26. Dezember 2013

Alles nur ein Spiel

Eine der möglichen Strategien, Feiertage in der Familie gut zu überstehen sind Spieleabende - in Deutschland sind es neben Skat, Doppelkopf und Rommé vor allem Brettspiele. In Lettland scheint es einen gewissen Boom oder eine Renaissance vom gemeinsamen Spielen an einem Tisch zu geben - trotz aller Internet-Euphorie, oder auch gerade deshalb.
Wer in Lettland zum Beispiel zu "Riču raču" eingeladen wird, sollte nicht voreilig sagen "Kenne ich nicht!". Denn was in Deutschland am ehesten dazu geegnet erscheint, sich und andere zu ärgern (Mensch, ärgere dich nicht!), das wird lettisch zum "Ritschen und Ratschen" genommen. Was Deutschland (so weit ich weiß) nicht zu bieten hat ist die Verfilmung und Vertonung der Spielidee, so wie es das sowjetlettische TV in Riga im Stil der frischen 60er Jahre fertig gebracht hat (siehe hier). Das Filmchen und auch die Aufnahme dieses Liedchens in das Repertoire so manchen Schulchores wurde kurzfristig dem Ziel gerecht, dem sonst tristen Sowjetalltag mehr Schwung zu verleihen - und vielleicht auch von anderen musikalischen Tendenzen von damals wie Beatles, Stones, Hendrix oder Elvis Presley abzulenken.

Ein anderes, in Lettland inzwischen sehr erfolgreiches Spiel (weil oft verkauft) ist "Katanas ieceļotājus" - die Siedler (von Catan). "Ich habe in Deutschland auf Messen neue Inspirationen gesucht," so erzählt Egils Grasmanis. "Ich bin von Stand zu Stand gegangen und habe nach der Erlaubnis gefragt eine lettische Version herauszubringen." Zuvor hatte er eher mit Haarpflege zu tun: "Damals habe ich noch 'Wella'-Produkte in Lettland verkauft. Und dann hat mir 2003 jemand aus den USA 'Settlers of Catan' mitgegbracht," erzählt Egils, "danach haben wir zwei Tage am Tisch gesessen und nur dieses Spiel gespielt." Die lettische Ausgabe wurde dann die 19.Sprachvariante des Spiels.In Deutschland hergestellt, vertreibt Grasmanis von Riga aus inzwischen auch litauische und estnische Spielvarianten.

Heute betreibt Egils seinen eigenen Spiele-Shop in Riga (Prāta spēles / Brain games) und versucht sich auch daran, selbst Spiele zu erfinden oder zu "latvisieren" - Letten mögen es, wenn der Spielinhalt Bekanntes aus Lettland aufnimmt, und natürlich Anleitung und Figuren an Lettisches erinnern. "Aber um die Kosten für die lettische Fassung eines Spiels wieder herein zu bekommen, muss ich von einem lizensierten Spiel erstmal 3.000 Spiele verkaufen - denn alles wird bei unserem Geschäftspartner in Deutschland hergestellt," stellt Grasmanis klar. Bei den "Katanas ieceļotājus" war das kein Problem -  heute versucht es Egils aber auch mit in Lettland erfundenen Spielen, wie er in einem Interview mit der Zeitschrift "IR" erzählt. So vertreibt Egils ein Spiel "Centraltirgus" (Erfinder:Edgars Zaķis), bei dem gehandelt werden kann ganz wie in den realen Zentralmarkthallen. Und auch das offizielle Spiel des Rigaer Eishockey-Spitzenklubs "Dinamo Rīga" ("Pirmais Piecinieks") ist bei "Ludo", einer der angesagten Spieleläden in Riga und Partner von "Brain Games", zu haben.

