26. Mai 2012

Vor 10 Jahren, ach ....

Nur 10 Jahre ist es her, als Lettland ausgerechnet im häufig beneideten Nachbarland Estland einen großen Sieg einfuhr: Marija Naumova gewann mit "I wonna" den Eurovision Song Contest (ESC) des Jahres 2002 in Tallinn. Das Land, noch kaum bekannt in Europa, machte einen kollektiven Jubelsprung, und schaute sich ungläubig um: kann das sein, dass wir in Europa mithalten können? Zwei Jahre vor dem EU-Beitritt und ein Jahr vor der Volksabstimmung darüber sorgte das Ereignis zwar für jahrelange Verstimmung in Westeuropa (fortan war davon die Rede, "die Osteuropäer" würden sich nur gegenseitig die Stimmen geben, jenseits jeder musikalischen Qualität). Aber die nachhaltige Wirkung dieses Sieges und dessen internationale Nachwirkungen sorgte sicherlich ein wenig für europäisch-positiven Optimismus von Europa mit offenen Armen empfangen zu werden.
Als Siegerin von 2002 moderierte Marija Naumova im
Jahr darauf den Contest zusammen mit
Renārs Kaupers („Brainstorm“) und strahlte von
allen Großbildleinwänden in Riga
Zwar war die Ausrichtung des ESC im darauffolgenden Jahr auch von ähnlichen Aktivitäten begleitet wie momentan in Baku (russische Aktivisten versuchten die internationalen Medien in Riga auf die Lage der russischen Minderheit aufmerksam zu machen). Aber insgesamt wurde "Marie N." (wie sie sich auch nannte), die ja selbst russisch stämmig, allerdings fließend Lettisch sprechend ist, nachhaltig zu einer ähnlichen "Respektsperson" in der lettischen Musikbranche wie es heute Lena in Deutschland zu werden scheint.

Die große Begeisterung für Marie N, Lettland und
die Eurovision liegt lange zurück
Heute scheinen diese berauschten Zeiten schon sehr lange zurück zu liegen. Eine Zeitlang konnten die Letten noch mitleidig auf die litauischen Nachbarn herabsehen, die im Falle der traditionellen "Dainas" und deren Anerkennung als Weltkulturerbe noch mithalten konnten, aber bei der Eurovision noch nie unter die ersten Drei kamen (Lettland mit "Brainstorm" und "Marie N." gleich zweimal). Das passte zum lettischen Selbstwertgefühl, eigentlich immer schon besser singen als Reden halten zu können.

Proben zum Songcontest in Riga 2003: "Lou" sang für
Deutschland, und Ralph Siegel war wie so oft dabei
Ist Lettland die Eurovision inzwischen gleichgültig geworden? Wenn es nach der Zahl der Wortmeldungen in den lettischen Internetforen geht, nicht. Zwar hat sich in manchen Medien so ein leicht lakonisch-ironischer Kommentarton eingestellt, wie es auch in Deutschland vielfach üblich ist: abfällig bewerten, und vielleicht doch anschauen. In den vergangenen Jahren scheiterten lettische Beiträge regelmäßig im Halbfinale. Was national gut funktioniert (etwa der nach dem guten alten "Liepajas-Dzintars" aussehende Langmähnenlook von "Fomins & Kleins"), oder die in Lettland erfolgreiche Sängerin "Aisha" scheiterte entweder an eigener Nervosität (fehlender "Abgebrühtheit"?) oder der engen Konzentration auf angeblich "typisch lettisches". Lediglich totale Maskerade und Verzicht auf nationale Wiedererkennbarkeit ("Pirates of the Sea") ebnete wenigstens noch den Weg in ein Finale.

Nun also das erneute Scheitern mit AnnMarie. Aber diesmal scheint es nicht einfach unter dem bekannten Spruch "Eiropa mums nesapratis" ("Europa versteht uns nicht") abgehakt zu werden. Alt-Meister Raimonds Pauls meldete sich zu Wort, und viele stimmen seinen Thesen zu. "Keiner hat das Recht mit dem Finger auf Annmarie zu zeigen", meint er. Vielmehr sei er schockiert gewesen über die quasi nicht vorhandene Bühnenshow und das furchtbar altbackenen Outfit der lettischen Protagonistinnen. Man sollte sich ein Beispiel am dänischen Beitrag in Baku nehmen: der Song nichts besonderes, aber die Bühnenshow ideenreich. "Man war angeregt hinzuschauen", meint der Komponist vieler bekannter lettischer Lieder und Ex-Kulturminister. Und ein wenig scheint es in Lettland auch zu wurmen, dass ausgerechnet Putins Russland mit einem lustigen Folklore-Song a la "Suitu sievas" Erfolg hat. Ähnliches empfiehlt Pauls dem eigenen Land auch für die Zukunft, oder vielleicht einen der charmanten Schauspieler Lettlands - Jānis Paukštello, Harijs Spanovskis oder Andris Bērziņš zum Beispiel - mit einem Lied auf die europäische Bühne zu schicken. Wem halten die Letten heute abend die Daumen? Natürlich den estnischen und litauischen Nachbarn vermutlich - aber vielleicht schwingt sogar etwas Sympathie für die udmurthischen Omas mit.

