Posts mit dem Label Wirtschaft werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Wirtschaft werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

6. September 2024

Morgenrot macht Roggenbrot

... so.oder so ähnlich könnte der Slogan gewesen sein. Da legt doch das lettische Landwirtschaftsministerium ein spezielles Förderprogramm auf, um Vorschulkindern und Schülern der ersten bis neunten Klassen das Roggenbrot als traditionelles, wichtiges und regionalspezifisches Brot und seine Bedeutung für die Ernährung näher zu bringen. 300.000 Euro wurden bereitgestellt. Allerdings wurde auch schon die Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben in Frage gestellt. Die Förderung der Verwendung von Roggenbrot in der Ernährung solle schon von Kindesbeinen an selbstverständlich werden, so Landwirtschaftsminister Armands Krauze (ogrenet)

Brot für alle - oder doch nicht?

"Die Öffentlichkeit zweifelt an der Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben", so berichtet die lettische Presse (ogrenet). Bis Ende 2024 sollte Roggenbrot kostenlos an Schülerinnen und Schüler verteilt werden. Bildungseinrichtungen sollten außerdem eine Befragung junger Menschen durchführen, um Daten über die Beliebtheit von Roggenbrot und den Wissensstand über seinen Wert zu erhalten. Es war geplant, dass das Projekt mindestens 50 % der Zielgruppe, also etwa 140.000 Kinder und Jugendliche, einbeziehen solle. Doch nun rudert das Ministerium zurück: das Projekt wird gestoppt (NRA / Diena)
Nun heißt es schlicht: der Antragsteller habe seinen Förderantrag zurückgezogen. Begründung: ein Teil der Gesellschaft habe eine unklare und besonders negative Haltung gegenüber der Umsetzung des Roggenbrotprogramms gehabt (lad.gov).

Gefangen im Roggen

Der Verzehr von Brot, einschließlich Roggenbrot, ist in Lettland generell rückläufig, so das Landwirtschaftsministerium (zm.gov) In Lettland werden bereits Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte im Rahmen verschiedener Förderprogramme kostenlos an Schulen verteilt. 

Interessant, dass im Rahmen des neuen Förderprogramms auch Bedingungen formuliert wurden, wie genau "förderungsfähiges Roggenbrot" auszusehen habe. Genannt werden folgende Punkte: a) es wird auf dem Gebiet Lettlands in einem beim Lebensmittel- und Veterinäramt registrierten Unternehmen hergestellt; b) es hat die Form eines Klons; c) wird aus natürlicher Hefe hergestellt; d) das Brot besteht aus mindestens 80 Prozent Roggenmehl; e) das Mindesthaltbarkeitsdatum beträgt am Tag der Veranstaltung noch mindestens vier Tage; f) es erfüllt die Qualitätsanforderungen der Verordnungen über Ernährungsnormen für Studierende von Bildungseinrichtungen.

Brot als Kulturgut

Muss jetzt vielleicht auch der Brotpreis in lettischen Bäckereien mal genauer angeschaut werden? Im Zusammenhang mit der jetzt abgesagten Brotkampagne sind keine Gründe aufgeführt, warum Lettinnen und Letten weniger Roggenbrot konsumieren. Lettisches Roggenbrot (Rudzu maize) ist Teil des sogenannten "Kulturkanons", wo versucht wird typisch Lettisches zu definieren und aufzulisten. Dort heißt es: "Traditionelles Roggenbrot ist ein wichtiger Teil der materiellen und spirituellen Kultur der Letten, der mit der Identität der Nation verbunden ist und ein wichtiges Symbol dafür ist." Aber schon zwei Sätze weiter klingt es nicht mehr ganz so attraktiv, wenn beschrieben wird: in schlechten Zeiten hätte man dem Mehl auch Spreu, Moos, Baumrinde oder Sägemehl beigefügt. Roggenbrot also als Ermahnung an die vielen schlechten Zeiten, die Lettland schon überstehen musste? (so nach dem Motto: ein Roggenbrot kriegen wir immer noch irgendwie hin?)

Brot als Touristenattraktion?

Der lettische Reiseveranstalter "Lauku ceļotājs" bietet eine eigene Sektion "Roggenbrotveranstaltungen" an - vor allem durch ein EU-gefördertes Projekt namens "Rudzu ceļš" (Roggenweg). Hier gibt es Mühlenfeste, Brotfestivals und eine Brotstraße anläßlich des Rigaer Stadtfests. Es bleiben aber zwei Fragen. Findet das alles statt, weil es finanzielle Unterstützung gibt, oder ist es echte touristische Nachfrage? Und wie groß ist der Anteil der einheimischen und lokalen Gäste bei solchen Veranstaltungen? 

Gut, es gibt Umfragen zum Thema. "Latvijas Maiznieku biedrība" (LMB), so etwas wie die lettische Bäckerinnung, machte 2020 ein Umfrage, in wieweit die Covid-Pandemie die Konsumgewohnheiten an Brot beeinflußt. Nicht repräsentativ wahrscheinlich (75% der Teilnehmenden waren Frauen), und gefragt wurde nach der bevorzugten Brotsorte in pandemischen Zeiten. Ganz vorn: Roggenbrot! (36,1%). Zweiter Platz: Roggenbrot mit Samen (20,7%). Gibt es in Lettland überhaupt anderes Brot? Irritierend vielleicht die Antwort aus derselben Umfrage: 22,9% der Befragten gaben an, ihr Brot im Kühlschrank aufzubewahren ... 

Brot plus das gewisse Etwas

Aussagen von Seiten der Herstellerfirmen lassen vermuten, dass zunächst einmal Großbäckereien und auch die Tendenz der Kundschaft, ihr Brot im Supermarkt statt beim Bäcker zu kaufen, erhebliche Veränderungen mit sich brachten. Viele kleine Bäckereien müssen einfach schließen. "Die Kunden kaufen weniger Roggenbrot, statt dessen 'Körnerbrot'", so ein Vertreter der Firma “Liepkalni” aus dem Kreis Valmiera (valmierazinas

Zahlen des lettischen Statistikamtes zeigen teilweise erstaunliche Tendenzen: einerseits setzt sich Weizenbrot langsam gegenüber dem Roggenbrot durch. Andererseits wird auf dem Lande viel mehr Brot gegessen als in der Stadt - und der Vorsprung von Weizenbrot zu Roggenbrot ist gerade auf dem Lande größer geworden. Der Anteil von selbst gebackenem Brot ist in dieser Statistik allerdings nicht erfasst. 

Oft im Sonderangebot

Aussagen des finnisch-lettischen Unternehmens "Fazer" zufolge wählen gerade junge Leute in Lettland gern "Roggenbrot mit Mehrwert" - also Brot mit Samen, Körnern oder Kleie. Das sei ein Trend zur gesunden Ernährung, der sich allerdings auch beim Weizenbrot zeige. Insgesamt sei aber für die Verbraucher in Lettland der Preis des Brotes der wichtigste Faktor. In einer zusammen mit der Agentur SKDS durchgeführten Umfrage erklärten 35% der Befragten den Preis für den entscheidenden Faktor beim Brotkauf - diese 35% kauften vorwiegend Brot aus dem Sonderangebot. Entscheidend ist dabei wohl für die Herstellerfirma, dass gerade diejenigen, die Aktionspreise wahrnehmen, auch am meisten Brot konsumieren. Dieser Umfrage zufolge essen fast drei Viertel (74 %) der Bevölkerung Lettlands täglich Brot zum Frühstück, fast die Hälfte der Bevölkerung (42 %) isst Brot zum Mittagessen und 39 % zum Abendessen.

Vielleicht sollten wir ja dem Ministerium eine andere Aktion vorschlagen: Touristen kaufen ja auch gerne kurz vor dem Abflug am Rigaer Flughafen noch ein paar Scheiben "echtes lettisches Roggenbrot" als Mitbringsel. Wie wäre es da, den Preis dort einfach um 20% zu erhöhen, und die Packungen mit einem Aufdruck zu versehen: "Mit ihrem Kauf unterstützen Sie kostenlose Mittagessen an lettischen Kindergärten und Schulen - dafür herzlichen Dank!"

