31. März 2022

Ausblick auf den Mai

Putins Angriffskrieg in der Ukraine geht vorerst weiter, Lettland ist weiter in Unruhe. Themen der öffentlichen Diskussion sind schon jetzt die anstehenden "Maifeiern": der 4. Mai wird als Tag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Jahr 1990 gefeiert, und am 9.Mai bemüht sich das öffentliche Riga jedes Jahr, den Europatag zu begehen. Das gewohnte Bild war aber bisher immer, dass Zehntausende zum sogenannten "Uzvaras piemineklis" ziehen und dort dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gedenken. Sowjetisch-Russischer Veteranentag also. 

Blumen in Gedenken an den
Großen Vaterländischen Krieg - in
diesem Jahr unangemessen?

"In diesem Jahr kann keine Rede davon sein am 9.Mai irgend etwas zu feiern", meint sogar Rigas Ex-Bürgermeister Nils Ušakovs (LA), der auf dem Ticket der als russlandfreundlich geltenden Partei "Saskana" 10 Jahre lang Bürgermeister von Riga war. Statt dessen sei es eher angebracht, Kerzen in die Fenster zu stellen und der Toten zu gedenken. "Ich rufe aber dazu auf, das Niederlegen von Blumen an diesem Tage zu erlauben." Im Jahr 2014 klangen seine Äusserungen noch ganz anders, als er Putin "als das beste was wir haben können" bezeichnete, mit der Begründung, ohne Putin würde es keine Stabillität in der Region geben (BalticTimes). Auch als "Mini-Putin" war er schon einmal bezeichnet worden (Voxeurop). Bis 2017 hatte seine Partei "Saskaņa" an einer Kooperation mit Putins "Einiges Russland" festgehalten, am 24. Februar 2022 stellte der Parteivorsitzende Jānis Urbanovičs fest: "Die russische Regierung hat sich dafür entschieden, einen Krieg in Europa zu beginnen. Sie setzen ihre Waffen gegen Ihre Brüder und Schwestern in der Ukraine ein."

Einer Meldung des lettischen Fernsehsenders LTV zufolge halten sich gegenwärtig etwa 50.000 Russinnen und Russen mit einer Aufenthaltserlaubnis in Lettland auf. Gründe dafür sind, den Zahlen der zuständigen lettischen Behörde zufolge (Pilsonības un migrācijas lietu pārvalde PMLP), bei rund 10.000 davon Arbeitsplatz, Studium oder auch Familienzusammenführung. 40.000 aber sind russische Staatsbürger/innen. 

Māris Riekstiņš, Botschafter Lettlands in Moskau, äußerte in lettischen Medien (lsm) die Behauptung, es seien bereits Hunderte Russinnen und Russen in Lettland aktuell neu angekommen, die ihr Heimatland auf der Flucht vor den aktuellen Zuständen verlassen. Dies seien Künstler/innen, Journalist/innen, aber auch andere Menschen. Da Lettland normalerweise nicht so einfach Aufenthaltsvisa an russische Staatsbürger/innen gebe (seit Verhängung der Sanktionen gegen Russland nur noch im Rahmen von humanitären Aktivitäten), versuche die Botschaft in Moskau jeden Fall individuell zu beurteilen und zu entscheiden. 

Die Partei der Nationalkonservativen (Nacionālā apvienība „Visu Latvijai!” LA / Nationale Vereinigung "Alles für Lettland"), die an der amtierenden Koalitionsregierung beteiligt ist, hatte Anfang März vorgeschlagen, alle Aufenthaltgenehmigungen für Russ/innen in Lettland für ungültig zu erklären - dies hatten die Koalitonspartner abgelehnt. Statt dessen wird erwogen, Aufenthaltsgenehmigungen dann zu widerrufen, wenn jemand den Krieg gegen die Ukraine verherrliche. Und auch die Erteilung von Aufenthaltsvisa an Investor/innen will Lettland nun beenden (Handelsblatt). Bisher wurden auf Antrag Aufenthalterlaubnisse für fünf Jahre für diejenigen Personen erteilt, die mindestens 250.000 Euro (zumeist in Immobilien) in Lettland investieren (PMLP / BBCRiga).

