27. Januar 2009

Mehr positive Nachrichten


Der lettischen Presse wird in der letzen Zeit immer wieder vorgeworfen, sie übermittele nur negative Nachrichten. Auch heute: Eine im Jahr 1922 geborene Frau ist in Riga aus dem Fenster gesprungen. Sie erlag ihren Verletzungen. Das klingt ja so traurig, nicht wahr?

Ich hätte ja die Nachricht positiver geschrieben. Ungefähr so:

„Heute ist nur ein Weib in Riga aus dem Fenster gesprungen. Die übrigen haben zum Glück überlebt.“ In unserer Erinnerung haben wir noch das tragische Ereignis vor ein paar Jahren, in dem viel mehr Frauen ums Leben kamen. Das alles hat uns Daniil Kharms überliefert:

„Eine alte Frau lehnte sich aus übergroßer Neugierde zu weit aus dem Fenster, fiel und zerschellte.

Aus dem Fenster lehnte sich eine zweite alte Frau und begann, auf die Tote hinabzuschauen, aber aus übergroßer Neugierde fiel auch sie aus dem Fenster, fiel und zerschellte.

Dann fiel die dritte alte Frau aus dem Fenster, dann die vierte, dann die fünfte.

Als die sechste alte Frau hinausgefallen war, hatte ich es satt, ihnen zuzuschauen, und ging auf den Malcevskij Markt, wo man angeblich einem Blinden einen gestrickten Schal geschenkt hatte.“*

* Daniil Kharms war ein russischer Schriftsteller, dessen Kurzgeschichten in der Sowjetunion verboten waren. Mehr Geschichten von Kharms:

http://www.geocities.com/Athens/8926/Kharms/Kh_de.html#018

Mehr über Kharms:

http://de.wikipedia.org/wiki/Daniil_Kharms

25 Kommentare:

Axel Reetz hat gesagt…

Die Medien leben von ihren Konsumenten. Die interessiert Sex and Crime. Das Desinteresse an Erfolgsmeldungen ist ein alter Hut. Die Aktuelle Kamera des DDR-Fernsehens war ein gutes Beispiel.

Anda hat gesagt…

Die Menschen brauchen mehr Kultur !

Axel Reetz hat gesagt…

Staatlich verordnet, oder wer soll das entscheiden. Ich interessiere mich beispielsweise vorwiegend für Politik und Wirtschaft. Das Feuilleton lege ich meist zur Seite.

Anda hat gesagt…

Kultur bedeutet ja nicht nur das Tanzen und das Singen oder das Feuilleton in den Zeitungen. Für mich ist die individuelle Kultur die größtmögliche Vervollkommnung aller geistigen Anlagen eines Individuums zur harmonischen Ganzheit, und die Fähigkeit das Gute vom Bösen und das Wichtigste vom Unwichtigem zu unterscheiden. Kultur aus soziologischer Sicht bezieht sich auf das handeln zwischen den Menschen. Aber es gibt viele andere Definitionen von Kultur.

Axel Reetz hat gesagt…

Was hat das mit der Frau zu tun, die aus dem Fenster fiel?

Anda hat gesagt…

Na ja, man kann die Nachricht auch anders lesen, wie sie gemeint ist.
Die lettische Kriminalnachrichten wirken insperierend auf mich.

Anda hat gesagt…

Und ich finde auch nicht besonders nett, dass überhaupt solche Sachen veöffenticht werden...

Axel Reetz hat gesagt…

Artikel 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Anda hat gesagt…

Ich sage ja nicht, dass man so etwas nicht veöffentlichen kann. Ich hätte das eben nicht gemacht. Aus Rücksicht auf die Verstorbene.

Axel Reetz hat gesagt…

Aber was bringt es der Gesellschaft, wenn tragische Geschichten nicht mehr publiziert werden. In Estland hat sich vergangene Woche ein 15 Jahre altes Mädchen das Leben genommen. Postimees berichtete, und ich schreibe eventuell dieser Tage einen Post.

Anda hat gesagt…

Dann könnten die Zeitungen jeden Tag schreiben: Heute sind 87 Menschen in Lettland gestorben. 53 davon im Bett, 2 sind aus dem Fenster gesprungen, 4 sind erfroren, usw. "Unsere Wirklichkeit ist Kontruktion. Es könnte auch anderes sein."
Aber, man kann ja das auch als ein Problem betrachten und schreiben, z.B, warum die Selbstmordrate in LV seit ein paar Monaten gestiegen ist.