24. Mai 2012

2014 als Jahr der "bereinigten Kultur"?

Wie in diesem Blog schon mal erwähnt (siehe: Weltgeltung gesucht), erscheint manchmal offenbar der Kandidatenstatus zur Europäischen Kulturhauptstadt genauso lustvoll ausgekostet zu werden wie das Kulturhauptstadt-Jahr selbst. Kein Stadtfest, kein Europatag bleibt schon dieser Tage ohne einen Hinweis auf "Riga 2014" - zuletzt war es am 12.Mai ein "Europäisches Gartenfest", auf dem der Hauptaugenmerk des propagandistischen Aufwands gelegt wurde. Der Mai ist vielleicht sogar die "heißeste" Jahreszeit dafür, wenn es um die Beanspruchung öffentlicher Flächen für verschieden präsentierte Interpretationen von Kultur, Geschichte und Nation geht. Hier folgen Tag der Arbeit, Volksfest im Mežaparks, Muttertag, Unabhängigkeitserklärung, Weltkriegsende, Europatag in dichter Abfolge hintereinander, und als ob es noch nicht genug wäre, kommen auch noch Fahrradaktionstage, der Riga-Marathon, der von Zehntausenden genutzte "Tag der Museen", Meisterschaften im Rollschuhlaufen und in der Orientierung, und Schulsportwettbewerbe dazu. Da haben es die Ausrichter des Kulturkalenders für 2014 bestimmt schwer, könnte man denken, hier alles zu seiner Geltung zu verhelfen und keinen zu vernachlässigen.

Sowjetromantik im Rigaer Stadtbild (hier am
9.Mai 2008) - Bedrohung fürs lettische Image
im Jahr 2014?
Doch weit gefehlt! Die internationale Aufmerksamkeit der "Riga2014"-Kampagne scheint einigen wohl zu wichtig, um einfach abzuwarten welche Veranstaltung denn wohl das meiste Aufsehen erzeugen wird im Mai 2014. Da kommen Profilierungssehnsüchte zum Vorschein. Olafs Pulks, seines Zeichens Parlamentsabgeordneter der Regierungsfraktion „Vienotība“ ("Einigkeit"), der auch Regierungschef Dombroviskis angehört, forderte nun die Absetzung von Diāna Čivle, die seitens der Stadtverwaltung für das Programm "Riga2014" verantwortlich zeichnet. Grund: in einer Infobroschüre zum bevorstehenden Kulturhauptstadtjahr war auch die regelmäßig am 9.Mai durchgeführte Manifestation zum Gedenken an den "Sieg über den Faschismus" mit erwähnt worden, an der regelmäßig Zehntausende Menschen teilnehmen - die allerdings vorwiegend als Treffpunkt der Russischstämmigen angesehen wird und auch nicht als völlig frei von jeglicher Sowjetromantik bezeichnet werden kann. Da aus lettischer Perspektive das Kriegsende eher als Beginn einer weiteren Okkupation denn als "Befreiung" angesehen wird, möchten radikale vermeintliche Verteidiger des Lettentums offenbar am liebsten die trotz Widerspruch zur staatlich inzwischen propagierten Geschichtsinterpretation regelmäßig stattfindende Massenveranstaltung aus der öffentlichen Aufmerksamkeit heraushalten. Aber nicht nur das: Nicht hingehen wäre das eine - aber offiziell totschweigen ist ja das andere. Da die „Vienotība“ zwar lettlandweit den Regierungschef stellt, im Rigaer Stadtrat aber in der Opposition sitzt, suchen einige hier offenbar schon heute jede sich bietende Gelegenheit um sich für die Stadtratswahl am 1.Juni 2013 zu positionieren. "Dem lettischen Staat fremde Feierlichkeiten" dürften nicht durch "Riga2014" beworben werden, meint Pulks (siehe "Kas Jauns", 22.5.12).