29. Juli 2024

Alles vom Apfel

Im Land von Auksis und Korta

Eigentlich ist Lettland ein Land der Apfelbäume. "Agra" heißt eine beliebte Apfelsorten in Lettland, einem Bericht der "Latvijas Avize" zufolge. Dazu kommen frühe Sorten wie "Sarkanais Cukuriņš" und "Korta", letzterer soll sogar Birnenaroma mitbringen. Ein anderer Bericht stellt besonders die Beliebtheit der Sorte "Auksis" heraus (delfi).
Allerdings hat sich das Landschaftsbild stark verändert: noch vor wenigen Jahrzehnten, als Lettland Teil des Reichs der Kolchosen und Sowchosen war, konnte man oft reihenweise Apfelbäume am Straßenrand oder auf Brachland sehen - ob sie auch abgeerntet wurden, war nicht so sicher. Aber auf vielen Märkten waren damals Äpfel eine der wenigen immer verfügbaren Waren.  

Neue Zeiten, neue Konkurrenz

Gegner von Lettlands Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) behaupten, seit dem EU-Beitritt seien in Lettland 50.000 landwirtschaftliche Betriebe liquidiert worden (ir.lv-blogi). Ob sie damit stillgelegte frühere Staatsbetriebe meinen, bleibt unklar (Quellen für die Zahlen werden nicht genannt). Gleichzeitig berichten die Apfelbauern von teilweise sehr hohen Ernten (wie im Jahr 2013, siehe DB). Offenbar wurden doch nach 2004 auch viele neue Obstanbau-Anlagen neu gegründet und auf effektives Ernten ausgerichtet - und schon vor 10 Jahren klagten die Betriebe über mangelnde Arbeitskräfte bei der Ernte. In einem Bericht des Instituts für Gartenbau in Dabele, das über 600 Apfelsorten dokumentiert hat, ist nachzulesen, dass einerseits finanzielle Hilfen für Apfelplantagen erst Ende der 1990iger Jahren einsetzten - es waren also auch in diesem Bereich einige schwierige Jahre zu überstehen. Und andererseits gaben noch im Jahr 2002 die meisten Anbieter an, einfach "Bäume am Wohnhaus" zu besitzen.

Im Jahr 2017 erreichte die Gesamtanbaufläche der kommerziellen Apfelplantagen 3.200 Hektar, und damit 33,5 % mehr als im Jahr 2012. Rein statistisch waren das 1,4 Millionen Äpfel und 447 Stück pro Hektar. Am fruchtbarsten sind dabei Apfelplantagen mit Bäumen zwischen 15 und 24 Jahren (710 Stück pro ha) (Statistikamt).

Eines aber ist inzwischen auch in Lettland Alltag: die Konkurrenz durch importierte Äpfel. Was ist also besser? Bei schlechter Ernte drohen sinkende Einkünfte, bei guter Ernte der Mangel an Hilfskräften und schlechte Absatzchancen gegen die Importware. Manche versuchen es dadurch auszugleichen, dass auch andere Obstsorten angebaut werden: Quitten (cidoni), Birnen (bumbieri), oder vielleicht Sanddorn (Smiltsērkšķi)? 

Zur Schule gehen

Lettland schuf ein Förderprogramm für Obst an den Schulen ("Skolas auglim", zusammen mit dem Milchförderprogramm dann "Piens-augli-skolai"). Hier heißt der Slogan "Piens un augļi - mani draugi" ("Milch und Früchte, meine Freunde", zusätzlich auch von der EU unterstützt). Nach Milch, Äpfeln und Birnen, Kohl, Kohlrabi, Karotten, Kürbisse, Steckrüben und Preiselbeeren sind inzwischen auch Tomaten, Gurken und Pastinaken in das Schulprogramm aufgenommen worden - also auch hier stehen die Äpfel in der Konkurrenz des Angebots. Im Schulprogramm 2022/23 waren insgesamt 1372 Bildungseinrichtungen beteiligt, dort wurden 270.073 Schülerinnen und Schüler (95 % der Zielgruppe) mit insgesamt 859 Tonnen kostenlosem Früchten und Gemüse versorgt. "Äpfel stehen dabei bei den Schülerinnen und Schülern immer noch an erster Stelle", so wird Ex-Landwirtschaftsminister Didzis Šmits (bis September 23 im Amt) zitiert, denn einer Umfrage zufolge ergab sich folgende Beliebtheits-Rangfolge: Apfel, Erdbeeren, Blaubeeren, Bananen. 

Gut im Saft

Lettland ist ein Land der Äpfel -  darauf setzt auch jetzt eine Kampagne, die einen weiteren Verarbeitungsweg bekannter machen möchte. Erst nach Zusammenbruch der Sowjetunion lernten Lettinnen und Letten ein Getränk kennen, das eher in Irland, Großbritannien, Spanien und Frankreich bekannt ist: den Cidre, Sidra oder Cider. Manchmal stand auch schon in Finnland prodzierter "Siidre" in lettischen Kühlschränken - aber nun möchte Lettland mehr selbst produzieren. 

Schon heute tauchen die baltischen Staaten in Statistiken auf, bei denen nicht nur nach Gesamtmenge und Umsatz, sondern nach Pro-Kopf-Konsum pro Jahr geschaut wird. "Almigrant" zitiert eine Statistik, der zufolge Großbritannien mit 14,5 Liter Cider pro Kopf zwar weit vorn liegt - danach folgen aber Estland mit 8,1 Liter, Litauen mit 5,1 und Lettland mit 4,1 Liter - und dazwischen Irland mit 6,8 und Finnland mit 7,2 Litern (aber Deutschland nur 0,8 Liter). 

Den Trend nutzen

Warum also nicht aus den vielfach vorhandenen lettischen Äpfeln lettischen "Sidra" machen? Die lettische Vereinigung für Landtourismus "Lauku Ceļotājs" hat nun, unterstützt vom lettischen Landwirtschaftsminiserium, der EU, und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellerfirmen, den "Sidra-Weg" ausgerufen. "Sidra kann so trocken und klar sein wie Sekt und so kühl und erfrischend wie Bier", heißt es hier. Und wenn hier Sidra als "Alternative zu Wein" angepriesen wird - die Winzerinnen und Winzer der übrigen Welt werden es vielleicht verzeihen. 

Ob Gäste aus dem Ausland allerdings die Sidra-Produzierenden auch finden - falls sich jemand mal für eine Kostprobe vor Ort interessieren sollte - das ist durchaus fraglich (in der Infobroschüre sind sogar GPS-Koordinaten angegeben!). Sie sind weit im ganzen Land verteilt, nicht nur in Kurzeme, auch in Vidzeme bis nahe der Grenze zu Estland. Und alle Betriebe verarbeiten nicht nur Äpfel: da scheint es logisch, sich mit einem Reiseorganisator zusammenzutun, um auch die gesuchten Getränke zu finden. Allerdings: Bestellung per Internet ist bei allen Herstellern möglich. Wir lernen außerdem: es gibt inzwischen auch schon "Craft Apple Cider", wohl eine ähnliche Entwicklung wie beim Bier. 

Deutsches und Lettisches

In Deutschland dagegen macht sich die Getränkeindustrie offenbar nur über den vorwiegend in Hessen bekannten "Ebbelwoi" Sorgen: "Apfelwein profitiert vom Cider-Trend", hieß es schon 2020 (getraenke-news). "Neue Märkte in Osteuropa" werden aber immerhin als "Wachtumstreiber" bezeichnet, und auch in Deutschland als "Produktsegment mit stärkstem Wachstum" ausgemacht. "Vinum" schreibt: "Schneewitchen erwacht" - und hofft dabei ebenfalls, dass der Apfelwein den Trend zum Cider nutzen kann. Und das apfelbaumarme Frankfurt hofft mit der Messe "Cider World", dass sich die Welt der Apfelweinmacher einmal im Jahr genau dort versammelt; in diesem Jahr war immerhin auch schon ein Aussteller aus Lettland dabei.

9. Februar 2024

no post today

"Pasta Balodis" ist keinesfalls ein
Nudelgericht - das lehrt die lettische Post

Landleben in Lettland wird zunehmend schwierig: die Schulreform bringt es mit sich, dass viele der kleineren Schulen keine Zukunft haben. Und nun kündigt auch die lettische Post noch an, über 100 Filialen schließen zu wollen. Wird es in Zukunft unmöglich sein, zum Beispiel eingeschriebene Briefe zu versenden, Päckchen oder Pakete aufzugeben, oder Bargeld abzuheben? 

Zu Fuß zur Post - keine Option

Jetzt wird es also in Lettland Gemeinden geben, wo fast 50km Wegstrecke erforderlich sind, um ein Postkontor zu finden (IR) Die Post verspricht: in Zukunft sollen die Postboten auf Bestellung nach Hause kommen, um dort alle Serviceleistungen vornehmen zu können. Die Kunden und Kundinnen zweifeln aber, ob das ohne Preissteigerungen wirklich möglich sein wird. 

