31. Oktober 2007

Sigulda dieses Jahr die schönste

In Deutschland würde es vielleicht heißen: unser Dorf soll schöner werden. Auch in Lettland gibt es einen ähnlichen Wettbewerb: "Latvijas sakārtotākās pilsēta", also, frei übersetzt: der am besten zurechtgemachte Ort. Ausrichter ist der lettische Städtebund zusammen mit dem lettischen Gemeindeverband ("Latvijas Pilsētu savienība / Latvijas Pašvaldību savienību"), und jedes Jahr gibt es Gewinner/innen in zwei Kategorien: in der Gruppe der Städte über 10.000 Einwohnern, und in der Gruppe der Städte mit weniger Einwohnern. Unter insgesamt 20 Bewerberstädten sind 2007 die Preisträger Sigulda, Saldus und Auce.

Saldus gewann in der Gruppe der Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, Auce in der Gruppe der kleinen Städte. Sigulda errang den Titel der "schönesten Stadt Lettlands" - wie konnte es auch anders sein, im Jahr des 800-jährigen Stadtjubiläums!
Auch andere besondere Auszeich- nungen wurden ausge- sprochen, die auch Gästen des Landes kleine Hinweise geben, wie die verschiede- nen Städte sich aufgestellt haben. So wurde das nordlettische Alūksne für Bemühungen beim Aufbau von Ökotourismus ausgezeichnet, Limbaži für den Erhalt kultureller Werte, und das ost-lettische Ludza für erfolgreiche Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmer/innen.

Auch kleinere Städtchen - Touristen vielleicht (bisher) eher unbekannt - errangen Auszeichnungen: Viesīte für den Aufbau von Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialversorgung, Ape für den Dialog mit den Bürger/innen zur Erhaltung naturhistorischer Objekte, und Skrunda für erfolgreichen Aufbau von Partnerschaften mit anderen Gemeinden im In- und Ausland.

Mehr Infos dazu:

Webseite des lettischen Gemeindeverbands (lett.)

Webseite des Gemeindeverbands mit Möglicheit der
Partnersuche (engl.)

Ziele und Aufgaben des lettischen Gemeindeverbands (engl.)

Broschüre "Local and Regional Governments in Latvia" (PDF-Datei)


Städte-Infoseiten:
Alūksne, Ape, Auce, Limbaži, Ludza, Sigulda, Saldus, Skrunda, Viesīte.

(Foto: an der Gauja bei Sigulda)

27. Oktober 2007

Alles wieder ruhig?

Nach den politischen Turbulenzen der vergangenen Woche scheint vorläufig alles zur Ruhe gekommen zu sein. Unterschwellig zählen aber die Beobachter und die Medien die Tage, bis alles wieder von Neuem beginnen könnte. Und so manche Zeitungsschlagzeilen deuten darauf hin, dass die Menschen wohl nicht umsonst auf die Straße gegangen sind. Viele werden wiederkommen. 

Die lettische Nachrichtenagentur LETA zitierte die Ausgabe von "Financial Times" vom vergangenen Mittwoch, der zufolge die politischen Unsicherheiten auch die wirtschaftliche Verletzlichkeit Lettlands am Weltmarkt verstärken könnte. Die derzeit im Haushalt für 2008 vorgesehenen Anti-Inflationsmaßnahmen der Regierung seien Schritte in die richtige Richtung, so wird Erki Rāsuke, Chef der Hansabank in Lettland, zitiert. Konsequent spekulieren daher einige Medien, der Rücktritt von Kalvitis könne auch noch nach der Verabschiedung des Haushalts im Parlament kommen, womit dann die finanzielle Stabilität zunächst erreicht sei.

