28. November 2023

Platz für neue Siege

Was bisher in Riga vollmundig "Siegespark" ("Uzvaras parks") hieß, hat nun ein neues Gesicht: inzwischen wurde der mit einem Kostenaufwand von 8,5 Millionen Euro umgestaltete Park für die Öffentlichkeit neu eröffnet. (IR / riga.lv) Werden in Zukunft an diesem Ort andere Siege gefeiert?

Schon vor dem 1.Weltkrieg wurde an dieser Stelle ein Park gestaltet - ursprünglich, wie es heißt, um die Einverleibung des damaligen "Livland" in das Russische Reich hier zelebrieren zu können, ein Ereignis, dass 1909 gerade 200. Jubiläum hatte. "Petrovsky Park", so wurde es damals genannt, und eigentlich sollte hier etwas Ähnliches entstehen wie im Villenviertel "Mežaparks". Aber als 1915 die Kriegsereignisse auch in Riga angekommen waren, markierte das auch das Ende dieser Idee (capitalriga). 

Schon 1923 gab es dann den ersten Versuch, diesen Bereich "Siegespark" zu nennen - als Erinnerung an den Sieg der vereinigten lettisch-estnischen Truppen, inklusive der Verteidigung Rigas, gegen die unter Bermondt-Avalov vereinigten Verbände der Deutschbalten, deutscher Freikorps und der Avalov'schen "Westrussischen Befreiungsarmee". Dann kam Kārlis Ulmanis, der sich ab 1934 selbst als autoritärer Herrscher Lettlands inthronisierte und große Pläne hatte: eine große Arena für Sport und nationale Aufmärsche sollte entstehen. Ulmanis träumte von etwas Ähnlichem wie das Berliner Olymiastadion und mindestens 25.000 Sitzplätzen für ein Stadion, wo auch die großen Liederfeste Lettlands hätten gefeiert werden sollen. Auch ein 6o Meter hoher "Siegesturm" war geplant, ebenso ein "Velodrom" mit nochmals 10.000 Zuschauerplätzen. 3 Millionen Lat zur Finanzierung waren schon als Spenden eingesammelt - als erneut ein Krieg alle Planungen zerschlug. 

Als nächstes war das Gelände dann Ort eines öffentliches Schauspiel der Sowjets: sieben Nazi- und SS-Offiziere wurden 1946 hier öffentlich exekutiert, darunter SS-Führer Friedrich Jeckeln. (citariga)

Es folgte eine Zeit, in der eigentlich auch die Sowjetunion eine Erinnerung an den 9.Mai nicht förderte - nach 1953 galt das als unwillkommene Erinnerung an Stalin. Erst Ende der 1970iger Jahre kam erneut die Idee eines "Siegesparks" auf, dessen Bauphase dauerte dann von 1979 bis 1985. Das große Denkmal mit dem anfangs sehr komplizierten Namen („Für die Befreier des sowjetischen Lettlands und Rigas von den deutschen faschistischen Invasoren“) wurde dann immerhin von mehreren lettischen Künstlern geschaffen: die Bildhauer Aivars Gulbis und Ļevs Bukovskis, sowie neben einigen weiteren auch die Architekten Edvīns Vecumnieks, Ermēns Bāliņš, und Viktors Zilgalvis. Eröffnet wurde die Anlage von Boris Pugo - der später eher traurige Berühmtheit mit seiner Beteiligung am Putsch gegen Gorbatschow erlangte. (pietiek.lv)

Auch nach Wiederherstellung des unabhängigen Staates Lettland behielt der Park zunächst die Bezeichnung "Siegespark". Da der Abzug der russischen Armee ein sensibles Thema war und lange Zeit unsicher blieb, wurde auch der Umgang mit Sowjetdenkmälern zum Bestandteil lettischer Politik. Sie sind abgezogen, im Gegenzug haben wir den Erhalt der Denkmäler zugesagt - das wurde zum regierungsamtlichen roten Leitfaden, auch wenn es keine russisch-lettische Vereinbarung über konkret zu schützende Objekte gab.

