Als die Schornsteine noch rauchten: Ansicht der Porzellanfabrik Jessen in Riga |
Es soll ursprünglich der Name einer Meeresschnecke gewesen sein: das sogenannte "weiße Gold", als Endprodukt - Porzellan. Das wiederum ist nicht überall gleich: es gibt verschiedene Mischungs-verhältnisse, Brenntemperaturen und Härtegrade. Doch Porzellan aus Lettland? Legendär ist Porzellan aus China, in Deutschland Meißen, Dresden, auch Thüringen, darüber hinaus Wien, und auch in St.Petersburg.
Also: Porzellan aus Riga? Zumindest zu Sowjetzeiten war auf diesem Gebiet nichts von besonderer Qualität bekannt. Schaut man aber ins 19.Jahrhundert, so gab es hier die große Konkurrenz zweier Marken: Kusnezow (gegr. 1841) und Jessen (gegr. 1886) - beide hatten ihre große Zeit vor dem 1.Weltkrieg. - Geht man heute ins Rigaer Porzellanmuseum, so sind dort weitgehend nur Produkte aus der Zeit 1950 bis 1990 ausgestellt; hier findet sich auch kein Nachlass einer bestimmten Fertigungstradition, sondern die Exponate sind eher einzelne Schenkungen von Privatpersonen, oder modernes Porzellan zeitgenössischer Künstler/innen.
Von der Zeit der Jessens und Kusnezows blieb Riga wenig. Es soll ein Schmied namens Jakov gewesen sein, der, aus dem russischen Dorf Novoharitonovo stammend, im Jahre 1812 den Namen Kuzņecovs (russ. Кузнецова) annahm, und 1841 die Produktion nach Riga verlegte. Sein Enkel Sidors übernahm die Fabrik für Tonwaren (sogenannte "Halbfayencen), dessen ältester Sohn Matvejs Kuzņecovs wurde 1864 der Chef. Ab 1851 wurde auch Porzellan produziert. 1913 arbeiteten dort 2650 Menschen.
Ehemals begehrte Exportware: Produkte aus dem Hause Kuzņecovs |
1937 konnte die Firma Kuzņecovs in Riga ihr 125-jähriges Bestehen feiern - Präsident Ulmanis lud die ganze Familie (30 Personen) aus diesem Anlaß zu einer Audienz ein. Einige Mitglieder der Familie Kuzņecovs mussten ihre Loyalität zum lettischen Staat später teuer bezahlen: am 14. Juni 1941 wurden neun Kuzņecovs nach Sibirien verbannt, auch der Chemiker und technische Direktor der Firma Mārtiņš Kalniņš mit Familie erlitt dieses Schicksal (Gründer der chemischen Werke "Nitra"). Zwei weitere Kuzņecovs wurden zwei Tage nach dem Beginn des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion am 27.Juni 1941 im Rigaer Zentralgefängnis erschossen.
Die Sowjets verstaatlichten dann den Betrieb, aber am alten Firmensitz wurde noch bis 1991 produziert. Es folgte der Versuch mit "Latvpotik", einem lettisch-schweizerischen Unternehmen, dann "Latelektrokeramika" - diese Firma wurde 2010 aufgelöst. 2013/14 wurde das gesamte Betriebsgelände geräumt, sämtliche alten Gebäude niedergerissen. An dieser Stelle wird voraussichtlich 2019 das rieisige Einkaufszentrum "Akropole" eröffnet werden, auf 98.000 qm Fläche. Die zuständigen Projektentwickler kündigten an, "Fragmente der alten Fassade" als "Erinnerung" stehen lassen zu wollen.
Die zweite große Porzellanfabrik in Riga gründete der im Alter von 20 Jahren aus Deutschland nach Lettland gekommene Jakob Karl Jessen am 2. Februar 1886 im Norden Rigas, in Jaunmīlgravis. Er nutze von Anfang an Dampfmaschinen, und baute die Firma zusammen mit seinem Partner, einem russischen Händler namens Hrapunovs auf. Während Kuzņecov sich am russischen Markt orientierte, stützte sich Jessen zunächst auf Kunden unter den Deutschbalten; auch unter den Dekorateuren und Porzellanmalern waren viele Deutsche. Hergestellt wurden später auch Isolatoren für die Stromleitungen.
Produkte aus dem Hause Jessen (siehe: www.laikmetazimes.lv) |
Erst in den 1930iger Jahren setzte Ferdinand Jessen die Porzellanherstellung fort, Ende der 30iger Jahre wurden bei Jessen auch Lizenzkopien der bekannten deutschen Firma "Rosenthal" und der finnischen "Arabia" hergestellt.1939 schlossen sich die Eigentümer der Jessen-Porzellanfabrik der Umsiedlung "heim ins Reich" an (Folge des Hitler-Stalin-Pakts) - die Firma wurde geschlossen.
Die letzten Jessen-Produkte - Billigware aus den 1990iger Jahren |
Eines der Glanzstücke zum 700. Geburtstag Rigas: eine riesige Porzellanvase aus dem Jahr 1901 |
Ein unklarer Punkt der Geschichte des Porzellans aus Riga ist vielleicht noch die Verbindung zur russischen Stadt Gschel (russ: Гжель / lett: Gžeļa), einem der traditionellen Zentren der russischen Keramikherstellung (60km südöstl. von Moskau - siehe auch: "Gzhel, blue fairytale of Russia"). Beide große Rigaer Porzellanfirmen weisen im Laufe ihrer Entstehungsgeschichte (personelle) Bezüge dahin auf. Warum also kam es zur Porzellanherstellung in Riga? Nur weil der Hafen Riga für das russische Reich das Tor zum Westen darstellte? Oder weil die Firmeninhaber Altgläubige waren, die in Riga ruhiger und besser leben konnten? Oder haben doch einige ehemalige Kuznetsov- oder Jessen-Leute früher Ideen aus Gschel kopiert und nach Riga mitgebracht? Und, falls ja, legal oder illegal? An dieser Stelle sind noch einige Punkte in den bisherigen historischen Darstellungen aus lettischer Feder offen.
Infoquellen:
Ingunda Šperberga / Ilgars Grosvalds: "Rīgas porcelāns", Rīgas Tehniskā universitāte / Latvijas Ķīmijas vēstures muzejs 2016.
Ervīns Jākobsons: Laikmeta zīmes - Rīgas porcelāns.
Ineta Lipša: Leģendas - Kuzņecovi. Porcelāns (Dienas bizness)
O. Puhļaks: Matvejs Kuzņecovs (Russkije.lv)
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