Der Pressedienst der lettischen Generalstaatsanwaltschaft informierte über den Fortgang des Strafprozesses gegen den zurückgetretenen Parlamentspräsident Indulis Emsis. Demnach wurde ein Strafmaß von 5040 Lat (ca. 7500 Euro) festgelegt. Vorwurf: falsche Zeugenaussage in einem schweren Kriminalfall. Emsis selbst waren am 9.10.2006 im Cafe des Parlaments mehrere Tausend Lat Bargeld gestohlen worden, er hatte aber falsche Angaben gemacht zur Höhe der Summe und den Umständen des Diebstahls. Der Fall war in der Öffentlichkeit auch durch Emsis' Behauptung diskutiert worden, mit diesem Bargeld "einen Traktor kaufen" zu wollen. Kritiker der Parteienfinanzierung der gemeinsamen Parteienliste von Grünen und Bauernpartei vermuteten eher eine Weitergabe von Geldern die von Aigars Lembergs stammen, der gegenwärtig wegen unrichtigen Geschäftsangaben immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Schon seit Wochen kursieren in den lettischen Medien mehr oder weniger offen Listen von Politikern, die als "Sipendiaten" (=Geldempfänger) von Lembergs, einem der viel diskutierten "Oligarchen" des Landes, gelten.

 Während der Woche wurden vor dem lettischen Parlament Unterschriften gesammelt für eine Änderung der Verfassung, nach der auch ein "Votum des Volkes" das Parlament entlassen könne. Dies wird aber von Fachleuten eher kritisch gesehen. Bisher steht nur dem lettischen Präsident der Vorschlag zur Parlamentsauflösung und Neuwahlen zu. Prof. Ringolds Balodis, Leiter der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität, wurde mit einem schönen lettischen Spruch zitiert: "Wir sollten da nicht von einem Sumpf in den nächsten geraten."

Der von Regierungschef Kalvitis mit Entlassung bedrohte Chef der Anti-Korrutionsbehörde, Loskutovs, schätzte indessen in einem Fernsehinterview seine Chancen, doch noch im Amt zu bleiben, als 50:50 ein. Die Parlamentsabstimmung dazu steht noch aus.
Das Antikorruptionsbüro (lett. Abkürzung KNAB) gab indessen Zahlen zur Parteienfinanzierung in Lettland bekannt. Demnach haben zwei der Parteien die festgelegten Obergrenzen, die für Wahlkampfausgaben 2006 zulässig waren, weit überschritten. Zum einen ist das die Tautas Partija, die 529,980 Lat (ca. 750.000 Euro) für den Parlamentswahlkampf ausgab und damit die zulässige Grenze um 279.980 Lat (oder auch 190%) überschritten hat. Die "Pirma Partija" (Erste Partei, auch schon mal "Pastorenpartei" genannt) gab 401,610 Lats aus - bei nur 10 errungenen Mandaten sicher die am teuersten erkauften. Was nun wegen dieser Überschreitungen getan wird - es steht genauso in den Sternen wie die Schlagkraft des Chefs einer Anti-Korruptionsbehörde.

Nach dem Doppel-Rausschmiß aus "Tautas Partija" (Volkspartei) und Ministeramt für Aigars Štokenbergs ist nun auch der ehemalige Berater von Regierungschef Kalvitis, Jurģis Liepnieks, aus seiner Partei ausgeschlossen worden. Aigars Kalvitis und Andris Šķēle, Kopf und Geldsack der Partei, äußerten sich beide überzeugt, Štokenbergs und Liepnieks hätte schon seit Monaten über die Gründung einer anderen Partei nachgedacht. Näherer Beweise oder gar Taten bedurfte es da offenbar keine - bei dem gewichtigen Zeugnis dieser beiden Herren.

Für den 3.November hat eine neu gebildete Vereinigung "par tiesisku Latviju" (für ein rechtsstaatliches Lettland) zu einer Versammlung auf dem Domplatz von Riga aufgerufen. Diese Initiative, die eine Fortführung der Demonstrationen vom 18.Oktober sein möchte, als ca. 5.000 Menschen zusammen kamen, möchte nach den Worten der Filmemacherin Laila Pakalniņa "keine Show veranstalten, sondern gemeinsam überlegen, was getan werden kann um mehr Klarheit ins Parlament und Regierung zu bekommen."