In einem Beitrag der Zeitschrift "IR" wird das Beispiel des Bezirks Südkurland durchgerechnet:die 33.000 Einwohner/innen hier leben ziemlich verstreut. Nur 2% von ihnen besuchen Postfilialen, ganze 60% des Umsatzes macht hier der Verkauf von Haushaltswaren aus, die Standard-Dienstleistungen wie Brief- oder Paketversand nutzen lediglich 24%. 

Beāte Krauze-Čebotare, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende bei "Latvijas Pasts", beklagt eine sehr schwierige Finanzsituation der Post (lsm) und erläutert die Entscheidungskriterien so: wenn nur so wenige die Dienstleistungen der Post in Anspruch nehmen, der Rest aber eigentlich etwas anderes sucht - warum dann eine Postfiliale? (IR

Bedarfslösungen - Folgen der Digitalisierung?

"Pastnieks mājās" ("Der Postbote zu Hause") - so wird eine neue Serviceleistung bezeichnet. Eingeführt zunächst während der Corona-Pandemie, erwies es sich als effektiv für Kundinnen und Kunden, die außerhalb der Städte leben (LA). Seit 2020 sind bereits 190 Postämter auf dieses Format umgestiegen oder haben ganz geschlossen. Der Reorganisationsplan der Lettischen Post sieht nun vor, dass 2024 weitere 105 Abteilungen betroffen sein werden - nur etwa 70 blieben dann übrig. 

"Aber wenn ich einen eingeschriebenen Brief bekommen soll," klagt ein Unternehmer in der Zeitschrift 'Druva', "und der Postbote mich nicht zu Hause antrifft, bekomme ich eine Benachrichtigung dass ich es beim Postamt im Landkreiszentrum abholen soll; und das sind 70km Hin- und Rückfahrt." (druva)

An manchen Orten gibt es einen "Pakomat", also ein Paket- und Briefautomat. Aber Achtung - Info der lettischen Post für alle e-Klienten: "Wenn Sie die falsche Paketgröße wählen, wird das Paket zurückgeschickt und die Gebühr wird einbehalten!" (pasts.lv) Und einige Postfilialen sollen nun, ähnlich wie in Deutschland, in Läden, oder sogar in Büchereien eröffnet werden.(lsm)

Die lettische Post setzt offenbar auch auf Autofahrer/innen: "Wir bieten den Empfang von Sendungen aus lettischen Online-Shops an einer von mehr als 50 CIRCLE K-Tankstellen in ganz Lettland an," heißt es (pasts.lv) (Aber auch hier befinden sich etwa die Hälfte dieser Tankstellen in und um Riga).

Natürlich lassen sich auch in Lettland postalische Grüße auch ganz elektronisch-digital versenden - sogar unter Verwendung eines eigenen Fotos. Wer also nicht per "Whatsapp" oder Ähnlichem grüßen möchte, lässt sich eine Postkarte drucken und verschicken: mit der "Pasta Balodis", der digitalen "Posttaube". 

Der Lohn - ein Ehrentitel

Postbotin Solveiga Šķiņķe, im Jahr 2023 als "beste Postbotin in Vidzeme" ausgezeichnet (an dieser Umfrage beteiligten sich 11.475 Postkund/innen), erzählt von ihrer Arbeit: "Ich fahre täglich ungefähr 180 km. Früher hatte ich nur die Gemeinden Ķoņi und Lode, dann kam noch Naukšēni dazu." (Grenzgebiet zu Estland). (ReTV) Ihr Dienst dauert jeden Tag von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags, manchmal länger. Oben drauf kommen dann die Kund/innen, für die sie besondere Dienstleistungen erledigt, dazu zählt manchmal auch, eben mal ein paar Sachen aus der Apotheke zu holen ...

Noch gibt es bei der lettischen Post knapp 3.000 Angestellte - davon 70% als Postbot/innen oder in Filialen. In Zukunft sollen also die "Pastnieki" auch die Rentenzahlungen und Ähnliches dem Kunden direkt zu Hause auszahlen. (jauns) Dazu ist ein Antrag bei der staatlichen Sozialversicherung nötig ("Valsts sociālās apdrošināšanas aģentūra" VSAA), die Gebühr für die Zustellung beträgt vorläufig 2,39 Euro. Die VSAA warnt vorsorglich: der Auszahlungsdatum kann sich ändern - je nachdem, wann der Postbote / die Postbotin Zeit hat zu kommen. 

Wer ist verantwortlich?

Seit der Ankündigung der Einsparvorhaben bei der Post ist auch ein Streit um Verantwortlichkeiten ausgebrochen. Verkehrsminister Kaspar Briškens, auch für die Post zuständig, wirft einigen Managern bei der Post "teure Dienstreisen und Partys" vor (jauns). Daraufhin traten bereits mit Raimonds Dūda und Ivars Blumbergs zwei der Topmanager zurück. Begründung: schwierige Kommunikation mit dem Ministerium. (jauns)

Vielfach wird nun auch die öffentliche Unterstützung der Post durch Steuergelder in Frage gestellt. Wenn Busunternehmen verpflichtet werden können auch wenig rentable Strecken zu bedienen, könnte nicht Ähnliches auch von der Post verlangt werden? Minister Briškens fordert nun von der Post, im Vorfeld bevorstehende Änderungen besser öffentlich zu kommunizieren. "Es reicht nicht aus, dass kurz vor der Schließung der Post ein kleiner Zettel in die Briefkästen geworfen wird, ohne zu sagen, welche Alternativen es gibt und wie viel sie kosten werden." (IR)

Vielleicht finden sich also in Zukunft für ehemalige Postämter ganz andere Nutzungen; so wie etwa das "Pastnieka māja" in der Hafenstadt Liepāja - ein Restaurant. Vielleicht auch für verärgerte Postkunden? Die Werbung verspricht: "Gibt es etwas, das mehr Spaß macht als Liepāja? Ja. Das Leckerste in Liepāja ist eine cremige Karotten-Spinat-Suppe mit Schlagsahne als süßen Hut."

30. Januar 2024

Zwischenstudien-Aufenthalt

Der Anteil von Studierenden aus dem Ausland beträgt in Lettland immerhin 14%, so berichtete es die lettische Fernsehsendung "De Facto" (lsm) Das sind im Lehrjahr 2023 / 24 insgesamt fast 11.000 Auslandsstudierende (10.801). Aber nur selten bleibt von diesen Tausenden mal einer oder eine nach dem Studium in Lettland. 

Die aktuelle Liste der Herkunftsländer (Stand 10/23):

Indien – 2676
Uzbekistan – 1266
Schweden – 896
Ukraine – 842
Deutschland – 759
Šri Lanka – 696
Russland – 498
Finnland – 496
Türkei – 325
Azerbaidschan – 240
Norwegen – 222

Durchschnittlich 14% also. (LVPortal) Aber einige lettische Hochschulen sind erfolgreicher beim Einwerben von Studierenden aus dem Ausland: bei der Wirtschaftshochschule "Turība" sind es sogar 40%. "Studieninteressierte entscheiden sich nicht nur für Studiengänge und alles drumherum, sondern auch für die Länder, in die sie gehen.“ So sieht es Imants Bergs, Vorstandsvorsitzender bei „Turība“.

"Für Kanada hat es nicht gereicht, da habe ich Lettland gewählt", so Jogešs aus Indien, der an der Rigaer Technischen Universität (RTU) studiert. Den Angaben des zuständigen lettischen Ministeriums zufolge entschieden sich die meisten ausländischen Studierenden für den Bereich Sozialwissenschaften, Handelswissenschaften und Recht (4190), gefolgt von Gesundheitswesen und Sozialfürsorge (3075) und dann Naturwissenschaften, Mathematik und Informationstechnologien (1461).
"Bei uns wählen die Studierenden in erster Linie Ingenieurwissenschaften, Computersysteme und dann Wirtschaftsprogramme", so sagt Zane Purlaura-Poriņa, an der RTU zuständig für die internationale Zusammenarbeit. 

