29. September 2020

Vor 30 Jahren: Ascheraden wieder lettisch

Der lettischen Sage von "Lāčplēsis" („Bärenreißer“) zufolge ist Aizkrauklis der Vater der Hexe Spīdola, und er wacht über die Stromschnelle in der Daugava an der Stelle, wo heute auch der Ort "Aizkraukle" zu finden ist. Da geht es natürlich gar nicht, dass anders gepolte Ideologen diesen Ort umbenennen: Pēteris Stučka, 1917-1919 Bolschewikenführer Lettlands und am 15. Januar 1919 zum Präsident einer lettischen Sowjetrepublik ausgerufen, später Volkskommissar der Sowjetunion - er sollte nun, so entschieden die Sowjetbehörden 1961, Namensgeber der Stadt sein (ebenfalls betroffen waren auch die Universität Lettlands und die Tērbatas iela in Rīga). Damals wurden die meisten der Wohnblöcke in "Stučka" neu für die Arbeiter des im Bau befindlichen Wasserkraftwerks geschaffen. Am 10. Januar 1967 wurden "Stučka" dann die Stadtrechte verliehen (la.lv), damals als klares Vorbild für andere "sowjetische Städte" gedacht: mit damals 6.000 Einwohner*innen aus 20 verschiedenen Ländern.

Später aber wurde Stučka eher "der blutige Peteris" genannt (santa.lv) - näheres mögen die Geschichtsinteressierten in der Fachliteratur nachlesen. Die Verantwortlichen der Stadt weisen heute darauf hin, dass die Umbenennung in "Aizkraukle" bereits 1990 stattfand (ein Beschluss vom 25.9.1990), also noch zu Sowjetzeiten (Aizkraukles Muzejs). Seit 2001 ist Aizkraukle Verwaltungssitz der gleichnamigen Region - das wurde inzwischen auch bei der "Ascheraden-Stiftung" registriert. 

Heute sind es allerdings auch nicht mehr einfach Stromschnellen, die zu bewachen wären, sondern das große Wasserkraftwerk von Pļaviņas (Pļaviņu HES), betrieben vom staatlichen Energiekonzern "AS Latvenergo", das im Dezember 1965 die Arbeit aufnahm, nachdem drei vorher existierende kleine Kraftwerke zu einem großen vereinigt worden waren. Aus lettischer Sicht ist es heute zweispältig: einerseits wurde das Naturstromtal massiv verändert und die Daugava aufgestaut - worduch manche kulturhistorischen Stätten plötzlich direkt am oder sogar unter dem Wasser lagen (z.b. "Staburags"). Andererseits trägt das Wasserkraftwerk wesentlich zur Energieversorgung Lettlands bei, noch dazu auf nachhaltige Art und Weise. 

Das moderne Aizkraukle: dort kursierte zwar inzwischen schon ein selbstfahrender Autobus (für zwei Wochen, siehe SohjoaBaltic (neatkariga / lsm), aber dennoch scheint es schwierig zu sein, einen Betreiber für die regulären ÖPNV-Dienste zu finden (skaties).
Bei den Schulkontakten ist Aizkraukle offenbar in Gesprächen mit deutschen Partnern (Leipziger Volkszeitung), und zur Begründung der Stadt werden neuerdings mehr Naturwiesen angelegt (lsm).
Im Sport ist man in Aizkraukle offenbar gewohnt, Teams zusammen mit anderen Orten zu bilden: Aizkraukle/Koknese im Floorball (früher in Deutschland "Unihockey" genannt), im Handball zusammen mit Skrīveri. Die Stadtverwaltung stellte kürzlich einen neuen Videoclip vor, der für die Stadt werben soll. Für die Kindergärten, Wohnungen mit Blick aufs Wasser, die vier Kirchen, das Sportzentrum, das Sägewerk, und natürlich das Wasserkraftwerk. Motto: In Aizkraukle? "Viss normāli !"