Perestroika (mehr Durchblick) also für Lettland? Zu den Unterstützer/innen der gegenwärtigen öffentlichen Protestaktionen gehören eine Reihe bekannter "Promis" des lettischene Kulturlebens, wie Theaterregisseur Alvis Hermanis, Künstlerin Džemma Skulme, Schriftsteller Pauls Bankovskis, Europaparlamentarier Ģirts Valdis Kristovskis, die Journalisten Kārlis Streips, Sarmīte Ēlerte und Pauls Raudseps, Ethnologin Janīna Kursīte, Filmproduzentin Linda Freimane, Politologe Ivars Ījabs, und Schaupieler Juris Žagars.

Vielleicht eifern sie ja der Popularität von "Cūkmens" nach - einer lettischen Variante von "Batman". Cūkmens, mit eigener Webseite und Fernsehkampagne, soll als rosafarbener Held die Lettinnen und Letten zum Sauberhalten der Umwelt ermahnen. So in etwa gemäß dem "versaue Deine Umwelt nicht!". Doch "Schweine-Man" erinnert - durchaus auch wegen seines Aussehens - derzeit die Menschen eher an den ungeliebten Regierungschef, und so tauchen in der Hitze des Gefechts auch schon mal Plakate auf wie: "Weg mit Cūkmen!"

Den guten Wünschen für die Umwelt können wir uns nur anschließen.

Cūkmens Webseite

23. Oktober 2007

Mißtrauensvotum gescheitert

Das von den drei Oppositionsparteien "Jaunais Laiks", "Saskanas Centrs" und PVTCL im lettischen Parlament eingebrachte Mißtrauensvotum gegen Regierungschef Kalvitis ist mit klarer Mehrheit abgelehnt worden. 38 Abgeordnete stimmten dafür, 56 dagegen, bei einer Enthaltung. "Jedes Mal, wenn der Rücktritt unserer Regierung gefordert wird, macht uns das nur stärker," so äußerte sich der Fraktionschef der "Tautas Partija", Māris Kučinskis. Die Vertreter der "Jaunais Laiks" dagegen äußerten die Meinung, ein weiteres Verbleiben von Kalvitis im Amt sei eine Bedrohung für Lettland als demokratischer Staat. Kalvitis ist seit 2004 Regierungschef und wurde am 7.November 2006, als Ergebnis der Parlamentswahlen vom Oktober 2006, im Amt bestätigt.

22. Oktober 2007

Zwischen Affen und Wildschweinen

Kein Tag vergeht momentan ohne merkwürdige Neuigkeiten. Dass Premier Kalvitis weitermachen will, "zur Not auch ohne Minister" - dass scheint kein Wunder, denn eine andere Wahl bleibt ihm nach den zwei Ministerrücktritten und den massenhaften Demonstrationen der vergangenen Woche kaum.

Morgen (Dienstag) wird es im lettischen Parlament (Saiema) morgens um 9.00 Uhr eine Abstimmung über ein gegen Kalvitis gerichtetes Mißtrauensvotum geben. Beantragt haben dies die drei Oppositionsparteien Jaunais Laiks (JL), Saskanas Centrs (SC) und PVTCL. Die an der regierenden Koalition beteiligten Abgeordneten der Tevzemei ("für Vaterland und Freiheit") geben schon vorab bekannt, dagegen stimmen zu wollen, da im Erfolgfall eine neue Regierung unter Beteiligung der links-zentristischen SC zu befürchten sei. Also, die Devise: bloß keine Kooperation mit irgendwelchen Linken, herrsche auch soviel Korruption wie es wolle. Man wird sehen, wie tatsächlich das Abstimmungsergebnis ausfällt.

Die SC hielt ihrerseits am vergangenen Wochenende ihren Parteikongreß ab. Man wünsche sich als kommende neue Regierung eine "Regenbogenkoalition", ließ man vor der Presse verlauten. Mit wem - denn die SC sieht sich selbst im Zentrum künftigen Geschehens - wurde offen gelassen.

Der vergangene Woche zurückgetretene Minister Aigars Štokenbergs machte noch telefonisch vor seiner Rückkehr nach Lettland den "Magnaten" der Tautas Partija, Andris Šķēle, für seinen Rausschmiß verantwortlich, da sich dessen Familie schrittweise die gesamte Abfallwirtschaft in Riga habe unter den Nagel reißen wollen. Da sei er im Weg gewesen.