Selten bleibt jemand da

Studierende aus Deutschland, aber auch aus Schweden, Finnland, Italien und Norwegen sind meist an einem Medizinstudium in Riga interessiert. Bei den Studierenden aus Deutschland zeigt sich zudem noch eine andere Tendenz: sie kehren nach Deutschland zurück, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet (z.B. auch: Fortsetzung des Studiums). (lsm)

Nach Angaben des lettischen Amtes für Staatsbürgerschaft und Migration (Pilsonības un migrācijas lietu PMLP) bleiben nur etwa 500-600 ausländische Studierende nach ihrem Studium in Lettland. Meist aus privaten Gründen. Und auch deshalb, weil vielen die Wahl einer beruflichen Karriere in einem neuen Land leichter fällt, wenn die Landessprache dort Englisch ist. Angeblich liegt die Zahl derjenigen ausländischen Studierenden, die ihr Studium mit Diplom abschließen, bei 50-80%. Dennoch brechen auch einige wegen fehlender Finanzmittel ihr Studium wieder ab. (lsm)

Studierende als Streitobjekt

Doch offenbar gibt es beim Thema der Studierenden aus dem Ausland nicht nur positive Reaktionen. Es gibt Befürchtungen von Parlamentsabgeordneten wie des ehemaligen Verfassungrichters Gunārs Kūtris, dass sich hinter Personen die Studiengebühren bezahlen einfach Arbeitsmigranten verstecken könnten.

Studierende dürfen in Lettland 20 Stunden pro Woche, in den Semesterferien bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten. (lsm) Ein relativ hoher Anteil ausländischer Studierender kommt aus Ländern außerhalb der EU, also zum Beispiel Indien, Uzbekistan, Sri Lanka. Es gibt sogar noch fast 500 Studierende aus Russland, die schon vor Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine ihr Studium begonnen hatten. "Gaststudierende oder Gastarbeiter"? So fragte ein Beitrag im Portal LSM. Anlässlich eines Treffens mit Parlamentariern verteidigen sich Hochschulverteter: nein, diese Studierenden seien tatsächlich zum Studieren gekommen. "Etwa 80% des Unterrichts finden bei Anwesenheit der Studierenden statt, da gibt es gar keine Zeit um noch zu arbeiten", sagt Toms Baumanis, Vizerektor der "Rīgas Stradiņa universitāte" (RSU). Außerdem würden ja auch Studiengebühren erhoben. Und wenn jemand exmatrikuliert werde, dann bekomme das Migrationsamt PMLP innerhalb von zwei Wochen darüber eine Nachricht. 

Steigende Anfragen

Unabhängig davon, wie studierende Gäste aus vielen Ländern aus lettischer Sicht bewertet werden, das Interesse am Studium in Lettland steigt. So vermeldet zum Beispiel die Rigaer Technische Universität (RTU) im Jahr 2023 mit 3700 Studieninteressierten so viele Anfragen wie nie zuvor in ihrer Geschichte (tv3). Es gibt Schätzungen, denen zufolge Studierende aus dem Ausland auch schon in vor-pandemischen Zeiten etwa 300 Millionen Euro nach Lettland einbrachten. Nun müssen sich die Entscheidungsträger/innen nur noch entscheiden, ob sie diese Entwicklung willkommen heißen - oder eher nicht.

30. August 2023

Ohne Vincents und Charlstons

Auch in Lettland gibt es offenbar eine Krise des Gastrogewerbes - aktuell zu bemerken in der Schließung von zwei der bekanntesten Restaurants der Stadt Riga: dem "Vincents", mit dem (2022 verstorbenen) lettischen Fernsehkoch Mārtiņš Rītiņš als Mitgründer, und dem "Čarlstons", in der nördlichen Innenstadt gelegen. "Schon zu Zeiten der Pandemie haben viele Steuerschulden aufgehäuft, und das ist immer noch eine schwere Last", so erklärt es Lauris Aleksejevs, Vizepräsident der Vereinigung der lettischen Restaurants (Latvijas Restorānu Biedrība LRB) (lsm)

Das "Vincents" wies aber auch auf weitere Probleme hin: "Die Steuerpolitik des Landes ist derzeit so, dass wir nicht überleben können, wenn wir ehrlich arbeiten. Darüber hinaus besteht ein erheblicher Teil unseres Kundenkontingents seit jeher aus zahlungskräftigen Touristen, die Riga derzeit aber nicht mehr als Reiseziel wählen“ (vs.lv)

Insgesamt sei die lettische Gastro-Branche mit 44 Millionen Euro verschuldet, so Aleksejevs. Eine Arbeitsgruppe des LRB ist dabei, Vorschläge zu einer Verringerung der Mehrwertsteuer auf 5% für die eigene Branche zu erarbeiten. Eine andere LRB-Arbeitsgruppe hat es da sogar noch schwerer: sie muss auf die richtige Priorität und Reihenfolge ihrer Forderungen achten. Also: zuerst die Politik so gestalten, dass weniger Fachkräfte ins Ausland abwandern. Dann bereits im Ausland befindliche lettische Fachkräfte möglichst zurückholen. Und erst danach wird dann auch die Erleichterung des Einsatz von Arbeitskräften von außerhalb der EU befürwortet. 

Die Wortwahl ist wichtig: Ziel der lettischen Politik der vergangenen 30 Jahre seit 1991 war ja immer, auf keinen Fall den Massenimport von Arbeitskräften so zu betreiben, wie es zu Sowjetzeiten der Fall war. Ein Werben um Arbeitskräfte aus Russland oder Belarus schließt sich schon wegen der russischen Aggression in der Ukraine momentan sowieso aus. Wenn es nach den Restaurant-Chefs und -Chefinnen geht, soll auch die Zubereitung von im eigenen Lande erzeugten Produkten ein Markenzeichen und Qualitätsmerkmal sein und bleiben. 

Der Rat der Auslandsinvestoren in Lettland (FICIL) hatte in einer Stellungnahme vor einigen Wochen erklärt, das Investitionsklima in Lettland sei "das schlechteste seit sechs Jahren" (jauns). Dazu trage eine nach wie vor vorhandene Schwarzarbeit, Mängel im Bildungs- und Gesundheitswesen, wie auch Fachkräftemangel bei. Als Lösungsmöglichkeit wurde angeboten, Arbeitnehmer aus Ländern außerhalb der EU dazu zu verpflichten, in einem bestimmten Zeitraum in ihre Heimat zurückzukehren, um keine "unkontrollierte" Migration hervorzurufen. Das wäre dann so, als ob Lettland den Status von "Gastarbeitern" wiederbelebt, der in Deutschland als glücklich überwunden gilt? 

Am Ende des dritten Quartals 2022 habe es in Lettland fast 26.000 offene Stellen gegeben - und im Laufe der vergangenen 10 Jahre habe sich diese Zahl verdoppelt, so analysiert das Portal "Delfi-bizness". Die Einwohnerzahl Lettlands hatte sich seit dem Jahr 2002 von damals 2,32 Millionen auf inzwischen 1,88 Millionen verringert - damit sinke auch die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter.  

Eigentümer des "Čarlstons" ist eine "BBQ GmbH", das Restaurant hatte 30 Angestellte. Im "Vincents" haben Prinz Charles, Elton John, Angela Merkel, George Bush und der Kaiser von Japan diniert, es verstand sich auch als Stützpfeiler der "Slow-Food"-Bewegung. Nachdem Mitgründer Rītiņš verstorben war, übernahm mit Uvis Janichenko ein Chefkoch, der zuvor in mehreren „Michelin“-Sterne-Restaurants gearbeitet hatte, unter anderem in Japan, Spanien und Schweden. "Nun aber endet hier ein ganzes Zeitalter", so kommentiert das Portal "Jauns" die Schließung.

25. April 2023

gebildet, ungebildet

Erst im Dezember 2022 hatte sich die neue lettische Regierung (zweites Kabinett Kariņš) auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und hat mit 54 Sitzen die Mehrheit im Parlament (Saeima). Dennoch wurde bereits mehrfach über einen möglichen Sturz von Regierungschef Kariņš spekuliert - ein möglicher Grund wäre gewesen, wenn Präsident Egils Levits sich nicht für eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit hätte entscheiden können - Gegenkandidaten hatten sich bereits positioniert. Levits entschied sich dann doch für eine erneute Kandidatur, nachdem die Nationalkonservativen (“Nacionālā apvienība”) ihre Unterstützung bei seiner Wahl zugesichert hatte (lsm). 

Aber aus einem "ruhig weiterregieren" wird nichts - was sowieso wegen des andauernden Kriegs Russlands gegen die Ukraine schwierig ist. Nun streiken die Lehrerinnen und Lehrer. Am 21. April hatte das Ministerkabinett eine Gehaltserhöhung des Lehrpersonals ab dem 1. September 2023 auf durchschnittlich 1224 Euro beschlossen, inklusive einer Erhöhung des niedrigsten Stundensatzes auf 8,50 Euro (in Vorschuleinrichtungen auf 1240 Euro, in Berufsschuleinrichtungen 1020 Euro monatlich). Der niedrigste allgemeine Stundensatz soll außerdem bis 2025 auf 10,35 Euro ansteigen, die niedrigsten Gehaltssätze für wissenschaftliches Personal an Universitäten um 13 %. Ab dem 1. September soll das niedrigste Monatsgehalt für Professorinnen und Professoren 1982 Euro betragen, für assoziierte Professoren 1587 Euro, Assistenzprofessoren 1270 Euro, für Dozenten und Dozentinnen 1017 Euro und Assistent/innen 810 Euro (lsm). 

