30. Oktober 2015

Nach Saisonende

Gerade bei deutschen Touristikveranstaltern ist es kürzlich wieder Mode geworden, selbst unerfahrene Gäste, ältere wie jüngere, auf einen Trip des sogenannten "nachhaltigen umweltfreundlichen Tourismus" zu schicken - nein, leider nicht indem sie zu Hause bleiben, und so CO2 zu sparen, sondern indem sie ein Bus irgendwo nach Lettland bringt, wo dann 20, 30 km Rad gefahren wird, möglichst auf asphaltierten, bequemen Straßen, und der Bus die Gäste dann nachmittags wieder einsammelt, um sie rechtzeitig zum Fernsehprogramm ins Hotel zu bringen.
Ist die Saison aber vorbei - kümmert es keinen, was im Touristenzielgebiet sonst noch passiert. Dafür gibt es mehrere Beispiele (siehe auch "Kolka uncool"). So hätte das, was diese Woche nördlich Riga passierte, immer Sommer auch jederzeit Touristen passieren können.

Fotos: lettische Verkehrspolizei
Der Unfall ereignete sich kurz nach 11 Uhr morgens auf der Straße Riga-Sigulda in der Nähe der Ortschaft Gārkalne, als ein Schwerlaster der Marke "Skania" mit einem Opel zusammenstieß, der eine Gruppe Radfahrer begleitete. Es gab 13 Verletzte, sechs davon mit schweren oder sehr schweren Verletzungen, alle sind Jugendliche im Alter von 12- 18 Jahren.Drei davon befinden sich noch in einem lettischen Krankenhaus, die übrigen konnten inzwischen nach Hause in die Obhut ihrer Elterin entlassen werden.

Nach dem, was bisher bekannt ist, fuhr der 50 Jahre alte LKW-Fahrer mit zu hoher Geschwindigkeit und ohne die Abstands-regeln zu den Vorausfahrenden zu beachten, Alkoholeinfluß konnte allerdings nicht nachgewiesen werden, und auch die vorgeschriebenen Ruhezeiten habe der Fahrer eingehalten. Die Radlergruppe war eine Trainingsgruppe einer lettischen Fahrradschule (Rīgas Riteņbraukšanas skola). Der LKW-Fahrer, ein polnischer Staatsangehöriger mit Fahrpraxis seit 1989, wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen. Er bedaure das Geschehene sehr, heißt es. Lettischen Gesetzen zufolge kann ein Fahrzeugführer, wenn er einen Unfall mit Todesfolge oder schweren Verletzungen verursacht, mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden - die Untersuchungen dauern noch an.

Schnell kamen Forderungen auf, Radfahrer generell von den Schnellstraßen zu verbannen. Normunds Krapsis, Leiter der Abteilung Verkehrs-sicherheit bei der Polizei, sagte dazu: "Es ist ein tragisches Ereignis. Aber nach jedem Unfall das Gesetz ändern zu wollen, macht keinen Sinn."
Andere Verkehrsteilnehmer berichten, selbst öfters Radlergruppen gesehen zu haben, mit einem Begleitfahrzeug in der Nähe. "Das stört doch eigentlich niemand, wenn man achtsam fährt."

Die jugendliche Radsportgruppe sei morgens um 10.30 Uhr in Riga losgefahren, unter Aufsicht eines erfahrenen Sportlehrers, gibt die betroffene Radsportschule bekannt. Das Begleitauto sei mir einer speziellen Warnblinkanlage ausgestattet gewesen. 12 Fahrräder weisen Totalschaden auf, jedes zwischen 1500 und 2000 Euro wert. Das Komitee für Bildung, Kultur und Sport der Stadtverwaltung Riga (Rīgas domes Izglītības, kultūras un sporta komiteja) reagierte äußerst schnell, indem es der Sportschule bereits vier Tage nach dem Unfall bereits 30.000 Euro zur Deckung der Schäden bewilligte (10.000 davon für die materiellen Schäden). Die Mitglieder des Komitees äußerten dabei Einvernehmen darüber, dass die jugendliche Radlergruppe alle vorgeschriebenen Sicherheitsregeln eingehalten habe. Weiterhin wurde beschlossen, gemeinsam mit Vertretern der Polizei, des Straßenverkehrsamtes, des lettischen Radlerverbandes (Latvijas Riteņbraukšanas federācija), dem Sportgymnasium Murjāņi und den Sportschulen in Dobeles und Kuldīga zu beraten, ob und wie die Sicherheit bei Jugendsportveranstaltungen weiter verbessert werden kann. 

Nicht erwähnt wurde bisher - auch nicht von Seiten des Radsportverbands - dass der betroffene Straßenabschnitt unter Radfahrtouristen schon seit Jahren einen äußerst schlechten Ruf genießt. "Fahren Sie lieber gleich mit dem Zug von Riga nach Sigulda und setzen sie dort Ihre Radtour fort", so ist schon lange in einigen Radreiseführern zu lesen. Während sich lettische Behörden darauf berufen, dass auch in anderen Ländern es üblich sei, dass Radler die Straßen mitbenutzen (ausgenommen Autobahnen), so weisen allerdings ähnliche Straßen etwa in Schweden oder Dänemark, auch in Deutschland, zumindest einen Randstreifen auf, der ebenfalls asphaltiert ist und auf den man - Radler, PKW oder LKW-Fahrer - ausweichen kann, falls es kurzfristig notwendig sein sollte. Der betroffene Straßenabschnitt bei Gārkalne wurde in den zurückliegenden Jahren mehrfach erneuert und modernisiert - sicherlich mit EU-Fördergeldern - weist aber keinerlei Randstreifen auf. Im Gegenteil: direkt neben der Fahrbahn liegt Rollsplit, und ein Ausweichen darauf, zumindest in voller Fahrt, ist ziemlich unmöglich.