominiert die Neue Zeit für das Finanzministerium allen Ernstes ihren Gründer Einars Repše, der nach den Wahlen 2002 eine der kurzlebigsten Regierungskoalition seit 1991 überhaupt geführt hat. Abgesehen davon trägt er als früherer Präsident der Nationalbank und damit zuständig für die Bankenaufsicht mittelbar die Verantwortung für den Zusammenbruch der Banka Baltija 1995.

Als Innenministerin möchte die Partei Linda Mürniece einsetzen, die erst im Februar in einem Kommentar die Universalität von Menschenrechten in Zweifel gezogen und ihre Befürwortung der Todesstrafe bekundet hatte. Beides begründete sie mit einer offensichtlichen Verquickung von Pädophilie und sexuellem Mißbrauch Minderjähriger.

Die nun anvisierte Koalition aus der Neuen Zeit, der Bürgerlichen Union von Kalniete, der nationalistischen Für Vaterland und Freiheit sowie den beiden Parteien Lembergs und Šķēles, Union der Grünen und Bauern sowie Volkspartei, kommt auch ohne die Partei von Godmanis und Šlesers auf immerhin 64 Stimmen im 100 Sitze zählenden Parlament. Zügig war zu Beginn der Verhandlugnen darum auch klar, daß das Harmoniezentrum auch dieses Mal wieder leer ausgehen und für die Bildung einer breiten Koalition nicht herangezogen werden würde. Ursächlich dafür war nicht nur die kategorische Gegnerschaft der Nationalisten, sondern auch Kalnietes Abelhnung. Selbst in der Neuen Zeit beschränkte sich die Offenheit in diese Richtung vorwiegend auf den designierten neuen Regierungschef.

Kalniete, die in ihrer Jugend selbst deportiert worden war, begründete ihre Haltung mit der Zurückhaltung des Harmoniezentrums bei der Verurteilung des Kaukasuskonfliktes im vergangenen Sommer, der uneindeutigen Haltung zur Frage der sowjetischen Okkupation wie auch wegen der Zusammenarbeit mit den Sozialisten von Alfrēds Rubiks, der 1991 den Zusammenbruch der Sowjetunion aufzuhalten versucht hatte.

Die Benennung Dombrovskis’ durch den Präsidenten war deshalb wahrscheinlich, weil mit Edgars Zalāns erneut jene Partei eine Regierung gebildet hätte, die seit 2006 und bereits davor unter Aigars Kalvītis als hauptverantwortlich für die derzeitigen wirtschaftlichen wie auch politischen Probleme gilt. Diese Auswahl wäre politisch unlogisch gewesen. Dombrovskis kann für sich in Anspruch nehmen, weitgehen ein neues Gesicht zu sein, doch für sein Kabinett gilt dies sicher nicht, auch wenn außer Außenminister Māris Riekstiņš kein wichtiger Politiker auf seinem Posten bleibt.

Zatlers benannte Domborvskis auch wegen dessen Erfahrungen im Finanzsektor und nicht zuletzt in Brüssel. Dombrovskis ist sicher hoch anzurechnen, daß er entgegen allen Zweifeln tatsächlich bereit war, seinen ruhigen Posten im Europaparlament gegen den Schleudersitz an der Regierungsspitze in Riga einzutauschen.

Doch viel gewonnen ist weder für ihn noch für Lettland. Über der neuen Regierungsmannschaft schwebt weiter das Damoklesschwert einer Parlamentsauflösung. Außerdem stehen im Juni Europa- und Kommunalwahlen an. Diese Aspekte lassen Zweifel berechtigt erscheinen, daß dieses Kabinett die Probleme des Landes lösen kann, ja sogar, daß dies versucht wird in Angriff zu nehmen.

Daß die während der letzten Tage ausgetragenen Konflikte sich nur um Posten drehten, bestätigte der Fraktionsvorzitzdende der Volkspartei Māris Kučinskis, dies sei der einfachere Schritt gewesen, jetzt kämen die Schwierigkeiten, sich inhaltlich zu einigen.

Einzig hat Dombrovskis zutreffend in den letzten Tagen gebetsmühlenartig wiederholt: erfüllt Lettland die Auflagen des Währungsfonds nicht, so kann das Land bald nur noch seinen Staatsbankrott verkünden. Den politischen Bankrott hat diese Regierungsbildung erneut bestätigt. Bei den Kommunalwahlen prognostizieren Umfragen in Riga ein gutes Abschneiden der nun verstoßenen Partei von Ainārs Šlesers.