Nach einem kurzen Boom fürs lettische "Scrabble" oder "Kuģu kauja" ("Schiffe versenken") sorgte in den vergangenen Jahren zunächst die Aufnahme von "Riga" in die internationale Ausgabe bei "Monopoly" für Aufsehen. Letten reisten voller Stolz bis nach Las Vegas (siehe "Kas Jauns") zum Mitspielen beim "gegenseitig übers-Ohr-hauen" - ähnlich wie im realen Leben. Die Entstehungslegende sagt, Monopoly sei 1934 von einem Arbeitslosen erfunden worden - das bringt vielleicht Sympathiepunkte bei den Monopoly-Liebhabern.

Spielfeld "Riga" zwischen der Steuerbehörde
und dem "Ereignisfeld", mit hohen
Mietkosten - wie im richtigen Leben?
Auch einen "Liivu laukums" ist inzwischen bei einigen Spielversionen bereits integriert worden. Und nach einem kleinen Boom für eine lettische "Scrabble"-Version haben es die lettischen Mitspieler der "Siedler von Katan" inzwischen schon weltweit in die Ruhmenhallen der erfolgreichen Brettspieler geschafft. Seit über 10 Jahren gibt es "Katan-Weltmeisterschaften", 2007 schaffte es der Lette Arnis Buka auf den WM-Thron, 2010 war Māris Logins immerhin Zweiter. Auch "Carcassonne", nach einer französischen Stadt benanntes Legespiel und in Deutschland im Jahr 2001 mal "Spiel des Jahres", hat in Lettland inzwischen eine feste Fangemeinde, das bestätigt auch Jānis Grunte, Geschäftsführer des Spieleladens "Ludo". Bei den Turnieren seien gegenwärtig noch wesentlich mehr männliche als weibliche Teilnehmer anzutreffen, stellte Grunte einmal in einem Interview für "Diena" fest und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: "Es geht ja das Gerücht, dass die Jungs nie erwachsen werden und nur ihre Spielzeuge wechseln."
Dass die Computerspiele einmal in Lettland den Markt der Brettspiele übernehmen könnten, glaubt Grunte nicht: "die Leute wollen sich auch unterhalten dabei, an einem Tisch zusammen sitzen. Mit richtigen Freunden zusammen sein, statt nur mit virtuellen."

Auch mit der lettischen Vorliebe für
historische Legenden wird gerne gespielt
Allerdings können sich die relativ kleinen lettischen Spielerfinder und -firmen keine großen Reklamekampagnen erlauben - diese Rolle nehmen die lettlandweit organisierten Turniere ein. Und hier nehmen die international bekannten Spiele die Leitfunktion ein. Oder man macht es wie Spielerfinder Jānis Gruzinskis, der mit seiner Idee vom "Königreich Goldingen" erstens auf vermeintlich glorreiche Zeiten Kurlands anknüpft, zweitens aber eher auf die Verbreitung durch das Internet und die lettischsprachigen Netzwerke wie "draugiem" setzt. Die Mischung aus "virtuellen" und persönlich ansprechbaren Mitspiel-Interessenten soll es also machen. Anfang 2013 gründete Gruzinskis eine eigene Firma zur Verbreitung seiner Spielidee und hofft auf Zukunftschancen, in dem er sich über Facebook, Youtube bis zu Twitter überall präsent zeigt. Vorerst freut sich Gruzinskis über jeden Zeitungsbericht ("ein Spiel das in Lettland geboren wurde"), und schreibt in seinem Blog Berichte über "Gastspiele" mit Freunden und Verwandten, denen er sein Spiel offenbar persönlich zur Probe vorbeibringt und von seinem Motto zu überzeugen versucht: "Wieviel Liebe in den Ergebnissen unserer Arbeit steckt, das ist entscheidend!". Auch "Goldingen" ist inzwischen in den lettischen Spieleläden aufgetaucht: vielleicht eine zukünftige spielerische Erfolgsgeschichte?

23. Dezember 2013

Dieses Jahr kein Weihnachtsmann

Lehren der Jahresbilanz 2013: 10-15 Lat Geldstrafe drohen Supermarktangestellten, die ihren Arbeitsplatz unaufgefordert verlassen - auch in dem Fall, wenn die Alarmanlage des Hauses minutenlang warnt. Alarmanlagen heulten in Riga in der Vergangenheit oft und scheinbar unbeachtet - das hat sich vorerst geändert.

