Wo liegt eigentlich der Darmstädter Kiefernhain? Eine Frage, mit der selbst gut trainierte Suchmaschinen Schwierigkeiten haben. Denn nein, es ist nicht das Naturdenkmal in Darmstadt-Eberstadt, und auch nicht die KITA Kiefernhain. Gemeint sind schon richtige Bäume, angepflanzt Ende des 19. Jahrhunderts. Es sind Kiefern, die in einem Naturschutzgebiet wachsen, und inzwischen also um die 120 Jahre alt sind (Darmštates priežu audze). Das Saatgut wurde aus Deutschland nach Lettland gebracht, die lettische Naturschutzverwaltung beschreibt das Gebiet inzwischen so: "ein gescheiterter Versuch Darmstadt-Kiefern anzubauen, die für die klimatischen Bedingungen Lettlands ungeeignet sind." Und die lettische Forstverwaltung schreibt: "dies ist der einzige Darmstädter Kiefernwald in Lettland."
Oberförster eigenwillig
Das Gebiet steht schon seit 1977 unter Naturschutz, ist 4,69 ha groß, liegt am Ufer des Flusses Lielupe und zählt heute zum Gebiet der (1959 gegründeten) Gemeinde Jūrmala. Ein Naturschutzkonzept bezeichnet das Gebiet als "dendrologische Besonderheit", denn besonders schützenswerte Tiere oder Pflanzen gibt es in diesem Gebiet nicht.
Das Saatgut sei Ende des 19.Jahrhunderts von einer Firma Keller aus Darmstadt bezogen worden, heißt es. Verantwortlich für die Anpflanzung war damals Eižen Ostvalds (Eugen Ostwald), deutschstämmiger Oberförster der Region Riga, der sich geweigert haben soll, den Wert lokaler Saatguterzeuger anzuerkennen. Er hoffte auf schnelles Wachstum und Gewinne durch den Holzverkauf - aber das Gegenteil trat ein. "Schon nach 10 Jahren war zu sehen, dass die Anpflanzungen mehr Äste und Zweige aufweisen - also nicht so gutes Holz ergeben," bestätigte auch der Dendrologe und Landrat Max Sivers (1857-1919). Und ein Teil der Anpflanzungen sollen schon den harten Winter 1887/88 nicht überstanden haben.
Krumm und schepp
Es soll damals hitzige Diskussionen in der Presse Lettlands zu diesem Thema gegeben haben. Der Darmstadter Firma wurde sogar unterstellt, die Samen billig aus Südfrankreich eingekauft und nicht einmal selbst hergestellt zu haben. "Kein Forstmann kann es verantworten, der Nachwelt Krüppelbestände zu hinterlassen", so urteilte Landrat Sivers in einer Forstfachzeitschrift. Die meisten dieser Anpflanzungen wurden später wieder entfernt. Heute ist nur die Anpflanzung in Jūrmala noch erhalten.
Eigentlich gibt es auf diesem Gebiet auch keine Besiedlung. Allerdings befindet sich in der Nähe, auf dem Grundstück Bražuciems 0701, schon seit der Sowjetzeit eine sogenannte "Sommerzeltstadt", inzwischen auch mit mehr als nur Zelten - und es ist unklar, wieviele Menschen dort eigentlich auch ständig wohnen. (lsm)
Spenden für Darmstadt?
Vielleicht könnte Jūrmala ja heutzutage ein paar gute Kiefernsamen "zurückspenden" an Darmstadt? Die heimische Presse dort schreibt inzwischen vom "Kieferntod in Darmstadts Wäldern" (echo/ FAZ) Allerdings kennt man sich in der Ex-Residenzstadt offenbar schon lange mit krummen Kiefern aus: dort gibt es die "Schepp Allee", wo schon im 18. Jahrhundert Kiefern an Straßenrändern angepflanzt wurden, um die hochherrschaftlichen Kutschen vor dem überall herumfliegenden Sand zu schützen (Stadtlexikon). Ergebnis: lange hielten sich die Kiefern nicht. 1879 soll es 210 echte scheppe (schiefe) Kiefern gegeben haben, und 1954 waren noch 30 Kiefern übrig, die in ihren so
ungewöhnlichen Wuchsformen überdauert hatten und, wie es heißt, Kindern einen
idealen Kletterplatz boten (stadtundgruen) (siehe Abb. Stadtarchiv Darmstadt)
Eine Partnerstadt in Lettland hat Darmstadt ja auch schon - seit 1993 ist das Liepāja. Ob es bei Besuchen aus Hessen bald regelmäßig Ausflüge zu den "Darmstädter Kiefern" gibt? Wohl eher nur für ganz eifrige Dendrologen.
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