Gibt es in Lettland gegenwärtig noch andere Diskussionsthemen, außer dem Ukraine-Konflikt und Spannungen mit Russland? Ja, natürlich. Auf der politischen Bühne steht eine Neuwahl des Präsidenten an - und bis gestern war ist die Ausgangslage noch ziemlich unklar.
|
Möglicherweise letzter Auslandsbesuch: Präsident Bērziņš beim österreichischen Bundespräsident Fischer |
Gleichsam diskutiert wird aber auch das Wahlverfahren, wie zukünftig Präsidentinnen und Präsidenten gewählt werden sollten. In geheimen Abstimmung im Parlament, so wie bisher? Oder aber - wenn schon nicht vom gesamten Volke gewählt - dann wenigstens in offener Abstimmung? So dass jede/r sehen kann, wer wie gewählt hat? Ex-Präsident Valdis Zatlers spricht sich für eine Variante aus, der zufolge 10.000 Unterschriften für eine Kadidatin oder Kandidat abgegeben werden müssen um ihn ins Abstimmungsverfahren (weiterhin durch das Parlament) zu hieven. Für diesmal werden es aber noch (geheime) Abstimmungen im Parlament sein - wer also 51 Stimmen für sich gewinnen kann, ist gewählt.
Schon in den vergangenen Wochen und Monaten hatte es aber mehrfach Kritik gegeben am amtierenden Präsidenten Andris Bērziņš. Schon die Umstände seiner Wahl am 8.Juli 2011 - die ein Produkt von Absprachen der Liste der Bauernpartei und Grünen gewesen sein soll (
Zaļo un Zemnieku savienība ZZS) - blieb belastend für sein Image. Und seit die Lage in der Ukraine auch die Beziehungen mit Russland erneut erschwert hat, erwartete die Öffentlichkeit gespannt auf eine Aussage, ob Bērziņš denn am 9.Mai zur großen russischen Militärparade zur Feier des Sieges über den Faschismus reisen würde - Bērziņš nahm sich für eine Entscheidung sichtlich mehr Zeit als die beiden baltischen Nachbarn, und begründete das mit der besonderen Rolle Lettlands durch die EU-Ratspräsidentschaft.
Langsam aber sicher wurde es für diejenigen, die sich offenen Spekulationen hingaben, was ein Präsident haben, machen und unterlassen müsse, zu einer fast täglichen Beschäftigung. Präsident Bērziņš sah sich zum Beispiel erst vor wenigen Tagen einem gemeinsamen
Statement bekannter Mitglieder der lettischen Kulturszene ausgesetzt, die den Amtsinhaber zum Verzicht auf eine mögliche zweite Amtszeit aufforderten, und gleichzeitig drei angeblich bessere Kandidat/innen benannten: Egils Levits, Jurist und Ex-Diplomat, derzeit Richter am Europäischen
Gerichtshof, Ex- Aussenministerin und Ex-Kurzzeit-EU-Kommissarin Sandra
Kalniete, und Mārcis Auziņš, Physiker und derzeitiger Rektor der Universität
Lettlands.
|
Das Bruttoinlandsprodukt der EU-Länder, pro Kopf: bis zum mittleren Niveau ist es für Lettland noch ein weiter Weg ... |
"Einer muss in diesen unstabilen Zeiten die Leitung übernehmen, und in der Stunde X Entscheidungen treffen!" Ob sich Andris Bērziņš an diesem Leitsatz des Ex-Präsidenten Valdis Zatlers orientierte, als er am Donnerstag von einem Besuch in Österreich zurückkehrte, ist nicht bekannt. In der Presse wurden aber bereits zu diesem Zeitpunkt Stimmen laut, es könnte die letzte Auslandsreise seiner Amtszeit gewesen sein (
LETA).Einen Tag später trat Bērziņš dann vor die Presse, und verkündete: ich werde keiner der nächsten Präsidentschaftskandidaten sein (
president.lv).
Politischen Beobachtern zufolge wäre Bērziņš zwar eine knappe Mehrheit von 53 Unterstützerstimmen im Parlament sicher gewesen - aber das ist nur nach Parteiproporz gerechnet, und entspricht kaum den meist sehr launischen und persönlich geprägten lettischen Abstimmungstraditionen. Eine Wahl nur zur "Rettung der Stabilität" - auch der Regierung - wie es oft in Deutschland den Wahlberechtigten nahegelegt wird (oft als "Franktionszwang" verkleidet), solche Gepflogenheiten werden in Lettland kaum eingehalten. Also lieber nach vier Jahren gehen, als beim Versuch der Amtsverlängerung scheitern, dachte sich der Amtsinhaber vielleicht. In seiner Amtszeit habe es "20% Exportsteigerung und stetigen Aufschwung" gegeben, fügte er selbst hinzu. Ein bischen klingt in seiner Erklärung auch so etwas wie Bedauern nach, nicht weiter an der Staatsspitze mit gestalten zu können. Nun formuliert Bērziņš plötzlich Zielvorgaben: innerhalb der nächsten 10 Jahre solle Lettland das Niveau des mittleren Brottoinlandsprodukts der EU erreichen - nur pro Kopf gerechnet, wohl gemerkt.
Die soziale Sicherheit dürfe dabei nicht vergessen werden, meint Bērziņš, und dazu müsse auch der Bevölkerungsrückgang gestoppt und eine bessere Regionalpolitik umgesetzt werden.
Tja, hätte er das mal den amtierenden Regierungspolitikern rechtzeitig aufs Brot geschmiert, mag sich da vielleicht mancher denken.
Ein Feiertag steht für den nun neu zu wählenden neuen Präsident oder eine neue Präsidentin schon jetzt im Fokus: Lettlands 100.Unabhängigkeitsjubiläum im Jahr 2018.
Wer aber nun vor allem von des Präsidenten Rückzug Profit schlagen kann, bleibt vorerst unklar. "Viele werden wohl heute gern ein Feuerwerk veranstalten!" spekuliert Jānis Urbanovičs von der oppositionellen "Saskaņa". Aber auch er hat keine politische Mehrheit für einen Kandidaten aus seiner Partei, und hofft daher wohl eher auf kommende Unstimmigkeiten in der Kandidatenfrage beim politischen Gegner. Gibt es bereits konkrete Kandidat/innen? Angeblich soll sogar Ex-Präsidentin Vīķe–Freiberga bereit sein es nochmal zu machen. Die neu im Parlament vertretene Partei "Verband der Regionen" (
Latvijas Reģionu apvienība) hat ihren Chef Mārtiņš Bondars zum Präsidentschaftskandidat ausgerufen - was aber in der lettischen Öffentlichkeit lediglich als Versuch angesehen wird, die eigene Popularität zu befördern. Sicher wird nach weiteren Personen gesucht werden. Die Präsidentschaftswahlen sollen voraussichtlich Ende Mai / Anfang Juni stattfinden - bis dahin bleibt viel Raum für Spekulationen.