30. Mai 2021

Nichtlandung = Nichtflagge

Außenminister Rinkēvičs und Rigas
Bürger Staķis höchstselbst sahen
sich zum Flaggentausch veranlasst

Ein Flugzeug wurde zur Landung in Diktatorshome gezwungen - und mindestens zwei der 126 Passagiere kamen statt Landung am Zielflughafen in Vilnius im Folterknast an (während andere Passagiere im Flieger sitzen bleiben konnten, wo sich ja angeblich eine Bombe befand).

Nun kann Wladimir Makej, Außenminister von Lukashenkos Gnaden, endlich wieder die Alleinherrschaft über die staatlich gelenkten Medien ausüben: "staatlicher Vandalismus" ist, seiner Aussage nach, nicht etwa die Kampfjet-Zwangslandung, sondern der Flaggenwechsel in Riga gewesen (Sport1). Leider wolle nicht jeder auf die Argumente aus Lukashenko-Kreisen hören, bedauert Makej, und sieht seinerseits die "Unabhängigkeit von Belarus" vom Westen bedroht. Lukashenko selbst sieht "Neonazis" am Werk, deshalb habe er "hart durchgegriffen" (belta.by).

Bei allen Spekulationen, warum nun Lukashenko die ganze Aktion gerade jetzt durchzog, fehlt wohl das Argument "wegen der geklauten Eishockey-WM". Lukashenko ist ja ausgewiesener Eishockey-Fan, und schließlich hängen auch die Flaggen der Teilnehmerländer nicht irgendwo, sondern vor dem Hotel, wo alle Mannschaften - also auch die von Belarus - untergebracht sind. Nach dem öffentlichen "Flaggenwechsel" vom 24. Mai klagte Lukashenko übrigens wegen "schüren von nationalem Hass" (lsm): Die Vokabeln, mit denen auch im Westen argumentiert wird, kennt er offenbar - nur erscheinen sie umgedreht, nur für jene mit Sinn erfüllt, die an die Seinsberechtigung von brutalen Diktatoren glauben.

"Als wir dann doch um 21.25 Uhr in Vilnius landeten, wurden wir dort mit Applaus und einer Rede der Regierungschefin Simonaityte empfangen," zeigt sich Jānis Zviedris, einer der lettischen Reisenden auf dem Weg von Athen nach Vilnius beeindruckt. "Aber RYANAIR hat auch uns, den gestressten Passagieren, in Vilnius kein Hotel oder sowas angeboten; eine kurze Entschuldigung, das war alles." (IR)

Die lettische Öffentlichkeit scheint verunsichert und beunruhigt. Laut schimpfen die einen auf diejenigen im Westen, die "von Mördern Gas beziehen". Die internationalen Eishockey-Funktionäre dagegen scheinen sich einig: als Flaggentausch-Gegner entpuppte sich Rene Fasel, Chef des Internationalen Eishockeyverbandes. Er verwies auf die vorangegangenen Diskussionen mit der lettischen Regierung, als es um die Verlegung der WM von Belarus nach Riga ging: man habe zugesichert, dass belarussische Team zu schützen, und das Ereignis nicht politisch zu verwerten (lsm). Und der NZZ verriet Fasel, dessen Amtszeit nach 27 Jahren jetzt endet: "Es ist richtig, dass ich ein Freund der Russen bin." Da scheint es konsequent, wenn er nun sogar forderte, den Rigaer Flaggentausch wieder rückgängig zu machen (nau.ch). Der schweizer Tagesanzeiger prognostiziert als nächsten Arbeitsort für Fasel sogar: Moskau oder Peking. Und auch der deutsche Verbandspräsident Reindl hat offenbar noch Sorgen zum seine weitere (internationale) Karreie, und schloss sich Fasels Flaggenwünschen an (FAZ)

Rigas Bürgermeister Mārtiņš Staķis, der als einziger seiner lettischen Amtskolleg/innen gegenwärtig nicht im Kommunalwahlkampf steckt, empfiehlt Lukashenko dagegen den Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag, wenn er weitere Fragen habe. Lukashenko hatte seinerseits alle lettischen Botschaftsmitarbeiter/innen bereits des Landes verwiesen (Tagesschau) - und die deutsche Botschaft in Minsk bemühte sich promt um Solidarität mit den lettischen Kolleg/innen.