Dennoch entschied sich die lettische Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (Latvijas Izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība / LIZDA) zu einem dreitägigen Streik ab dem 24. April und forderte gleichzeitig den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Angaben des lettischen Finanzministeriums zufolge lag die durchschnittliche Inflationsrate im Februar 2023 bei 20,3%, im März noch bei 17,3%. Das Ministerium hofft optimistisch, dass sich dies bis Sommer auf 10% und bis Jahresende auf 4% vermindern lasse (fm.gov.lv).

Gewerkschaftsangaben zufolge beteiligten sich etwa 20.000 Pädagogen und Pädagoginnen an den Streikmaßnahmen. Man sieht sich auch darin getäuscht, dass die LIZDA bereits im September 2022 aufgrund von Zusagen von Regierungsseite einen angekündigten Streik abgesagt hatte - diese Zusagen seien aber nicht eingehalten worden. 

Regierungschef Krišjānis Kariņš und Bildungsministerin Anda Čakša (beide von der Partei „Jauna vienotiba“) sagten weitere Gespräche mit der Gewerkschaft zu. Meinungsunterschiede bestünden unter anderem darin, ob verstärkt die niedrigen Gehälter, oder auch die höheren Gehälter angehoben werden sollten.(lsm)

31. März 2023

Draufgeschaut

Nein, ein Geheimnis wird in Lettland nicht daraus gemacht - weder darum, wie viel Geld lettische Amtspersonen auf dem Konto haben, noch welches Eigentum sie besitzen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass nahezu jedes Jahr im Frühling immer neue "Offenbarungen" in der Presse die Runde machen. Ob Politiker, Staatsanwalt oder Regierungschef: Lettinnen und Letten gehen davon aus, das der Inhalt der Steuererklärungen solcher Personen im öffentlichen Interesse nicht geheim sein kann. 

Wie Journalistin Ieva Jakone für die Zeitschrift "IR" recherchierte, liegt bei Augusts Brigmanis, der in den Jahren 2000 bis 2019 Chef der lettischen Bauernpartei (Latvijas Zemnieku savienība) war, gegenwärtig das größte Vermögen aller Politiker auf dem Konto: ganze 482.300 Euro. Wenn wir nachschauen, was Brigmanis alles schon in Interviews gesagt hat, so finden wir auch diesen Satz: "Ich kann sagen, dass ich finanziell abgesichert bin - ich habe einen Bauernhof und was ich anbaue und verkaufe, reicht mir, ich kann auch meinen Kindern und Enkelkindern helfen." (Jauns) Zählt man die 100 lettischen Parlamentsabgeordneten, plus 14 amtierende Minister/innen zusammen, so kommen acht davon auf Ersparnisse von mehr als 200.000 Euro. Zählt man zum Vermögen allerdings noch mehr als nur das Barvermögen hinzu, dann kommen zwei weitere Personen dazu, und 11 weitere nennen Vermögen von mehr als 100.000 Euro ihr eigen. 

Als "Gegenstück" zu jemand wie Brigmanis macht Jakone die frisch gewählte Abgeordnete Glorija Grevcova aus. Grevcova erregte schon bei ihrer Wahl Aufsehen dadurch, dass sie falsche Angaben gegenüber der Wahlkommision machte - weder die Angaben zur Arbeitsstätte noch die einer angeblichen Ausbildung an der lettischen sportpädagogischen Akademie waren korrekt. Inzwischen ist sie auch schon aus der Partei, auf deren Liste sie gewählt wurde ("Stabilitatei"), ausgetreten (tv3). Laut ihrer Steuererklärung habe sie ganze acht Euro auf ihrem Konto, so Jakone. 

Als Rekordhalter bezüglich der Vorliebe, das eigene Vermögen am liebsten bar aufzubewahren wird der oftmals schon skandalumwitterte Ainārs Šlesers ausgemacht, der seit den Wahlen im Herbst 2022 mit einer neu gegründeten Partei ("Lettland zuerst", ganz nach dem Vorbild von Trump) und 9 Sitzen (6,31%) ins Parlament zurückgekehrt ist (er profilierte sich nun auch als "Impfgegner"). Er gibt laut jüngster Steuererklärung 120.000 Euro Barvermögen an (in den Unterlagen zu seiner Kandidatur 2022 waren es sogar 150.000 Euro). Eigene Aussage dazu: "Ich verstehe das nicht als große Geldsumme" ("IR").
Sein jetziger Parteifreund Kristaps Krištopans, Sohn des Ex-Ministerpräsidenten Vilis Krištopans - in allerlei Immobilengeschäfte verstrickt - fällt mit den größten Schulden auf: über 1,2 Millionen Euro. Er, selbst lettischer Champion im Golfsport, war vor einigen Jahren noch mit der Aussage aufgefallen, ausgerechnet als Partner von Donald Trump in Lettland einen Golfplatz bauen zu wollen (jauns / bnn / nra)

Journalistin Ieva Jakone betont in ihrem Beitrag ("IR"), das es auch Abgeordnete im lettischen Parlament gibt, die im Gegensatz zu den bereits Erwähnten mit erstaunlich bescheidenen Summen auskommen. Da werden auch brav Lottogewinne versteuert: in einem Fall sind es 30.700 Euro, in einem anderen Fall lediglich 24.00 Euro.
Manche dagegen sind großzügig mit Geschenken: eine Immobilie im Wert von 115.400 Euro schenkte Ex-Landwirtschaftminister Uldis Augulis seinem Sohn - steuerlich bedeutete das den Übergang vom Eigentümer an Haus und Grund lediglich nur noch zur Nutzung desselben. 

Das alles muss in Lettland also nicht erst irgendein journalistisches Rechercheteam herausfinden, sondern es sind öffentlich zugängliche Daten (also: nachschauen - gewußt wo!). Diese öffentlich zugänglichen Informationen, seit über 20 Jahren per Gesetz klar definiert, sind abrufbar bei der Steuerbehörde und, vor jeder Wahl, auch beim Wahlamt (Juristavards). Sie umfassen außerdem auch noch den Besitz von Kapitalanteilen und Aktien, wie auch von Fahrzeugen: hier wird der Abgeordnete Andrejs Ceļapīters als der größte "Fahrzeugliebhaber" ausgemacht: er besitzt gleich 12 unterschiedliche Fahrzeuge: mehrere Traktoren, einen Mähdrescher, einen Frachttransporter und auch zwei PKWs.

18. Februar 2023

Es windet sich

Die Journalistin Jana Altenberga wagt sich für die Zeitschrift "IR" an eine Zwischenbilanz der Windenergie in Lettland. Bisher wurden Windparks mit einer Kapazität von 136 MW installiert, schreibt sie - das ist fast fünfmal weniger als in Litauen (671 MW) und nur halb soviel wie in Estland (320 MW). Im Jahr 2021 wurde nur 2,5 % der gesamten Strommenge durch Windkraft erzeugt. 

Dass Windenergie nun auch in Lettland stärker in den Fokus gerückt wird, liegt an den erhöhten Energiekosten, meint Toms Nāburgs, Vorsitzender der lettischen Windenergieverbands. "Durch die technologische Entwicklung und den Anstieg der Strompreise ist eine Förderung von Strom aus Windenergie nicht mehr erforderlich - die Kosten von rund 40 Euro pro Megawattstunde können endlich mit den Marktpreisen konkurrieren. Aber bisher sind auch unsere Staatsoberhäupter zu diesem Thema noch nicht über ein paar schöne Reden hinausgekommen."

Dem Bericht von Altberga zufolge plant der private Netzbetreiber "Augstsprieguma Tīkls AS" Projekte von insgesamt 6.287 MW, davon 1346 MW für Windenergie. Offenbar ist der für Solarenergie vorgesehene Anteil deshalb größer, weil bei Windenergieanlagen die Umweltverträglichkeitsprüfung in Lettland wesentlich umfangreicher ist. Zudem gab es bisher einige Beschränkungen und Verbote, die die verfügbaren Flächen für den Bau von Windparks erheblich einschränken. So durften zum Beispiel Anlagen von mehr als 2 MW nicht näher als 800 Meter von Wohngebäuden und öffentlichen Gebäuden entfernt sein. 