Axel Reetz hat gesagt…

Jedes Faktum ist ein Teil der Wahrheit. Dass die lettische Presse das Niveau westlicher Staaten nicht erreicht, weiss ich auch.

Anda hat gesagt…

Wieso existiert eigentlich kein Sterbegeheimnis?

Axel Reetz hat gesagt…

Wie ist das zu verstehen? Der Tote verschweigt sein Dahinscheiden? Verbot von Todesanzeigen in der Presse? Die Anverwandten verscheigen den Tod eines betagten Familienmitgliedes, damit sie die Rente weiter beziehen konnen? Nach Volkszahlungen wird regelmassig versucht, die Bevolkerung mit Hilfe der Standesamt-Daten fortzuschreiben, mit massigem Erfolg. Als meine Grossmutter starb, fragte die GEZ, wo jetzt der Fernseher sei.

Anda hat gesagt…

Ich möchte z.B. nicht, dass in der Zeitungen steht, dass ich z.B. an den Folgen der Syphilis gestorben bin.

Axel Reetz hat gesagt…

Das ist aber nicht verboten! Andererseits wird das kaum jemand berichten, wenn die Tote nicht bekannt ist. Der Fenstersturz ist an sich ungewohnlich. Dort steht dann aber meistens ein abgekurzter Nachname.

Anda hat gesagt…

Wieso haben die Toten keine Rechte mehr?

Axel Reetz hat gesagt…

Das ist dann schon eine juristische Diskussion, welche Rechte Tote haben. Aber wie gesagt, auch in der BILD-Zeitung wird in der Regel entweder der Nachname nur mit dem Anfangsbuchstaben angegeben respektive gleich der Name durch die Redaktion geandert.

Anda hat gesagt…

Da kann man ja gleich alles frei erfinden...

Axel Reetz hat gesagt…

... was leider nicht selten auch geschieht, sogar unter Studenten, die offiziell eine Umfrage im Rahmen der Jahresarbeit machen ...
Aber auch hier verstehe ich die Moral von der Geschicht' nach wie vor nicht. Wenn sich alle ordentlich (moralisch) verhielten, bräuchten wir keine Gesetze - und keine Polizei. Aber auch das ist sowohl trivial als auch utopisch. Mit Blick auf den Post “Wie sind die Letten?”: alle Letten waren glücklich, wenn sie glücklich wären ;-)

Anda hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anda hat gesagt…

Nein, Gesetze brauchen wir. Das Ziel ist aber - die Menschen sollten sich besser verhalten, durch die innere Einstellung, und nicht nur, weil das Gesetzt das nicht erlaubt.

Axel Reetz hat gesagt…

Meinen Studenten erklare ich die Rational Ch°oice Theorie so: nicht jeder ist ob seiner Bildung in der Lage, eine fur sich rationale Entscheidung zu treffen. Und mehr noch, viele treffen irrationale Entscheidungen wider besseres Wissen z.B. Raucher. Ich bin uberdies der Meinung, dass Gesetz Moral ersetzt haben. Fruher musste man mit der Angst vor dem Jenseits arbeiten, um die Menschen zur Einhaltung von Spielregeln zu motivieren. heute gibt es Gesetzbucher, Staatsanwaltschaft, Rechtsanwalte und Gerichte.

Anda hat gesagt…

Ich glaube nicht, dass die meisten Menschen, die sich gut benehmen nur nur Angst vor einer Strafe haben.
Der Soziologe Durkheim meint, dass in einer gut organisierten Gesellschaft die Individuen unmerklich dazu gebracht werden, das tun zu wollen, was sie tun sollen.

Axel Reetz hat gesagt…

Ersteres habe ich auch nicht behauptet.
Ist Durkheim ein Vertreter der Systemtheorie? Danach klingt es. Schwingt auch Rational Choice mit. Selbstverstandlich funktioniert eine Gesellschaft dann am besten, wenn das rationale Verhalten ihrer Individuen sie stutzt, oder sagen wir es einfacher, wenn ein "angepasstes" Verhalten jedem selbst nutzt.