28. Dezember 2008
Ein Lette entscheidet das "rheinische Derby"
"Doch dann kam Vasiljevs", so oder so ähnlich wird es in den Sportberichten heißen. Nach 3,31 min der Verlängerung. Es gibt deutsche Zeitungen, die bei derartigen Ereignissen gnadenlos aus dem Englischen fachsimpeln: ein "plötzlicher Tod" (Express). Der lettische Nationalstürmer spielt schon einige Zeit für die "Pinguine" in Krefeld und wird auf der dortigen Homepage doch tatsächlich als "Integrationsfigur" bezeichnet: ist das typisch für einen Starspieler mit internationalem Format, der mit immer wieder wechselnden Mannschaften, wechselnden Menschentypen, und anderen Ländern klarkommen muss?
Auf der Homepage der "Pinguine" kann der interessierte Fan lesen, dass Vasiljevs Vater schon seit 1994, als auch Herberts zum ersten Mal nach Krefeld kam, dort als Nachwuchstrainer tätig ist. Der Sohn spielte bei mehreren Klubs in Kanada und den USA, ging dann nach Russland, und kam dann über die Nürnberger Ice-Tigers zurück an den Niederrhein nach Krefeld, wo er in der Saison 2006/2007 sogar Torschützenkönig war. Sein Club bezeichnet ihn heute als einen der besten Spieler in der ersten Liga in Deutschland, und registrierten mit Freude, dass Vasiljevs einen Vertrag über drei weitere Jahre unterschrieb.
In Lettland ist Vasiljevs Kapitän der lettischen Nationalmannschaft. Wer einmal in der US-Liga (NHL) gespielt hat, wird auch aus lettischer Sicht in den Pantheon des Eishockeys aufgenommen. Olympia- und WM-Teilnahmen ergänzen das noch. Also steht Vasiljevs auch auf dem Wunschzettel so manchen Trainers der lettischen ersten Liga, wie kürzlich in Lettland die "Latvijas Avize" berichtete. Dem stehen die Hoffnungen der Krefelder Fans vorerst entgegen, die hoffen der Eishockey-Star könnte sich auch privat längerfristig an Deutschland binden. Aber beides ist vorerst nicht entschieden - da Vasiljevs seine Frau in den USA kennengelernt hat und die Familie dort auch ein Haus besitzt, könnte die Zukunft auch in Übersee liegen.
Spielbericht bei "der Westen"
die Krefelder Pinguine über Herberts Vasiljevs
Porträt auf den Seiten der Deutschen Eishockeyliga: "Riga, Ruhrpott, Amerika und zurück"
15. Dezember 2008
Lettisch in Moskau
Und hier sind sieben Antworten auf die Frage: Warum eigentlich?
1. Diese Sprache ist sehr archaisch und interessant.
2. Es ist eine schöne Sprache (was natürlich über jede Sprache gesagt werden könnte)
3. Sie werden in der Lage sein, im Original das zu lesen, was lettische Politiker wirklich sagen, und Sie können Ihre Meinung dazu äußern – ungefiltert oder beinflußt durch russiche oder ausländische Massenmedien.
4. Sie können den Lieder von “Brainstorm” (“Prāta Vētra”) zu hören und diese sogar verstehen
5. Sie können bei Freunden und Verwandten Eindruck machen, dass Sie etwas können, was jene absolut nicht können.
6. Es ist wirklich überhaupt nicht teuer.
7. Für mich selbst ist es interessant, etwas in der lettischen Sprache zu erreichen
Vielleicht gibt es noch weitere Gründe? Jeder ist tauglich!
Wenn Sie an dieser Anzeige interessiert sind, schreiben Sie an ***@one.lv oder schicken Sie Ihre Fragen. Ich biete außerdem an, die Sprachstunden nicht nur gegen Geld, sondern es gegen etwas anderes Interessantes oder Nützliches zu tauschen. –
So hatte ich es im August 2006 geschrieben, in einem auf Privatstunden spezialisierten Blog im Internet. Ich könnte nicht sagen, dass ich Antwortbriefe gleich haufenweise bekam, aber einige Studenten bekam ich doch zusammen. Innerhalb von zwei Jahren wuchs ihre Zahl dann auf 15 an. Einige gingen, andere kamen. Mit einigen trafen wir uns buchstäblich ein einziges Mal, mit anderem arbeiten wir lange, setzen es heute noch fort, und können mit ihnen auch mehr als nur die Familie und die Speisekarte erörtern (eines der ersten Themen in jedem Lehrbuch). Nein, wir sprechen auch über Literatur, Geschichte, das russische und das lettische Kulturleben.
Als ich diese Anzeigen schrieb, wusste ich noch nicht wirklich, welchen Leuten in Moskau die lettische Sprache notwendig sein könnte. Ich dachte, dass– falls ich überhaupt jemand suche –es bei allen wohl nicht mehr als bloße Neugier und der Wunsch, mit etwas zu überraschen oder sogar zu schockieren, sein könnte. Aber es zeigte sich, dass ich damit nicht Recht hatte.
Hier gebe ich sieben Antworten wieder auf die Frage: „Warum habe ich mich dafür entschieden, Lettisch zu lernen?“. Und nicht eine Antwort gleich der anderen. Sehr verschiedene Leute, alle sehr interessant. Ich liebe meine Arbeit!
Olga, 51 Jahre, Wirtschaftsmathematikerin
In meinem Fall alles ist sehr einfach. In meiner Kindheit lebte ich in Riga. Mein Vater war Flieger, und ich selbst sah uns immer als Lettlands „Okkupanten“. Daher zogen wir sobald es nur möglich war weg, verloren unsere Wohnung in Riga. Als wir dort noch wohnten, habe alle auch Lettisch gelernt, einschließlich meiner Schwester, die eine lettische Schule besuchte und deren Schulnoten in den Sprachstunden eine „Fünf plus“ (also die bestmögliche) erreichten. Ich war aber noch sehr klein. Heute, wenn ich wieder in Riga bin fühle ich, dass ich in die Heimat zurückkehre, obwohl ich damals in Riga nicht so dachte. Ich würde wirklich gern wenigstens ein wenig die Sprache meines Heimatlandes lernen, und damit dem lettischen Volk danken. Es ist auch sehr angenehm und bequem, die Sprache des Staates sprechen zu können, den ich oft besuche. Es hebt bedeutend die Lebensqualität in diesem Staat. Und das ist alles.
Galina, 24 Jahre, Managerin.
Ich habe mich für die lettischen Sprachkurse deshalb angemeldet, weil: erstens habe ich lettische Freunde hier in Moskau, und für die war es kompliziert, die ganze Zeit Russisch zu reden. Um auch zu verstehen, was sie untereinander reden, und ihnen die Kommunikation mit mir zu erleichtern, habe ich mir gedacht da lerne ich eben ihre Sprache.
Zweitens möchte ich sehr gern Arbeits- und Lebenserfahrungen in einem anderen Land sammeln. Vielleicht könnte es Lettland sein? Ein sehr schönes und interessantes Land! Und wenn nicht dort arbeiten, dann würde ich wenigstens für die Erholung ein paar Monate dorthin fahren – und wie angenehm wäre es doch, dort mit den Menschen ihre Sprache sprechen zu können!
Drittens: Sprachen lernen entwickelt den Menschen. Aber auf der Welt gibt es so viele verschiedene Sprachen ... warum dann Lettisch? Na, eben aufgrund der ersten beiden Gründe. Und dann deshalb – weil es banal ist. Ja, alle wollen irgendwie originell sein (lacht).
Fjodor, 23 Jahre, arbeitet im Marketing
Ich habe mich für die lettische Sprache angemeldet aus Interesse an Lettland. Kein anderes Land hat bei mir bisher ähnliches Interesse hervorgerufen, daher habe ich mir gedacht auch Lettisch zu lernen. Lettland ist natürlich kein westliches Pfefferkuchenland, hat aber eine eigene Atmosphäre, und Riga, die größte Stadt in der baltischen Region, steht mir als Mokowiter am nächsten. Auch noch interessant ist für mich ein post-sowjetisches Land zu beobachten, wo viele Russen leben. Das ist ein sozio-kulturelles Experiment, und ich bin überzeugt davon überzeugt dass dies noch genauer wissenschaftlich erforscht werden muss. Und ich bin Linguist, ohne Ausbildung, und möchte gern ”die Gehirnzellen trainieren”.
Alla, 46 Jahre alt, Hausfrau
Meine Mutter wurde 1929 in Lettland geboren. Nach dem Krieg zog sie nach Moskau und begann an einer Hochschule zu arbeiten: sie begann die Arbeit, heiratete, und blieb in Moskau. Alle Verwandten meiner Mutter leben in Lettland. Seit meiner Kindheit mochte ich es immer sehr, sie zu besuchen. Heute ist das kompliziert, aber dennoch fahre ich mit meiner Familie oft dorthin. Alle meine Verwandten können Lettisch reden, alle sind lettische Staatsbürger. Wenn ich in Lettland bin, wollte ich immer verstehen was die Leute auf der Straße reden, im Fernsehen, was die Zeitungen und die Zeitschriften schreiben. Ich freue mich sehr darüber, dass ich die Möglichkeit habe Lettisch in Moskau zu lernen. Fremdsprachen zu lernen ist doch immer sehr interessant! ”Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen” (Johann Wolfgang von Goethe)
Marija, 28 Jahre, Personalchefin
”Prāta Vētra” (Brainstorm) wurde für mich mehr zum Vorwand jemand kennenlernen - mehr als zur Begründung für das Lernen. Nein, glaubwürdiger war es so: die lettische Sprache ist nicht sehr verbreitet, und man hört sie nur sehr selten. Aber es gelang mir, ich hörte ”Prāta Vētra”. Schwer zu sagen, was es ist: ob es die Energie ist, die in den Liedern zu verspüren ist, oder dass Renārs (der Leadsänger) nicht nur mit den Texten arbeitet, aber auch wie diese klingen: die lettische Sprache wurde für mich etwas Magisches, so etwa wie die Sprache der Elfen bei Tolkien. Schon bald nachdem ich mich dahingehend orientiert hatte, regte sich bei mir auch Interesse für die morphologischen und grammatischen Eigenarten, für das, was die Worte verändert, für Suffixe und Konstrukte (an dieser Stelle sollte eine lange Rede über philologische Themen folgen, die dann mit wortreicher vollständiger Beschreibung von Schneemännern endet – aber das kann nicht geschrieben werden, das ist zu ”freakig” für gewöhnliche Menschen). Aber alles beginnt, natürlich, mit Menschen, und mit den wunderbaren Dingen, welche sie in Lettisch machen.
Pjotrs, 26 Jahre, Linguist.
Mein Interesse für die lettische Sprache ist eng verbunden mit meiner beruflichen Arbeit. Da ich Linguist bin, auf die Grammatik der litauischen Sprache spezialisiert, habe ich verstanden dass meine Möglichkeiten im Lettischen sehr eingeschränkt sind. Dennoch ist die lettische Sprache eine der geschriebenen Sprachen Europas, und ich möchte doch Beiträge zur wissenschaftlichen Forschung leisten.
