Brot für alle - oder doch nicht?
"Die Öffentlichkeit zweifelt an der Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben", so berichtet die lettische Presse (ogrenet). Bis Ende 2024 sollte Roggenbrot kostenlos an Schülerinnen und Schüler verteilt werden. Bildungseinrichtungen sollten außerdem eine Befragung junger Menschen
durchführen, um Daten über die Beliebtheit von Roggenbrot und den
Wissensstand über seinen Wert zu erhalten. Es war geplant, dass das
Projekt mindestens 50 % der Zielgruppe, also etwa 140.000 Kinder und
Jugendliche, einbeziehen solle. Doch nun rudert das Ministerium zurück: das Projekt wird gestoppt (NRA / Diena)
Nun heißt es schlicht: der Antragsteller habe seinen Förderantrag zurückgezogen. Begründung: ein Teil der Gesellschaft habe eine
unklare und besonders negative Haltung gegenüber der Umsetzung des
Roggenbrotprogramms gehabt (lad.gov).
Gefangen im Roggen
Der Verzehr von Brot, einschließlich Roggenbrot, ist in Lettland generell rückläufig, so das Landwirtschaftsministerium (zm.gov) In Lettland werden bereits Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte im Rahmen verschiedener Förderprogramme kostenlos an Schulen verteilt. Interessant, dass im Rahmen des neuen Förderprogramms auch Bedingungen formuliert wurden, wie genau "förderungsfähiges Roggenbrot" auszusehen habe. Genannt werden folgende Punkte: a) es wird auf dem Gebiet Lettlands in einem beim Lebensmittel- und Veterinäramt registrierten Unternehmen hergestellt; b) es hat die Form eines Klons; c) wird aus natürlicher Hefe hergestellt; d) das Brot besteht aus mindestens 80 Prozent Roggenmehl; e) das Mindesthaltbarkeitsdatum beträgt am Tag der Veranstaltung noch mindestens vier Tage; f) es erfüllt die Qualitätsanforderungen der Verordnungen über Ernährungsnormen für Studierende von Bildungseinrichtungen.
Brot als Kulturgut
Muss jetzt vielleicht auch der Brotpreis in lettischen Bäckereien mal genauer angeschaut werden? Im Zusammenhang mit der jetzt abgesagten Brotkampagne sind keine Gründe aufgeführt, warum Lettinnen und Letten weniger Roggenbrot konsumieren. Lettisches Roggenbrot (Rudzu maize) ist Teil des sogenannten "Kulturkanons", wo versucht wird typisch Lettisches zu definieren und aufzulisten. Dort heißt es: "Traditionelles Roggenbrot ist ein wichtiger Teil der materiellen und spirituellen Kultur der Letten, der mit der Identität der Nation verbunden ist und ein wichtiges Symbol dafür ist." Aber schon zwei Sätze weiter klingt es nicht mehr ganz so attraktiv, wenn beschrieben wird: in schlechten Zeiten hätte man dem Mehl auch Spreu, Moos, Baumrinde oder Sägemehl beigefügt. Roggenbrot also als Ermahnung an die vielen schlechten Zeiten, die Lettland schon überstehen musste? (so nach dem Motto: ein Roggenbrot kriegen wir immer noch irgendwie hin?)
Brot als Touristenattraktion?
Der lettische Reiseveranstalter "Lauku ceļotājs" bietet eine eigene Sektion "Roggenbrotveranstaltungen" an - vor allem durch ein EU-gefördertes Projekt namens "Rudzu ceļš" (Roggenweg). Hier gibt es Mühlenfeste, Brotfestivals und eine Brotstraße anläßlich des Rigaer Stadtfests. Es bleiben aber zwei Fragen. Findet das alles statt, weil es finanzielle Unterstützung gibt, oder ist es echte touristische Nachfrage? Und wie groß ist der Anteil der einheimischen und lokalen Gäste bei solchen Veranstaltungen?
Gut, es gibt Umfragen zum Thema. "Latvijas Maiznieku biedrība" (LMB), so etwas wie die lettische Bäckerinnung, machte 2020 ein Umfrage, in wieweit die Covid-Pandemie die Konsumgewohnheiten an Brot beeinflußt. Nicht repräsentativ wahrscheinlich (75% der Teilnehmenden waren Frauen), und gefragt wurde nach der bevorzugten Brotsorte in pandemischen Zeiten. Ganz vorn: Roggenbrot! (36,1%). Zweiter Platz: Roggenbrot mit Samen (20,7%). Gibt es in Lettland überhaupt anderes Brot? Irritierend vielleicht die Antwort aus derselben Umfrage: 22,9% der Befragten gaben an, ihr Brot im Kühlschrank aufzubewahren ...Brot plus das gewisse Etwas
Aussagen von Seiten der Herstellerfirmen lassen vermuten, dass zunächst einmal Großbäckereien und auch die Tendenz der Kundschaft, ihr Brot im Supermarkt statt beim Bäcker zu kaufen, erhebliche Veränderungen mit sich brachten. Viele kleine Bäckereien müssen einfach schließen. "Die Kunden kaufen weniger Roggenbrot, statt dessen 'Körnerbrot'", so ein Vertreter der Firma “Liepkalni” aus dem Kreis Valmiera (valmierazinas)
Zahlen des lettischen Statistikamtes zeigen teilweise erstaunliche Tendenzen: einerseits setzt sich Weizenbrot langsam gegenüber dem Roggenbrot durch. Andererseits wird auf dem Lande viel mehr Brot gegessen als in der Stadt - und der Vorsprung von Weizenbrot zu Roggenbrot ist gerade auf dem Lande größer geworden. Der Anteil von selbst gebackenem Brot ist in dieser Statistik allerdings nicht erfasst.
Oft im Sonderangebot
Aussagen des finnisch-lettischen Unternehmens "Fazer" zufolge wählen gerade junge Leute in Lettland gern "Roggenbrot mit Mehrwert" - also Brot mit Samen, Körnern oder Kleie. Das sei ein Trend zur gesunden Ernährung, der sich allerdings auch beim Weizenbrot zeige. Insgesamt sei aber für die Verbraucher in Lettland der Preis des Brotes der wichtigste Faktor. In einer zusammen mit der Agentur SKDS durchgeführten Umfrage erklärten 35% der Befragten den Preis für den entscheidenden Faktor beim Brotkauf - diese 35% kauften vorwiegend Brot aus dem Sonderangebot. Entscheidend ist dabei wohl für die Herstellerfirma, dass gerade diejenigen, die Aktionspreise wahrnehmen, auch am meisten Brot konsumieren. Dieser Umfrage zufolge essen fast drei Viertel (74 %) der Bevölkerung Lettlands täglich Brot
zum Frühstück, fast die Hälfte der Bevölkerung (42 %) isst Brot zum
Mittagessen und 39 % zum Abendessen.Vielleicht sollten wir ja dem Ministerium eine andere Aktion vorschlagen: Touristen kaufen ja auch gerne kurz vor dem Abflug am Rigaer Flughafen noch ein paar Scheiben "echtes lettisches Roggenbrot" als Mitbringsel. Wie wäre es da, den Preis dort einfach um 20% zu erhöhen, und die Packungen mit einem Aufdruck zu versehen: "Mit ihrem Kauf unterstützen Sie kostenlose Mittagessen an lettischen Kindergärten und Schulen - dafür herzlichen Dank!"
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