Die beiden Städte Daugavpils und Rēzekne, im Osten Lettlands gelegen, sehen keinen Grund für den 9.Mai diesen Jahres irgend etwas zu ändern. Allerdings hätten beide Städte auch noch keine Anträge potentieller Veranstalter für diesen Tag erhalten.(lsm) "Wir sind dafür, alles nach geltendem Recht zu behandeln, und sehen keinen Grund für ein eventuelles Verbot", sagt Aleksejs Vasiļjevs, stellvertretender Bürgermeister von Daugavpils, und selbst Mitglied der Partei "Lettlands Russen" (Latvijas Krievu savienība LKS), die mit ihrem einzigen Sitz im Stadtrat der Partei "Saskana" zu einer Mehrheit verholfen hat. Aktuell bemängelt die Opposion, dass vor dem Stadtratsgebäude Daugavpils nicht wie in vielen anderen Städten - auch in Rēzekne - die ukrainische Flagge als Zeichen der Solidarität wehe (LA). Der Slogan der LKS lautet: "Der Tag des Sieges eint die Gesellschaft, er teilt sie nicht". 

In der lettischen Koalitionsregierung herrscht Uneinigkeit im Blick auf potentielle "russische Siegesfeiern" am 9.Mai. Regierungschef Krišjānis Kariņš ("Jaunā Vienotība") kündigte an, es müsse verhindert werden, dass entweder die (sowjetische) Okkupation Lettland noch der Angriffskrieg gegen die Ukraine verherrlicht werde.(lsm) Krišjānis Feldmans dagegen, als Vertreter der "Neuen Konservativen" ebenfalls an der regierenden Koalition beteiligt, erklärte ein Veranstaltungsverbot noch am 25. März als "juristisch schwerig". "An diesem Tag alle Veranstaltungen zu verbieten, geht schon deshalb nicht, weil es ja auch der Europatag ist," meint er.

Eine Entscheidung dazu wurde vom lettischen Parlament dann am 31. März getroffen. Beschlossen wurde nun, dass im Fall von Veranstaltungen ein Abstand von 200m zum "Siegesdenkmal" eingehalten werden muss (LA). Außerdem wurde auch ein Verbot von Symbolen beschlossen, die "militärische Aggression und Kriegsverbrechen" rechtfertigten könnten (wie das "Z-Zeichen"). Kritiker wenden ein, dass es für die Sicherheitspolizei schwierig werden könnte, Tausende Menschen, die am 9.Mai - aus welchem Grund auch immer - zum Uzvaras parks kommen, genau 200m vor dem Denkmal zurückhalten zu wollen.

Über die Zukunft des Denkmals im "Uzvaras parks" (Siegespark) diskutierte am 30. März auch der auswärtige Ausschuß des lettischen Parlaments. Dabei wurde verdeutlicht, dass keine Pläne bestehen, das Denkmal abzureißen oder zu demontieren - schon deshalb nicht, da Lettland im Einklang mit dem Abzug russischer Truppen 1994 diesbezügliche Vereinbarungen mit der russischen Seite unterschrieben habe. Rihards Kols, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses und ebenfalls der rechtskonservativen Partei der "Nationalen Vereinigung" (LA) angehörig, schloss aber eine Umbenennung des Denkmals nicht aus. 1997 hatte es schon mal einen Sprengstoffanschlag auf das Denkmal gegeben. Im Jahr 2019 hatte es einen Initiativantrag mit 10.822 Unterschriften für den Abriss des Denkmals gegeben (delfi).

Auf dem Portal "Manabalss" ("Meine Stimme") werden momentan Unterschriften gesammelt für einen ganz anderen Vorschlag, was bis zum 9.Mai zu tun sei: es solle eine Ausstellung mit Fotos zusammengestellt werden, die Kriegsverbrechen von Putins Angriffskrieg dokumentieren. Bisher gibt es dort 5700 unterstützende Unterschriften.

15. März 2022

Schule gerockt

Wie bilden sich eigentlich die Musikbands in Lettland? Indem sie vorher eine Rock-Schule absolvieren - so könnten wir denken. Und das hat weder mit Volkstrachten, noch mit irgendwelchen Felsen zu tun. Eher mit Musik.
Aktuell sind es Gitarrist Krišjānis Ozols und Schlagzeuger Toms Kagainis, die in diesem Frühjahr im Rampenlicht stehen: die zwei sind Mitglieder der Band "Citi zēni" (könnte übersetzt werden mit "Andere Jungs"), die Gewinner des lettischen Vorentscheids und Teilnehmer beim Finale der Eurovison 2022 in Turin. 