Jeļena, 23 Jahre, Abteilungsleiterin
Ich habe mir ausgesucht die lettische Sprache zu erlernen, da der von mir am meisten geliebte Mensch in Lettland lebt und ich gern zu ihm ziehen möchte. Das bedeutet, man wird eine bisher gewohnte Lebensweise ändern, und es wird notwendig sein, sich an die Kultur eines anderen Landes und den Umständen dort anzupassen. Ich möchte auch weiterhin arbeiten, nach Möglichkeit ohne Unterbrechung. Daher ist es notwendig, auch die Sprache des neuen Staates zu kennen. Im Moment bin ich Abteilungsleiterin, und möchte auch am neuen Arbeitsplatz keine geringe Arbeit annehmen als die gegenwärtige – gemäß den lettischen Gesetzen muss ich dafür Sprachkenntnisse der 3.Kathegorie haben.
Wann immer ich in Moskau bin fällt es mir viel leichter, Lettisch zu lernen – die Atmosphäre ist einfach eher wie zu Hause. Daneben setze ich das auch in Lettland fort, besser auf einer guten Basis als von Null anzufangen.
Daher versuche ich heute, wenn ich meine Anzeige wiederhole, niemand mehr mit ausgedachten Gründen zu packen:
jeder hat seine Gründe für die Liebe zur lettischen Sprache.
Und meine Anzeige sieht viel lakonischer aus: ”Ich biete Privatstunden in lettischer Sprache an. Moskau, Tel. 8*********, ***@gmail.com
zur lettischsprachigen Fassung dieses Textes
zur russischsprachigen Fassung dieses Textes
12. Dezember 2008
Die Finanzkrise, Godmanis und die politische Krise
Es gibt mehrere Gründe zu vermuten, daß die Regierung Godmanis nicht mehr lange im Amt sein wird. Und das bei weitem nicht nur, weil bislang die Regierungen keine lange Lebensdauer hatten, sondern wegen der Koalitionsarithmetik. Ein allfälliger Sturz der Regierung würde den Wunsch der Volkspartei offenbaren, in die Staatskanzlei zurückzukehren. Godmanis gehört der kleineren Fusion aus Lettlands Erster Partei und Lettland Weg an.
Anzeichen dafür lieferte jüngst der Konflikt des Minister für regionale Angelegenheiten und Kommunalverwaltung, Edgars Zalāns, mit dem Rigaer Bürgermeister Jānis Birks. Gegenstand ist das Regime der Einfahrt in die Altsatdt. Seit Jahren darf gegen Gebühr jeder hinein. Und für viele gehörte es bislang zum Prestige dort tätiger oder ansässiger Personen, mit dem Wagen zu prahlen. Selbst Touristen aus der nicht armen Schweiz äußern verwundert, noch nie so viele so teure Autos auf einem Haufen gesehen zu haben. Zalāns kritisiert nun, in der Altstadt seien zu viele Fahrzeuge, das geltende System funktioniere nicht und sei folglich nichts weiter als eine Methode des Geldverdienens. Das ist sicher zutreffend, aber warum kommt der Minister erst jetzt zu diesem Schluß? Bürgermeister Birks beklagte, daß der Stadtrat ein entsprechendes Schreiben des Ministers über den bevorstehenden Lizenzentzug erst jetzt erhalten habe, während der behauptet, bereits im Sommer die Aufhebung des derzeitigen Regimes angekündigt zu haben. Folglich verschwinden die Barrieren zum 1. Januar, ohne durch eine andere Politik ersetzt zu werden.
Hinter diesem Disput verbirgt sich freilich auch die Parteizugehörigkeit der beiden Amtspersonen. Zalāns ist Mitglied der Volkspartei, während Birks bei der konservativen "Für Vaterland und Freiheit" ist, die sowohl im nationalen Parlament als auch im Stadrat mitregiert.
Aber es gibt auch einen Grund, warum Godmanis noch eine Weile Regierungschef bleiben könnte: Die Finanzkrise.
Und so gibt es im Volke auch eine andere Meinung, die wohl zutreffender davon ausgeht: kommt die Krise, brauchen wir Godmanis. Dabei geht es nicht unbedingt um dessen Begabung zum Krisenmanagement.
Die Auftritte des Physikers in den Medien während der letzten Tage führen eher zu dem Schluß, daß der Ministerpräsident die Fianzkrise und die Reaktionen der Regierung in einfachen und für den Durchschnittsbürger verständlichen Worten entweder nicht erklären will oder kann. Wobei der Qualifikation der Journalisten ebenfalls mit einem Fragezeichen versehen ist, da sie Godmanis’ mit seinen monologartigen Antworten ebenso gewähren lassen wie auch seine Unterbrechungen und die Fortsetzung desselben dulden.
Das erweckt auch den Eindruck, als sei das Verbleiben im Amt verbunden mit der Überlegung, welcher Dumme bereit ist, die Verantwortung in der Krise zu übernehmen und damit auch die Unbill des Volkes auf sich zu ziehen.
Wenn also die Parteien einstweilen kein Koalitionsrevirement anstreben, bleibt eine mögliche Parlamentsauflösung als Ursache für den Sturz der Regierung Godamnis. Dies kann nur durch den Präsidenten der Republik in die Wege geleitet werden, der im vorgeschriebenen Referendum jedoch dabei seinen eigenen Posten riskiert.
Präsident Zatlers hat in den vergangenen Monaten so ziemlich alles unternommen, seine Absichten im Unklaren zu belassen. Selbst jene politische Kräfte, die seine Kandidatur 2007 aus dem Hut zauberten, werden von ihm mittlerweile manchmal heftig kritisiert.
Die Gelegenheit zur Parlamentsauflösung während der Regenschirmrevolution ließ der Präsident im vergangenen Herbst ungenutzt verstreichen. Um so erstaunlicher die Behauptung des Volkspartei-Politikers Gundars Bērziņš, welcher jüngst in einem Interview mit der Zeitung die Unabhängige (Neatkarīgā) sagte, Zatlers werde diesen Schritt im Frühjahr machen. Bērziņš war 2004 jener Finanzminister, dessen Budget Parteifreund Aigars Kalvītis als Fraktionsvorsitzender ablehnte, um die Regierung Emsis zu stürzen.
10. Dezember 2008
Krise, oder Ausverkauf?
Noch vor wenigen Wochen geriet die Parex-Bank in Lettland auch in die deutschen Schlagzeilen: Anfang November verstaatlichte die lettische Regierung PAREX kurzerhand, und alles stand unter der Schlagzeile: nun ist die Finanzkrise auch in Lettland angekommen.
Anlagetipps im deutschen TV
Heute nun soll plötzlich alles ganz anders sein? Wer heute (10.12.) um 13 Uhr das ARD/ZDF Mittags- magazin schaute, traute wohl seinen Augen nicht: da wird als Anlagetipp doch tatsächlich die PAREX-Bank empfohlen! (höchste Zinsen auf Festgeld). Auch im Internet findet sich der Tipp wieder: auf einer Seite des Bayrischen Rundfunks. Drunter steht auch die Quelle: die FMH-Finanzberatung mit Sitz in Frankfurt am Main - also keine eigenen ZDF- oder ARD-Experten. Wer verdient hier Geld mit was?
... und ex...
Vergangenheit und Gegenwart
Derweil macht PAREX in Lettland andere Schlagzeilen. Ministerpräsident Godmanis verkündete vor der lettischen Presse: die PAREX-Bank soll verkauft werden, am besten an eine Bank in Westeuropa (Financenet, 10.12.). Ist das nun die neue Verkaufsstrategie? Erst um Einlagen von Auslandskunden werben, und dann die Bank von außen retten lassen, wohl möglich mit Geldern von Währungsfond und EU?
Dem lettischen Journalisten Lato Lapsa scheint es erneut vorbehalten zu sein, Fakten zur PAREX-Bank zu veröffentlichen. Ein neu erschienenes Buch "Kargins Superstar" versucht die Umstände zu beleuchten, unter denen die PAREX-Bank entstand. Dabei geht es um die massenhafte Eröffnung von privaten Geldwechselstellen in den Jahren kurz vor Einführung des Lat, also 1991-93. Die allererste offizielle Geldwechselstelle befand sich damals im Hauptbahnhof - für die Einwohner Rigas eine Sensation. Kargins soll dem frisch ernannten Chef der lettischen Nationalbank, Einars Repše, damals gedroht haben: "wenn Du mir keine Banklizenz ausstellst, sorge ich dafür, dass der Wechselkurs des neuen Lat so niedrig ist wie bei der italienischen Lira."
Ein weiterer Ausspruch des ehemaligen PAREX-Superstars Kargins: "da waren diese Volksfront-Politiker an die Macht gelangt und sehnten sich nach finanzieller Unabhängigkeit, hatten aber keine Ahnung wie sie das machen sollten".
Oder auch, sehr vielsagend dazu, wie es damals zuging: "die ersten US-Dollar kauften wir für 17 sowjetische Rubel und verkauften für 21. Warum gerade 21? Wir dachten einfach, 21 ist doch eine Glückzahl!" (alle Zitate aus Lapsa: "Musu vesture 1985-2005", Bd.1).
Bemerkenswert bei all diesen eher abenteuerlichen Geschichten, dass der damalige Regierungschef derselbe war wie heute: Ivars Godmanis.
9. Dezember 2008
Sterben für Buntmetall?
In diesem Zusammenhang standen von Beginn an die Spekulationen über das Schicksal des Fischkutters Beverīna, der am 30. November in See gestochen war und in der Nacht zum 3. Dezember vor der kurländischen Küste sank.
Der Eigentümer des Schiffes hatte am 2. Dezember den Schleppdienstes des Hafens Liepāja darum gebeten, die Beverīna wegen des ausgefallenen Motors in den Hafen zu ziehen. Dies aber wurde vom Kapitänsdienst abgelehnt. Der Tag war stürmisch, und vermutlich wollte man verhindern, daß das Schiff im Hafen selbst sinkt, mutmaßt der Eigentümer. Er wurde gebeten, bis zum nächsten Tag das Schiff etwas weiter entfernt vom Hafen driften zu lassen.
In der Nacht dann sank das Schiff. Die in der Nähe befindliche Virsaitis half angeblich nicht. Deren Kapitän hätte wegen der Wetterverhältnisse möglicherweise auch das Leben der eigenen Mannschaft riskiert. Die Rettungskräfte des Hafens hätten ebenfallskeine Hilfe geleistet und nach der Besatzung erst zu suchen begonnen, nachdem die Beverīna bereits gesunken war. Es wurde aber keiner der sechs an Bord befindlichen Seeleute geortet.
Sofort kam es zu Spekulationen, was an Bod passiert sein könnte, und warum die Beverīna schließlich sank. Zunächst wurden Hinweise publik, der Fischkutter habe sich weniger um Fisch als für das “Fischen” nach alten sowjetischen Unterseekabeln aus hochwertigem Buntmetall bemüht. Dies könnte, so wurde postuliert, auch der Grund gewesen sein, warum die Seeleute lieber keine Hilfe hatten in Anspruch nehmen wollen und möglicherweise sogar nicht bereit waren, das sinkende Schiff zu verlassen.
