30. April 2024

Fuß, Hand oder Stock? Sportstadt Riga

Basketball und Eishockey sind in Lettland klar die beliebtesten Sportarten,da müssen wir uns gar nicht unbedingt auf das Jahr 1935 berufen, als Lettland Basketball-Europameister wurde. Bei der Eishockey-WM 2023 gelang mit Platz 3 Lettland erstmals der Sprung in die Medaillenränge.

So könnte der neue Rigaer Fußballtempel aussehen
Aber Fußball? Wer aus deutscher Sicht ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich vielleicht noch an ein 0:0 der deutschen Elf gegen Lettland im Rahmen der Europameisterschaft 2004. Seitdem hat sich Lettlands Fußballnationalteam nie wieder für eine EM oder WM qualifiziert. Gemäß der FIFA-Weltrangliste rangiert Lettlands Männerteam auf Platz 136 (Litauen 137, Estland 123). Die FIBA-Weltrangliste im Basketball dagegen weist Lettland auf Platz 6 auf (Litauen 10, Deutschland 3).

Endlich ein Fußball-Tempel?

Nun aber fällt der Stadtrat Riga mit einer Entscheidung auf, die vielleicht auch Verwunderung auslöst. Am 2. April wurde entschieden, dem lettischen Fußballverband ein 10 ha-Grundstück für den Bau eines nationalen Fußballstadions bereitzustellen. Die Kosten werden auf (vorläufig) 44 Millionen Euro geschätzt, nach Fertigstellung soll das Stadion 16.000 Sitzplätze bieten. (lsm) Zum Vergleich: das würde in etwa den Stadien in Ingolstadt, Regensburg oder Halle / Saale entsprechen (gegenw. alle 3.Liga). 

Die Begeisterung hält sich teilweise auch bei Fußballfans in Grenzen - denn die Finanzierung eines solch großen Projekts bleibt vorerst unklar. Schließlich sei ja zunächst nur die Möglichkeit geschaffen worden, einen Plan auszuarbeiten, also ein Konzept für ein Stadion vorzulegen. (sportacentrs) Und der Kostenrahmen werde wohl deutlich überschritten werden müssen - da das vorgesehene Baugrundstück auch einige Infrastrukturmaßnahmen erfordert. 

Unterstützung von der UEFA?

Der erst kürzlich in seinem Amt wiedergewählte LFF-Präsident Vadims Ļašenko hofft auch beim Stadionbau auf Unterstützung von UEFA und FIFA - falls einer Maximalförderung zugestimmt würde, seien 17.6 Millionen Euro zu erwarten, meint er. Da auch von der Stadt Riga - außer dem Grundstück als Bauplatz - keine große Finanzunterstützung zu erwarten sein wird, bleibt die Hoffnung auf Investoren aus der Wirtschaft. Den ersten Entwürfe zufolge, erstellt von der deutschen Architektengruppe "Fiebinger", erfordert der Stadionnaubau eine Fläche von 119.000 m2, davon 66.000 m2 für das Stadion selbst.

2016 hatte der Fußballverband LFF noch darauf gehofft, auf einem Gelände an der Krišjāņa Barona ielā mit einem Stadionbau beginnen zu können. Dazu hätte es aber einer Kreditaufnahme von 10 Millionen Euro bedurft - der damalige Vorstand entschied sich dagegen (sportacentrs). Manche schauen da neidisch auf die litauischen Nachbarn in Vilnius - aber dort ist zwar ein Nationalstadion bereits im Bau, allerdings auch immer wieder von Skandalen und Finanzschwierigkeiten erschüttert (LRT / pstprojektai) Der aktuellen Entscheidung des Stadtrats in Riga war eine Prüfung von insgesamt neun möglichen Standorten für ein neues Stadion vorausgegangen.

Protest der Kleingärtner

Begleitet wurde der Stadtratsbeschluss "für den Fußball" von Protesten: bisher ist Lucavsala, nur über eine Brücke über die Daugava zugänglich, eher eine "grüne Oase", geprägt von kleinen privaten Gärten. "Wir wollen nicht noch einen zubetonierten Stadtteil!" ist also der Wahlspruch der Protestler vom Nachbarschaftsverein Lucavsala. Das "grüne Licht" des Stadtrats ist allerdings mit einer Bedingung verknüpft: fünf Jahre hat der Fußballverband Zeit, um ein Realisierungskonzept vorzulegen. Aleksejs Čiževskis vom Verein "Daugavkrastu dārzi" sieht es so: "Wir haben ja schon das Stadion Daugava in Riga. Nur, dort sitzen die Zuschauer weit weg vom Spielfeld und haben kein Dach über dem Kopf. Werden es diese Millionenausgaben wert sein, nur für überdachte Sitzplätze?" (lsm) Zur Zeit hat das Stadion Daugava eine Kapazität von 10.000 Plätzen, das Skonto-Stadion fasst 8.000 Zuschauer.

Interessant ist auch, dass ebenfalls auf Lucavsala ein EU-gefördertes Projekt realisiert werden soll "zur Stärkung der ökologischen Vielfalt". Auf 4 Hektar (lucava) soll hier ein entsprechendes Modell-Areal entstehen.

Lettische Fußballgeschichte - britisch inspiriert

Begründet wurde Fußball in Lettland 1907 von Arbeitern der Fabrik für Metallverarbeitung "Salamander" in Riga, die sich in englischen Eigentum befand. Dort wurde der British Fooball Club (BFC) gegründet, der Unternehmer Herold Hall (1884–1943) wurde deren Trainer. Später gab es auch deutsche, jüdische, polnische und russische Fußballklubs in Riga; der erste lettische Fußballverein nannte sich 1912 "Amatieris". (LFF)

Laut Statistik des lettischen Fuballverbands LFF sind es heute 151 Fußballvereine in Lettland, die Zahl der registrierten Fußballspielenden beläuft sich auf knapp 20.000, und aus Ticketverkäufen wurden im Jahr 2023 insgesamt nur 290.000 Euro Erlös erzielt. Zwar gibt es in Lettland inzwischen auch Frauenfußball (bisher 741 Spielerinnen über 18 Jahren), große sportliche Erfolge sind hier aber noch nicht zu verzeichnen. Der lettische Fußballverband LFF hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Zahl von 5.000 aktiven Spielerinnen zu erreichen (siehe: Entwicklungsstrategie 2030). 

Lettischer Fußball - ohne Fan-Interesse? 

Das Interesse von Lettinnen und Letten am Fußball liegt bei nur 3,2 von 10 möglichen Punkten, so ergab es eine Umfrage im Jahr 2016. Die Frage nach Freizeitbeschäftigungen ergab Ähnliches: während sich 68% für Kino oder Musikkonzerte interessieren, sogar 57% für Theater oder Oper, äußerten noch 31% Interesse an Eishockeyspielen, 12% an Basketball und nur 8% an Fußball. (LFF)

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Norstat" zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen LSM ergab Folgendes: 16% der befragten Lettinnen und Letten finden ein neues nationales Fußballstadion "unbedingt" wichtig, insgesamt sind 49% "eher dafür".  (lsm)

5. April 2024

Strassen-Rochaden

Wer in einer deutschen Großstadt wohnt, wird vielleicht so manche Diskussion um Straßennamen mitbekommen haben; da gibt es doch einige, die an gar nicht so heldenhafte Persönlichkeiten erinnern. Aber Umbenennung ist schwierig. So scheiterte im westfälischen Bünde die Umbenennung einer "Lettow-Vorbeck-Straße", in Berlin blieb ein Versuch die "Mohrenstraße" umzubenennen ebenfalls erfolglos - so berichtete "Die Zeit". 

Da gibt es immer die Argumente, eine Umbenennung habe "erhebliche Folgen für Anlieger". Früher hat man auch gern argumentiert, es müssten dann ja alle Anwohner neues Briefpapier oder Visitenkarten drucken - das hat sich heute allerdings, dank Digitalisierung, wohl erübrigt. Na gut, dort wo noch gedruckte Passdokumente verwendet werden, muss wohl auch ein neues mit geänderter Adresse ausgestellt werden.

Hier ist nicht Moskau

In Riga liegt die Sache offenbar einfacher. Seit Putin in die Ukraine einfiel, haben diejenigen Zulauf, die "reinen Tisch" mit jeglicher Art von möglicherweise ehrender Erinnerung an Sowjetisches machen wollen. Dazu zählt dann auch einiges, was zur Sowjetzeit "russifiziert" wurde. Mitte Februar beschloss also ein Ausschuss des Rigaer Stadtrats die Umbenennung gleich mehrer Straßen. Das Argument: die Persönlichkeiten, deren Namen getilgt werden sollen, hätten keinerlei Bezug zu Lettland, hätten dort nie gearbeitet oder auch nur Lettland in einem ihrer Werke genannt. (riga.lv)

Künftig sollen die Straßen die Namen örtlicher Persönlichkeiten tragen - wie den des Linguisten Kārlis Mīlenbahs, des Schriftstellers Jānis Klīdzējs, und einer der ersten Wissenschaftlerinnen aus Latgale, Valērija Seile. Auch Landschaftsmaler Vilhelms Purvītis und Publizistin Emīlija Benjamiņa werden nun zum Vorbild für Straßennamen. 

Zunächst musste also die bisherige "Latgales iela" zur "Jāņa Klīdzēja iela" umbenannt werden, damit dann die bisherige "Maskavas iela" größtenteils zur "Latgales iela" werden konnte, ein Anfangsabschnitt heißt nun "Lastādijas iela". Die "Puškina iela" wurde zur "Kārļa Mīlenbaha iela", die "Turgeņeva iela" zur "Vilhelma Purvīša iela", die "Ļermontova iela" zur "Viļa Plūdoņa ielua", die "Gogoļa iela" zur "Emīlijas Benjamiņas iela" und die "Lomonosova iela" wurde zur "Valērijas Seiles iela".