Diāna Čivle, eine der von Seiten der Stadt Riga
Hauptverantwortlichen für das Programm zur
Kulturhauptstadt 2014 (hier beim Europatag 2011)
Pulks Forderungen stellten sich damit in eine Reihe mit ähnlichen Ereiferungen der lettischen Radikalnationalisten von "Visu Latvijai!"-"Tēvzemei un brīvībai"/LNNK / VL!-TB/LNNK („Alles für Lettland“ / „Für Vaterland und Freiheit“). "Öffentlich entschuldigen" solle sich Bürgermeister Ušakovs nach Meinung der selbst ernannten National-Moralisten dafür, dass "unter der Aufsicht des Stadtrats eine Touristeninformation publiziert worden sei, die ebenfalls die Manifestationen zum 9.Mai erwähne" (Kas Jauns). Dies sei zu werten als „heimlicher Versuch totalitäre Regimes wieder populär zu machen, die das Leben unzähliger lettischer Familien zerstört haben“ - und leider meinen hier die selbsternannten Lettland-Verteidiger NICHT gleichzeitig die Vorgänge am 16.März, die mindestens genauso stark unter einem ähnlichen Verdacht stehen (bezüglich der lettischen SS-Veteranen).

Jeder "säubert" also für sich allein. "Anti-Faschisten" sortieren alle ins Abseits, die sich den eigenen öffentlichkeitswirksamen Propagandaaktionen nicht anschließen mögen, und "Nationalisten" üben sich in einer Definition dessen, was öffentlich "lettisch" genannt werden darf und was nicht. Die Stimmung der Volksabstimmung vom Februar - die damit wieder hochgekommende Schwarz-Weiß-Malerei - hält offenbar immer noch an.

Da kommt der Versuch von Bürgermeister Ušakovs, aufkommende Hektik einer selbstgerechten Beurteilung zu vermeiden, noch vergleichsweise gut an. Immerhin sei die nun kritisierte Broschüre bereits 2009 herausgegeben worden, und mit allen Kulturinstitutionen damals abgestimmt worden. "Ich hoffe, auch die Mitglieder von "„Vienotība“ und „VL-TB/LNNK“ besitzen ausreichende Sprachkenntnisse, um sich zu äußern wenn ihnen etwas nicht gefällt." Die Broschüre sei aber keinesfalls als eine Art "Ratgeber" misszuverstehen, sie führe lediglich die verschiedenen Veranstaltungen auf. Kulturministerin Žaneta Jaunzeme-Grende, erst vor wenigen Monaten ins Amt gekommen und ebenfalls der nationalen Liste zugehörig, fordert ihrerseits das Einstampfen der Restauflage der Broschüre.

Ein Zitat: "Every culture has its centre of gravity, its point of reference; there is no cause for one culture having to fight another." (Projektentwurf "Freedom street" im Rahmen des Programms Riga2014) Das Programm scheint hier wirklich sehr ambitioniert. Zitat aus derselben Quelle: "Freedom Street is the axis of the city of Riga, the main street (Via Magna), which has been called Large Sand Street, Aļeksandrovskij buļvar, Petrogradskoje šosse, Revolution Street, Adolf Hitler Strasse, Lenin Street and finally – Freedom Street once more. In 2014 the street will regain its historic names in the form of artistic events along its entire length, above all stressing the invaluable virtue of freedom and democracy."

Ich würde mich ja gerne auf diese spannenden Versuche einlassen können, hier verschiedene Einstellungen, Auffassungen und Kulturen nebeneinanderzustellen - wenn sie schon nicht vereinigt werden können. Aber 2014 bei einem "ideologisch bereinigten" Programm zu Gast sein zu müssen - sollte diese Absicht sich durchsetzen, dann mögen die in Zukunft gedruckten Tourismusinfos dies bitte auch im voraus vorwarnen, damit jeder durch Wegbleiben die Möglichkeit hat, sich nicht missbrauchen zu lassen für billigen antidemokratischen Populismus.

20. Mai 2012

Lettische Flaggen für die Bundesliga

Einmal der erste sein reicht noch nicht!
Wer dieser Tage nach "Artjoms" sucht, weiß was gemeint ist - ein in Deutschland bisher eher seltener Vorname. Wenn schon kaum jemand über die Arbeitsemigration der Arbeiterschaft Lettlands nach Westeuropa redet, dann doch über diejenige der Künstler und Sportler. Artjoms Rudņevs, 24 Jahre alt, bekommt als erster lettischer Fußballspieler einen Vertrag in der deutschen Bundesliga und soll in der kommenden Saison helfen, den Hamburger SV wieder nach oben zu bringen.