Euro-Einführung und Kulturhauptstadtsjahr: wer
braucht schon eine Regierung?
Keine Bescherung
Ein "Moment der Wahrheit" für die lettische Bauwirtschaft wird der Supermarkt-Einsturz in Riga inzwischen genannt. Überraschend dann der Rücktritt von Regierungschef Dombrovskis, der die Hintergründe seiner Entscheidung in einem Interview mit der Zeitschrift "IR" so darstellte, als ob er erst im Laufe des Gesprächs mit Präsident Bērziņš den Entschluss zum Rücktritt gefasst habe. Seltsam hintergründig klingt dabei die immer wieder zu lesende These Dombrovskis, es müsse nun eben eine neue Regierung mit einer soliden Parlamentsmehrheit und einem neuen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung die nächsten wichtigen Beschlüsse fassen - wo er selbst doch bisher immer auf eine solche Mehrheit bauen konnte, und nicht einmal die Opposition seinen Rücktritt in diesem Zusammenhang gefordert hatte.
Wo soll nun die "solide Mehrheit" aber herkommen? Turnusmäßig wird im Oktober ein neues Parlament gewählt, und jeder Regierungschef wird bis dahin ein Regierender auf Abruf sein. Einige werden schon im Mai 2014 abberufen werden - dann nämlich, wenn sie erfolgreich als Repräsentanten Lettlands im Europaparlament kandidieren. Dombrovskis aber, gefragt nach der Richtigkeit seines Entschlusses, wenn er doch einerseits eine "stabile Mehrheit" im Parlament eben durch den Rücktritt erreichen wolle, schiebt die entstandene Entschlußlosigkeit auf das Unvermögen der Parteien. So bleibt - trotz Rücktritt - das unbestimmte Gefühl, Dombrovskis habe in erster Linie doch seinen eigenen Ruf retten wollen.

Zwar seien für Unglück im Stadtteil Zolitude private Firmen verantwortlich, aber aufzuarbeiten seien vor allem die Fehler im lettischen System der Bauaufsicht, so sieht es Dombrovskis. Auch der Verdacht von Korruption in diesem Zusammenhang sei aufzuarbeiten, bestätigte er. Auch gäbe es weiterhin Schwierigkeiten im lettischen Justizsystem. Interessant auch Dombrovskis Äußerungen, er schließe zwar seine Rückkehr als Ministerpräsident aus, nicht aber die Übernahme eines Ministeramts oder die Kandidatur fürs Europaparlament.

Ursachen & Ämter
Mehr als 200.000 Euro stellte das Ministerkabinett für eine Untersuchungskommission bereit, welche die Ursachen des Unglücks untersuchen soll. Drei dafür vorgesehene Personen traten bereits wieder davon zurück, und zweifelten teilweise bereits die Kompetenzen der vorgesehen 46 (!) Mitglieder dieser Kommission an: Baiba Rubesa, Unternehmerin, Jānis Kažociņš, Ex-Büroleiter des Verfassungsschutzamts, und Inese Voika, Vertreterin der Anti-Korruptions-NGO "Delna". Die Tageszeitung "Dienas bizness" fühlte sich bereits veranlasst, die Vorgänge um die Bildung dieser Kommission als "Business-Projekt auf den Trümmern des eingestürzten Supermarkts" zu bezeichnen.