Drei Neuigkeiten von den grünen Bauern: im ost-lettischen Rēzekne geriet im Restaurant des besten Hotels der Stadt Saiema-Abgeordneter und Schwergewichtsweltmeister Viktors Ščerbatihs in eine Schlägerei, bei der es Verletzte und Sachschaden gab.
Gegen den bisherigen Parlamentspräsidenten und Vorsitzender der Grünen Partei, Indulis Emsis, wurde ein Kriminalprozeß eröffnet. Er trat von allen Ämtern zurück. Morgen nachmittag muß das Parlament über einen Nachfolger abstimmen - wenn es soweit kommt.
Und der Rechtskonservative Historiker Visvaldis Lācis, der sich vor den vergangenen Parlamentswahlen den grünen Bauern angeschlossen hatte, gab seinen Abschied aus dieser Partei bekannt. Grund: Meinungsverschiedenheiten um den Korruptions-Bekämpfer Loskutovs. Er wird ab sofort als parteiloser Abgeordneter fungieren.Die "Haupt- schlagzeile" lieferte aber (un- freiwillig?) Emsis "rechte Hand", der Grüne Viesturs Silenieks. Er plauderte leutselig Einzelheiten über ein Treffen hochrangiger Parteivertreter aus, das im Mai zur Absprache wegen der Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben soll. Ort: der Rigaer Zoo! Teilnehmer seien Regierungschef Kalvitis, Andris Šķēle, der grünbäuerliche Fraktionschef Brigmanis, und ein Vertreter der Vaterlandspartei gewesen sein. "Glücklicherweise können die Tiere ja nicht weitererzählen, was besprochen wurde", so Silenieks süffisant. Am 31.Mai hatten alle Regierungsparteien einmütig den kurzfristig als Kandidaten aus der Taufe gehobenen Arzt Valdis Zatlers zum lettischen Präsidenten gewählt.

Kommentare in den zahlreichen lettischen Internet-Foren dazu: "ja, versteckt euch nur zwischen Meerkatzen und Schweinen, da kann man euch nicht mehr unterscheiden." Oder: "Die nächste Sitzung des Parlaments dann bitte im Zirkus!" Und auch: "Ist doch logisch, dass sich unsere Regierung im Zoo treffen muss. Selbst die Tiere sind noch intelligenter als diese Politiker!"

Das gibt wohl eindeutig die gegenwärtige Stimmung wieder. Aber auch am 31.Mai hatte aller oppositioneller Aktivismus nichts genützt - mal sehen, wie es diesmal ausgeht.

21. Oktober 2007

Es haben die Ehre ...

Während in Riga die lettische Regierung seltsame Kapriolen schlägt und keinesfalls Beispielhaftes leistet, häufen sich zur Zeit Ehrungen für Lettinnen und Letten im internationalen Kulturleben.

St.Petersburg: am 3.Oktober wurden dem Dirigent Mariss Jansons und der Schauspielerin Vija Artmane jeweils der BALTIC STAR verliehen. Begründung: herausragende Beiträge zur Entwicklung und Stärkung kultureller Beziehungen der Ostseeregion. Es waren zum ersten Mal Preisträger aus Lettland, die diese Auszeichung erhielten.
Vija Artmane konnte in Riga gleich weiterfeiern, denn im Zuge des lettischen Filmfestivals "Lielais Kristaps" erhielt sie den Preis für ihr Lebenswerk. Schon 1956 war Artmane in ihrer ersten Kinorolle zu sehen gewesen. Sie spielte auch mit in bekannten lettischen Filmklassikern wie "Mērnieku laiki" (Zeit der Landvermesser, 1968), oder "Dāvana vientuļai sievietei" (Geschenk für eine einsame Frau, 1973). Insgesamt waren es mehr als 30 Filmrollen.

Ebenfalls der lettischen Filmszene zuzurechnen ist "Sounds like Latvia", ein vom lettischen Institut produzierter Kurzfilm, der auf der tschechischen Messe TOURFILM den großen Hauptpreis abräumte.