Mittlerweile haben Taucher das Schiff überprüft und keine Leichen gefunden. Eine Vermutung wurde damit also nicht bestätigt. Die andere jedoch erweis sich als zutreffend, es wurden tatsächlich Kabel entdeckt. Das ist wohl ein Hinweis darauf, daß die tatsächlichen Interessen der Mannschaft des Fischkutters nicht unbekannt waren.
Aber war dies auch ein Grund für die zögerliche Hilfe für das havarierte Schiff? Der Inspektor der Havarie-Untersuchungskommission der Seeadministration Lettlands, Stanislav Čakšs, betont, daß das “Fischen” nach alten Kabeln keineswegs unfraglich verboten sei.
Die Beverīna könnte gesunken sein, weil der Umgang an Bord mit dieser sich von Fisch grundlegend unterscheidenen Ladung die professionellen Kenntnisse der Seeleute überstiegen hat, und diese nicht wie erforderlich verankert war.
Leider ist bislang keines der Besatzungsmitglieder tot oder lebendig gefunden worden.
4. Dezember 2008
Riga – Hauptstadt des Sextourismus?
Das ist eine auch in Lettland gern diskutierte Frage. Mythen 2001 sorgte der schwedische Regisseur Pal Hollender mit seinem Film „Buy Bye Beaty” für einen Aufschrei der Entrüstung, auch wenn die meisten Kommentatoren den Film, der angeblich von schlechter technischer Qualität ist, nicht gesehen hatten – den Autor dieser Zeilen eingeschlossen. Hollender behauptete in seinem Streifen, daß in Riga etwa 15.000 bis 18.000 Prostituierte ihrer Tätigkeit nachgehen und wenigstens 50% der Frauen wenigstens einmal im Leben Sex gegen Geld hatten. Die Polizei unternehme nichts gegen dieses illegale Gewerbe, weil sie korrupt sei. Darüber hinaus sieht der Schwede angeblich die Ursache dafür in der Politik ausländischer Firmen, eingeschlossen schwedischer, welche den Letten lächerliche Gehälter zahlten, weshalb viele Menschen unter der Armutsgrenze lebten.
Die Behauptungen über die sozialen Verhältnisse wie auch über die Polizei sind gewiß, vor allem für die damalige Zeit, nicht von der Hand zu weisen. Doch der Autor macht sich selbst unglaubwürdig mit seinen Quellen vorwiegend des Hörensagens und muß sich die Frage gefallen lassen, ob er den Film nicht doch eher zum eigenen Vergnügen gedreht hat. Denn nach seinen Angaben hat er mit sechs Rigaer Mädels für jeweils 200 US-Dollar das Bett geteilt. Fakten Aber dieser Film ist nur ein kleiner Teil des Themas, das sich anhand ernsthafter und bestätigter Fakten diskutieren läßt. Wie einfach oder schwierig es ist, eine Zufallsbekanntschaft aus einer Bar oder Diskothek zu Intimitäten zuüberreden, mag dahingestellt sein. Dies ließe sich nur beim Feldversuch herausfinden, wie ein Kommentator im Internet schreibt, und diese Möglichkeit für sich und seinen Freundeskreis ausschließt, der sich nur selten in der Rigaer Altsstadt aufhalte.
Was noch vor zehn Jahren als Freizeitvergnügen taugte, verdirbt heute schon einmal eher die Laune. Und das ist nicht nur auf Erfahrungen von Touristen zurückzuführen, über welche die Presse berichtet und die dem Autor dieser Zeilen leider als Reiseleiter ebenfalls schon begegnet ist. Ein einfacher abendlicher Gang durch die Altstadt wird durch aufdringliche Verteiler von Flyern für einschlägige Etablissements gestört, worüber sich Ende November sogar der national-konservative Abgeordnete des Rigaer Stadtrates und Livenaktivist, Dainis Stalts, öffentlich echauffierte. Und handelt es sich nicht um dieses Übel, so müssen junge Frauen auch in Begleitung ihrer Partner mit Annäherungsversuchen von betrunkenen Billigtouristen rechnen. Ursache dafür sind die Bemühungen des inzwischen zweitmaligen Verkehrsministers Ainäārs Šlesers, der unter allen Umständen einen unrealistisch großen Ausbau des Rigaer Flughafen vorantreibt. Und darum kommen eben Easy Jet und Ryanair mit der entsprechenden Fracht. Daß am Rigaer Flughafen ein großes Plakat für eine der alstädter Stripteasebars warb, störte denselben man vor einigen Jahren publikumswirksam. Šlesers vetritt die sogenannte Erste Partei, die wegen der zahlreichen dort aktiven Geistlichen auch Priesterpartei genannt wird und sich kategorisch gegen die Ausrichtung der Homosexuellenparade richtet.
Politischer Aktionismus
Dainis Stalts ist offenbar in der Stadtverwaltung nicht der einzige, dem langsam der Geduldsfaden in Sachen Sextourismus reißt. Der für Ordnung verantwortliche Ausschuß des Stadtrates hat nun einstimmig beschlossen, daß es eigentlich überhaupt keine Einrichtungen dieser Art in der Altstadt geben sollte, und eben entsprechende Normen gefunden werden müßten, mit deren Hilfe dieses Business eingeschränkt werden könnte. Einstweilen gibt es in der Altstadt von Riga 21 Einrichtungen, die intime Dienstleistungen anbieten, darunter 14 Striptease Bars. Darüber hinaus gibt es sechs Salons für erotische Massage. Nach Auskunft des juristischen Beraters Ingmārs Freidenfelds ist eine Kontrolle alles andere als einfach. Deshalb setzt der Stadtrat nun auf die Hilfe der Regierung, entsprechende Normen zu setzen. Andere Politiker haben jedoch ihre Zweifel. Riga sei auch historisch keine Stadt gewesen, in der nur Moral und Anstand herrschten. Wie aus Spaß Ernst wird Ob diese Versuche an den derzeit beklagten Umständen wirklich etwas ändern können, ist fraglich, denn die wirklich kriminelle Energie zeitigt ihre Folgen an anderer, schwerer kontrollierbarer Stelle. Junge Damen sprechen auch in ganz normalen Clubs bewußt Ausländer an, die nicht gerade das erste Bier trinken und schlagen nach einem Drink den Wechsel der Lokalität vor. Wenn die Rechnung kommt, kosten 4cl eines handelsüblichen Whisky plötzlich umgerechnet über 200 Euro. Protest hilft dann wenig, denn die Situation wird natürlich von Komplizen kontrolliert.
Andere Bars haben von vornherein einen zweifelhaften Ruf. Selbst wenn der Gast die Dame nicht aktiv anspricht, folgt ihrer Kontaktaufnahme bereits der Zwang zur Übernahme der Kosten für das bereits servierte Getränk. Export Aber der Sextourismus ist inzwischen noch breiter verstehen. Nicht nur Touristen verlangen nach Intimdienstleistungen vor Ort in Riga, sondern vor Ort in Riga werden Mädchen für das Ausland rekrutiert. So verführen Kuppler inzwischen mit Stellenangeboten jungen Frauen, auf ein vermeintlich gut klingendes Angebot zu reagieren. Darunter sind solche, die bei der ersten Kontaktaufnahme ehrlich erklären, um welche Art von Arbeit es sich handelt und solche, die dies zunächst zu verschweigen versuchen. Die tatsächliche Arbeit erstreckt sich von der Darstellerin pornographischer Filme bis hin zur Prostitution. Die Filme werden im Inland produziert, aber die Interessierten dürfen sich das Set nicht erst einmal anschauen, sondern müssen sofort entscheiden, ob sie teilnehmen möchten oder nicht. Adressen werden nicht bekanntgegeben, weil vermutlich die Prosuzenten keine Steuern zahlen. Das horizontale Gewerbe hingegen findet im Ausland statt.
Jüngst berichteten zwei russische Damen in der Presse ziemlich offen über ihre Arbeit in Frankreich. Viel hänge davon ab, so die eine, wie man sich anzubieten verstehe. Die Freier können auf einer Internetseite Bewertungen abgeben; eine positive verhelfe zu verstärkter Nachfrage. An ihrem besten Tag habe sie acht Kunden gehabt. Anfangs habe sie auch noch verhältnismäßig wenig verdient, später dann aber 6.500 Euro in zwei Wochen nach Hause gebracht. Das sei bereits ihr dritter Aufenthalt dort gewesen. Bleibt noch zu erwähnen, daß Kondome zur Verfügung stehen und von den meisten Damen aus Sorge um Infektionen auch benutzt würden. Die Befragte jedoch habe keine Angst, lasse sich nach jeder Rückkehr in Riga untersuchen, und verdiene so eben im Fall noch einmal 100 Euro extra. Allgemeines Desinteresse Gewiß, Prostitution hat es immer gegeben und wird es auch wohl immer geben.
Die Aufregung darüber wirkt künstlich, so lange es sich nicht um Zwang oder Frauenhandel handelt, und zeigt politische Doppelmoral. Ab und zu wird Aufregung in Szene gesetzt, aber sicherlich gibt es eben auch genug Menschen, die am Business gut verdienen. Die Exzesse gegenüber Ausländern ließen sich jedoch durch konsequentes Vorgehen wenigstens einschränken. Touristen wundern sich zumeist über die große Polizeipräsenz in der Rigaer Altstadt, die Kleinbusse mit dem hellgrünen Streifen patroullieren beständig. Diese Munizipalpolizei ist jedoch nichts weiter, als ein aufgerüstetes Ordnungsamt. Sie bestrafen verblüffte Besucher, wenn Sie auf einer Bank sitzend alkoholische Getränke konsumieren. Das ist nämlich seit Jahren verboten. Sie sind aber nicht an den Lokalen anzutreffen, von denen die Behörden nach zahlreichen Vorfällen ja nun wissen, daß dort Ausländer unter Androhung von Gewalt gezwungen werden, überhöhte Rechnungen zu bezahlen. Was wird wohl der Grund dafür sein?
Meinungen und Panik in der Gerüchteküche (aktualisiert)
Die Behörden in Lettland wollen offensichtlich erneut unter Beweis stellen, daß sich ihr Land zu einer Bananenrepublik entwickelt. Jedenfalls gab es Kritik nicht nur im Inland, sondern deutliche Worte auch aus Schweden. Hintergrund ist der Umgang mit den Problemen im Rahmen der Finanzkrise. Erst am zweiten Novemberwochende hatte die Regierung plötzlich über Nacht die größte in Lettland ansässige Parex Bank verstaatlicht, nachdem in Folge von Gerüchten über einen bevorstehenden Zusammenbruch die Menschen massenhaft ihre Einlagen abgehoben hatten.
