21. März 2016

Trotzköpfe im Drugstore

Seit Anfang März die russische Tennisspielerin Maria Scharapowa ihr eigenes Doping-Outing vor der Presse verkündete, macht in der Presse ein Schlagwort die Runde, das bisher nicht bekannt war, weil es erst 2016 auf die Liste der für Sportler verbotenen Stoffe gesetzt wurde: Meldonium. Gleichzeitig überraschte aber auch die Tatsache, dass Scharapowa nicht etwa behauptete, sich in Unkenntnis mal versehentlich mit diesem Mittel versorgt zu haben, sondern es bereits seit fast 10 Jahren einnehme (siehe "Focus", Süddeutsche", "Die Welt"). Damit sieht es eher aus wie ein typischer Fall all jener Hochleistungssportler, die immer wieder willige Ärzte finden um ihren eigenen Körper als Sonderfall darzustellen; für den Laien schwer verständlich, denn eigentlich wäre es viel logischer, dass ein gesunder, gut trainierter Körper die besten Leistungen bringen kann - und nicht ein Körper in Schieflage, der durch Geburtsfehler, angeborene Schwächen oder durch schlecht verheilte Krankheiten verursachte "Macken" dauerhaft notdürftig funktionsfähig gehalten werden muss.


Erfolgreiches Exportprodukt
Sei es wie es sei: Meldonium jedenfalls wird in Lettland hergestellt. Und was sagt die Herstellerfirma "Grindex" dazu, ihr Medikament nun in so negativen Schlagzeilen zu sehen? Man macht allen Ernstes eine Werbekampagne daraus. Dazu reichen ein Tennisball und der Spruch daneben: "Erfunden und hergestellt in Lettland - in der ganzen Welt berühmt."

Lettland, Top-Zulieferer fürs Dopingparadies? Die 'World Anti-Doping Agency (WADA)' hat unser Mittel völlig zu unrecht auf die Dopingliste genommen", verkündet die Firma in einer Pressemeldung. Man habe von der WADA keine schlüssige Erklärung bekommen. Eines würde sich jedenfalls auch durch die Einstufung von Mildronat als Dopingmittel nicht ändern: der Stoff (auch Meldonium, Quaterin, THP oder MET-88 genannt, lettisch Mildronāts, russisch Мельдоний) sei eine hoch qualitative, sichere und effiziente Medizin. Das Medikament ist frei erhältlich und erfreut sich breiter Anwendung in der klinischen Praxis. Das Mittel sei lediglich therapeutisch anzuwenden, verteidigt sich der Hersteller, verbessere aber nicht die sportliche Leistung. Daher steht auch in den Grindex-Packungsbeilagen nicht "vermeiden Sie das Mittel, wenn Sie Leistungssport betreiben", sondern es wird lediglich vor Einnahme im Fall von Nieren- oder Leberdisfunktion gewarnt, abgeraten wird Schwangeren und Kindern unter 12 Jahren.

Kränkelnde Helden
Hajo Seppelt, bereits seit Jahren in Sachen Doping recherchierender WDR-Journalist, sieht die Sache kritischer. Filme wie "Geheimsache Doping" versuchen nachzuweisen, dass in vielen Ländern der Welt systematisches Doping an der Tagesordnung ist. Mildronat wurde eigentlich vor allem bei Fällen von Angina pectoris und Herzinfarkt vorgesehen. "Es ist immer wieder erstaunlich, wie krank die Sportler sein wollen, wenn es an die Beichte nach Dopingfunden geht", argumentieren die Dopinggegner (Scharapowa hatte die Verwendung u.a. damit begründet, sie leide unter einer chronischen Gruppe-Anfälligkeit, und ih ihrer Familie gäbe es einige Diabetes-Fälle (siehe "nolympia"). Eine sachliche Darstellung versucht die "Deutsche Apotheker-Zeitung" - die Schlußfolgerung ist aber auch hier klar: "Doper wollen mit Meldonium ihre Belastbarkeit erhöhen und die Regeneration verbessern." Für den medizinischen Einsatz zugelassen seien die Mildronate außer in Lettland und Russland auch in der Ukraine, Georgien, Kasachstan, Aserbaidschan, Belarus, Usbekistan, Moldawien und Kirgisistan.

Ein Effekt der neuen Bekanntheit der Substanz wird aber von Gegnern wie Herstellern nicht verschwiegen: der Absatz von Mildronat ist seit der Presseberichterstattung erheblich gestiegen - was ja nicht gerade für massenhaft medizinisch korrekte Verwendung spricht.

Aber manche Letten sehen sich offenbar durch die Negativ-Schlagzeilen bei ihrer persönlichen Ehre gepackt. "Je suis Mildronāts!" verkündet Lettlands Ex-Wirtschaftsminister Vjačeslavs Dombrovskis gegenüber der Tageszeitung "Diena". Nun ja, Merkwürdigkeiten und individuelle Alleingänge bietet die lettische Politikszene ja reichlich - aber ein Dopinghersteller zu verteidigen, wie andernorts Terroropfer?