München: heute abend werden in der Philharmonie am Gasteig in München die Preisträger des ECHO KLASSIK 2007 geehrt. Auch hier sind gleich mehrere Künstler/innen aus Lettland dabei. Als "beste Sängerin des Jahres" wird die Mezzosopranistin Elina Garanča geehrt werden. Und wieder ist auch Mariss Jansons dabei: er bekommt für die unter seiner Leitung bei EMI erschienenen Schostakowitsch-Symphonien den Preis als Dirigent des Jahres. Aber das ist noch nicht alles: Lauma Skride wird in der Kathogorie Klavier als Nachwuchskünstlerin des Jahres ausgezeichnet. Die Preisverleihung wird im ZDF ab 22.00 Uhr live übertragen!

Ein fruchtvolles Jahr für lettisches Kulturschaffen auch im deutschsprachigen Raum!

Links zum Thema:

- Preisverleihung "Baltic Star Prize"

- die Preisträger des "Lielais Kristaps"-Filmfestivals

- Daten zum Lebenswerk von Vija Artmane (lettisch)

- Liste der Preisträger bei der tschechischen TOURFILM

- Infoseite des lettischen Instituts, mit Möglichkeit "Sounds like Latvia" anzusehen

- Preisträger des ECHO KLASSIK

- Interview mit Mariss Jansons bei ARTE

- Details zur neuen CD von Lauma Skride

- Homepage Elina Garanča

- Infos zu Elina Garanča bei 3sat

20. Oktober 2007

Die Cappuccino-Revolution

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Lettinnen und Letten gegenwärtig eine ziemliche Wut im Bauch haben auf den Stil, mit dem sie regiert werden. Vieles deutet darauf hin, dass es um die Politiker immer einsamer wird. Schon Anfang des Jahres sah auch die damals noch im Amt befindliche Präsidentin Vīķe-Freiberga das Land im Würgegriff unterschiedlicher Interessen, im Einfluß "von außen" - Leute, die man so gern "Oligarchen" nennt. Die also einfach genug Geld haben, um dies im Kampf um Macht und Geschäftsinteressen auch zur Einflußnahme in der Politik einsetzen. Foto r. o.: Timurs Subhankulovs.

War die grundlose Entlassung des obersten Anti-Korruptionsjägers Loskutovs der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte? Am Donnerstag versammelten sich ca. 5000 Menschen vor dem Parlamentsgebäude und forderten den Rücktritt der Regierung. Und wenn es dann in Strömen regnet, so dass man sich immer wieder in den umliegenden Cafes sammelte und heißen Kaffee schlürfte, dann kann dies - wie es die "Baltic Times" tat - auch vielleicht "Cappuccino-Revolution" genannt werden.

Doch wohin geht der Weg? In der nächsten Woche muss das lettische Parlament noch die Entlassung Loskutovs bestätigen. Hiervon haben sich inzwischen zwei Minister distanziert: Regionalentwicklungsminister Aigars Štokenbergs und Außenminister Artis Pabriks. "Bulldozer" Kalvitis hat dabei offensichtlich keine Scheu, Widersacher ohne irgendwelche Ausflüchte direkt aus dem Weg zu räumen. Noch in Spanien befindlich, wurde Štokenbergs von Kalvitis telefonisch von seinem Parteiausschluß informiert und ihm der Rücktritt nahe gelegt. Er habe aber keinesfalls vor, sich aus der Politik zurückzuziehen, ließ der geschaßte Minister wissen.

Gegen Štokenbergs' Rausschmiß stimmte im Vorstand der "Tautas Partija" (Volkspartei), die sich völlig unter dem Einfluß des früheren Ministerpräsidenten Andris Šķēle befinden soll, nur Außenminister Pabriks - und legte daraufhin gleich seine Amtsgeschäfte nieder. Kalvitis, der seine Teilnahme beim EU-Gipfel in Lissabon abgebrochen hatte und angesichts der Demonstrationen nach Lettland zurückgekehrt war behauptete, Pabriks könne weiterarbeiten. Beide Rücktritte, Štokenbergs wie Pabriks, werden als herbe Verluste für die Regierung wie die Tautas Partija angesehen.