Rock fürs Selbstbewußtsein

Beide haben im lettischen Jelgava die BJMK besucht. Eine Einrichtung, die aus zwei Teilen besteht: einerseits der Verein “Bērnu un jauniešu mūzikas klubs” (Musikklub für Kinder und Jugendliche), der Übungsräume für Bands bereithält und Veranstaltungen organisiert. Andererseits ist es die privat betriebene "BJMK Rockschule", die ein über 5 Jahre dauerndes Ausbildungsprogramm für Bühnenmusiker/innen bietet, bei durchschnittlich 8 Lernstunden pro Woche. Seit 2008 arbeitet die Schule, gegründet von Profi-Gitarrist Endijs Rožkalns, erfolgreich - und vielleicht sind ja schon jetzt Toms und Krišjānis die erfolgreichsten Absolventen.

Gerade das Konzept "Rockschule" scheint aber keine lettische Erfindung zu sein, wie der Blick nach Deutschland zeigt. Ähnliches findet sich mit der Rockschule Russee in Kiel, die PopRockschule in Lübeck, eine Rockschule Melle Beats in Mannheim, die Jazz&Rock Schule Konstanz, die Rockschule Dumont in Rastede, die PopRockschule in Weiden in der Oberpfalz - und "LerntoRock" unterhält gleich sechs Schulen: neben vier in Deutschland auch zwei in Österreich. Die "typisch lettische" Komponente ist in Jelgava vielleicht der "BJMK-Chor", der sicher nicht nur Rock im Repertoire hat - auch Gründer Rožkalns verfügt über Chorleiterausbildung.

Die Auftritte von "Citi zēni" wirken also nicht ganz grundlos ein wenig wie eine älter gewordene Schülerrockband, deren Mitgliedern wir auch ein Engagement bei "Fridays for future" ohne weiteres zutrauen. Jetzt, wo zumindest die lettlandweite Aufmerksamkeit größer ist, wird eifrig an einer "Bandlegende" geschrieben, der zufolge die Anfänge bei der Schülerband "The Citizens" gelegen haben sollen. In deren Videos stolperten noch wie zum Konfirmationsunterricht adrett gekleidete Jugendliche durch selbst gedrehte Filmchen - da weht durch "Citi Zēni" zumindest ein neuer Style (siehe "escunited").

Sich rechtzeitig neu erfinden

Und das nicht nur, weil früher offenbar noch eine Sängerin dabei war. Ausgerechnet während der schwierigen Corona-Einschränkungen erfand die Band sich noch einmal neu. Die Debutsingle hieß “Suņi iziet ielās” (Hunde gehen auf die Straße). Nun also "Eat your salad" - das klingt nach moralischen Ermahnungen zu ökologisch bewußtem Leben, und das ist es auch beinahe. In der lettischen Presse lassen sich die Jungs nun so zitieren: "Wir sind bereit, die Welt zu nerven" (Apollo). Eigenes Motto: "dzīvot zaļi ir seksīgi" ("Grün leben ist sexy").

In der Presse und im Internet, auch In den sozialen Medien sind sehr unterschiedliche Dinge zu lesen. Einerseits geben die Jungs offen zu, das zu singen, "was die Leute hören wollen". (Jauns), inzwischen nun eher gestylt wie frühlingsbunte Happy-Rapper. Andererseits wird offen mit zweideutigen Eindeutigkeiten im Text jongliert - und "Citi Zēni" bestehen hier auch keine Sekunde lang darauf, auch nur eine Zeile in Lettisch singen zu wollen. Fans des oberflächlichen "Ich will Spaß, ich geb Gas" werden spätestens nach wiederholtem Anhören irritiert mit Zeilen wie diesen: "Eat your salad, save the planet, being green is sexy as fuck" oder "I eat only veggies and pussy".

Vegan-Hymne für Lettland?

"Let's go organic" - das frisch-fröhliche Auftreten dieser scheinbaren Spaßmacher-Jungs ist kühl kalkuliert. Stolz erzählen sie in Interviews, dass ihr Liedtext im Internet schon als Thema für mögliche ESC-Zensur gehandelt wird - und, geteilt und weitergeleitet, zehntausendfach die Runde macht. Auf "TikTok" soll der Song sogar schon ein Millionenpublikum erreicht haben. "Genau das war unser Ziel", meint Bandmitglied und Textautor Jānis Pētersons (Jauns)."Es ist doch cool zu versuchen Grenzen zu überschreiten, und zu sehen, was dahinter liegt." 