Empfehlungen vom Erfinder
Um das zu verstehen, muss man Biochemiker Ivars Kalviņš kennen, der Mann, der Mildronāt erfand. Dazu müssen Interessierte sogar im deutschsprachigen Internet nicht weit suchen: 2015 war Kalviņš für den Europäischen Erfinderpreis nominiert (in diesem Fall steht EPO nicht schon wieder für eine Dopingsubstanz, sondern fürs "European Patent Office"). Und wofür sollte er belobigt werden? Genau, für nichts anderes als für "Mildronāts" (in der Kathegorie "Lebenswerk" übrigens). Allerdings hat der Lette, derzeit Leiter des lettischen Instituts für organische Syntghese (Organiskāssintēzes institūta - OSI), auch noch andere wichtige Dinge erfunden: das Krebsmedikament Belinostat, das Neuroprotektivum Neramexan, oder den Entzündungshemmer OX-MPI. Über Meldonium / Mildronāt ist hier zu lesen: "ein hochwirksames Medikament gegen Herzerkrankungen. Mildronat wird vom lettischen Pharmaunternehmen Grindeks hergestellt und vertrieben und gehört zu den erfolgreichsten medizinischen Exportprodukten Lettlands: Mildronat erzeugte 2013 einen Exportumsatz von rund 60 bis 70 Mio. EUR und macht 0,6 bis 0,7 % der lettischen Gesamtexporte aus." Also: warum auch nicht stolz sein - jedenfalls für den Fall, wo wirklich Kranken geholfen werden kann. So wie auch das "Handelsblatt" vor einigen Monaten schrieb: "Über 900 Patente hat Ivars Kalviņš im Laufe seines Lebens angemeldet. Alle dienten einem Ziel: Leben zu retten. Die von ihm entwickelten Medikamente helfen heute beim Kampf gegen einige der gefährlichsten Erkrankungen."

Und auch andere sind nun eifrig auf der Suche nach Herrn Professor Kalviņš. "Mildronāt sollte man empfehlen, nicht verbieten!" zitiert der staatliche russische Propagandakanal "Sputnik" den lettischen Wissenschaftler. Bereits 32 Jahre sei das Präparat auf dem Markt, der Stolz der lettischen Pharmazie. "Aber wir sind bereits dabei, etwas Neues zu entwickeln - noch 40mal effektiver als Mildronāt. Das wird dann wohl noch schneller verboten werden." Und "Sputnik" versucht Kalviņš auch gleich noch für die eigene These einzuspannen, hier laufe nichts anderes als eine "politisch gesteuerte Kampagne gegen Russland". Sein Präparat schütze Leistungssportler einfach nur in Phasen hoher Belastung, und seinen Schätzungen zufolge nutzen bis zu 18% aller Sportler Mildronāt - darunter sicher auch lettische. "Wenn ich Scharapovas Arzt wäre, ich hätte ihr Mildronāt verordnet," zitiert Sputnik. Diese These wird von anderen Medien noch erweitert: "Wenn Scharapowa das Mittel nicht genommen hätte, vielleicht hätte sie ihre Karriere dann bereits vor fünf Jahren beendet!" (International Business Times)

Nun ja, dass Pharmahersteller immer schon gerne Ärzten Empfehlungen geben wollen, was sie zu verschreiben haben - das kennen wir nun wirklich auch aus Deutschland. Interessant ist in diesem Zusammenhang die so ganz nebenbei gegebene Information, die regelmäßige Nutzung von Mildronāt sei auch im Militär weit verbreitet (angefangen mit der russischen Intervention in Afghanistan - aber inzwischen nicht nur in Russland!).
Neue Devise also: wenn Du schon ungesunde Dinge tun musst, und ungesund viel an Belastungen dir zugemutet werden - nimm ne Tablette, Augen zu und durch!

8. März 2016

Führungsetaginnen

So würden es die Lettinnen sicher gerne sehen: eine Statistik, wie sie am heutigen Weltfrauentag häufig in den deutschen Medien häufig genutzt wurde.Ein Stückchen Wahrheit wird dran sein - nur neigen auch die lettischen Medien heute eher zur Selbstkritik.

"Immer Blumen und Pralinen - aber im Alltag geringerer Lohn und immer seltener Führungspositionen" - so ist es bei LSM, dem lettischen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal, zu lesen. 65% der Absolventen an lettischen Hochschulen sind Frauen, so hat Journalistin Evita Puriņa ein paar eigene Kennzahlen zusammengestellt. Im lettischen Parlament, der Saeima, sitzen gegenwärtig nur ganze 16% Frauen - obwohl bis vor kurzem eine Frau Regierungschefin war, und eine weitere gute Chancen auf die Nachfolge hatte.

Die Zahlen aus der Wirtschaft in Lettland wirken wohl deshalb gut, weil andere Länder noch schlechter abschneiden: in den Aufsichtsräten sitzen 21% Frauen, in den Vorständen 28%, in betrieblichen Gremien noch 46% Frauen. Bei den Arbeitern und Angestellten sind es in Lettland 59% Kolleginnen (Datenquelle für alle Zahlen: lettisches Statistikamt CSP.)

Aber Lettland ist kein Paradies für Frauen - das wird deutlich beim Blick auf das Schulsystem und die chronisch überlasteten und unterbezahlten Lehrerinnen und Lehrer. Ganze 89% sind hier Frauen - eine erstaunliche Zahl. Auch bei den Arbeitslosen liegen Frauen mit 51,8% vorn, sie erhalten mit durchschnittlich 719 Euro lediglich 83,9% des Lohnniveaus der Männer (857 Euro). An Lebensjahren haben Frauen in Lettland 79,5 Jahre zu erwarten, Männer mit 69,3% glatte zehn Jahre weniger.