Auch ein neues Unternehmen, die "lettische Windpark GmbH" (“Latvijas vēja parki”), gemeinsam gegründet am 22. Juli 2022 von der Verwaltung der lettischen Staatswälder (Latvijas valsts meži) und dem lettischen staatlichen Energieversorger "Latvenergo" deutet wohl darauf hin, dass in Zukunft auch in Gebieten mit Staatswald gebaut werden soll. Bis 2030 sollen so Anlagen von 800 MW entstehen. Das hat zur Folge, dass offenbar eine Diskussion darüber begonnen hat, "welchen Investoren der Wald zuerst geöffnet wird" - naturfreundlich klingt anders. Raimonds Čudars, gerade frisch im Amt als "Minister für Energie und Klima", scheint vor allem Wert auf gleiche Wettbewerbschancen der verschiedenen Firmen zu legen. 

Ilvija Boreiko, Vorstandschefin bei "Latvijas vēja parki", gibt sich gut vorbereitet: "Wir führen zur Zeit verschiedene ökologische Studien durch, ornothologisch, zu Fledermäusen und anderen Tier- und Pflanzenarten, damit durch Windparks möglichst die biologische Vielfalt nicht beeinträchtigt wird." Diese Studien seien nicht auf Kurland und die Küste nördlich von Riga beschränkt. "Es geht uns nicht darum, wo die stärksten Winde wehen, sondern uns interessiert der Wind in 200-300m Höhe; darauf bezogen ist das Potential in ganz Lettland etwa gleich. Ich denke, wir können bis zu 120 Windturbinen produzieren." Die ersten fertigen Anlagen sollen demnach 2026 in Betrieb gehen. (latvenergo) Dem gestiegenen Interesse entspricht auch, dass Lettland im April 2023 Gastgeber der "WindWorks" sein wird, der bisher größten Zusammenkunft von Expertinnen und Expertinnen der Windenergie in den baltischen Staaten. 

Für den Bau von Windenergieanlagen auf See (offshore) sieht sich Lettland allerdings derzeit noch nicht vorbereitet. Bisher gibt es nur ein einziges Projekt von "Elwind", einem estnisch-lettischen Joint-Venture. Weitere ähnliche Projektanträge wurden vom zuständigen Ministerium bisher abgelehnt. Minister Čudars erklärt das mit noch fehlenden entsprechenden Verordnungen, nach welchen Regeln solche Küstengebiete für Windenergieanlagen freigegeben werden könnten. Das Ministerium arbeite daran. (IR)

5. Januar 2023

Blick nach Süden

Zu Jahresanfang 2023 mahnt Roberts Mencis in der Zeitschrift "IR" alle Lettinnen und Letten mit der These: Ja, haben uns jetzt auch die Litauer schon überholt? Zum einen sei man ja schon gewöhnt, dass schon seit den 1990iger Jahren immer vom steilen Wirtschaftsaufschwung des nördlichen Nachbarn Estland die Rede gewesen sei. Dafür habe man in Lettland ja immer Gründe gefunden: angefangen damit, dass die Esten eben schon zu Sowjetzeiten immer finnisches Fernsehen hätten schauen können, bis dahin, dass Estland eben weitsichtig die Chancen der Digitalisierung genutzt habe. 

Nun aber habe offensichtlich im vergangen Jahrzehnt auch Litauen dem nördlichen Nachbarland in vielen Punkten den Rang abgelaufen. Das zeigt schon die Hauptstadt: Vilnius wächst, und wird in wenigen Jahren die Bevölkerungszahlen von Riga wohl übertreffen (Beitrag)

Mencis hat einige Zahlen zusammengestellt. Schon 2008 sei das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner auf gleichem Niveau gewesen: Litauen habe damals 88% des EU-Durschnitts erreicht - Lettland nur 71%. Als Grund für den relativen Erfolg Litauens gegenüber Lettland hätten Ökonomen insbesondere die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Steigerung des Exports genannt, so Mencis. Dennoch: die Weltwirtschaftskrise 2009 / 2010 habe damals Litauen eigentlich noch härter getroffen als Lettland. Aber: seit damals habe in Litauen stetiges Wirtschaftswachstum begonnen, zuletzt zwischen 2017 und 2021 jedes Jahr um 4%. Und der Export des produzierenden Gewerbes, also zum Beispiel Möbel, Mineraldünger, Lebensmittel, Holz und chemische Produkte, der 2010 34% des Warenexports Litauens ausgemacht habe, läge heute bereits bei 50%. 

Sogar die verschiedenen Krisen des vergangenen Jahrzehnts hätten eher dazu beigetragen, bestehende Absatzmärkte zu erweitern. Nach der russischen Annexion der Krim veranlassten von Russland verhängte Handelsbeschränkungen für bestimmte litauische Waren die Hersteller, die Exportmärkte zu diversifizieren und sich stärker auf die Produktqualität zu konzentrieren. So sei es litauischen Herstellern wie z.B. "Vilniaus Baldai" oder der VMG-Gruppe zum Beispiel gelungen, IKEA zu beliefern und so Litauen zum viertgrößten Möbelhersteller der Welt zu machen. Und sogar während der Pandemie gab es gute Beispiele: durch die Beteiligung des Unternehmens "Thermo Fisher Scientific Baltics" (eine Tochtergesellschaft des US-Unternehmens Thermo Fisher Scientific“) am Impfstoffproduktionsprozess habe sich der Export von chemischen Produkten verzehnfacht. (siehe auch: Invest Lithuania)

"Litauen hat außerdem viel für die Digitalisierung und die Modernisierung von Produktionsanlagen getan, und auch der Hafen von Klaipeda hat sich neu positioniert," sagt Vidmantas Janulevičius, Präsident des Verbandes der litauischen Industrieverbandes. (IR) So betrug der Frachtumschlag in Klaipeda 2010 noch 31 Millionen Tonnen, und lag damals in etwa auf dem Niveau des Hafens in Riga. 2021 stieg die Zahl aber bereits auf 45 Mill. Tonnen, was damit höher liegt als der Gesamtumsatz der drei größten lettischen Häfen zusammen (2022 dann etwas beeinträchtigt durch Sanktionen gegen Russland, Belarus und China).

Janulevičius meint aus seiner Sicht, Litauen sei es eben gelungen lebensfähige Industrieunternahmen zu erhalten, während Lettland viel auf Finanzdienstleistungen setzte und auch zwischenzeitlich Nutzen zog aus dem "grauen Markt", also halblegalen Investitionen von russischer Seite."Wir haben auf die Stärkung eines transparenten, auf Recht und Gesetz basierenden tranparenten Geschäftsumfelds gesetzt," so Janulevičius. (IR

Für die Ölraffinerien, die Möbel- und Mineraldüngerproduktion Litauens sei es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leichter gewesen, den Qualitätssprung hin zu westlichen Produkten zu schaffen, heißt es. Aber in Lettland stellten große Industrieunternehmen, wie beispielsweise im Elektroniksektor, ihre Arbeit fast vollständig ein. Da gab es einfach auch die große Konkurrenz mit Japan oder Korea auf dem Markt.

Pēteris Strautiņš, Chefökonom bei der Bank "Luminor", schreibt außerdem einer aus Sowjetzeiten übrig gebliebenen lettischen Elite eine gewisse Rolle bei der Entwicklung zu. "Da waren einige loyaler gegenüber Moskau als zum eigenen Staat," meint er (IR). Nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit sei eine ganze Reihe von Betrieben von ihrem damals bestehenden Management übernommen worden - und diese seien eben in Litauen weniger "sowjetisiert" gewesen. Zum Beispiel habe es Möbelindustrie ja auch in Lettland gegeben - aber diese sei inzwischen fast völlig verschwunden. 