Nun, wir ahnen zumindest, warum bei "Citi zēni" keine Frauen mehr mitmachen. Die zweideutigen Texte würden Zuhörer wie Zuhörerinnen nicht gleichgültig lassen, so sagen es die singenden (Schul-)Jungs - nicht ohne zu behaupten, nur so zu einem umweltschonenderen Verhalten anregen zu können. Ob denn alle Bandmitglieder vegan leben, traut sich ein Journalist zu fragen (Jauns). Die Antwort: "Manche von uns essen seit mehreren Jahren kein Fleisch mehr, manche seit einigen Monaten, manche teilweise doch." Oder, wie Bandmitglied Roberts es ausdrückt: "Wir sind zwei Meter große Jungs, die manchmal nach Fleisch verlangen, sich aber bemühen vegetarisch zu essen." (apollo) Aha. In dieser Hinsicht eben doch sehr normal. Das irgend jemand nach Anhören des Liedes irgend etwas plötzlich anders macht - das wollen die Jungs denn doch lieber nicht verursacht haben. Aber Greta Thunberg herself sei schon eine ihrer 9.000 Follower auf Instagram (apollo). Na dann: auf nach Turin!

9. März 2022

... sonst verlieren wir alles, was wir bisher erreicht haben

Es bewegt Lettland bis ins tiefste Innere. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat vielleicht sogar mehr als eine "Zeitenwende" erzeugt - denn eine "Wende" würde ja immer bedeuten, sich schon für eine neue Richtung entschieden zu haben. Soweit ist Lettland aber wohl noch nicht - und das restliche Europa wohl auch noch nicht. "Widerstand gegen Putin" und seinen brutalen Krieg ist das eine - aber auf welcher Grundlage können neue Ziele definiert werden? Kann dieser Krieg überhaupt noch gestoppt werden? Und wird es mit Putins Traum einer "Unterwerfung der Ukraine" enden, oder was werden die neuen Realitäten danach sein? Russland gegen die NATO, und Lettland direkt im Aufmarschgebiet an den Schützengräben? 

Wir versuchen ein paar Puzzleteile der Stimmungslage einzusammeln. 

Auch aus der Ferne, zum Beispiel durch das von ARTE übertragende Solidaritätskonzert für die Ukraine, wurde deutlich, wie durch und durch lettisch sich diese Ukraine-Solidaritätsbewegung anfühlte. Es wurden, bis auf die ukainische Nationalhymne, ausnahmslos lettische Lieder gesungen. Die Menschen fühlen sich also "mitgemeint" von Putins Aggression. Da fühlt es sich sicher wie ein Triumph an, gerade am Kongreßhaus in Riga zu demonstrieren - in Sichtweite der Botschaft Russlands auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ähnlich wie die litauischen Kolleg/innen in Vilnius hat sich die Stadtverwaltung noch einen besonderen Coup ausgedacht: das Straßenstück an dem die russische Botschaft liegt, bisher "Antonijas iela", heißt seit dem 4. März nun "Ukrainas neatkarības iela" ("Straße der Unabhängigkeit der Ukraine"). (LA)

Dainis Īvāns, eine der Leitungsfiguren der Lettischen Unabhängigkeitsbewegung der 1980iger, bezeichnete den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als "Anführer des Widerstands der ganzen freien Welt". "Sie haben uns damals ganz genauso beschmipft, als Faschisten, Russophobe, Nazis", meint Īvans. (lsm)

Kulturwissenschaftler Deniss Hanovs sieht andere Leitbilder: "So wie in der Ukraine ein jüdischer Präsident jetzt verschiedene Gruppen und Religionen vereint, das brauchen wir auch hier in Lettland schon lange - einen starken politischen Willen um gemeinsam eine Nation zu bilden." Und er sagt auch: "Für viele Russen in der ganzen Welt ist es sehr schwer zu verstehen, dass nun das Böse und die Diktatur Russisch spricht." 

In der "Latvijas Avize" war eine Äußerung des italienischen Ex-Regierungschefs Matteo Renzi zu lesen, der sich für Angela Merkel als Vermittlerin im Ukraine-Krieg aussprach. "Sie ist die Einzige, der sowohl in Moskau wie in Washington zugehört wird". 

Auch die lettische Post stellt sich auf das Thema ein und gibt am 10.März Sondermarken heraus, entworfen vom Designer Ģirts Grīva. 50% der Einnahmen daraus sollen für die Unterstützung der Ukraine gespendet werden. 

