"Sprottenfantasie" in deutschen Supermärkten: Alles was Deutsche vermeintlich kennen - außer Lettland. |
Markenschutz unvoll- kommen? |
Laut Etikettenangaben ist der Inhalt nahezu identisch: angefangen vom exakt bezeichneten Fanggebiet über die Art des Öls bis zu den hinzugefügten Gewürzen. Herkunftsadresse: Riga. Die Unterschiede sind minimal: eine der drei Dosen enthält prozentuell marginal mehr Fisch als die zweite, die dritte weist "Nelken" als Beigabe auf.
Der Rest ist wohl Illusion und fehlender Markenschutz - denn "Rigaer Sprotten" werden ja in Lettland ganz anders präsentiert: dort sind fast überall "“Rīgas šprotes eļļā”" (Rigaer Sprotten in Öl") zu finden. Die „Biedrība Rīgas Šprotes“, gebildet aus sieben verschiedenen lettischen Verarbeitungsfirmen, tat sich 1996 zusammen um den kleiner werdenden Markt und der größeren Konkurrenz begegnen zu können. Ob das funktioniert scheint fraglich: die sieben Firmen aus Engure, Mērsrags, Salacgrīva, und jeweils zwei Firmen aus Roja und Rīga berichten von ihren Exporterfolgen jeweils getrennt. "Unda" wirbt mit einer Tradition seit 1931 und dem Umstand, das von 370 Mitarbeitern 60% aus Engure stammen. Mit "Freude und besonderem Stolz" verarbeite man auch Rigaer Sprotten, ein Produkt, dass "wegen seinem einzigartigen Geschmack populär in der ganzen Welt" sei. Ähnlich "Rānda", erst 1994 gegründet, die damit werben vorwiegend in der Region gefischte Produkte zu vertreiben. "IMS" seinerseits betont eine breite Produktpalette, inklusive immerhin ein Sprottenprodukt: "Šprotu pastēte". Auch “Līcis – 93” stellt sich mit seinen zwei Fabrikationsstandorten in Kolka und Ģipka als regionale Traditionen bewahrendes Unternehmen vor, außerdem Eigentümerin einer Fischereiflotte.
"Gamma-A" allerdings, stationiert im Freihafen Riga, arbeitet auch mit Importfisch aus dem Atlantik und beschäftigt 760 Mitarbeiter. Ähnlich groß ist "Brīvais vilnis", eine Gründung der frühen Sowjetzeit und 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die sich mit seinen 800 Mitarbeitern stolz als "Flaggschiff" der lettischen Fischindustrie bezeichnet und nach eigener Aussage das Markenrecht für "Rigaer Sprotten in Öl" besitzt. Und schließlich "Karavela", die einen Schwerpunkt ganz außerhalb der Sprottenverarbeitung offenbaren - bei Sardinen, Lachs und Hering. Sieben sehr unterschiedliche Firmenschwestern offenbar - viele unterschiedliche Exportzielländer werden in den verschiedenen Selbstdarstellungen erwähnt - keiner von ihnen behauptet besonders erfolgreich in Deutschland zu sein.
Eine leider etwas irreführende Grafik aus einem Strategiepapier der lettischen Fisch- verarbeiter: real gibt es viele Umwege auf dem Weg zum Weltmarkt |
Der Verband der fischverarbeitenden Industrie (die sich von der erwähnten „Biedrība Rīgas Šprotes“ dadurch unterscheidet, dass hier auch Unternehmen aus Ventspils integriert sind) erarbeitete im Jahr 2008 eine Strategie zur Entwicklung des Industriezweigs bis 2013. Dort war noch davon die Rede, dass Fischprodukte aus Lettland auch "Lettlands Image in der Welt" mit prägen würden. 60% aller in Lettland hergestellten Fischprodukte seien Konserven, 75% davon werden von denen im lettischen Verband der fischverarbeitenden Industrie (Latvijas Zivrūpnieku savienībai) zusammengeschlossenen Betrieben hergestellt, und 70% dieser Konserven seien Sprottenprodukte. 2008 gingen nur 19% der Fischkonserven in EU-Länder, dagegen 74% nach Russland oder andere Länder Osteuropas. Immerhin machen allein Sprotten 28% aller aus Lettland exportierten Lebensmittelprodukte aus (Stand 2008).Auf jeden Fall trägt die Fischverarbeitung zur Sicherung der Entwicklungsperspektiven der lettischen Küstenregionen bei: 70% der Arbeitskräfte in der Fischverarbeitung arbeiten und leben dort.
Denjenigen aber, die entgegen der vorgespiegelten "russischen Küche" die traditionell hergestellten lettischen Sprotten lieber gleich in Lettland kaufen wollen muss gesagt werden, dass weniger als 2% der in Lettland produzierten Fischkonserven im eigenen Land verkauft werden (bei Sprotten etwa 5%) - Idealismus auf dieser Seite wird voraussichtlich wirtschaftlich leider nicht viel bringen.
"Sprotten sind für Lettland ähnlich wie Wein für Frankreich" - so ist es in einem kulinarischen lettischsprachiger Blog zu lesen - ein Zitat angeblich nach Didzis Šmits, dem Präsidenten der lettischen fischverarbeitenden Unternehmen. Ob das lettische Motto "Ražots Latvijā", nach dem sich viele lettische Verbraucher gerne richten, auch im Ausland eine Marke wird, ist weiter offen. Ob "Rigaer Sprotten" konsequenterweise auch "lettische Küche", oder wenigstens zur "Küche Lettlands" gezählt werden können, offenbar auch.
Firmeninfos: DOVGAN / RĪGAS ŠPROTES / Verband der fischverarbeitenden Industrie Liste der in Lettland produzierenden Firmen (Ražots Latvijā)