Nicht selbstverständlich, dass ein Fußballspieler aus Lettland in Deutschland mit gespannter Erwartung empfangen wird. Liegt es nur an der schlechten Saison der Hamburger, die gerade abgeschlossen ist? Oder liegt es daran, dass über Rudņevs kaum etwas anderes als die allgemeinen Fußballerstatistiken bekannt sind? Rudņevs kommt von Lech Poznań (Posen) und wurde dort in der abgelaufenen Saison mit 22 Treffern erfolgreichster Torjäger. Hoffnungen erzeugt das auch deshalb, da nur zwei Jahre vorher ein gewisser Robert Lewandowski Torjäger in Poznań war und inzwischen als einer der Leistungsträger beim zweifachen deutschen Meister Borussia Dortmund aufläuft. Nun hoffen die HSV-Fans auf Ähnliches.
Ein Foto fürs "Vorher-Nachher"-Archiv:
HSV freut sich auf einen Letten

Vorschußlorbeeren
Der Spruch klingt wie eine Erwartung deutscher Tugenden: "Ich bin bereit für harte Arbeit" zitiert der HSV den Neuzugang auf der vereinseigenen Webseite. Das klingt ähnlich wie Rudnevs Aussagen, die von der lettischen Zeitschrift "IR" gesammelt wurden, nachdem Rudnevs senationell drei Tore im Spiel seines polnischen Clubs gegen Juventus Turin gesammelt hatte: "Hobbys? Nein. Ich habe den Fußball." Und ein grundsolides Leben scheint der in Daugavpils geborene Stürmer zu bevorzugen: Vater Jurijs arbeitet als Bauarbeiter, Mutter Žanna als Köchin. Und auch die eigene Familie ist bereits gegründet: mit seiner Frau Santa hat Rudnevs eine Tochter (Arina). Angewohnheit: nach jedem Tor einen Kuss auf den Ehering. 2010 sagte er noch in einem Interview, das wesentliche was ihm in Polen fehle sei seine Frau. Also Achtung, HSV-Funktionäre: hier muss eine Familie versorgt werden.

Schwieriger wird es bei Fragen nach "sonstigen Hobbys". Artjoms häufigste Antwort: "Mein Hobby ist Fußball. Sonst nichts." Welches Buch er zuletzt gelesen habe, fragte ihn einst das Magazin "IR". Antwort: "Ein romantisches. Den Titel habe ich vergessen." Ein typischer Fußballer offenbar.

Ich bin Lette
Den HSV-Fans kündigt Rudnevs an, künftigt - im Gegensatz zu Polen - die lettische Version seines Nachnamens auf dem Trikot tragen zu wollen: Rudnevs. Andererseits nannte er in fast allen bisherigen Interviews eher Namen aus der englischen oder spanischen Liga, wenn er nach Lieblingsklubs gefragt wurde (auffällig oft: Arsenal London). Gegenüber der Hamburger Presse beeilt er sich nun zu betonen, wie gut der Ruf der deutschen Bundesliga und auch des Hamburger SV sei. Aber in den vergangenen Wochen musste er dann auch mitzittern: der in Aussicht gestellte Vertrag galt nur für die 1.Bundesliga. "Ich will hier international spielen" zitiert das Abendblatt den Neuen, andere Schlagzeilen stehen dem in nichts nach - obwohl Rudnevs als Stürmer der lettischen Nationalmannschaft bisher noch viele Wünsche offen ließ: "Dieser Tor-Lette ist besser als Olic" (Bild), "Hamburgs neue Sturm-Perle" (Mopo), "ein echter Knipser" (Kicker). Da bleibt ihm nur zu wünschen, dass die angebliche Herleitung seines Vornamens (aus dem Griechischen = unverletzbar) ebenfalls ein gutes Omen ist.

Ich bin Russe
Eines der seltenen längeren Interviews, in dem auch ein paar private Fragen gestellt wurden, war vor einem Jahr in der lettischen Zeitschrift "Klubs" zu lesen (vollständiger Text hier). Auch hier waren seine drei sensationellen Tore gegen Juventus Turin der Auslöser, und die Journalisten warteten geduldig mehrere Monate auf einen Gesprächstermin. Bescheiden ordnete sich Artjoms damals noch hinter den bisher bekannteren lettischen Stürmerkollegen ein: Māris Verpakovskis (bekannt durch seine 6 Tore in 10 Spielen der EURO 2004) und Marians Pahars (erfolgreich beim FC Southhampton in England, inzwischen Trainer bei Skonto Riga). "Ich bin Russe" zitiert "Klubs" Rudnevs in der Überschrift des Artikels, und fragt auch zur Bekreuzigungs-Geste des Star-Stürmers nach. "Ja, ich bin gläubig," antwortet Rudnevs und bekennt sich zum orthodoxen Christentum. Besonders seit er im Ausland spiele, danke er öfters Gott für das Erreichte. "Wenn ich daheim in Daugavpils bin, gehen wir auch zur Kirche. Auch in Polen bin ich ein paarmal hingegangen, habe mich einfach auf eine Bank gesetzt und über das Leben nachgedacht."

