15. März 2022

Schule gerockt

Wie bilden sich eigentlich die Musikbands in Lettland? Indem sie vorher eine Rock-Schule absolvieren - so könnten wir denken. Und das hat weder mit Volkstrachten, noch mit irgendwelchen Felsen zu tun. Eher mit Musik.
Aktuell sind es Gitarrist Krišjānis Ozols und Schlagzeuger Toms Kagainis, die in diesem Frühjahr im Rampenlicht stehen: die zwei sind Mitglieder der Band "Citi zēni" (könnte übersetzt werden mit "Andere Jungs"), die Gewinner des lettischen Vorentscheids und Teilnehmer beim Finale der Eurovison 2022 in Turin. 

Rock fürs Selbstbewußtsein

Beide haben im lettischen Jelgava die BJMK besucht. Eine Einrichtung, die aus zwei Teilen besteht: einerseits der Verein “Bērnu un jauniešu mūzikas klubs” (Musikklub für Kinder und Jugendliche), der Übungsräume für Bands bereithält und Veranstaltungen organisiert. Andererseits ist es die privat betriebene "BJMK Rockschule", die ein über 5 Jahre dauerndes Ausbildungsprogramm für Bühnenmusiker/innen bietet, bei durchschnittlich 8 Lernstunden pro Woche. Seit 2008 arbeitet die Schule, gegründet von Profi-Gitarrist Endijs Rožkalns, erfolgreich - und vielleicht sind ja schon jetzt Toms und Krišjānis die erfolgreichsten Absolventen.

Gerade das Konzept "Rockschule" scheint aber keine lettische Erfindung zu sein, wie der Blick nach Deutschland zeigt. Ähnliches findet sich mit der Rockschule Russee in Kiel, die PopRockschule in Lübeck, eine Rockschule Melle Beats in Mannheim, die Jazz&Rock Schule Konstanz, die Rockschule Dumont in Rastede, die PopRockschule in Weiden in der Oberpfalz - und "LerntoRock" unterhält gleich sechs Schulen: neben vier in Deutschland auch zwei in Österreich. Die "typisch lettische" Komponente ist in Jelgava vielleicht der "BJMK-Chor", der sicher nicht nur Rock im Repertoire hat - auch Gründer Rožkalns verfügt über Chorleiterausbildung.

Die Auftritte von "Citi zēni" wirken also nicht ganz grundlos ein wenig wie eine älter gewordene Schülerrockband, deren Mitgliedern wir auch ein Engagement bei "Fridays for future" ohne weiteres zutrauen. Jetzt, wo zumindest die lettlandweite Aufmerksamkeit größer ist, wird eifrig an einer "Bandlegende" geschrieben, der zufolge die Anfänge bei der Schülerband "The Citizens" gelegen haben sollen. In deren Videos stolperten noch wie zum Konfirmationsunterricht adrett gekleidete Jugendliche durch selbst gedrehte Filmchen - da weht durch "Citi Zēni" zumindest ein neuer Style (siehe "escunited").

Sich rechtzeitig neu erfinden

Und das nicht nur, weil früher offenbar noch eine Sängerin dabei war. Ausgerechnet während der schwierigen Corona-Einschränkungen erfand die Band sich noch einmal neu. Die Debutsingle hieß “Suņi iziet ielās” (Hunde gehen auf die Straße). Nun also "Eat your salad" - das klingt nach moralischen Ermahnungen zu ökologisch bewußtem Leben, und das ist es auch beinahe. In der lettischen Presse lassen sich die Jungs nun so zitieren: "Wir sind bereit, die Welt zu nerven" (Apollo). Eigenes Motto: "dzīvot zaļi ir seksīgi" ("Grün leben ist sexy").

In der Presse und im Internet, auch In den sozialen Medien sind sehr unterschiedliche Dinge zu lesen. Einerseits geben die Jungs offen zu, das zu singen, "was die Leute hören wollen". (Jauns), inzwischen nun eher gestylt wie frühlingsbunte Happy-Rapper. Andererseits wird offen mit zweideutigen Eindeutigkeiten im Text jongliert - und "Citi Zēni" bestehen hier auch keine Sekunde lang darauf, auch nur eine Zeile in Lettisch singen zu wollen. Fans des oberflächlichen "Ich will Spaß, ich geb Gas" werden spätestens nach wiederholtem Anhören irritiert mit Zeilen wie diesen: "Eat your salad, save the planet, being green is sexy as fuck" oder "I eat only veggies and pussy".

Vegan-Hymne für Lettland?

"Let's go organic" - das frisch-fröhliche Auftreten dieser scheinbaren Spaßmacher-Jungs ist kühl kalkuliert. Stolz erzählen sie in Interviews, dass ihr Liedtext im Internet schon als Thema für mögliche ESC-Zensur gehandelt wird - und, geteilt und weitergeleitet, zehntausendfach die Runde macht. Auf "TikTok" soll der Song sogar schon ein Millionenpublikum erreicht haben. "Genau das war unser Ziel", meint Bandmitglied und Textautor Jānis Pētersons (Jauns)."Es ist doch cool zu versuchen Grenzen zu überschreiten, und zu sehen, was dahinter liegt." 

Nun, wir ahnen zumindest, warum bei "Citi zēni" keine Frauen mehr mitmachen. Die zweideutigen Texte würden Zuhörer wie Zuhörerinnen nicht gleichgültig lassen, so sagen es die singenden (Schul-)Jungs - nicht ohne zu behaupten, nur so zu einem umweltschonenderen Verhalten anregen zu können. Ob denn alle Bandmitglieder vegan leben, traut sich ein Journalist zu fragen (Jauns). Die Antwort: "Manche von uns essen seit mehreren Jahren kein Fleisch mehr, manche seit einigen Monaten, manche teilweise doch." Oder, wie Bandmitglied Roberts es ausdrückt: "Wir sind zwei Meter große Jungs, die manchmal nach Fleisch verlangen, sich aber bemühen vegetarisch zu essen." (apollo) Aha. In dieser Hinsicht eben doch sehr normal. Das irgend jemand nach Anhören des Liedes irgend etwas plötzlich anders macht - das wollen die Jungs denn doch lieber nicht verursacht haben. Aber Greta Thunberg herself sei schon eine ihrer 9.000 Follower auf Instagram (apollo). Na dann: auf nach Turin!

Keine Kommentare: