21. Juni 2019

Der Platzhalter

In diesen Tagen lädt der Stadtrat Rigas ein zu Līgosim krastmalā" (Mittsommer am Ufer der Daugava). Vielleicht werden diesmal einige besonders freudig um das Feuer tanzen: nach nur 3 Wochen Amtszeit war ein Misstrauensvotum gegen Dainis Turlais erfolgreich, der sich sicher schon als "Ušakovs-Nachfolger" inthroniert sah. Eigentlich verfügt die bisherige Koalition im Rigaer Stadtrat, gebildet aus den Fraktionen der "Saskaņa" und "Gods kalpot Rigai (GKR)", über eine Mehrheit von 32 der 60 Sitze - aber  diesmal stimmten 31 Ratsherren und -damen gegen Turlais, darunter die vier kürzlich aus der "Saskaņa" ausgeschlossenen Abgeordneten (siehe Beitrag).

Es war ein kurzes Zwischenspiel im Theater um die Macht in der lettischen Hauptstadt. Turlais nutzen auch seine Warnungen vor Neuwahlen nicht - sie verwirrten offenbar nur den Abgeordneten Imants Keišs, dessen JKP eigentlich zur Opposition gehört, der aber pro Turlais abstimmte. Er habe sich "verdrückt", meinte er nachher (die Abstimmung erfolgt elektronisch per Knopfdruck). Er habe sich enthalten wollen, da er gegen Neuwahlen sei. Aber im Stadtrat geht es derzeit heiß zu: diese Ausflüchte reichten der "Neuen Konservativen Partei" nicht, und schloss Keišs zusammen mit Druvis Kleins, der ebenfalls nicht im Sinne der Parteiführer abgestimmt hatte, aus der Partei kurzerhand aus (was "Saskaņa" kann, können wir schon lange - ist hier wohl die Devise). Kleins sich dafür ausgesprochen, schon jetzt, ohne Neuwahlen, mit den vier unabhängigen Ex-Saskana-Abgeordneten zusammenzuarbeiten - was seine Partei aber kathegorisch ablehnt. So musste auch er gehen - wird aber wohl auf diese Weise ebenfalls nicht zum Befürworter von Neuwahlen werden.

Im Amt bleibt jetzt nur noch Vice-Bürgermeister Oļegs Burovs (GKR), dessen Wahl bisher ohne Turbulenzen wie im Falle Turlais verlaufen war. Die Rigenser feiern also dieses Jahr ohne Stadthaupt: Burovs beendete die Sitzung des 21. Juni, und wünschte allen fröhliches Ligo-Feiern. Erst am 10. Juli wird es (der Zirkus?) weitergehen. Falls im Laufe der kommenden 2 Monate kein neuer Bürgermeister gewählt würde, ginge das Recht auf die lettische Regierung über (bzw. den zuständigen Minster Juris  Pūce), den Stadtrat aufzulösen (ihn für beschlußunfähig zu erklären). Konsequenz wären dann Neuwahlen.

18. Juni 2019

Die Käseletten

Weniger Fisch und Kartoffeln, Lettinnen und Letten essen mehr Käse - diese Bilanz zeigt ein Blick auf die aktuelle Berichterstattung zur Lebensmittelproduktion in Lettland.
Käse essen wird in Lettland als Teil einer gesünderen Lebensweise beworben. Käse ist aber auch sehr variabel einsetzbar für verschiedene Zielgruppen - sowohl als Beilage zum Wein, wie auch als Mitbringsel zum Picknick im Grünen.

Auf der Welt gibt es mehr als 3.000 Käsesorten, und Frankreich gilt gewöhnlich als Mekka der Käseliebhaber/innen. Aber auch in Lettland sind inzwischen bereits etwa 100 Käsesorten zu finden (Frankreich 700). In allen drei baltischen Staaten stieg der Käseverbrauch zwischen 2007 und 2016 an - in Lettland um 6,8 kg, Litauen 5,1 kg, und in Estland um 2 kg. Vanda Davidanova zufolge, bereits vierfach wiedergewählte Präsidentin des lettischen "Siera Klubs" ("Käse-Klub"), verzehrt jede Lettin und jeder Lette pro Jahr 20,2 kg Käse - das bedeutet eine Verdreifachung seit dem Jahr 2002.

48.300 t Käse wurden 2018 produziert, davon 25.600 t für den Export. In insgesamt 73 Länder der Welt wird in Lettland hergestellter Käse exportiert und daraus ein Umsatz von 81 Mill. Euro erzielt - auch wenn dem deutschen Verbrauer ein lettisches Käseangebot bisher wohl kaum ins Auge gefallen sein wird. Und auch der Tourist benötigt beim lettischen Warenangebot vielleicht ein paar Tipps. Am häufigsten, und preisgünstigsten, werden die beiden Sorten "Holandes siers" ("Holland-Käse") und "krievijas siers" (Russland-Käse) angeboten. Aber werden diese überhaupt nach einheitlichem Rezept hergestellt?

Während die Bezeichung "Russischer Käse" ganz klar aus der Sowjetzeit stammt, und auch die Rezeptur eine Übernahme aus Uglitsch an der Wolga sein soll ("Käse-Hauptstadt Russlands!"), hat der  "Holländer-Käse" in Lettland eine längere Tradition - so erzählen es jedenfalls die lettischen Käseproduzenten. Der Herstellung von Edamer Käse sei bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgen. "In den 1930iger Jahren wurden beide Käsesorten in fast jeder Käserei in Lettland hergestellt," berichtete "Käsepräsidentin" Davidanova (LTV). Heute habe jede Firma ihre eigene Rezeptur. In der Regel enthalte der "russische" aber 50%, der "holländische" 45% Fettanteil.

Wer nur zwischen diesen beiden Sorten wählt, der bleibt auch in Lettland geschmacklich wohl in der Tradition der russisch dominierten Käseproduktion - denn auch russische Quellen beanspruchen gern die "Edamer-Legende" für sich - und beschreiben die "verfeinerte Rezeptur" so: "der Gollandskij-Käse hat einen Milchgeruch und ist im Geschmack ein wenig säuerlich und etwas scharf" ("russia beyond").
Zum Vergleich der "Russland-Käse": "Sein Geschmack ist etwas säuerlich. Beim Aufschneiden des Käses wird ein gleichmäßiges Muster aus kleinen Löchern sichtbar. Die Löcher bilden sich während der Entwässerung der Käsekörner." ("Russia beyond") Auf demselben Portal lässt sich nachlesen, warum lettischer Käse aber doch ziemlich anders schmecken könnte als der in Russland hergestellte: in Russland benutzen „viele Käseproduzenten so gut wie keine natürliche Milch, sondern verwenden Milchpulver aus Weißrussland mit viel Wasser und Palmöl aus Vietnam." - Na dann: wohl bekommt's!

In Lettland ist zur gegenwärtigen Jahreszeit - Mittsommer - erst mal eine andere Käsesorte dran: der "Jāņu siers" ("Johannis-Käse"). Der wird von vielen selbst hergestellt, hausgemacht, mit ordentlich viel Kümmel natürlich. Noch einmal die Statistik: allein 186.700 t "Jāņu siers" wurden 2017 in Lettland produziert (delfi) - sechs lettische Molkereien haben in Lettland die Lizenz dazu (lsm). Diese Sorte wird nach einheitlichen EU-Verordnungen als "garantiert traditionelle Spezialität" hergestellt, mit ungefähr dieser Rezeptur: 28-50 Liter Magermilch, 10-13 kg Magermilch-Quark, 1-1,2 kg Butter mit 82% Fett oder 2,5 Liter süße Sahne mit 35% Fett, 600-1000 g Eimasse, 40-50 g Kümmel und 100-120 g Salz. Das Rezept stammt vom "Käse-Klub". Also: Gutes Gelingen! "Sieru, sieru Jāņamāte!"

6. Juni 2019

Lettisch essen, schwarz arbeiten?

Neues von Ķirsons. Nachdem der lettische Unternehmer Gunārs Ķirsons bereits Anfang Oktober 2018 eines seiner Restaurants in Berlin zusperrte - kurz nach einer Feier zum zweijähriges Bestehen - scheint er sich jetzt Argumente dazu überlegt zu haben, mit denen er an die Öffentlichkeit treten kann. Ķirsons verkündete in dieser Woche vor der lettischen Presse, den deutschen Markt vielleicht ganz verlassen zu wollen. Seine Begründung: "Von zehn Personen, die bei mir arbeiten wollen, verlangen acht, dass ich sie cash bezahle, bar auf die Hand - also 'schwarz'." (tvnet) Und, noch allgemeiner: "Ich dachte, in Deutschland ist jeder ehrenhaft und zahlt Steuern. Deutschland zahlt hohe soziale Unterstützung, und die Leute wollen diese bekommen, und nebenbei noch irgendwo 'inoffiziell' arbeiten." (delfi)

Ein Foto aus berlinfreundlicheren Tagen: rechts die Gönner und Spender,
links (im Hintergrund) die Schwarzarbeiterinnen?
Ist "Lettisch essen" in Berlin so schnell gescheitert? Oder ist es einfach nur ein geschickter Unternehmer, ohne Garantie auf Weiterbeschäftigung, wenn er Filialen nach eigenem Gusto öffnet und wieder schließt - solange nur die eigenen Gewinne im Sack sind?

Schon jetzt präsentiert sich auch die einzig verbliebene Filiale im Alexa in Berlin mit stark reduzierter Speisekarte: ein bischen lettisches Bier, ein kleiner Nachtisch - das war's schon mit dem "typisch lettischen". "Die Idee, in Berlin bis zu 12 Restaurants eröffnen zu wollen, war ein Fehler", meint Kirsons heute. Angeblich werden für die verbliebene Filiale schon jetzt ein Geschäftspartner oder Käufer gesucht. Und damit nicht genug - Kirsons ist Berlin offenbar nicht "deutsch" genug: "Berlin ist nicht Deutschland - das haben wir falsch eingeschätzt. In Berlin gibt es viele Migranten aus der ganzen Welt."(TVNet / db / Kapitāls).

Neue Texte fürs Kirsons-Liederbuch:
"Nein, wir sind so dankbar,
wir wollen keinen Lohn,
selbst wenn Gunnar auch mal krank war,
wir alle lieben seinen Hohn!"
Dabei wirbt Kirsons selbst sein Personal mit "Aufstiegsmöglichkeiten in einem internationalen Unternehmen". Seine finanzielle Bilanz ist ebenfalls interessant zu lesen: "In Lettland ist es schon gut, 4000 Euro Umsatz am Tag zu machen. In Berlin muss es aber 6000 Euro sein."- Dank für den persönlichen Einsatz seiner Angestellten, das findet sich bei  Kirsons nirgendwo.

In einem früheren Interview für "Dienas Bizness" hatte er sich zu den Unterschieden in verschiedenen Ländern geäussert. In Estland sei einfach weniger Salz nachgefragt, und "manche Kohlgerichte mögen sie nicht". In Deutschland habe Kirsons versucht, die Kunden von ausschließlich natürlichen Zutaten zu überzeugen, aber: "sie essen alles, aber sie sind gewöhnt an chemische Zusatzstoffe. Wir versuchen sie von natürlichen Zutaten zu überzeugen, aber sie verstehen das nicht." (db). Wer solche Aussagen versucht zwischen den Zeilen zu lesen, die Schlußfolgerung könnte in zwei Richtungen gehen: entweder hat Kirsons versucht, die Preise in Berlin langsam anzuheben (mit dem Verweis auf "natürliche Zutaten") - und das haben die Kunden nicht nachvollziehen können (weil sehr viele schon in Deutschland mit "natürlichen Zutaten" werben). Oder aber, es ist ein Argument dafür, dass Kirsons eigentlich sagen will: um mehr Gewinn rauszuschlagen in Berlin, komme auch ich nicht ohne Zusatzstoffe aus.

Nein, die Angestellten seines Unternehmens scheinen den "lettische McKirsons" in seinen Zukunftsplänen wirklich nur zu stören. Er denkt bereits darüber nach, automatisierte digitale Zahlungssysteme einzuführen, und auch die Möglichkeit für Bestellungen "online" will die Lido-Kette ausbauen. Noch gibt es in den LIDO-Restaurants (allen zusammen) etwa 1200 Menschen die dort arbeiten. - Bliebe eigentlich nur noch hinzuzufügen, dass einer aktuellen Umfrage zufolge in Lettland 84% aller Arbeiter/innen und Angestellten NICHT Mitglied bei einer Gewerkschaft sind. Kein Wunder, dass der Chef dieses Thema auch bezüglich Berlin lieber nicht erwähnt.

Wie sagte noch Ķirsons anläßlich der Schließung in der Charlottenstraße so schön: "Wir bitten zum Verständnis."

5. Juni 2019

Wer Riga kennt - könnte Brüssel langweilig finden ...

Nicht nur in Deutschland haben die Ergebnisse der Europawahl Veränderungen ausgelöst - auch in Lettland. Da war es fast Nebensache, dass Egils Levits vom Parlament mit 61 Stimmen (von 100) zum neuen Präsidenten Lettlands gewählt wurde - das hatte sich seit Wochen abgezeichnet. Auch dass zwei der Wahlberechtigten, darunter Ex-Ministerpräsident Māris Kučinskis, offenbar nicht in der Lage waren dabei gültige Stimmzettel abzugeben, war nur eine Randnotiz (lsm). 
Zumindest mit dem aktuellen Ministerpräsidenten dürfte sich Levits gut verstehen - beide kennen sich aus ihrer Zeit am Lettischen Gymnasium in Münster (lsm).

Rücktritt zum zweiten

Offiziell trat Rigas Bürgermeister Nils Ušakovs am 29.Mai zurück - und verabschiedete sich nach Brüssel (lsm). Schon vor den Europawahlen gab es aber Turbulenzen um die beiden Spitzenjobs in der lettischen Hauptstadt - auch um Ušakovs Stellvertreter Andris Ameriks. Beide standen schon länger in der Kritik u.a. wegen schlecht gemanagter und offenbar unendlicher Baustellen überall in der Stadt, und vor allem dem offensichtlichen Korruptionsfall bei den Rigaer Verkehrsbetrieben (Rīgas Satiksme) im Zusammenhang mit dem Ankauf von Niedrigflurstraßenbahnen in den Jahren 2013 und 2016 - hier sollen mehrere sogenannte "Berater" hohe Honorare erhalten haben ohne irgend etwas dafür getan zu haben (lsm). Ameriks trat deshalb schon am 17. Dezember 2018 zurück.

Die Berlin-Connection

Auch einige besondere Beziehungen Ušakovs wurden öffentlich, u.a. die nach Berlin: nein, gemeint ist damit nicht, dass er sich in der Berliner Charité hatte behandeln lassen (Blogbeitrag). Offenbar gibt es in Berlin für den Ex-Oberrigenser auch Vorbilder bei der Imagebildung: Lutz Meyer, mit seiner Werbeagentur "Blueberry" auch schon mal "Kanzlerinnenmacher" genannt (Tagesspiegel) und inzwischen mit "Fulberry" auf dem PR-Markt, hat offenbar erhebliche Geldzahlungen auch aus Riga bekommen. Das von ihm selbst verkündete Motto, sich "an der Schnittstelle zwischen Politik und Unternehmen" bewegen zu wollen, klingt für manche Ohren sicher vielversprechend - zuständig war Meyer offenbar für den Kommunalwahlkampf Ušakovs (lsm).
My town is my party? Warb Bürgermeister Ušakovs
für Riga, um damit gleichzeitig die Interessen seiner
Partei zu bedienen?
Soweit, so gut. Merkwürdig nur, dass offenbar auch Geschäfte auf Gegenseitigkeit gelaufen sind: 50.000 Euro wert sein soll ein Vertrag mit der Tourismusagentur Riga (“Rīgas tūrisma attīstības biroju” RTAB) über die Erstellung von "Werbeplakaten im Ausland" und der Veranstaltung von Seminaren zum Tourismus. Geflossen seien aber 300.000 Euro - so die lettische Presse (lsm / lsm_engl). Eine unzulässige Verquickung von städtischen Aufgaben und Parteiinteressen? Für Riga geworben werden sollte in Deutschland, Spanien und Schweden - genau dieselben Länder, in denen Meyers Agentur tätig ist. Die Stadt Riga besitzt 70% der Anteile am RTAB. Gegen insgesamt drei Personen des RTAB sei ein Strafverfahren eingeleitet worden, so teilte das lettische Anti-Korruptionsbüro KNAB mit.

Es folgten polizeiliche Untersuchungen in den Büros des (inzwischen entlassenen) Bürgermeisters und anderer Verantwortlicher. - Am 5. April entschloss sich Umwelt- und Regionalminister Juris Pūce dazu, Bürgermeister Ušakovs seines Amtes zu entheben - wegen "Nichterfüllung gesetzlicher Verpflichtungen und Verstößen gegen behördliche Vorschriften." Er bezog sich dabei ausdrücklich auf die Vorgänge um die Verkehrsbetriebe "Rigas Satiksme" (RS)
So ergab sich ein seltsamer Europawahlkampf: Spitzenkandidat Ušakovs wurde in der Öffentlichkeit nur noch selten gesehen - wegen des "öffentlichen Drucks", wie er selbst angab (lsm). Antreten konnten er und Ameriks natürlich dennoch - und genau diese beiden wurden auch gewählt.

Bisher regieren im Rat der Stadt Riga Ušakovs' "Saskaņa" zusammen mit Ameriks "Gods kalpot Rigai - GKR" - aber nur mit einer knappen Mehrheit von 32 der 60 Sitze. Beide traten bei der Kommunalwahl 2017 zusammen auf einer Liste an.

"Seht her! Wer hätte das gedacht, dass ich auch noch
mal Hauptstadts-Bürgermeister werde!" scheint
sich hier Dainis Turlais zu denken - dessen einzige
Einkünfte eine Aufwandsentschädigung als Ratsherr
und eine Rente aus Russland sind.

Stimmst Du nicht für uns - fliegst Du raus!

Im Stadtrat Rīga wurde dann zunächst ein neuer Bürgermeister gewählt: GKR-Kandidat Dainis Turlais konnte bei seiner Wahl auf die 32 Stimmen der beiden Mehrheitsfraktionen zählen.
Überraschung dann aber bei der Wahl des Stellvertreters: die Saskaņa-Franktion stellte nicht mehr den bisherigen Vize Vadims Baraņņiks auf, sondern Sandris Bergmanis, der erst kürzlich in die Schlagzeilen geraten war, weil er ungerechtfertigt hohe Beraterhonorare kassiert haben soll (ir).
Jetzt traten die Meinungsverschiedenheiten offen zu Tage: vier Ratsherren (darunter auch Baraņņiks) verweigerten Bergmanis die Zustimmung - und wurden, ja so schnell kann das in Lettland gehen, daraufhin umgehend aus ihrer Partei ausgeschlossen. Damit verloren GKR und "Harmonie" (Saskaņa) aber auch ihre Mehrheit im Stadtrat.

Was nun? Die Opposition im Stadtrat solle sich nicht zu früh freuen, mahnt Janis Ozols, Abgeordneter der oppositionellen "Neuen Konservativen" JKP, in einem Kommentar für die Zeitschrift "IR". Nach wie vor seien die vier "Ex-Harmonischen" (die inzwischen eine eigene Fraktion gebildet haben) politisch den beiden Regierungsparteien näher stehend - aber offensichtlich hätte die in den vergangenen 10 Jahren vom Duett Ušakovs/Ameriks geschaffenen Abhängigkeiten "mehr Münder als sie ernähren können."

Bezahlt aus Moskau

Viele sehen auch in dem frisch gewählten "Nachfolger" von Ušakovs, Dainis Turlais, kein Vorbild, in mehrfacher Hinsicht. 8490 Euro an Rente bezieht der neugewählte Bürgermeister aus Russland - so zählte die Tageszeitung "Diena" nach. Turlais, geboren 1950, gilt in der lettischen Politik als "bunter Hund" - da er ziemlich oft seine Parteizugehörigkeit wechselte. Im Sowjetsystem machte er zunächst eine militärische Karriere und diente auch in Afghanistan. 1992-94 war er Kommandeur des lettischen Militärs. Später war er Berater des lettischen Präsidenten Guntis Ulmanis in Verteidigungsfragen. 1995 wurde er auf der Liste der Partei "Saimnieks" ins Parlament gewählt, war Innenminister in der Regierung Sķēle, und musste 1997 nach einem schweren Unglück in Talsi zurücktreten, als dort acht Kinder zu Tode kamen. 1999 schloss Turlais sich der Partei "Lettlands Weg" (“Latvijas ceļš” LC) an, die er aber 2002 wieder verliess und nun Mitglied der “Tautas saskaņas partijā” (TSP) wurde. 2004 wurde er wiederum ins Parlament gewählt, dann wechselte er zur "Latvijas Pirmajā partijā" (Erste Partei - LPP). 2009 wurde er auf der Liste LPP / LC in den Stadtrat Rigas gewählt. Seitdem wechselte er seine Parteizugehörigkeit erneut und gehört nun "Gods kalpot Rigai" (GKR, "Ehre Riga zu dienen") an.

Vorerst kommen die Rigaer Stadtoberen nicht zur Ruhe. Am 4.Juni wurden sich die oppositionellen Parteien im Stadtrat einig, gegen den frisch gewählten Turlais ein Misstrauensvotum zu beantragen. Am 8.Juni feiert Nils Ušakovs seinen Geburtstag. Ob dann wohl sein Nachfolger noch im Amt sein wird? Neuwahlen werden von vielen derzeit nicht ausgeschlossen.


Info: 
Zur Europawahl traten in Lettland 16 Listen mit insgesamt 246 Kandidatinnen und Kandidaten zur Europawahl an, darunter 75 Frauen (30,5%).Die Wahlbeteiligung lag diesmal bei 33,53%. Gewählt wurden Valdis Dombrovskis und Sandra Kalniete (beide Jauna Vienotība), Nils Ušakovs und Andris Ameriks (Saskaņa" / GKR), Roberts Zile und Dace Melbarde (beide National-Konservative / Nacionālā apvienība "Visu Latvijai!"-"Tēvzemei un Brīvībai/LNNK"), sowie Ivars Ijabs ("Attistībai par" / "Für Entwicklung") und Tatjana Zdanoka (Vereinigung der Russen Lettlands). (cvk)