Kalvitis, wohin? Von Koalitionspartnern wie August Brigmanis (Grüne/Bauernpartei) kommen bisher nur hohle Sprüche: "abhauen sei leichter als bleiben und weiterarbeiten". Wer sich da mal nicht täuscht! Das schwerste war schon immer, ehrlich seine Meinung zu sagen und persönlich Charakter und Rückrat zu beweisen. Dafür könnte es auch bald zu spät sein.

Berichte dazu in deutschsprachigen Medien:


DIE PRESSE

FRANKFURTER RUNDSCHAU

WIENER ZEITUNG

TAZ

16. Oktober 2007

Was im Weg steht, wird entlassen ...

Lettische Bulldozer-Politik
Vielleicht wird Aigars Kalvitis, lettischer Ministerpräident, sich ja daran erinnert haben: sein Vorgänger Indulis Emsis (der seit kurzem übrigens angeklagt wegen undurchsichtiger Geldgeschäfte auch als Parlamentspräsident und Parlamentarier zurückgetreten ist) überstand im Herbst 2004 die Aufstellung des Haushaltsbudgets für das kommende Jahr nicht. Ob Kalvitis diesmal ähnliches droht, scheint noch ungewiss. Aber was ist schon sicher in der lettischen Politik?

Wer hätte 2004 geahnt, dass der etwas grobschlächtig und simpel erscheinende Kalvitis drei Jahre unangefochten Regierungschef bleiben würde, sogar Neuwahlen überstehend? Aber nun, nur ein Jahr nach den letzten Parlamentswahlen, erscheint die lettische Regierung gleichermaßen ausgebrannt wie starrsinnig. Schon die kurzfristige Installierung eines „regierungsfreundlichen“ Präsidenten (der durch die Regierungsmehrheit im Parlament gewählt wurde) hatte Züge von Selbstherrlichkeit nach dem Motto: wer kann es verhindern, wenn die Regierung sich doch einig ist?

Heute wurde Aleksejs Loskutovs, Chef der staatlichen Antikorruptionsbehörde (lett. Abkürzung KNAB) entlassen. Vorwurf: angeblich Unregelmäßigkeiten in der Buchführung. Dies, obwohl eine von Generalstaatsanwalt Jāņis Maizītis geleitete Untersuchungskommission keinerlei erhebliche Gesetzesverstöße in den (für die Öffentlichkeit geheimen) Unterlagen der Behörde feststellen konnte. Loskutovs Pech: Die Vorwürfe stammten von Regierungchef Kalvitis selbst. So etwas nennt man in Lettland dieser Tage "Bulldozerpolitik" - regiert wird ohne Rücksicht auf Verluste (auch im öffentlichen Ansehen!).

Schneller kaufen, schneller leben
Einige Gründe, warum die Lett/innen ihre Regierung leid zu werden scheinen:

a) zwar gibt es im Land einen ungebremsten Konsumrausch (wer z.B. nur einmal „Trakas dienas“ – verrückte Tage – bei „Stockmann“ miterlebt, der weiß, was das bedeuten kann…). Das Land baut an allen Ecken, die Banken geben günstige Kredite, die EU ihre Aufbaugelder dazu. Das Wirtschaftswachstum wird nun aber überholt von einer (gefühlt ungebremsten) Inflation: im September erreichte sie 11,4%. Die Regierung muss nun für Ärzte, medizinisches Personal und Lehrer eine 10%ige Lohnsteigerung für 2008 einplanen. Aber nicht einmal das wird die Kostensteigerungen auffangen, ganz zu schweigen von den anderen Berufsgruppen, die nicht zurückgesetzt werden wollen. Bei einem mittleren statistischen Lohnniveau von 555 Euro musste, verglichen mit dem Jahr zuvor, das Lohnnivau in verschiedenen staatlichen und privaten Sektoren bereits um 32,4 - 44,5% angehoben werden, nur um die Kostensteigerungen aufzufangen. So schnell wie möglich auf EU-Niveau? Oder gibt es bald einen großen Crash? In den Zeitungen erscheinen bereits Ratgeberkolumnen, die nur noch zu Geldanlagen in Euro raten, weil dem Lat eine Abwertung drohe. Allen, die nicht gerade mit Aktien spekulieren oder mit Immobilien handeln, ist das eine Horrorvision.