Am 14. November verhaftete die Polizei den Dozenten für Finanzen und Buchhaltung der Hochschule Ventspils, Dmitrijs Smirnovs, wegen bewußter mündlicher Verbreitung von Falschinformationen und behielt ihn während 48 Stunden in Gewahrsam. Smirnovs hatte während einer Diskussion der örtlichen Zeitung “Ventas Balss”, an der auch Bürgermeister Aivars Lembergs teilgenommen hatte, seine Zukunftprognose für Lettland geäußert. In dem am 2. Oktober veröffentlichten Text wird er mit der Empfehlung zitiert, Geld nicht in Banken zu halten und auch nicht in Lat, dies sei derzeit sehr gefährlich. Am 14. November trat in Jelgava die Gruppe “Putnu Balle” auf. Während der Gitarrist nach dem zweiten Lied sein Instrument stimmte, wandte sich Valters Frīdenbergs ans Publikum. Der Musiker scherzte, daß derzeit alle wie verrückt die Geldautomaten stürmten, doch das Publikum möchte damit wenigstens bis zum Ende des Konzertes warten. Der Musiker wurde darufhin ebenfalls von der Polizei verhört. Im lettischen Radio kommentierte der Prorektor der Rigaer juristischen Hochschule und Dozent für Menschenrechte, Mārtiņš Mits, dies sei ein Verstoß gegen Menschenrechte und die freie Meinungsäußerung.
Smirnovs Äußerungen seinen möglicherweise falsch oder auch zutreffend, daß könne er nicht beurteilen, er sei kein Ökonom. Er prognostizierte den beiden betroffenen Personen jedoch im Falle einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Erfolg. Die Reaktion der Polizei sei völlig unverhältnismäßig gewesen. Die in Schweden lebende Publizistin Sandra Veinberga zeigte sich ebenfalls schockiert. Sie habe noch nie davon gehört, daß jemand wegen einer vergleichbaren Meinungsäußerung verhaftet werde. Auch in Schweden werde öffentlich oft über eine mögliche Abwertung der Landeswährung diskutiert. Die schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet habe die Vorgänge jenseits der Ostsee sogar als Horrorfilm bezeichnet; an eine solch harte Kritik des Nachbarlandes könne sie sich nicht erinnern. Andris Lariņš von der Nordea Bank erklärte, daß Gerüchte ohne Begründung zu verbreiten, wenig hilfreich sei. Diskussion müßten aber immer möglich sein.
Die plötzliche Reaktion der Polizei ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß im Rahmen der Finanzkrise die immer wieder aufkommende Diskussion über eine Abwertung des Lats neu angefacht wurde und am fraglichen Wochenende viele Menschen tatsächlich zu den Wechselstuben gestürmt waren, um ihr nationals Geld in Euro umzutauschen. In den folgenden Tagen spielten lettische Radiostationen andauernd den Titel “Spārni un vējš" der gruppe Putnu Balle. In einem Interview äußerte sich inzwischen der Präsident der lettischen Nationalbank, Ilmārs Rimšēvičs. Er verstehe das Vorgehen der Sicherheitspolizei nicht. Die beiden Verhörten seien gewiß nicht verantwortlich für die Verbreitungr von Gerüchten. Dies geschehe vielmehr per SMS ohne genaue Datumsangabe der bevorstehenden Abwertung. Die Festnahme von Sänger und Dozenten bezeichnete er als lächerlich. Es sei ihm unangenehm. Rimšēvičs räumte jedoch ein, daß die Frage der Gesellschaft vielleicht nicht hinreichend erklärt worden sei, daß nämlich einzig lein die Nationalbank eine solche Entscheidung treffen könne.
3. Dezember 2008
Zweisprachigkeit durch die Hintertür? – Wie sich Vertreter von Lettlands Elite als Hinterwäldler outen
Für lettische Leser habe ich den Titel gewählt: Ein wie lettisches Lettland ist für die Letten erforderlich? (Cik latviska Latvija latviešiem nepieciešama?) Ein lettisches Lettland propagierte der autoritäre Herrscher Kārlis Ulmanis. Die Folgen dieser Politik kann man noch heute in der Altstadt von Riga bewundern, wo historische Bausubstanz aus Mittelalter und Hansaepoche durch die Monumentalarchitektur der 30er Jahre ersetzt wurde.
Ende der 80er Jahre protestierten die Letten gegen den geplanten U-Bahn-Bau. Heute würde man sich im Stau steckend manchmal wünschen, es gäbe eine solche Tunnelbahn. Aber damals wäre mit dem Bau des modernen Verkehrssystems die weitere massenhafte Ansiedlung von Arbeitskräften aus Rußland in der lettischen Haupstadt Riga verbunden gewesen, in der die Letten sowieso zu diesem Zeitpunkt schon in der Minderheit waren. Die Überfremdung war ein wichtiger Grund für den Protest gegen die Sowjetherrschaft in der liberaleren Gorbatschow-Ära und den anschließenden Kampf für die Wiederlangung der Unabhängigkeit.
Welchen Wert ein eigener Staat für ein Volk bedeutet, betonte in seiner Ansprache im Rigaer Dom am 90. Jahrestag der Staatsgründung jüngst auch Bischof Jānis Vanags. Viele Völker dieser Welt, die an Zahl mehr Menschen umfassen als die Letten, haben ihren eigenen Staat nicht. Selbstverständlich ist jedem Volk auch die eigene Sprache heilig. Weltweit sind viele durch Druck oder Assimilierung bereits ausgestorben wie in Lettland beispielsweise nahezu auch das Livische.[1] Mancherorts wird von staatlicher Seite darum gerungen, Minderheitensprachen zu erhalten wie etwa mit dem Rätoromanischen in der Schweiz. Lettland erkämpfte sich 1991 schließlich die Freiheit. Doch viele russischsprechende Einwohner, die während der Sowjetzeit nach Lettland gekommen waren sowie deren Kinder und Kindeskinder haben das Land anschließend nicht verlassen – entgegen dem Wunsch in nationalistischen Kreisen.[2] Mit der Gesetzgebung zur Staatsbürgerschaft und dem Status des Lettischen wurde über Jahre versucht, diesen in Staat und Gesellschaft zu festigen. Und das bedeutete auch, Russisch nicht als zweite offizielle Staatssprache anzuerkennen.[3]
Philologen in Sorge
Jetzt fürchten Sprachwissenschaftler in Lettland die Einführung der Zweisprachigkeit im Lande, durch die Hintertür. So wenigstens äußerten sich einige in einer Sendung des lettischen Radios. Dort sagte der Professor an der Fakultät für moderne Sprachen der Universität Lettlands, Andrejs Veisbergs, der auch der staatlichen Sprachkommission vorsitzt, daß immer häufiger in Stellenanzeigen unbegründeterweise Kenntnisse des Russischen verlangt würden. Der Gebrauch des Russischen im öffentlichen Raum weite sich generell zunehmen aus etwa durch die Präsenz von russischen Serien im Fernsehen. Ebenso häufig sei etwa im Fitnessstudio, in billigen Cafés oder auch in Geschäften die Verständigung nur auf Russisch möglich. Besonders stört sich der Sprachwächter an der Hauptnachrichtensendung Panorāma des lettischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, wo manchmal von sieben kurzen Straßeninterviews fünf auf Russisch geführt würden. Freilich, lenkt Veisbergs ein, würden diese übersetzt. Aber es sei psychologisch schlecht, wenn das Russische überall so präsent sei. Die Anbieter von Kabelfernsehen, fährt der Wissenschaftler fort, verkauften Pakete mit hauptsächlich russischen Kanälen. Folglich lebten die Einwohner nicht im Informationsraum der Europäischen Union, sondern Rußlands. Dies könne eine Gefahr auch für die nationale Sicherheit sein etwa im Falle der Berichterstattung über den Georgienkonflikt im vergangenen August.
In Lettland sei es möglich zu überleben, ohne die Lettische Sprache zu benutzen oder überhaupt nur zu verstehen. Die Abgeordnete der Neuen Zeit und frühere Bildungsministerin (Dezember 2004 bis April 2006) und Professorin an der Fakultät für Pädagogik und Psychologie der Universität Lettlands, Ina Druviete, stimmt den Befürchtungen Veisbergs bezüglich der Gefahr für die nationale Sicherheit zu. Die Vorsitzende des nationalen Rundfunkrates, die Juristin Dace Buceniece, meint allerdings, daß man nicht alles mit Gesetzen regeln könne. Dies könnten die Privatsender auch als Beschränkung ihrer Tätigkeit auffassen. Die Wissenschaftlerin der Lettischen Universität, Dzintra Hirša, schlägt darum vor, auf andere Möglichkeiten zurückzugreifen, etwa steuerliche Erleichterungen für jene Sender einzuführen, die vorwiegend auf Lettisch senden. Alle in der Sendung befragten sind sich einig über die Bedrohung des Lettischen, wenn auch Professor Veisbergs einräumt, daß er die Existenz des Lettischen nicht als grundlegend gefährdet betrachtet. Gegen die von ihm bemängelten Beobachtungen könne die Wissenschaft jedoch nichts unternehmen, dies sei Aufgabe der Politik. Auch Staatspräsident Valdis Zatlers habe ihm beigepflichtet und versprochen, in der Öffentlichkeit ausschließlich Lettisch zu sprechen. Dies ist nach Meinung des Professors auch die Pflicht aller Politiker, in Ausübung ihres Amtes nur in der offiziellen Staatssprache zu kommunizieren. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spreche schließlich mit den zehn Millionen Türken in Deutschland auch nicht türkisch.
Leider beteiligt sich der Professor auf diese Weise an der Verbreitung von in Lettland sowieso schon verbreiteten Mythen, daß etwa Deutschland voller Türken sei, die in Wahrheit etwa vier Millionen Menschen sind und bei einer Gesamtbevölkerung von fast 82 Millionen damit einen Anteil von weniger als fünf Prozent stellen. Auch lassen alle erwähnten Wissenschaftler ein regelmäßiges Bekenntnis vieler Letten außer Acht, daß sie wegen des nicht mehr vorhandenen Bedarfes einer beständigen Verwendung des Russischen inzwischen diese Sprache auch deutlich schlechter zu sprechen als in Sowjetzeiten. Darüber hinaus haben viele Jugendliche überhaupt keine Russisch-Kenntnisse, weil die Sprache seit der Unabhängigkeit kein obligatirisches Schulfach mehr ist. Viele haben auch nicht die Gelegenheit, Russisch automatisch beim Spiel mit den Nachbarskindern zu erlernen. Bildung Sprachkenntnisse sind ein Reichtum. Sie ermöglichen, sich in verschiedenen Informationsräumen zu bewegen.
Aber dafür bedarf es vielschichtiger Bildung. Ein Mensch mit mehr Wissen ist erstens fähig, die angebotene Information kritisch zu bewerten, was vielen Studenten in Lettland bezüglich sozialer, ökonomischer und politischer Fragen sehr schwer fällt. Zweitens wird in den Schulen der Sprachunterricht so weit vernachlässigt, daß jungen Menschen nicht nur kein Russisch verstehen und lesen, sondern häufig auch kein Deutsch, Französisch oder Spanisch, ja nicht einmal Englisch. Sie leben also einzig im lettischen Informationsraum, dessen Möglichkeiten sehr beschränkt sind. Hauptsächlich im Internet surfend kommen sie regelmäßig auf die Seiten der öffentlichen Enzyklopädie Wikipedia, die auf Lettisch meist nur Grundinformationen anbietet, welche überdies häufig fehlerhaft sind. Zu einer kritische Bewertung auch dieser Tatsachen sind die Studenten ebenfalls meist nicht imstande. Dace Buceniecei hat Recht, daß man mit Gesetzen die Zugänglichkeit von Fernsehkanälen nicht einschränken sollte. Das wäre auch ein ziemlich zweifelhaftes Mittel. Hitler verbot, die BBC zu hören. In der DDR war es offiziell nicht erlaubt, Westfernsehen zu schauen, was aber in der Realität nicht durchzusetzen war. Im Volksmund des Ostens wurde die ARD zu „Außer Raum Dresden”, weil es technisch durch die geographische Entfernung dort mit Antennen nicht möglich war, Westkanäle zu empfangen.