Übrigens wurden inzwischen noch zwei weitere Flaggen vor dem Eishockey-Mannschaftshotel ausgetauscht: statt der Flagge Russlands ist nun die des Olymischen Komitees zu sehen. Māris Riekstiņš, lettischer Botschafter in Moskau, erklärt das so: "Das ist die Flagge des russischen olympischen Komittees, unter der ja in vielen Wettbewerben gegenwärtig die Athleten aus Russland antreten." (lsm) Vitaly Milonov, Vertreter von “Einiges Russland”, wird daraufhin mit der Aussage zitiert, Russland solle nun solange nur noch von der "sowetlettischen SSR" reden, bis die neuerliche Flaggenaktion rückgängig gemacht werde. Allerdings ist auch auf der Webseite der IIHF nur die olympische Variante zu sehen. 

Und als Reaktion auf die Stellungnahme Fasels entschied Bürgermeister Staķis nun, auch die IIHF-Flagge gegen die Flagge der Stadt Riga auszutauschen (lsm). 

Hitziges Klima in Riga also. Wir möchten uns dennoch der offenbar populären Rechthaberei nicht anschließen - und bauen den Flaggenmast vor unseren Privathäusern wieder ab. Ob es ausreichen wird, Demokratie und Selbstbestimmung eine erfolgreiche Zukunft zu wünschen? Eigentlich geht es ja "nur um Sport" - aber es bleibt die Hoffnung, dass auch ein friedliches Zusammenleben der Völker und Nationen weiter möglich sein wird.

19. Mai 2021

Heimisches Eis

Am Freitag den 21. Mai beginnt in Riga die Eishockey-Weltmeisterschaft - ein Event, dessen Durchführung dem belarussischen Diktator Lukashenko aus den Händen genommen wurde, und bei dem das Team aus Russland in speziellen Trikots mit Olymiasymbol auflaufen wird. Zuletzt meldete auch die russische TASS als einzige mögliche Bedrohung für diese WM .... Covid19. Im Vorjahr musste das Turnier, erstmals seit dem 2. Weltkrieg, ausfallen.

An zwei Orten sollen die Matches stattfinden: in der "Arena Riga" und im "Olympischen Sportzentrum". Alle Spieler, die in Riga ankommen, müssen zunächst drei Tage lang in Einzel-Quarantäne. Danach dieselbe Prozedur weitere drei Tage lang für jede Mannschaft (gemeinsam). Von Riga werden die Spieler also so gut wie nichts sehen: bleib in Deiner Bubble - das ist die Devise. Noch drei Tage vor Beginn des Turniers sah sich die lettische Regierung nicht imstande darüber zu entscheiden, ob es bis zum 5. Juni vielleicht doch auch Spiele mit Zuschauern geben kann (NRA).

Und wie sehen es die Rigenser/innen? Die lettische Eishockeymannschaft trainierte doch tatsächlich mit Hilfe der "Zoom"-Plattform - das kennen inzwischen viele ähnlich. Von "Metallzäunen und Polizeieskorten" schreibt das Portal "Jauns.lv". Das "Olympische Sportzentrum", wo sonst Schwimmbecken, Sporthallen, Tennisplätze und sogar einen Volleyballplatz mit Sandboden für die Öffentlichkeit bereit stehen, sind seit dem 9. November (wegen Covid19) für die allgemeine Nutzung geschlossen. Wo sonst bis zu 4.000 Tagesbesucher/innen sich austoben können - das wird jetzt exklusiv für gut bezahlte Elitesportler geöffnet. "Schade, dass die besten Fans der Welt uns nicht werden antreiben können!" sagt da auch Kaspars Daugaviņš, einer der besten lettischen Eishockeyspieler, in einem Interview mit "Sportazinas". 

Es ist wie NATO-Gipfel und Eishockey-WM zusammen - wenn wir nur die Austragungsstätten betrachten: 2006 fand in der "Arena Riga" schon einmal eine Eishockey-WM statt, im gleichen Jahr lud Lettland zum NATO-Spitzentreffen in das "Olympische Sportzentrum" ein (Bericht NATO-Gipfel / Vorbericht NATO-Gipfel / Bericht WM2006).