"Die demografische Struktur Lettlands trug zur Bildung eines politischen Parteiensystems bei, in dem die ethnische Spaltung zum bestimmenden Faktor wurde," so so sieht es der lettische Ökonom Edmunds Krastiņš. "So war hier die Konkurrenz zwischen westlich orientierten Parteien schwächer als in Litauen und Estland, was zu einer Machtkonzentration im Kreis enger Interessen führte. Durch die Prägung der sowjetischen Besatzung entstand eine gewisse Rhetorik, dass die Zukunft der lettischen Wirtschaft eine Brücke zwischen Ost und West sein solle. Das hat eine ziemlich ausgeprägte Ausrichtung auf Russland geschaffen, im Gegensatz zu Estland, das sich an den nordischen Ländern und auch an Litauen orientiert hat“, sagt Krastiņš.(IR)

Auch das gegenwärtige Wachstum der litauischen Hauptstadt Vilnius sehen die Ökonomen vor diesem Hintergrund. Seit 2018 sei auch die Bilanz der Arbeitsmigration in Litauen wieder positiv - es kommen mehr nach Litauen als Menschen ausreisen. - Dennoch, der Satz "die Litauer sind unsere Brüder" sollte Bestand haben. Als Ex-Ministerpräsident Skvernelis 2019 mal die Bemerkung rausrutschte "die Letten sind nicht Brüder, sondern Konkurrenten auf verschiedenen Gebieten, besonders der Wirtschaft" beeilte sich sogar der so Zitierte, das schnell wieder zu korrigieren (er sei von der Presse verzerrt wiedergegeben worden). Und TV-Journalist Andrius Tapinas widmete Lettland "zum Trost" eine ganze Ausgabe seiner Show "Laikykites Ten" ("Haltet durch") nach dem Motto: "kümmert euch nicht um Skvernelis, er noch jung, er muss noch lernen." Aber eine kleine Bitte hat Tapinas, in aller gebotenen Ironie, denn doch: Litauen habe 99km Küstenlinie; gerne würde Litauen daraus eine runde Zahl machen - ob Lettland nicht vielleicht einen Kilometer abgeben könne?

26. September 2022

Weniger 1520, mehr 1435

Es klingt nicht ungewöhnlich, wenn in den baltischen Staaten ein Projekt "Bernstein-Projekt" genannt wird. Es besteht eher Verwechslungsgefahr: seit kurzem aber basteln die drei baltischen Staaten unter dem Slogan "Amber Train" an einer besseren Eisenbahnverbindung. 

Aber Moment mal: läuft das nicht schon mit dem Projekt "Rail Baltica"? -
"Schon bald kann man abends in Berlin in den Zug steigen und morgens in einem der vielen Jugendstil-Cafés in Riga seinen Kaffee genießen,“ sagte Botschafterin Alda Vanaga beim "Mobility Talk" auf der internationalen Transportmesse InnoTrans. Lettland hofft also schon, die Berlinerinnen und Berliner würden vor allem in Riga einen Aufenthalt einlegen. "Rail Baltica" soll den Personenverkehr verbessern - der "Amber Train" wird sich um den Gütertransport kümmern (wo das Personal der Güterloks ihren Kaffee trinken wird, ist bisher nicht überliefert).

Personenzüge auf der Rail-Baltica-Strecke sollen eine Reisegeschwindigkeit von maximal 250 km/h erreichen können - bei Güterzügen sollen es 120 km/h sein. Die Route wird vom litauischen Grenzbahnhof Šeštokai aus über Kaunas, Riga nach Tallinn führen. Drei große multimodale Terminals sollen entwickelt werden: in Muuga (Estland), Salaspils (Lettland) und Palemonas (Litauen) (Lok-Report). Und während vor einigen Jahren sich die Diskussionen immer darum drehten, ob nicht das estnische Tartu oder die litauische Hauptstadt Vilnius einbezogen werden müssen, zeigt nun die Routenführung klar direkt nach Finnland bzw. nach Polen.

Auch die maximale Länge eines zukünftigen Güterzugs haben die Planer/innen schon ausgerechnet: man rechnet hier in Containern, und meint 43 Stück davon hintereinander reihen zu können (das ergibt etwa einen Kilometer Länge) - vorerst zweimal die Woche, später viermal. Projektpartner sind AB "LTG Cargo" (als Teil der litauischen Eisenbahngesellschaft), "LDZ Loģistika" aus Lettland und "Operail" aus Estland. Schon in den vergangenen Jahren hat sich da eine länderübergreifende Zusammenarbeit entwickelt, wenn zum Beispiel "LTG Cargo" die Überholung von Siemens-Lokomotiven übernahm (Lok-Report) - dem steht allerdings auch die Ankündigung der Entlassung von 2.000 Angestellten gegenüber (Baltic Times). Das Unternehmen musste starke Einnahmekürzungen hinnehmen, nachdem auf Grund von Sanktionen von EU und USA weniger Güter aus Belarus und Russland transportiert werden konnten. Ob nun der "Nord-Süd-Korridor" solche Verlust kompensieren kann? 

Eine erste Testfahrt des "Amber Train" genannten Projekts startete am 13. September vom estnischen Hafen Muuga aus (Baltic Times). In Kaunas wurde die Fracht umgeladen - bzw. neue Güter für den Transport nach Finnland aufgenommen. Gemäß den Angaben der Betreiber verläuft die Bahnstrecke über insgesamt 870 Kilometer: 213 Kilometer auf estnischem Terrain, 265 Kilometer in Lettland und 392 Kilometer in Litauen. 

Momentan wirbt "LDZ Loģistika" immer noch mit den
angeblichen Vorteilen einer Bahnstrecke Richtung Osten

Doch einiges hat sich auch inzwischen in der Planung wieder geändert. Noch 2018 war neben der Verbindung Westeuropas mit Finnland auch die "neue Seidenstraße" nach China im Gespräch (Verkehrsrundschau). Ralf-Charley Schultze, Präsident der UIRR (International Union for Rail-Road Combined Transport), wurde damals noch mit dem Satz zitiert: „Während es in Russland keinerlei Verzögerungen gibt, liegt die Pünktlichkeitsquote in Europa bei nur 60 Prozent.“ Und "LDZ Loģistika", eine der Projektbeteiligten, wirbt auch heute noch (September 2022) mit einer stolzen Übersichtskarte der Gütertransporte von Lettland nach China und durch Russland - noch dazu auch mit einer Route durch Belarus in Richtung Ukraine (genannt "ZUBR"). 

Was also gilt wirklich in der Verkehrspolitik der baltischen Staaten, wenn es um den Gütertransport per Bahn geht? Warten die Unternehmen in Lettland etwa in aller Ruhe ab wie der Streit Litauens mit China ausgeht? (entzündet am Thema Taiwan) Wie es aussieht, hat auch in diesem Bereich der agressive Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine alle vor neue Herausforderungen gestellt - und in der Presse werden zwar inzwischen "schöne Schlagzeilen" einer neuen "Nord-West-Zusammenarbeit" produziert - aber die Realität wird noch ein paar Jahre brauchen, um das wirklich ökonomisch lohnend (und nicht nur als "Show-Projekte") umzusetzen. Sofern alle es auch wirklich ernst meinen. 

Seit 2018, dem Start des "Amber-Train"-Projekts, habe sich allerdings einiges verändert, erläutert der Lette Rinalds Pļavnieks bei einem Treffen der Projektbeteiligten: es brauche eine stärkere Orientierung an der tatsächlichen Nachfrage des Marktes. Da fragen wir uns doch: wird die Verbindung gar nicht nachgefragt? Diesen Verdacht scheint der litauische Kollege Mindaugas Skunčikas noch zu bestätigen, indem er die Linie Kaunas-Duisburg als Beispiel nennt - diese würde schon jetzt staatlich unterstützt. Worauf der Lette Pļavnieks wiederum betont: wichtig sei dass alle drei Staaten das Projekt gleichermaßen unterstützen. Sein estnischer Kollege Marko Paatsi (Operail) dagegen betont den Nutzen von "Amber Rail" auch für Finnland: so könnten Zellstoff und Holzprodukte bis hinunter nach Italien geliefert werden. Der Eindruck ist wohl unvermeidlich: Gütertransport nur von Estland nach Litauen hätte wohl wenig Sinn - die Umsetzung wird vor allem davon abhängen, wie stark die Linie durch weitere Partner über das eine oder andere Ende hinaus nachgefragt werden wird.

7. September 2022

Normales Leben?

"Viss normāli !" - die vielleicht am meisten genutzte Antwort von Lettinnen und Letten auf die Frage nach dem eigenen Wohlbefinden. Alles normal? Zumindest der Spruch ist so sehr ins lettische Selbstverständnis übergegangen, dass, wer möchte, sich das zum Motto des eigenen Outfits machen kann. 

Da mag eine einfache Umfrage, so wie sie jetzt in Lettland das Institut SKDS durchführte, als ziemlich profan erscheinen. Es wurde die Frage gestellt: "Wie viel müssten Sie monatlich verdienen, damit Sie (und Ihre Familie) ein normales Leben führen können?" 

Die Antworten, so wie sie auch in der lettischen Presse wiedergegeben werden (lsm), sagen Folgendes aus: die zu "normalem Leben" notwendige Summe beläuft sich demnah auf 1646 Euro und liegt damit 2022 um 177 Euro (oder 12 % ) höher als im Vorjahr. SKDS-Direktor Arnis Kaktiņš.wies bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse auf den Unterschied zum Jahr 2000 hin, als sein Institut dieselbe Frage erstmals stellte. Damals waren Lettinnen und Letten, laut Umfrage, noch mit 494 Euro zufrieden (2006 waren es dann 691 Euro, 2012 gaben die Befragten 844 € an, und 2020 waren es 1338 €). Nur in schwierigen Krisenjahren sei diese Angabe gesunken, meint Kaktiņš: 2009 um 14% und 2020.um 9%. 