Aber was eigentlich wollen die genannten Wissenschaftler eigentlich erreichen? Denkt man ihre Gedanken konsequent zu Ende, dann müßten alle Russen Lettisch können, die Letten aber am besten kein Russisch, damit sie nicht durch das russische Fernsehen beeinflußt werden können? Auf Nachfrage konkretisiert Veisbergs, es ginge ihm vorwiegend um lettische Russen. Sicher, auf diese Bevölkerungsgruppe treffen die Beobachtungen zu. Aber diese Menschen werden einmal nicht mehr da sein. Junge Russen dagegen studieren auf Lettisch. Es gibt auch genug patriotisch gesinnte ältere Letten, deren einzige Fremdsprache Russisch ist, die Putin verehren und sich einen vergleichbaren Politiker für ihre Heimat wünschten. Daß ein Unternehmen von seinen Mitarbeitern erwartet, eine im Land so weit verbreitete Sprache wie das Russische mit der Fähigkeit zum Kundenkontakt zu beherrschen, ist völlig normal. Und es kann nicht im Interesse eines lettischen Staates sein, wenn im Verhältnis zwischen Letten und Russen sich die Sprachkenntnisse im Vergleich zu sowjetischen Zeiten ins gegenteil verkehren. Ganz im Gegenteil. Das führt dann zwar zu einer wenigstens weit verbreiteten Zweisprachigkeit, die aber den Letten ihren Staat nicht raubt. Druviete hat als Professorin das Bildungsministerium bereits einmal geleitet! Auf diese Weise beweist die Elite Lettlands, daß an Stelle der in der Politik erforderlichen Weitsicht und der in den Wissenschaften erforderlichen neutralen Analyse manchmal Provinzialismus vorherrscht.
[1] Diese finno-ugrische Sprache verschwand durch die Assimilierung der Liven, die noch zu Zeiten der Kreuzritter namensgeben für ihr Land waren, im lettischen Volk.
[2] Die Partei für Vaterland und Freiheit war mit einer solchen Forderung 1993 in den Wahlkampf gezogen: Deokkupation, Debolschiwisierung und Dekolonialisierung. Die aus der Interfront, also den Unabhängigkeitsgegnern hervorgeangene Bewegung „Gleichberechtigung“ wiederum plakatierte, die Uhr könne nicht zurückgedreht werden.
[3] Gleichberechtigung verwies gern auf das Beispiel Finnland, wo die Muttersprache der Nachfahren des früheren Kolonialherren Schweden dieses Status genießt. Dabei wurde in aller Regel unterschlagen, daß die finnischen Schweden einen weit geringeren Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen und des Finnischen mächtig sind, die Voraussetzungen sich also grundlegend unterscheiden.
1. Dezember 2008
Was will der Präsident?
Aber, was will dieser Präsident wirklich? Und was ist er bereit dafür zu tun?
Vergangenen Mittwoch kündigte der Journalist Jānis Domburs in seiner Sendung “Kas notiek Latvijā” (Was geht vor in Lettland)[1] den Präsidenten als abwesend an. Im Rahmen einer Diskussion über den erwähnten Gesetentwurf zur Verfassungsänderung habe sich das Staatsoberhaupt erst am Vorabend entschuldigen lassen.
In der Radiodiskussionssendung Krustpunktā bezichtigte Domburs den Präsidenten später der Doppelzüngigkeit. Noch zum 90 Geburtstag der Republik am 18. November habe er gewagt, die politische Elite für ihre ingorante Einstellung gegenüber der Bevölkerung anzuklagen. Nun sei er aber nicht bereit, auch mit den Opponenten seiner Vorschläge öffentlich zu diskutieren.
Der Politologe Ivars Ījabs bestätigt, der Präsident sei ob seiner fehlenden politischen Erfahrung im Amte offensichtlich bislang nicht gewachsen. Er trete seit Monaten faktisch nur noch in Kommerzstationen auf, nicht aber im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. Mit diesem Verhalten werde er auch kaum die entsprechende Erfahrung erlangen. Zatlers habe offensichtlich Angst vor unangenehmen Fragen und offenen Dikussionen. Im privaten Radio und Fernsehen seien die Fragen vorher abgesprochen.
Im Morgeninterview des lettischen Radios war der Präsident vor einem Monat das letzte Mal, in die erwähnte Radiosendung Krustpunktā wird er zwar regelmäßig alle zwei Wochen geladen, nahm dort jedoch zuletzt am 12. Mai teil. Im russischpsrachigen Radio 4 beteiligte sich Zatlers bereits seit 18 Monaten nicht mehr, während er im privaten Radio SWH gar wöchentlich zu hören sei.
Wenn er sich kritischen Journalisten verweigere und damit den Verdacht aufkommen ließe, daß er sich nicht auszudrücken versteht, dann dürfe er sich über Kritik nicht wundern, so der Moderator von Krustpunktä, Adis Tomsons.
28. November 2008
Kunst aus Riga in Bremen hoch im Kurs
Viele der lettische Künstler/innen, deren Bilder gegenwärtig in deutschen Galerien ausgestellt werden, bauen auf persönliche Kontakte: ein Studium in Deutschland, oder ein Arbeitsstipendium helfen oft, auch für eigene Ausstellungsmöglichkeiten die Türen zu öffnen. So ist es auch beim Kunststipendium der Bremer Heimstiftung, die jetzt mit der Vorlage eines Gesamtkatalogs "Fünf Jahre Bremer Kunststipendium" eine erste erfolgreiche Bilanz zog (siehe Pressemitteilung).
Seit 5 Jahren gibt es jetzt das Kunststipendium der Bremer Heimstiftung - richtig, wer nachrechnet wird feststellen, dass sich Bremen damals als Europäische Kulturhauptstadt 2010 beworben hatte. Das klappte nicht ganz (Glückwunsch, Essen!), aber die Unterstützung der kulturellen Beziehungen zwischen Bremen und seinen Partnerstädten (wofür die Gelder stets knapp bemessen sind) wurde dennoch dankbar angenommen.
Bürgerschaftspräsident und Kunstinteressent Christian Weber hat sich das Projekt ebenfalls zu einem persönlichen Anliegen gemacht, und fachlich wird es begleitet von der Kunsthistorikerin Dr. Katerina Vatsella. Aus "baltischer" Sicht profitiert vor allem Riga und Lettland: seit 5 Jahren läuft das Bremer Stipendienprogramm (Bewerbungen werden auch weiterhin angenommen!), Partner sind hier der Bremer Verband Bildender Künstlerinnen und Künstler (Ansprechpartner: Wolfgang Zach) und "Latvijas Makslinieku savieniba" in Riga. Auch ein Arbeitsstipendium für Bremer Künster/innen in Riga ist bereits ausgeschrieben.
Allein in den vergangenen 12 Monaten waren es gleich drei lettische Künstlerinnen, die nicht nur für einige Wochen in Bremen arbeiteten, sondern deren Werke teilweise auch mit eigenen Ausstellungen in Bremen zu bewundern waren: Ingrida Irbe (deren aktuelle Ausstellung in der Galerie Lonnes in Bremen läuft noch bis zum 13.12.08!), Diana Adamaite, und Daiga Kruze. Besonders erwähnenswert noch, dass beide Seite bemüht sind, wirklich aktuell interessanten und innovativ arbeitenden Kunstschaffenden in diesem Rahmen eine Förderung zukommen zu lassen: so ist es nicht nur eine Förderung für die Künstler/innen selbst, sondern trägt auch dazu bei, dass die Öffentlichkeit in beiden Städten die Möglichkeit hat, sich "ein Bild zu machen" - wie man so schön sagt - von aktuellen Kunstgeschehen in der jeweiligen Partnerstadt. Mehr Infos dazu: Ausschreibungstext des KunstStipendiums noch einige weitere Fotos Der Katalog „Bremer Kunststipendium 2003 - 2008“, herausgegeben von Dr. Katerina Vatsella, ist im Verlag HachmannEdition erschienen und kostet 12 Euro.
Mann über Bord!
Nach bisherigen Kenntnissen hatte eine Gruppe von zehn bis 15 Freunden die Reise von Riga nach Stockholm angetreten. Das Schiff verläßt Riga am späten Nachmittag und benötigt die ganze Nacht, um am nächsten Morgen sein Ziel zu erreichen.
Nach Zeugenangaben haben die jungen Leute bereits während der Überfahrt nach Schweden Alkohol getrunken und durch ihr Verhalten den Eingriff des Sicherheitsdienstes provoziert. Am Ziel angekommen war die Gruppe dann bereits nicht mehr in der Lage, die Fähre für einen Besuch der schwedischen Hauptstadt zu verlassen.
Gegen 18 Uhr legt das Schiff dann abends wieder ab und fährt die Nacht über zurück nach Riga. Etwa vier Stunden nach der Abfahrt wurden dann die Passagiere über Lautsprecher informiert, daß eine Person über Bord gefallen sei.
Der Kapitän begann unmittelbar nach dem Vorfall mit der Suche nach dem Verunglückten und kreiste meherer Stunden an Ort und Stelle. Zwei weitere Schiffe wie auch der Rettungsdienst in Götenburg unterstützten die Versuche. Zwei Hubschrauber waren im Einsatz.
Nachdem der junge Mann aus der Höhe eines ungefähr vierstöckiges Hauses ins Meer gestürzt war, waren nach Zeugenberichten einige Freunde entsetzt und weinten, während andere offensichtlich zu alkoholisiert waren, um den Vorfall überhaupt zu begreifen. Sie amüsiert sich. Einige riefen, er solle durchhalten, er werde gerettet. Es gelang jedoch nicht, den jungen Mann zu finden.
Gegenwärtig ist das Wasser etwa 7 Grad kalt. Ein Mensch überlebt bei dieser Temperatur höchstens 20 Minuten.
21. November 2008
Verfassung in schlechter Verfassung – Stellungskämpfe statt Politik
Valdis Zatlers wurde vor etwa anderthalb Jahren als Nachfolger der populären Vaira Vīķe-Freiberga und entgegen Volkes Willen ins Amt gewählt. Der Artz sei, so hieß es, bei einem Spitzentreffen der Koalitionspolitiker im Zoo ausgewählt worden – nicht aus dem Zoo freilich. Daß er nach der engagierten Vorgängering von den Regierungsparteien bewußt als bequemer Kandidat gedacht war, steht weitgehend außer Frgae. Zatler wurde weiterhin auch deshalb von der Öffentlichkeit belächelt, weil er bei Auftritten wie auch in Interviews mit inhaltslosen Allgemeinplätzen und Stlblüten glänzte wie: “Wer bin ich?”
