Nach den politischen Turbulenzen der vergangenen Woche scheint vorläufig alles zur Ruhe gekommen zu sein. Unterschwellig zählen aber die Beobachter und die Medien die Tage, bis alles wieder von Neuem beginnen könnte. Und so manche Zeitungsschlagzeilen deuten darauf hin, dass die Menschen wohl nicht umsonst auf die Straße gegangen sind. Viele werden wiederkommen.
Die lettische Nachrichtenagentur LETA zitierte die Ausgabe von "Financial Times" vom vergangenen Mittwoch, der zufolge die politischen Unsicherheiten auch die wirtschaftliche Verletzlichkeit Lettlands am Weltmarkt verstärken könnte. Die derzeit im Haushalt für 2008 vorgesehenen Anti-Inflationsmaßnahmen der Regierung seien Schritte in die richtige Richtung, so wird Erki Rāsuke, Chef der Hansabank in Lettland, zitiert. Konsequent spekulieren daher einige Medien, der Rücktritt von Kalvitis könne auch noch nach der Verabschiedung des Haushalts im Parlament kommen, womit dann die finanzielle Stabilität zunächst erreicht sei.
Der Pressedienst der lettischen Generalstaatsanwaltschaft informierte über den Fortgang des Strafprozesses gegen den zurückgetretenen Parlamentspräsident Indulis Emsis. Demnach wurde ein Strafmaß von 5040 Lat (ca. 7500 Euro) festgelegt. Vorwurf: falsche Zeugenaussage in einem schweren Kriminalfall. Emsis selbst waren am 9.10.2006 im Cafe des Parlaments mehrere Tausend Lat Bargeld gestohlen worden, er hatte aber falsche Angaben gemacht zur Höhe der Summe und den Umständen des Diebstahls. Der Fall war in der Öffentlichkeit auch durch Emsis' Behauptung diskutiert worden, mit diesem Bargeld "einen Traktor kaufen" zu wollen. Kritiker der Parteienfinanzierung der gemeinsamen Parteienliste von Grünen und Bauernpartei vermuteten eher eine Weitergabe von Geldern die von Aigars Lembergs stammen, der gegenwärtig wegen unrichtigen Geschäftsangaben immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Schon seit Wochen kursieren in den lettischen Medien mehr oder weniger offen Listen von Politikern, die als "Sipendiaten" (=Geldempfänger) von Lembergs, einem der viel diskutierten "Oligarchen" des Landes, gelten.
Während der Woche wurden vor dem lettischen Parlament Unterschriften gesammelt für eine Änderung der Verfassung, nach der auch ein "Votum des Volkes" das Parlament entlassen könne. Dies wird aber von Fachleuten eher kritisch gesehen. Bisher steht nur dem lettischen Präsident der Vorschlag zur Parlamentsauflösung und Neuwahlen zu. Prof. Ringolds Balodis, Leiter der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität, wurde mit einem schönen lettischen Spruch zitiert: "Wir sollten da nicht von einem Sumpf in den nächsten geraten."
Der von Regierungschef Kalvitis mit Entlassung bedrohte Chef der Anti-Korrutionsbehörde, Loskutovs, schätzte indessen in einem Fernsehinterview seine Chancen, doch noch im Amt zu bleiben, als 50:50 ein. Die Parlamentsabstimmung dazu steht noch aus.
Das Antikorruptionsbüro (lett. Abkürzung KNAB) gab indessen Zahlen zur Parteienfinanzierung in Lettland bekannt. Demnach haben zwei der Parteien die festgelegten Obergrenzen, die für Wahlkampfausgaben 2006 zulässig waren, weit überschritten. Zum einen ist das die Tautas Partija, die 529,980 Lat (ca. 750.000 Euro) für den Parlamentswahlkampf ausgab und damit die zulässige Grenze um 279.980 Lat (oder auch 190%) überschritten hat. Die "Pirma Partija" (Erste Partei, auch schon mal "Pastorenpartei" genannt) gab 401,610 Lats aus - bei nur 10 errungenen Mandaten sicher die am teuersten erkauften. Was nun wegen dieser Überschreitungen getan wird - es steht genauso in den Sternen wie die Schlagkraft des Chefs einer Anti-Korruptionsbehörde.
Nach dem Doppel-Rausschmiß aus "Tautas Partija" (Volkspartei) und Ministeramt für Aigars Štokenbergs ist nun auch der ehemalige Berater von Regierungschef Kalvitis, Jurģis Liepnieks, aus seiner Partei ausgeschlossen worden. Aigars Kalvitis und Andris Šķēle, Kopf und Geldsack der Partei, äußerten sich beide überzeugt, Štokenbergs und Liepnieks hätte schon seit Monaten über die Gründung einer anderen Partei nachgedacht. Näherer Beweise oder gar Taten bedurfte es da offenbar keine - bei dem gewichtigen Zeugnis dieser beiden Herren.
Für den 3.November hat eine neu gebildete Vereinigung "par tiesisku Latviju" (für ein rechtsstaatliches Lettland) zu einer Versammlung auf dem Domplatz von Riga aufgerufen. Diese Initiative, die eine Fortführung der Demonstrationen vom 18.Oktober sein möchte, als ca. 5.000 Menschen zusammen kamen, möchte nach den Worten der Filmemacherin Laila Pakalniņa "keine Show veranstalten, sondern gemeinsam überlegen, was getan werden kann um mehr Klarheit ins Parlament und Regierung zu bekommen."
Perestroika (mehr Durchblick) also für Lettland? Zu den Unterstützer/innen der gegenwärtigen öffentlichen Protestaktionen gehören eine Reihe bekannter "Promis" des lettischene Kulturlebens, wie Theaterregisseur Alvis Hermanis, Künstlerin Džemma Skulme, Schriftsteller Pauls Bankovskis, Europaparlamentarier Ģirts Valdis Kristovskis, die Journalisten Kārlis Streips, Sarmīte Ēlerte und Pauls Raudseps, Ethnologin Janīna Kursīte, Filmproduzentin Linda Freimane, Politologe Ivars Ījabs, und Schaupieler Juris Žagars.
Vielleicht eifern sie ja der Popularität von "Cūkmens" nach - einer lettischen Variante von "Batman". Cūkmens, mit eigener Webseite und Fernsehkampagne, soll als rosafarbener Held die Lettinnen und Letten zum Sauberhalten der Umwelt ermahnen. So in etwa gemäß dem "versaue Deine Umwelt nicht!". Doch "Schweine-Man" erinnert - durchaus auch wegen seines Aussehens - derzeit die Menschen eher an den ungeliebten Regierungschef, und so tauchen in der Hitze des Gefechts auch schon mal Plakate auf wie: "Weg mit Cūkmen!"
Den guten Wünschen für die Umwelt können wir uns nur anschließen.
Cūkmens Webseite