Also: kein Moskau mehr, kein Lomonosov, Puschkin, Gogol, Lermontov und Turgenjew - statt dessen gibt es nun viel mehr Latgale in Riga (riga.lv). Und sogar die Umbenennung der scheinbar "unschuldigen" "Tipogrāfijas iela" (Straße der Typograhie) hat einen Hintergrund. Den Namen bekam die nur 159 Meter lange Straße im Jahr 1950 in Erinnerung daran verpasst, da hier das kommunistische Untergrundblatt "Cīņa" ("Kampf") in den 1930iger Jahren eine Zeitlang hergestellt wurde. Jetzt heißt die Straße "Augusta Spariņa iela", benannt nach einem der Helden des lettischen Unabhängigkeitskampfs 1918-20. (jauns).

Beschleunigte Symbolik

Und in Riga geht so eine Umbenennung offenbar ganz ohne bürokratisches Verfahren. Schon am 27. März meldete die Stadtverwaltung Vollzug, was die neue Straßenschilder der "Benjamiņas" und "Lastādijas iela" angeht. Die Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Vilnis Ķirsis rückte an, um die neuen Schilder zu verteilen. Laut Ķirsis sei ja die Bezeichnung "Lastādijas iela" mit Bezug zum "historischen Namen dieses Viertels" gewählt worden. Gleichzeitig wurde auch die Bezeichnung einer ganzen Reihe von Bus- und Straßenbahnhaltestellen geändert (riga.lv / rigassatiksme)

Nehmen wir mal an, wir kennen also alle Personen, die nun zur Ehre eines neuen Straßennamens kamen. Bleibt die Frage: „Wo ist Lastādija? Wer oder was ist das?“ 

Traditionell, aber unbekannt? 

Noch 2019 schrieb Journalistin : "Lastādija? Bei dieser Frage zuckt vielleicht selbst der hartgesotteste Einwohner Rigas unwissend mit den Schultern, einige werden sogar widersprechen und behaupten, dass es in Riga keinen solchen Ort gibt." (TVnet) Nun meinte Lazdina allerdings, die Frage mit einem simplen Verweis auf "Wikipedia" klären zu können - ins Deutsche übersetzt heiße der Name "Lastadie". Leider verweist Wikipedia bei diesem Begriff nur auf eine Bezeichnung für einen Verladeplatz in Lübeck, Königsberg, Rostock, Stralsund oder Stettin. "Lastadie" ist also auf jeden Fall nichts, was es nur in Riga gab. Aber so einen "Ladeplatz" hatte wohl jede Hafenstadt (siehe auch: mittelniederdeutsches Handwoerterbuch). In alten Büchern ist auch nachzulesen, es habe hier nahe der Daugava sogar den Versuch gegeben, eine Werft zu errichten - aber Schiffe seien an dieser Stelle, wohl auch wegen dem häufigen Eisgang der Daugava, nie gebaut worden. "Eine Siedlung von Schiffern, Flößern und Kaufleuten; später auch ein Sägewerk, Scheunen und Holzhäuser", schreibt Lauma Lazdiņa.

Auch die (deutschsprachige) Infoseite der "Dzirciema Aptieka" kommt unserer Wissbegier entgegen - dort finden wir etwas über eine "Lastadie-Apotheke". Hier steht zu lesen, eine "Lastadie" sei in Riga zum ersten Mal im Jahr 1348 erwähnt worden. Außerhalb des Stadtwalls, am Daugavaufer. Zitat: "Am Anfang der jetzigen Moskauerstraße".  Na, ab sofort dann wohl: nicht mehr "jetzig". 

Mit einer modernen Variante von "Lastādija" soll es aber schon 2013 in Riga losgegangen sein. "Lastādija ist ein selbstorganisiertes subkulturelles und soziales Kreativviertel" (Capitel R) Einige Aktivist/innen gründeten damals "Free Riga" um kreative Lösungen für die vielen leerstehenden Gebäude in Riga zu finden. "Unser Rezept: sich einmischen, damit die von der Gesellschaft gewünschten Veränderungen erreicht werden!" Inzwischen hat man bereits für 40.000 m2 leerstehende Räumlichkeiten neue Nutzungen gefunden. Und die Projekte vom "Free-Riga"-Vorsitzenden Mārcis Rubenis zeigen, dass ein Teil dieser Ideen vielleicht auch im Austausch mit Berlin oder sogar Chemnitz entstanden sind (Goethe-Institut / urbact). 

Also: ob nun alte Traditionen, oder neue Inspirationen - die Idee, einen Teil der "Moskauer Straße" nun zur "Lastādijas iela" zu machen, erhofft sich vielleicht auch eine ideele Anbindung an die junge Rigaer Startup-Szene.