Im September 2008 dann bestätigte Zatlers plötzlich nicht wie von der Koalition gewünscht, Vaira Paegle von der Volkspartei als neue Botschafterin bei der UNO. Die Betroffene ärgerte sich, das Land war verblüfft, aber eigentlich war dieser Schritt ohne große Bedeutung.
Das etwas im Lande nicht in Ordnung ist, hat Zatlers bereits vor einem Jahr verstanden. Nachdem die Regierung den Chef der Anti-Korruptionsbehörde absetzen wollte, kam es zu einer Manifestation auf dem Domplatz, die wegen des schlechten Wetters als Regenschirmrevolution in die jüngere Geschichte eingegangen ist. Das Volks skandierte: Parlamentsauflösung! Zatlers besucht die Veranstaltung überraschend und sagte: Liebe Mitbürger, erst einmal braucht ihr eine Losung. War der Mann taub?
Nein. Bei seiner Ansprache zum 90. Geburtstag des Republik Lettland mahnte Zatlers die Politiker, die Demokratie könnte durch eine Verfassungsänderung gefördert werden, welche dem Volk die Möglichkeit der Parlamentsauflösung zuerkennt. Die bisherigen Reaktionen demonstrierten Hochnäsigkeit gegenüber dem ausgesprochenen Willen des Volkes. Seit einiger Zeit hat Zatlers neue Berater und Redenschreiber.
Einstweilen kann nach der alten Verfassung von 1922 das Parlament nur aufgelöst werden, wenn der Präsident dies anregt und das Volk in einem Referendum zustimmt. Ein Referendum über das Recht des Volkes zur selbstständigen Initiative scheiterte im Sommer am verfehlten Quorum der Beteiligung – mindestens die Hälfte aller Wahlberechtigten.
Verfassung ändern oder nicht?
Im Unterausschuß des Rechtsausschusses, der mit der entsprechenden Neuregelung befaßt ist, kommt der Gesetzentwurf nicht voran. Regierungsparteien und Opposition straiten darüber, welches Quorum erforderlich sein soll, damit ein Referendum zur Parlamentsauflösung Geltung erlangt. Die Koalition pocht auf die Hälfte der Wahlberechtigten, wie es auch derzeit für Verfassungsänderungen erforderlich ist. Die Opposition kontert, dieses Quorum zu erreichen sei so schwierig, daß eine solche Volksinitative eine bloß formale Möglichkeit wäre. Sie verlangt, daß die Hälfte der Wahlbeteiligung der letzten Parlamentswahl ausreichen solle. Dies gilt auch derzeit bei Referenden über einfache Gesetze. Gestritten wird ebenso über die Änderung der Rechte des Präsidenten.
Die Abgeordneten der Regierungsparteien bremsen nach Auskunft der Ausschußvorsitzenden, Solvita Āboltiņa, von der oppositionellen Neuen Zeit die Arbeit des Ausschusses durch Abewesenheit, um die Beschlußfähigkeit zu unterlaufen. Selbst wenn die Angeordneten erschienen, käme keine Diskussion zustande, weil einige Fraktionen ihren Standpunkt noch nicht intern diskutiert hätten und die Volkspartei, die sich bereits eine Meinung gebildet habe, unter diesen Umständen ihre Position zu vertreten nicht bereit ist.
Es besteht kein Zweifel, daß die Regierungsparteien kein großes Interesse an einer schnellen Lösung dieser Frage haben. Und trotzdem prognostiziert die Volkspartei des abgetretenen Ministerpräsidenten Aigars Kalvītis nun, schon nächstes Jahr könne eine Verfassungsänderung verabschiedet werden. Das stünde Spekulationen über neue Bündnisse bis zur kommenden Wahl 2010 entgegen.
Der frühere Justizminister und Vertreter der konservativen Für Vaterland und Freheit, Dzintars Rasnačs, warnt vor übereilten Entscheidungen; in einer so wichtigen Frage müßten einheimische und internationale Verfassungsexperten gehört werden. Aboltiņa erwidert, nach einem Jahr Diskussion könne nicht von Eile gesprochen werden.
Der Vertreter der Ersten Partei / Lettlands Weg, Jānis Šmits, meinte, die 600.000 Bürger, die im Sommer Jahr für die Verfassungsänderung gestimmt hätten, seien noch nicht das Volk. Wie er das im Detail meint, ließ er offen. Immerhin ist das ein Viertel der lettischen Wohnbevölkerung vom Kleinkind bis zum Greis und eingerechnet der Einwohner, die nicht über die lettische Staatsbürgerschaft verfügen.
Der Präsident hat nach der Verfassung auch selbst das Recht zur Gesetzesinitiative, hätte also längst eine Verfassungsänderung einbringen können. Dies wäre die logische Reaktion auf seinen Auftritt bei der Manifestation 2007 gewesen. Davon hat Zatlers bislang keinen Gebrauch gemacht. Bisher also beschränkt sich seine Emazipation mehr auf Worte als auf Taten.
Unwägbarkeiten zwischen geltendem und zu schaffendem Recht
Āboltiņa meint, der Präsident dürfe nicht vergessen, daß Lettland eine parlamentarische und keine präsidentielle Republik sei, ihm also zunächst mehr representative Aufgaben zukämen, als der Eingriff in die alltägliche Politik.
Das angejährte Gesetzeswerk macht aus dem Regierungssystem tatsächlich einen Zwitter. Der Präsident hat entschieden mehr Rechte als in anderen repräsentativen Demokratien, wird aber gleichzeitig vom Parlament und zwar mit nur absoluter Mehrheit gewählt. Für seine Absetzung hingegen wären zwei Drittel der Abgeordneten erforderlich.
Abgesehen davon, daß Zatlers in einem dann fälligen Referendum über die von ihm angeregte Parlamentsauflösung auch unterliegen und damit sein Amt verlieren könnte, könnte das Parlament im Zeitraum zwischen der Anregung und der tatsächlichen Auflösung den Präsidenten absetzen. Die Verfassung beschränkt nämlich die Handlungsmöglichkeiten eines abgesetzen Parlamentes in diesem Punkt nicht kosequent. Sitzungen eines aufgelösten Parlamentes werden vom Präsidenten anberaumt, der auch die Tagesordnung bestimmt. Zahlreiche Politiker wollen darum auch die Rechte des Präsidenten konkretisieren.
Während der Erfolg eines Referendums nach der Manifestation 2007 zu vermuten gewesen wäre, ist die Frage des Impeachments verbunden mit der Aussicht auch der oppositionellen Parteien bei allfälligen Parlamentwahlen. Alles sieht also danach aus, als würden diese Fragen noch zwei weitere Jahre bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode vor sich hindümpeln.
Dabei ist es eine verfassungsrechtlich interessante Frage, Quoren für die Installation der Verfassungsorgane Parlament und Präsident mit denen ihrer Entlassung zu vergleichen. Ein Parlament ist völlig unabhängig von der Wahlbeteiligung gewählt. Welches Quorum also schiene logisch und vernünftig, damit Wähler und Wahlenthalter das von ihnen selbst gewählte oder hingenommene Parlament aufzulösen? Es macht sicher keinen Sinn, wenn letztlich ein Drittel der Wahlbevölkerung das Parlament aktiv wählt und anschließend die anderen zwei Drittel selbiges in die Wüste schicken können.
Überhaupt erinnert die Parlamentsauflösung durch das Wahlvolk an das imperative Mandat. Das ist ein Rätemodell und heißt auf Russisch Sowjet.
Die Regenschirmrevolution machte auf Kalvītis zwar so viel Eindruck, daß er zurücktrat. Sonst aber änderte sich nichts: der Leiter der Anto-Korruptionsbehörde wurde später doch abgesetzt, die Verfassung ist nicht geändert, das Parlament ist noch immer nicht aufgelöst und die gleichen Koalitionsparteien sind nach wie vor an der Macht.
19. November 2008
90 Jahre, ein stolzes Alter, eine stolze Leistung?
Um die Verbidung zwischen Staat und Mensch herzustellen: In Lettland erreicht die durchschnittliche Lebenserwartung mit 76 Jahren bei Frauen und 64,9 Jahren bei Männern einen der geringsten Werte in der Europäischen Union.
Aber Lettland als Staat wird auch nicht einfach nur 90, sondern gleichzeitig auch 17, 39 oder 33 – je nach Standpunkt. Die Republik Lettland wurde vor 90 Jahren ausgerufen. De facto bestand sie aber nur 39 Jahre lang, denn ein halbes Jahrhundert währte die Inkorporation in die Sowjetunion: folglich besteht die erneuerte Unabhängigkeit erst seit 17 Jahren. Umfaßt die Summe von 39 Jahren den Zeitraum der Souveränität, so ist die lettische Demokratie abzüglich der sechs Jahre der autoritären Herrschaft von Kārlis Ulmanis erst 33 Jahre alt. Wie wenig diese Zahl die Menschen interessiert, beweist, daß Ulmanis bemerkenswerterweise nach 1991 ein Denkmal gesetzt wurde, an dem die Menschen nach wie vor Blumen niederlegen.
Vergliche man den Staat konsequent mit einem Menschen, so wäre die wieder hergestellte Republik Lettland am Ende der Pubertät. Ein Teenager. Den Bestand der Republik betreffend, aber auch die in Freiheit verbrachten Jahre markieren ein Alter, in dem Energie und Erfahrung sich die Waage halten; mit 33 mag noch ein wenig Übermut vorhanden sein, aber mit 39 beginnt bereits ein Alter, in dem man von alten Gewohnheiten nicht mehr lassen kann?
Mit 90 wiederum kann der Mensch schon einmal ein wenig tüdelich sein. Jedenfalls waren die Feierlichkeiten rund um den 18. November geprägt von Phänomenen, die so sicher nicht in jedem Land passieren.
Bereits der 17.11.2008, ein Montag, also eigentlich ein Werktag, aber eben auch ein Brückentag, begann für jene, deren Arbeitgeber sich für die Brücke entschieden hatten, tariflich im Nahverkehr Rigas als Zahltag. Denn obwohl die Schaffner natürlich arbeiten mußten, galten Monatskarten für Werktage nicht. Da am Nationalfeiertag der ÖPNV immer gratis ist, durften sich die Schaffner wenigstens am Dienstag voll und ganz der Geburtstagsfeier ihres Staates widmen. Brückengewinner und –verlierer müssen jedoch den Arbeitstag am Samstag, dem 22. November, nachholen, ob sie nun persönlich für oder gegen die Brückenregelung waren.
Innerfamiliär kann dies Probleme hervorrufen, da ja nicht alle Mütter, Väter, Omas, Opas, Kinder und Enkel den gleichen Regeln unterliegen. So sehen sich viele sogenannte Fernstudenten, die üblicherweise samstags Vorlesungen hören, gezwungen, am 22. November zu arbeiten. Wegen der Brücke waren die Lehrstunden mancherorts am 9. November vorzuholen – in diesem Jahr ein Sonntag. Dies trifft natürlich gleichermäßen die Lehrkräfte. Wozu also eine Brücke am Monfeiertag, wenn dafür am Sonnwerktag die Werktagmonatskarte natürlich ebensowenig gilt?