Und auch ein Hochzeitsfoto ließ er "Klubs" zum Abdruck freigeben. Ein Foto, dass immer neben seinem Bett steht, sagt Artjoms - auch in Polen. Es seien ja auch Muslime und viele polnische Katholiken in Poznań im Team gewesen. Am besten habe er sich mit einem Weißrussen im Team verstanden, zusammen habe man Russisch reden können. Vor jedem Spiel habe ein Priester den Segen gespendet, alle Spieler im Halbkreis. "Das stärkt den Teamgeist, nicht nur physisch, sondern auch geistig" meint Rudnevs, der sich aber vermutlich beim HSV dann mit anderen Teambildungsmaßnahmen anfreunden muss. Ob nun Russe oder Lette ("ich habe nicht viel Gelegenheit Lettisch zu reden, aber habe auch schon etwas Polnisch gelernt", sagte Rudnevs einst "IR"): wenn der erste Stürmerstar aus Lettland in Deutschland erfolgreich sein will, wird man wohl bald viel mehr von ihm hören und lesen können.

Die Hamburger Medien sind vermutlich gnadenlos. Hamburger Fußballfans werden sich vielleicht noch an den ersten "Balten" in der Bundeslige erinnern: Valdas Ivanauskas. Dessen Diskussionen mit seiner Frau Beatrix wurden am Ende fast bekannter als seine 13 Tore in 4 Jahren HSV: als Ivanauskas nach Wolfsburg wechseln wollte, soll seine Frau gesagt haben: "hier kann ich nicht leben." Unter Tränen überzeugte sie ihren Mann, Ivanauskas rettete seine Ehe und ging zurück wieder nach Österreich, wo er auch vorher schon erfolgreich gewesen war. Auch sein nur dreimonatiges Gastspiel als Trainer beim damaligen Zweitligisten Carl Zeiss Jena hinterläßt vermutlich wenig positive Erinnerungen. Also hoffen wir einfach mal, es möge bei Artjoms Rudnevs, dem "Unverletzlichen", besser sein.

6. Mai 2012

Lettlands Eisheilige

Es wäre vielleicht übertrieben, Lettland und Deutschland sportlich auf gleicher Höhe zu sehen: in einem Land von über 80 Millionen Menschen scheint die sportliche Auslese doch ungleich bessere Möglichkeiten zu haben als unter den knapp 2 Millionen Lettinnen und Letten. Aber obwohl die Anzahl der Fußball-Anhänger angeblich auch in Lettland steigt, begründen die beständigen Erfolge der lettischen Eishockey-Nationalmannschaft immer wieder den Status der lettischen Sportart Nr. 1.
Vielleicht trägt der heutige Sieg zur Legende bei: im Rahmen der Eishockey-Weltmeisterschaft 2012 besiegt Lettland die deutsche Nationalmannschaft mit 3:2 - Miks Indrašis, Miķelis Rēdlihs und Aleksejs Širokovs waren die Torschützen. Torhüter Edgars Masaļskis hielt für die Letten den Sieg fest.
"Ein typisches lettisches Spiel", erzählte Starstürmer Kaspars Daugaviņš nachher der lettischen Presse, "alle waren müde, wir hatten nicht mehr viel zuzulegen. Aber mit harter Arbeit und Hingabe haben wir den Sieg erkämpft!"(Sportacentrs) Harte Arbeit als lettische Tugend?
"Deutschland von Letten schockgefrostet" titelt Sport1 über das Spielergebnis. Tugenden? "Die Letten waren sehr schnell" heißt es hier. Außerdem ist von "schlittschuhläuferisch überlegenen Letten" die Rede.
Vielleicht hat auch deutsches "Mitfiebern" gefehlt. Wer sich nur im Fußball auskennt, sollte also im Mai nicht immer nur auf Pokalentspiele und Championsleague schauen. Auch die Frühlingswärme kommt in Lettland immer etwas später - also: im Mai ist die richtige Zeit für (lettische) Eisheilige!