Und auch noch eine andere Fragevariante gab es bei der SKDS-Umfrage. Wie viel Geld würden Sie benötigen, um "alle Ihre gegenwärtigen Träume zu verwirklichen"? Diese Summe habe bei 3759 Euro gelegen, so die SKDS. Nun könnten wir ja mal nachschlagen, was Lettinnen und Letten TATSÄCHLICH verdienen - und wir haben so etwas wie die statistische Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. 

Das lettische Fernsehen LTV hat mal versucht, Preisvergleiche zu ziehen, und dabei das Angebot einer der großen Supermarktketten in Lettland untersucht. Hier sind einige der Ergebnisse: 

  • die billigste Butter kostete 9,39 € / kg (in Polen hergestellt) - da diese aber ausverkauft war, lag der nächstgünstigere schon bei etwas über 12 € / kg
  • die günstigste Milch (1 Liter, 2% Fettgehalt) lag bei 0,79 Cent, produziert in Lettland
  • die billigsten Eier (Größe M) waren für 14 Cent das Stück im Angebot, produziert außerhalb von Lettland
  • für Hähnchenschinken wurde ein Aktionspreis für 2,65 € / kg ausgemacht
  • der günstigste Zucker kostete 99 Cent / kg

Eine weitere SKDS-Umfrage ergab übrigens, dass Lettinnen und Letten immer weniger Bücher lesen (TVNet / Jauns.lv). Nun, sparen wir uns die ganz kurze Antwort (zu teuer?), schauen wir auf die Details.  59,9% der Befragten gaben an, in den vergangenen sechs Monaten kein einziges Buch gelesen zu haben (im Jahr 2013 waren es noch 47,1%). 38,8% der Befragten gaben diesmal an, mindestens ein Buch gelesen zu haben, 9,7% gaben an zwei Bücher gelesen zu haben, 7.5% sogar drei oder vier. 1,7% fiel es sogar schwer zu sagen, wie viele Bücher sie genau gelesen haben.Erstaunlicherweise erwiesen sich die Befragten im östlichen lettischen Landesteil, in Latgale, als die (statistisch) eifrigsten Leserinnen und Leser. 

Nun ist ja Bücher lesen und Bücher kaufen auch noch ein Unterschied - auf die Frage, ob sie in sechs Monaten mindestens ein Buch gekauft haben, antworteten noch 24,3% mit "Ja". Der Buchkauf wurde dabei häufig in Riga erledigt, so die Umfrage

5. August 2022

Jetzt wird geholzt!

Angesichts der kurzfristigen Notwendigkeit, ganz dem Gas aus Russland zu entsagen, beschloss nun die lettische Regierung den Holzeinschlag in den lettischen Wäldern zu erhöhen. Das lettische Landwirtschaftsministerium arbeitet an Vorschlägen, die von einem Mehreinschlag (des "grünen Goldes") von einer Million Kubikmetern ausgehen - das würde eine Steigerung um gut 10% ausmachen.

Die lettische Forstverwaltung dagegen ("Valsts meža dienesta" VMD) betont immer wieder das Bestreben, die Wälder nachhaltig zu sichern - es entsteht aber die Frage, für wen das gesichert werden soll: für den Erhalt der Natur? Oder nur für die Sicherstelllung der weiteren Nutzung? Im März hatte der Verein der lettischen Waldbesitzer (Latvijas Meža īpašnieku biedrība LMIB) eine Pressemeldung herausgegeben, in der es heißt: "Die Forstwirtschaft kann die vollständige Unabhängigkeit der Wärmeversorgung von russischem Gas sicherstellen!" (derselbe Verband beteiligte sich auch an einer Kampagne für die Nutzung von Atomenergie in Lettland).

Auch die lettischen Staatsforsten (“Latvijas valsts meži” LVM) scheinen schon bei der Auswahl des Vorsitzenden auf Imagegewinn zu setzen: Pēters Putniņš (was übersetzt Peter Vögelchen heißen würde) wurde kürzlich zum Chef der Lettischen Staatsforsten  gewählt. Die LVM bewirtschaftet 1,62 Millionen Hektar Land in der Republik Lettland. Getragen wird die LVM vom lettischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, von der „Lettischen Industrie- und Handelskammer“, vom Baltisches Institut für Corporate Governance und dem Verband der Waldbesitzer. 

Bisher war die Regel, dass ein Beschluss einen Baum zu fällen dann erfolgen kann, indem der Durchmesser des Stammes in 1,30m Höhe gemessen wird. Bei Espen geschieht das in der Regel nach mindestens 41 Jahren, bei Schwarzerle und Birke nach 71 Jahren, Fichten nach 81 und Kiefern nach 101 Jahren. Die Gesetzesänderung besagt jetzt, dass auch Bäume geschlagen werden können wenn sie das angegebene Alter noch nicht erreicht haben. Jetzt können auch dünnere Bäume gefällt werden: der Durchmesser wird bei Birken auf 25 cm, bei Fichten auf 26 cm und Kiefern auf 30 cm reduziert. Dabei weist das Ministerium darauf hin, dass es diese Bestimmungen zum Durchmesser in Schweden und Finnland gar nicht gäbe, und in Estland sogar noch dünnere Bäume gefällt werden könnten (IR). 

Bei bisherigen Änderungen an diesen Regeln, zuletzt 2019, hatte noch das lettische Umweltministerium Einspruch erhoben - und empfahl eine genaue Kartierung ökologisch wertvoller Lebensräume. Diese Kartierung wurde auch gemacht - aber jetzt bewußt beiseite geschoben, so etwa nach dem Motto: wir haben Krieg, wir brauchen Holz! 

Als Lösung für die gegenwärtigen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf Lettland schlug Landwirtschaftsminister Kaspars Gerhards jetzt die Erhöhung des Holzeinschlags vor (siehe: mk.gov.lv) - ohne Rücksprache mit Naturschutzverbänden. Das Ministerium rechnete vor, aufgrund der Änderungen 20% mehr Holzhackschnitzel zu produzieren und deren Preis zu senken - Umweltschützer aber kritisieren, dass diese ja sowieso meist in den Export nach Skandinavien gehen würden, die lettischen Verbraucher hätten also nichts davon. 

Ein neuer Film der lettischen
ornithologischen Gesellschaft
soll den Wert des Waldes als
Lebensraum verdeutlichen

Steigt also der Grad der Abholzungen lettischer Wälder sogar um bis zu 20%, wie es manche voraussagen?

Viesturs Ķerus erinnert sich in einem Beitrag für die lettische ornithologische Gesellschaft (Latvijas Ornitoloģijas biedrība, deren Vorsitzender er ist) an eine ähnliche Diskussion im Jahr 2009; damals habe Kristaps Klauss, Vertreter der lettischen Holzindustrie (Latvijas Kokrūpniecības federācija) gesagt: "Wir brauchen 11 Millionen Kubikmeter Holz im Jahr". "Dieser Satz ist mir in Erinnerung geblieben," meint Ķerus, "denn er bedeutet ja: wir brauchen, also muss der Wald liefern" (LOB).Sich nicht damit zu befassen, was der Wald liefern kann, sei eines der großen Probleme der lettischen Waldwirtschaft, meint Ķerus, und inzwischen sei der Holzeinschlag nun auch schon auf 13 Mill. m³ gestiegen. Seine Voraussage: wenn die nächste Krise kommt, wird es dem Wald weiter an den Kragen gehen. 

Gleichfalls interessant ist zur der Beurteilung der Situation ein Blick auf die Besitzer großer Waldflächen. Klar ist, dass sehr viele lettische Waldbesitzer weniger als 5 ha ihr Eigentum nennen. Ein Blick auf die 20 größten Unternehmen, die in Lettland Wald bewirtschaften, zeigt aber, dass diese 20 Firmen insgesamt über 300.000 ha verfügen (lursoft-blog). Dominierend dabei sind die Schweden: von den 20 größten gehören 5 zur schwedischen "Södra"-Gruppe (die erst 2018 noch einmal viel Wald aufkaufte), und weitere sechs stützen sich auf Kapitalanteile aus Schweden. Drei weitere große Unternehmen kommen aus den Niederlanden, und je eines aus Dänemark und Luxemburg.