Aber zum Jubiläum schlug Lettland, Riga noch eine weitere Brücke. Nachdem während der letzten Jahre viel über eine weitere Daugavaquerung zur Minderung der alltäglichen Staus diskutiert wurde, konnte das Bauwerk, die Südbrücke, jetzt endlich eingeweiht werden – natürlich nicht ohne Skandälchen. Der Direktor der Bauinspektion, Eduards Raubiško, gab kurz vor der Eröffnung bekannt, daß er selbst das Bauwerk mit 7 auf einer 10 Punkte Skala bewerten würde, wo 10 die Bestnote ist: nicht gut, aber auch nicht schlecht. Bekannt geworden waren Mängel am Bau.
Im Fernsehen kommentierte er die Anbindung an beiden Ufern, Passanten wurden um eine Bewertung der Ausschilderung gebeten. Und so schlug Raubiško vor, man solle doch einmal eine Exkursion über die Brücke machen, und dann würden sich die Fahrer schon an die Straßenführung gewöhnen. Dafür nutzt der Pendler freilich am besten einen Feiertag mit weniger Verkehr.
Und so wurde der Abend des Geburstages nach eindrucksollem, musikalisch untermaltem Feuerwerk bei klarem Wetter, intensiv genutzt. Die Schaulustigen der Feierlichkeiten fuhren nach Hause, Technikinteressierte zur Brücke; und in der gesamten Umgebung stand der Verkehr bis 23 Uhr nahezu still.
Präsident Valdis Zatlers und die anwesenden Amtskollegen aus Estland, Toomas Hendrik Ilves, und aus Litauen, Valdas Adamkus, hatten gemeinsam in ihren Ansprachen am Freiheitsdenkmal den Letten noch einen schönen Ausklang des Feiertages gewünscht.
18. November 2008
Finanzkrise mischt politische Karten in Lettland neu
Ivars Godmanis ist zum zweiten Mal Ministerpräsident von Lettland, allerdings erst seit weniger als einem Jahr. Ins Amt gelangte er, weil sein Vorgänger selbst für die eigene Partei unhaltbar geworden war. Kaum ist er im Amt, gerät das Land neuerlich in eine tiefe Wirtschaftskrise. Bereits zu Beginn der 90er Jahre hatte ein großer Teil der Bevölkerung ihm den sozialen Niedergang zum Vorwurf gemacht.
Noch im Sommer lag die Vermutung nahe, daß die deutlich größere Fraktion der Volkspartei Godmanis nicht lange gewähren läßt und selber sein Amt wieder zu besetzen trachtet, so wie es 2004 bereits einmal geschehen war. Doch im Angesicht der tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung, deren massenhafter Andrang bei der Parex Bank die Probleme dort innerhalb von Tagen verschärfte wie auch der Sturm der Wechselstuben nach der Verbreitung von Gerüchten über eine bevorstehene Abwertung des lettischen Lat, wird die Volkspartei vorübergehend verschmerzen, nicht in vorderster Front Verantwortung zu tragen.
Das aber ändert nichts am Wunsch der Partei, wieder den Regierungschef und den Bürgermeister von Riga zu stellen. Da sich gerade in der Hauptstadt russischstämmige Einwohner mit Staatsbürgerschaft, also Wahlberechtigte konzentrieren, teilen sich lettische und russophone Parteien die Mandate im Stadtrat etwa zur Hälfte. Mangels anderer Nebenkriegsschauplätze ist der Stadtrat der Hauptstadt sehr politisiert. 2005 hatte die "Neue Zeit" gewonnen. Doch Bürgermeister Aivars Aksenoks regierte nur knapp zwei Jahre, bis er Anfang 2007 durch Jānis Birks von der nationalkonservativen "Für Vaterland und Freiheit" abgelöst wurde.
Nun ist folgendes Szenario denkbar, mit dem sich die Volkspartei stufenweise alle Wünsche erfüllen könnte: Zunächst wird der frühere Bürgermeister Andris Ārgalis, der damals ebenfalls "Für Vaterland und Freiheit" angehörte, dann aber zur Volkspartei wechselte, in Riga inthronisiert und zwar mit Hilfe der Sozialdemokraten und der russophonen Fraktionen des Harmoniezentrums und Heimat (Dzimtene). Dieser Name klingt eher nationalistisch, doch unter dieser Flagge trat 2005 eine Koalition mit der Sozialistischen Partei an, deren radikalerer Flügel in einer anderen Fraktion sitzt.
Dieses Revirement wäre eine Brüskierung von Für Vaterland und Freiheit, die daraufhin wohl die nationale Koalition verlassen würde, was Godmanis die Mehrheit kostete.
Präsident Zatlers beriefe daraufhin Godmanis erneut, der dann mit der Volkspartei und dem russophonen Harmoniezentrum eine Regierung bildete. Das Harmoniezentrum war in Form der Partei der Volksharmonie erst einmal von 1994 bis 1995 Mehrheitsbeschaffer einer Minderheits-Übergangsregierung und drängt seit langem an die Macht. Außerdem könnte die Volkspartei unter Ausschluß von Bauern und Grünen endlich die kommunale Gebietsreform umsetzen.
Einige Monate vor der kommenden Wahl 2010 könnte dann wieder die lettische Karte gezogen werden, die russophonen diskreditierend und mit der "Neuen Zeit" wieder auf den Kampf gegen die Korruption setzend. Die Umfragewerte der Volkspartei sind seit Monaten unterhalb von 5%. Die Partei hat also nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen und – die Zeit bis zur nächsten Wahl zu nutzen.
11. November 2008
Par und ex - Banka Baltija 2?
Es passiert selten, dass deutsche Medien Nachrichten aus Lettland fast genausoschnell verbreiten, wie sie Lettinnen und Letten selbst auf dem Frühstückstisch haben. Bei der vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Pleite der PAREX BANK war es so. "Die Bankenkrise hat Lettland erreicht", so oder so ähnlich klang die Nachricht - und wer sich schon ein paar Jahre mit lettischen Belangen beschäftigt, sieht sich mit Sicherheit an den Zusammenbruch der "Banka Baltija" im Jahre 1995 erinnert.
Damals verloren tausende lettischer Privatkunden ihre Rücklagen - mitten im schwierigen Wirtschaftsumbruch. Gleichzeitig war damals Wahlkampf, und der deutsche Rechtsaußen Siegerist nutzte die Krisenstimmung um mit flotten Sprüchen und kostenlosen Bananen 15% zu holen. Heute dagegen verkündet Ministerpräsident Godmanis schlicht, er sehe keinen Grund, Geld von der PAREX BANK abzuziehen, nur weil der Staat ein Kontrollpaket übernommen hat. Immerhin sind sich deutsche und lettische Medien in sofern einig, das von "panikartigen Abzug von Einlagen" bei der PAREX-Bank die Rede war. Das Handelsblatt nennt sogar Zahlen: 60 Mio. Lats (84 Mio. Euro) seien von der Bank abgezogen worden. Der lettische Fernsehsender LNT wurde bei TVNET so zitiert: "Beobachtungen bezeugen, dass es meist ältere Leute oder Russischsprachige sind, die sich um ihre Geldanlagen sorgen." Da klingt ein wenig der Wunsch durch, ein "echter Lette" möge sich bitte durch den eigenen Staat geschützt fühlen.
Gesichert scheint aber, Finanzexperten zufolge, zumindest die Aussage zu sein, dass die Lage der baltischen Staaten nicht mit derjenigen Islands zu vergleichen ist. Die baltischen Banken sind nicht wie die isländischen auf internationale Raubzüge gegangen. Im Gegenteil: der baltische Finanzmarkt ist fest in ausländischem Besitz. 95 Prozent des estnischen Bankensektors wird von drei schwedischen und einer dänischen Bank dominiert, und auch in Lettland und Litauen ist er mehrheitlich in skandinavischer Hand und damit von den dortigen umfassenden Garantien abgesichert. Die nun verstaatlichte Parex-Bank war die Ausnahme, das größte baltische Institut ohne westliche Beteiligung. (Badische Zeitung 10.11.08) Also darf weiter spekuliert werden, welche Aus- wirkungen die kommende Krise in Lettland haben wird.
Während Minister- präsident Godmanis der lettischen Presse gegenüber von 1,3% Rückgang des Bruttosozialprodukts für das gesamte Jahr 2008 prognostiziert (Motto: nur nicht übertreiben!), geht das lettischen Statistikamts für das dritte wie für das letzte Viertel 2008 von je 4,2% Rückgang aus. Für die lettische Presse weiterhin interessant scheint die Frage zu sein, was mit dem Vermögen der zwei bisherigen Haupteigentümer der PAREX-Bank, Valērijs Kargins und Viktors Krasovicks, nun passiert. Die Bankübernahme sieht nämlich auch die Beschlagnahme allen Privatvermögens vor, sowie das Einfrieren der Aktionbeteiligungen. Schon haben eifrige Fotografen eine Luxusvilla im Ortsteil Bulduri des Badeorts Jurmala im Visier, die offiziell der Tochter von Krasovicks überschrieben ist, aber als "Residenz" nicht nur gilt, sondern auch so aussieht. Dank offiziell zugänglicher Eigentums- und Steuererklärungen veröffentlichen Zeitungen heute genaue Aufstellungen des gesamten Vermögens der beiden bisherigen Millionäre (DIENA) - ein Vorgehen, wäre es auf Deutschland übertragbar, ja bekanntlich gelegentlich deutsche Politiker dazu verleitet, von "Progromen" zu sprechen. Zwei Luxuskarossen der Marke "Maybach" sollen von den "K&K Millionären" erst Ende Oktober auf eine Firma überschrieben worden sein, die wiederum erst eine Woche zuvor gegründet worden sei, weiß DIENA, und zählt die weiteren Autos im Bankbesitz auf: ein Aston Martin, ein Bentley Continental, ein BMW X5, ein Lexus LS 600HL, zwei Mercedes und ein Porsche Cayenne Jeep.
Übrig bleibt die Frage, ob neben der Übernahme der Bank-Verbindlichkeiten (von 200 Millionen Lat ist die Rede) durch den lettischen Staat PAREX überhaupt im Bankwesen noch eine Rolle spielen wird. Ein Beitrag bei FINANCE-NET.LV von heute geht davon aus, dass PAREX bisher vor allem von russischen Investoren genutzt wurde, um ihr Geld "im Westen nutzbar zu machen". Dies werde so unter der Eigentümerschaft des lettischen Staates sicher nicht mehr gemacht, so die Schlußfolgerung. Noch Anfang 2008 hatte PAREX stolz verkündet, "eine der am nachhaltigsten wachsenden Banken" in Lettland zu sein, mit Einlagen von über 4,3 Milliarden Euro, 2.500 Angestellten, Filialen in 15 Ländern - darunter Berlin, Hamburg, Stockholm, Mailand, Tallinn and Narva - und Partnerbanken in der Schweiz. Das mit den bisherigen Eigentümern abgeschlossene Übernahmeabkommen sieht übrigens formell auch eine Zahlung an beide vor: je 1 Lat für jeden.