Was noch bleibt: die Fragezeichen bezüglich der Rolle des Präsidenten. Ja, der Rücktritt habe erst nach einem Gespräch mit dem Präsidenten festgestanden, so Dombrovksis. Nein, Bērziņš habe nicht versucht ihn vom Rücktritt abzuhalten. Kommt etwa jetzt doch noch der Einfluß jener Parteien zum Tragen, die Bērziņš 2011 als Gegenkandidat zum von der Regierungsparteien "Vienotība" bevorzugten Valdis Zatlers ins Amt hoben?
Mehr als vier Jahre lang musste in Lettland kein Kandidat fürs Amt des Regierungschefs mehr gesucht werden - da fällt es offenbar auch innerparteilich schwer sich zu einigen. Namen werden viele gehandelt: Māris Riekstiņš, Ex-Außenminister und gegenwärtig Lettlands Botschafter bei der NATO, Landwirtschaftsministerin Laimdota Straujuma, oder der gegenwärtige lettische Botschafter in Japan, Pēteris Vaivars. Dann einigte man sich auf Verteidigungsminister Artis Pabriks, aber hier legte Präsident Bērziņš selbst sein Veto ein und offenbarte so, dass er keineswegs neutral bleiben wird bei dieser Auswahl. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diejenigen Kräfte, die bei der vergangenen Wahl scheiterten - also vor allem die unternehmer- und Ex-Oligarchen-freundlichen Kräfte der "Par labu Latvijai" (Ex-Volkspartei-Gründer Andris Šķēle, "Bulldozer" Ainārs Šlesers) erneut ihre Chance suchen. Also wird nur ein möglichst schwacher Regierungschef diesen Interessen gerecht? Eine Art "Frühstücksdirektor" des Präsidenten?
Inzwischen gab Bērziņš bekannt, erst am 7.Januar einen Kandidaten als Regierungschef benennen zu wollen, der dann versuchen muss die Mehrheit des Parlaments für sich zu gewinnen.

Auch anlässlich der gegenwärtigen "Gnadenerlasswelle" und Putins Werbekampagne für Sotschi spielt Präsident Bērziņš wieder eine Rolle. Keine zögerliche diesmal: im Gegensatz zur litauischen Kollegin Grybauskaite, die ähnlich wie Joachim Gauck bereits einen Besuch in Sotschi ausgeschlossen hatte, bestätigte Bērziņš bereits jetzt seine olympischen Besuchspläne."Ein Verhalten, moskau-dienlich fast wie zu Sowjetzeiten," urteilt Edvīns Šnore, Kommentator der Tageszeitung "Latvijas Avize", und vergleicht Bērziņš mit dem litauischen Ex.Präsidenten Paksas, den das litauische Parlament seines Amtes enthoben habe als seine engen Beziehungen zur russischen Mafia deutlich geworden seien.

Die Situation in Ländern osteuropäischer Nachbarn sehen Lettinnen und Letten dagegen eher unaufgeregter als die Deutschen. Nun ja, es gibt auch keinen lettischen Sportler, der - seine potentielle Popularität nutzend - sich auf eine Bühne in Kiew hinstellen würde, und den Ukrainern den Beitritt zur EU empfehlen würde. Eher spricht da schon ein Kommentar von Juris Paidars in der lettischen Zeitung ""Neatkarīgās Rīta Avīzes" für die lettische Sicht, der schlicht feststellt, die EU brauche eben die Ukraine als Absatzmarkt für "Wachstum" und wegen der billigen Arbeitskräfte. Paidars beruft sich dabei auf den Russland-Spezialisten Mark Adomanis vom Magazin Forbes, welcher die Ukraine als "faktisch bankrotten Staat" bezeichnet, der "in hohem Tempo Einwohner verliert und dessen Ökonomie nur noch halb intakt" sei.

Neujahrspläne
Mit Interesse wird dagegen der Moment des Beitritts zur Eurozone vorbereitet, auch wenn momentan kein Regierungschef für entsprechende symbolische Handlungen zur Verfügung steht. Da wird sich Präsident Bērziņš natürlich "ersatzweise" gern zur Verfügung stellen, und hat für den 2.Januar schon eine Verabredung: dann wird er im nordlettischen Ruijena mit seinem estnischen Amtskollegen Thomas Hendrik Ilves dort ein (lettisches) Eis (!) essen gehen.
Nach dem "dunklen November" ist Lettland auf der Suche nach einem "hellen Januar". Ach ja, und Weihnachten war ja auch noch; die politische Bescherung kam schon vorzeitig. Die nächsten "Geschenke" also erst wieder 2014 ....