Es gibt natürlich auch Spendenmöglichkeiten. Eines der bekanntesten Konten ist wahrscheinlich das von "ziedot.lv". Die dortigen Spenden sollen in Form von "Treibstoff und Erste-Hlfe-Gütern" in Richtung Ukraine gehen. Vom lettischen Verteidigungsministerium werden aber auch andere Hilfsmöglichkeiten angeboten. Neben der Option für Geldspenden zugunsten der ukrainischen Armee über ein Konto der Ukrainischen Nationalbank zählt dazu auch die Möglichkeit für lettische Staatsbürger/innen, sich zum Wehrdienst in der Auslandslegion der ukrainischen Armee anzuschließen (per Gesetz hatte das lettische Parlament den Weg dafür frei gemacht). Die Zeitschrift "Sargs" ("Wächter") publiziert auch die finanzielle Seite solcher Möglichkeiten: 1700 Dollar pro Monat. Inzwischen soll mit Juris Jurašs sogar schon ein Mitglied des lettischen Parlaments genau diesen Schritt vollzogen haben (während ukrainische Seite allerdings nur bestätigt, Jurašs befinde sich als "Sicherheitsberater" im Lande) (lsm).

wilde Entschlossenheit, oder pure Verzeiflung?
Telefonaktion in Lettland und Litauen: ruf jemand
in Russland an und erzähle, was in der
Ukraine passiert ... (siehe "Call Russia")

Aber natürlich gibt es auch Initiativen, um Flüchtlingen aus der Ukraine weiterzuhelfen. So wie "Gribu palīdzēt bēgļiem" ("Ich will Flüchtlingen helfen" / GPB), die schon seit Jahren für Geflüchtete eintritt, egal aus welchen Ländern sie kommen. 

Māris Verpakovskis, Ex-Fußballnationalspieler Lettlands, der in seiner Karriere auch vier Jahre bei Dynamo Kiew spielte, warnt währenddessen davor gegenseitig Hass in der Bevölkerung Lettlands zu schüren. Verpakovskis, der heute als Generaldirektor beim aktuellen lettischen Meister RFS Riga tätig ist, sprach sich gegen pauschale Schuldzuweisungen gegenüber allen Russen aus - und sieht dabei Sportlerkollegen wie Tennisspieler Ernests Gulbis und Fünfkämpfer Deniss Čerkovskis an seiner Seite. 

Derweil sticht auch Tatjana Ždanoka mal wieder heraus, selbsternannte Verteidigerin der russischen Interessen in Lettland, ehemalige Führungsfigur der lettischen "Interfront", die bis 1990 noch aktiv die heraufziehende Unabhängigkeit Lettlands bekämpfte. Heute ist sie Vorsitzende der Partei "Latvijas Krievu Savienība" (Vereinigung der Russen Lettlands LKS) und immer noch Mitglied im Europaparlament. Dort befürworteten am 1. März 637 Abgeordnete eine Resolution, die aufgrund des russischen Angriffskriegs härtere Sanktionen forderte - es gab 13 Gegenstimmen, eine davon von Ždanoka. (lsm) 2014 hatte sie noch Kundgebungen in Riga organisiert, auf denen die russische Besetzung der Krim als gerechtfertigt bezeichnet wurde - so wird sie, und eine Handvoll Funktionäre. die ebenfalls im "russischen Interesse" zu handeln vorgeben, zu Belastung für ebendiese. 

Auf der Webseite der LKS sind - wie zu erwarten war - keinerlei Aufrufe zur Unterstützung der Ukraine zu finden. Dort findet sich ein Aufruf "in dieser angespannten Situation" keine Denkmäler zu beschädigen, die an den "Großen Vaterländischen Krieg" erinnern. Denkmäler seien "keine Instrumente um seine Gefühle auszuschütten", sondern eine Erinnerung daran, dass "wir Schulter an Schulter gegen die Nazis gekämpft haben, Russen, Ukrainer, Letten und viele andere". Tja, da liegen Rückfragen nahe, und werden in Lettland wohl häufig gestellt - aber wahrnehmen und gelten lassen will sie bei diesen Gruppen offenbar niemand: ... warum lässt Putin dann, teilweise unter dem verlogenen Vorwand, nun wieder gegen Nazis zu kämpfen, das Nachbarland Ukraine brutal mit Gewalt überfallen? Wer beschmutzt hier welches Andenken? 

In welchem Zustand wird Lettland sein, wenn die militärische Gewalt in der Ukraine, wenn Putins Krieg ein Ende hat?