Infos und Berichte zum Thema: PAREX sagt selbst dazu: "Weitere Information können Sie anfragen oder rufen Sie uns an: +49 30 779 077 444. DIE WELT (11.11.): Verstaatlichte Parex-Bank setzt Geschäftstätigkeit normal fort SPIEGEL online (9.11.): Lettland verstaatlicht Parex-Bank SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (11.11.): Anleger in Sorge HANDELSBLATT (9.11.) : Banken-Verstaatlichung in Lettland BADISCHE ZEITUNG (10.11.): Die Krise erreicht das Baltikum DIE ZEIT (9.11.): Lettland verstaatlicht Parex-Bank FINANCIAL TIMES (9.11.): Riga rettet Parex-Bank FAZ (11.11.): Bank für drei Euro - und trotzdem kein Schnäppchen
30. Oktober 2008
Biber im Stadtkanal
Die lettische Hauptstadt Riga fällt oft vielen Besuchern nur durch Verkehrsstaus und Lärm im Innenstadtbereich auf - vor wenigen Wochen noch überlegte der Stadtrat, vielleicht auch Motorboote und weiteres Showbizz auf dem Stadtkanal zuzulassen.
Doch es gibt auch anderes. Wie Agnis Kalnkaziņš, Direktor der Agentur "Rīgas dārzi un parki" (Riga Gärten und Parks) jetzt mitteilte, gibt es auf der gesamten Länge des Stadtkanals niedliche Tierchen, die gewöhnlich durch ihr ausgeprägtes Bedürfnis bekannt sind, alles anzunagen: Biber.
Ob nahe der Oper, oder am Kongress- haus: es gibt nicht nur Biber mitten in Riga, nein, sie vermehren sich auch kräftig!
Müssen jetzt die romantischen Bootfahrer(innen) fürchten, ein Loch ins Holz genagt zu bekommen? Nun, immerhin, inzwischen gibt es ein "Expertenkommittee", einberufen von der zuständigen (oben genannten) städtischen Agentur, die ich über bekämpfungsmaßnahmen ernsthaft Gedanken macht. Im Hauptberuf sind diese Experten was? Richtig, sie sind Jäger.
Nun, das haben Rigas Biber inzwischen also immerhin geschafft: über Jagdregelungen, Schutzbestimmungen und Ähnliches muss wohl kaum eine deutsche Großstadt Expert/innen zusammenrufen. In Rigas Medien ist es dagegen regelmäßig immer mal wieder Thema. "Bei der nächsten Sitzung des Umweltausschusses werden die Biber auf der Tagesordnung stehen", verrät Kalnkaziņš der Tageszeitung DIENA. "Alles, was geeignet ist zu verhindern, dass sie nicht Bäume zerstören, ist uns willkommen."
Bei DIENA ist außerdem zu lesen, dass im Herbst 2007 die Bäume entlang des Stadtkanals mit Rinderblut eingeschmiert wurden, um Biber abzuhalten. Denn Jäger, die in der Innenstadt mit dem Gewehr auf der Lauer liegen müssen, will niemand. Zumindest im Kronvald-Park haben sich die Zuständigen des städtischen Umweltkomitees inzwischen mit den Nagetierchen abgefunden und festgestellt, dass die Biber "vom Meer her kommen", also von den Verbindungskanälen zur Daugavamündung. Im gesamten Stadtgebiet von Riga wird die Population von Castor fiber inzwischen auf 120 Exemplare geschätzt. "Die Jagd auf Biber ist in Lettland inzwischen nicht mehr so populär," gibt selbst Direktor Kalnkaziņš zu. Na wenigstens das - wenn man schon Rinderblut schlecken muss ....
28. Oktober 2008
Machtpoker oder Schattenboxen?
Lettland hat zur Zeit die 14. Regierung seit der Unabhängigkeit 1991. Damit ist es nicht nur der Spitzenreiter im Regierungssturz im Baltikum, sondern im ganzen postsozialistischen Europa. Noch nie hat eine Koalition auch nur eine Legislaturperiode gehalten. Die Ursachen hierfür liegen sowohl in Konflikten zwischen den beteiligten Parteien als auch zwischen einzlenen Politikern.
Nach dem Sturz der Regierung Kalvītis, die sich unter anderem durch den Versuch einer Änderung des Gesetzes über die nationale Sicherheit und der Wahl von Valdis Zatlers zum Präsidenten unbeliebt gemacht hatte, ist nun Regierungschef Ivars Godmanis wieder am Ruder, der das Land auch in die Unabhängigkeit geführt hatte.
Godmanis ist ohne Zweifel ein erfahrener Politiker, aber eben nicht ein Vertreter der größten oder auch nur zweitgrößten Regierungspartei. Er war im Dezember 2007 ein Kompromißkandidat. Aber der größte Partner auf der Regierungsbank, die Volkspartei, befindet seit Kavītis’ Abgang im Umfragetief.
Das auf einen Dialog mit den Russen im Inland aber auch mit Rußland setzende Harmoniezentrum als eine der größeren Fraktionen ist seit 1993 durch mehrere Mutationen immer "partija non grata" geblieben, mit der die nationalen Kräfte noch nie haben zusammenarbeiten wollen. Die Anti-Korruptionspartei Neue Zeit hat sich gespalten. Die nächste Parlamentswahl ist erst in zwei Jahren. Eigentlich also alles Gründe für eine stabile Regierung, denn die Koalition kann nirgends hin stürzen, es fehlen Alternativen.
Doch die Volkspartei hat 2004 schon einmal einen Kompromißkandidaten aus dem Amt gejagt, Indulis Emsis, der in manchen europäischen Medien als der erste grüne Regierungschef in Europa gefeiert wurde. Dabei sind die lettischen Grünen mit westeuropäischen nicht zu vergleichen. Kalvītis, damals Fraktionsvorsitzender seiner Partei, votierte während der Haushaltsdebatte gegen das Budget seines Parteifreundes Gundars Bērziņš – womit der lettischen Verfassung entsprechend die Regierung gestürzt ist – um anschließend selbst mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden.
Kalvītis, nach drei Jahren im Amt im Rahmen der “Regenschirmrevulotion” zum Rücktritt gezwungbettelt, sollte dieses Jahr auch als Parteivorsitzender abgelöst werden. Finanzminister Atis Slakteris hat das Amt schon einmal ausgeübt, Kulturministerin Helēna Demokaova will nicht oder soll nicht oder auch beides, Außenminister Riekstiņš, der 2007 sogar noch als potentieller Kandidat für das Präsidentenamt genannt wurde, wollte oder sollte ebenfalls nicht und Parteigründer Andris Šķēle begann sogar seiner Parteitagsrede mit den Worten: “ich sage wie es ist, ich wollte nicht sprechen”. Aber die graue Eminenz der Partei mußte Finanzminister Slakteris vertreten, der ausgerechnet während Haushaltsberatung und Parteitag im Urlaub weilte. Blieb einzig Innenminister Mareks Segliņš, der dann auch gewählt wurde.
Seglīņš wiederum sorgte für Überraschung, als er jüngst im russischpsrachigen Kanal TV3 verlautbarte, er könne sich durchaus vorstellen, daß das Harmoniezentrum das Sozial-, das E-Angelegnheiten- oder das Verkehrsministerium führt. Der Koalitionspartner Grüne und Bauernunion wollte das nicht kommentieren, Verkehrsminister Ainārs Šlesers, welcher der Partei des Premier angehört, würde sich gerne zum Rigaer Bürgermeister wählen lassen. Einzig Für Vaterland und Freiheit erklärte, wie zu erwarten, daß die Partei für eine Koalition mit dem Harmoniezentrum nicht zur Verfügung stünde. Außerdem müsse dann erst einmal die amtierende Regierung gestürzt werden.
Die Volkspartei träumt sicher nicht davon, die kommenden zwei Jahre bis zu den Wahlen im Kommando Godmanis zu arbeiten. Der Wille zur Macht ist größer. Es gibt aber auch Spannungen, die einem Koalitionsrevirement aus Sicht der Volkspartei weiteren Sinn verleihen würde. Die Verwaltungsreform wurde seit der Unabhängigkeit von allen Regierungen auf die lange Bank geschoben. Aber nach dem Beitritt zur Europäischen Union wird diese Frage drängender. In der Bevölkerung auf dem Lande sind Änderungen der Verwaltungsgrenzen und Kompetenzen der lokalen Behörden unbeliebt, weil angesichts der Verkehrsanbindungen dies mit konkreten Nachteilen für den einzelnen verbunden sein kann. Diese Sichtweise machen sich Grüne und Bauernunion zu eigen und bremsen das Reformvorhaben.
Andris Šķēle analysierte auf dem Parteitag die wirtschaftliche Situation Lettlands, die angesichts der weltweiten Finanzkrise eher noch verschärft wird. Er berichtete, die Weltbank habe die Kreditwürdigkeit Lettland jüngst 19 Plätze geringer bewertet als vergangenes Jahr. Šķēle warf Ministerpräsident Godmanis Untätigkeit vor, anerkannte aber, daß der Premier jüngst die Notwendigkeit erkannt habe, daß die kleinen und mittleren Unternehmen dringlich Liquidität benötigten.
Ivars Godmanis hat tatsächlich in den letzten Wochen und Monaten der Bevölkerung mit seinem Sparkurs einiges zugemutet. Das wäre ein idealer Moment für die Volkspartei, den Streich von 2004 zu wiederholen.
Und noch etwas. Der Fraktionsvorsitzende der Volkspartei, Māris Kučinskis, schlug vor, Artikel 81 der Verfassung wieder einzusetzen. Mit diesem Artikel hatten die Verfassungsväter, um den Gesetzgebungsprozeß nach der Staatsgründung 1918 zu beschleunigen, der Regierung in der Zeit zwischen den Parlamentssessionen das Recht zur Gesetzgebung übertragen. Der Artikel war 2007 in aller Eile gestrichen worden als Reaktion auf Kalvītis’ Schritt, auf diesem Weg das Gesetz über die nationale Sicherheit zu ändern – der Ausgangspunkt des Macntpokers. Für eine neuerliche Einsetzung dieser Norm, eine Verfassungsänderung, bräuchte die Politik aber eine 2/3-Mehrheit im Parlament, über welche die Koalition alleine nicht verfügt. Die Fraktionsvorsitzende der Neuen Zeit, Solvita Aboltiņa, zweifelte an einer Unterstützung, die Vergangenheit habe gezeigt, daß dieser Artikel oftmals in fragwürdiger Weise angewendet wurde.
Die Legislaturperiode dauert noch volle zwei Jahre. Eine Regierung ohne Für Vaterland und Freiheit aber mit dem Harmoniezentrum müßte also keineswegs mehr als ein Jahr im Amt bleiben, um die Verwaltungsreform zu realisieren. In den letzten zwölf Monaten vor dem Urnengang könnte sich die Volkspartei dann den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen schreiben, um ihre Wähler zurückzugewinnen, und diese Ambition unterstreichen durch eine neuerliche Koalition mit der Neuen Zeit.