Und wie steht es diesmal um die sportlichen Chancen aus lettischer Sicht? "Wir müssen spielen wie eine Familie", meint Torhüter Elvis Merzļikins (lsm / sportazinas). Aber nein, bevor uns nun Bilder in den Sinn kommen von Brettspielen mit Mama und Papa - Merzļikins Aussage hat einen anderen Hintergrund: seine Frau Aleksandra erwartet ihr erstes Kind. Fürs Nationalteam wird der junge Nachwuchstorwart, der bei den Columbus Blue Jackets in den USA spielt, diesmal gar nicht auflaufen.

Übrigens: sollten die Russen gewinnen, wird statt der Nationalhymne in Riga das Pianokonzert Nr. 1 von Tchaikovsky gespielt werden. Zunächst gibts aber auf jeden Fall eine Partie Deutschland-Lettland: am Dienstag den 1. Juni ab 19.15 Uhr. Vorerst alles ohne Zuschauer - auch hier regiert vorerst noch ein zu hoher Inzidenzwert.

15. Mai 2021

Teures Riga

Wer in den baltischen Staaten lebt, und sich Riga als Wohnort ausgesucht hat, der / die muss dafür größere Kosten als in den Nachbarhauptstädten bewältigen. Das erläutert Evija Kropa, Finanzexpertin bei der Swedbank, in einem Gutachten, über dessen Ergebnisse die lettische Presse berichtet ("IR" NRA / TVNet / LA). Für Lebensmittel, Wohnung und Transport würden in Riga im Durchschnitt 764 Euro monatlich anfallen (in Tallinn 709 Euro, Vilnius 630 Euro). Dabei stellte Kropa besonders eine Tendenz heraus: während in Tallinn und Vilnius die Mieten eher fallen, steigen sie in Riga immer noch. 

Das durchschnittliche Lohnniveau habe sich in allen drei Städten erhöht, meint Kropa in ihrem Gutachten. Vielleicht ist es aber nicht ganz realitätsnah, wie sie rechnet: sie vergleicht ein Elternpaar mit zwei Kindern, wenn beide Eltern arbeiten und einen durchschnittlichen Bruttolohn erzielen. Für diesen Fall sei das Einkommen seit 2018 in Vilnius um 38% gestiegen, in Riga um 26% und in Tallinn lediglich um 16%. Sehr gering würde dagegen die Unterstützung für kinderreiche Familien in Lettland ausfallen: bei zwei Kindern würde dies in Litauen 140 Euro (für beide), in Estland 120 Euro und in Lettland lediglich 44,10 Euro ausmachen. Das, was der genannten Beispielfamilie nach Abzug der Steuern und Einrechnung von Unterstützungsleistungen verbleibe, benennt sie in Tallinn auf 2897 Euro, in Vilnius auf 2207 Euro und Riga nur auf 2020 Euro. 

Evija Kropa berechnet Kosten für Lebensmittel nach einem Einkaufskorb mit festgelegten Bestandteilen. Wenn dieser also in Tallinn 536 Euro koste, dann seien es in Riga vergleichsweise 483 Euro, in Vilnius aber nur 443 Euro. Umgerechnet auf die Ausgaben der genannten Beispielfamilie machen diese Kosten in Riga 24% aus, in Viļnius 20% und in Tallinn 19%. In Vilnius sei das Preisniveau verglichen mit 2018 sogar nahezu gleich geblieben. Berechnet auf die Beispielfamilie berechnet Kropa die Mietkosten in Riga auf 180 Euro im Monat (Tallinn 173 Euro, Vilnius 124 Euro). Auch beim Öffentlichen Nahverkehr seien in Riga die Kosten am höchsten. Und angesichts der bekannten Schwächen bei der Berechnung angeblicher "Durchschnittskosten" wird das hohe Kostenniveau für viele Einwohner/innen Rigas sicher noch erheblich mehr Probleme bringen als es diese einfachen Zahlen aussagen.