b) Die Hauptstadt Riga erscheint in mancher Hinsicht geradezu als Schmelztiegel der unerfüllbaren Illusionen. Allein in Riga wurden seit Jahresbeginn 35.000 Autos neu registriert, und das bedeutet: Luxuslimousinen aller Länder vereinigt euch – im Stau! Auf holprig gepflasterten Straßen (selbst die Altstadt ist immer noch nicht autofrei!), ohne intelligente Ampelschaltungen oder Maßnahmen zum störungsfreien Vorrangbetrieb für Bus & Straßenbahn. Gefühlter Eindruck: als einzige Maßnahme sind die Ampeln auf „schneller blinken“ gestellt. Jeden Tag werden neue „Notmaßnahmen“ öffentlich diskutiert, doch nichts der teilweise teuer bezahlten Ratschläge verschiedener Consultingagenturen wurde bisher umgesetzt. Keine Radwege, keine Maßnahmen zur Abgasreduzierung, keine Sperrungen oder verkehrsberuhigte Zonen. Lettland bleibt das Land der meisten Verkehrstoten pro Einwohner in Europa. Oder soll man das glauben, was Bürgermeister Birks gelegentlich von sich gibt? Da sollen mal die ungeraden, mal die geraden Autonummern fahren dürfen, oder gesetzlich das Fahren auf Straßenbahnschienen verboten werden. Oder doch eine Straßenbenutzungsgebühr für ganz Riga? Doch wie soll das umgesetzt werden? Angeblich überlegt jetzt die Regierung, die Arbeitszeiten der staatlichen Institutionen zu verlagern (früher anfangen, später aufhören …). So sieht Hilflosigkeit aus – aber vom Fahrersitz eines luxuriös ausgestatteten auf Kredit gekauften Privatwagens gesehen fühlt es sich vielleicht wie Wohlstand an?

c) Allmählich erklingen die ersten Ratschläge fürs neue Jahr. Dem Volk raten, mehr Münzen in den Sparstrumpf zu tun, und den Arbeitgebern, die Löhne einzufrieren? Solche Töne kamen kürzlich von Präsident Zatlers. Am schmerzhaftesten wirkt aber die Selbstherrlichkeit der Regierung. Wer mal eben kurz den Chef der Anti-Korruptionsbehörde (KNAB) entlassen kann – hat der selbst etwas zu vertuschen?
Zwar sitzt einer der gewieftesten Geldwäscher und Geschäftermacher, Aivars Lembergs, nach wie vor hinter Gittern und wartet auf seinen Prozeß. Wenn es aber ein amtierender Minister wie Ainars Šlesers nicht für nötig hält, saubere Bilanzen der von ihm geführten Firmen der staatlichen Steuerbehörde vorzulegen, sondern die Entlassung der Direktorin eben dieser Aufsichtsbehörde verlangt, wie ist das zu verstehen?

Einsame Entscheidungen
Die Regierung glaubt, sie kann machen was sie will. Der Haushalt für 2008 soll am 31.Oktober beraten und am 22.November verabschiedet werden. Die Gelder zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Lettland (= Projekte von Nichtregierungsorganisationen) werden wahrscheinlich ganz gestrichen.
Deutsche mag eine Regierung Kalvitis vielleicht an ein Leben unter der Regierung Kohl erinnern. „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter…“ war ein oft gehörter Spruch zu diesen Zeiten. In Lettland aber werden selbst die bellenden Hunde lieber in den Keller geschickt.
Oder sind es nervöse Überreaktionen für eine hinter den Kulissen vorbereiteten Umbildung der Regierung?

Infos im Web:
Webseite der lettischen Antikorruptionsbehörde KNAB

Zielsetzung und Funktion der Antokorruptionsbehörde (engl.)