Am 7. Juni 1997 stand das Denkmal dann erneut im Fokus der Schlagzeilen: Anhänger des rechtsradikalen Verbands "Pērkonkrusts" ("Feuerkreuz") hatten es mit einer Sprengung versucht, nicht ohne vorher einige Hakenkreuze und Parolen aufzumalen. Es blieb beim Versuch - und zwei der Beteiligten kamen dabei ums Leben. Später standen 10 der (überlebenden) Täter vor Gericht und wurden zu Strafen in unterschiedlicher Höhe, bis zu 5 Jahren Gefängnis, verurteilt. Einer davon hatte sich fast zwei Jahre lang in lettischen Wäldern zu verstecken versucht. (delfi)

Der "Siegespark" blieb in der Folgezeit vor allem Austragungsort der jährlichen Feier zum 9.Mai, im russischen Verständnis also des Sieges (im "Großen Vaterländischen Krieg") über den Faschismus. Eine Petition zum Abbau des Denkmals bekam 2013 immerhin 12.000 Unterschriften, wurde aber später vom Parlament abgelehnt (likumi.lv). Eine ähnliche Petition des Jahres 2017 erreichte noch einmal 10.000 Unterschriften, als Reaktion darauf bekam eine Petition zum "Erhalt aller antifaschistischer Denkmäler" ebenfalls 25.000 Unterschriften. (capitalriga / manabalss

Einer Umfrage aus dem Jahr 2015 zufolge gaben etwa 2/3 aller russischsprachigen Einwohner Lettlands an, den 9.Mai zu feiern - im lettischsprachigen Umfeld waren es nur 7,5%. (lsm)

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine änderte auch die Stimmungslage in Lettland, die Sowjetdenkmäler betreffend. Am 13. Mai 2022 entschied der Stadtrat Riga das Denkmal abzureißen - denn unter Denkmalschutz stand es nie. Kurz darauf, am 16. Juni 2022, beschloss das lettische Parlament ein Gesetz „Zum Verbot der Ausstellung und Demontage von Objekten, die das Sowjet- und Nazi-Regime verherrlichen, auf dem Territorium der Republik Lettland“ (saeima.lv). Es sah vor, dass der Abbau derartiger Objekte bis zum 15.11.2022 erfolgen sollte. Die Demontage des Denkmals im "Siegespark" erfolgte in der Zeit vom 23. bis 25. August 2022. Berücksichtigt wurde auch das Ergebnis einer Umfrage, der zufolge sich 64% der Befragten dafür aussprachen, an dieser Stelle weiter einen Park zu erhalten. Eine vom Rigaer Bürgermeister eingesetzte Arbeitsgruppe stellte fest: es soll ein "frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne ideologische Belastung" werden. (IR)

In Zukunft also sollen im neu gestalteten, 9 ha großen Landschaftspark Trampoline und Schaukeln aufgestellt, im Sommer eine Skaterbahn und im Winter eine Trasse zum Skilaufen angeboten werden. Außerdem sollen insgesamt 1500 Bäume neu gepflanzt werden. Weiterhin soll noch mehr Beleuchtung installiert werden und sogar eine Wasserversorgung für Schneekanonen im Winter. Eine mögliche Variante, das Gelände nun "Zukunftspark" zu nennen, wurde aber wieder verworfen - bis jetzt ist es weiterhin der "Uzvaras parks" ("Siegespark").

13. November 2023

Auf der Suche nach dem "Laimes lācis"

Glücksversprechen

Lange galt die Glücksspielbranche (lettisch = "Azartspēles") in Riga als eine Art Sumpf, der nur schwer auszutrocknen wäre. Immer wieder gefördert von verschiedenen Quellen in der Politik, immer wieder verflucht als Nutznießer der Krisenzeiten, wenn Spielsucht neue menschliche Krisen nach sich zieht. Daher erregte ein Plan der Stadtoberen schon 2018 Aufsehen, wenigstens im historischen Stadtkern alle dort bis dahin befindlichen 42 Spielhöllen schließen zu lassen, und als Ausnahmen nur Einrichtungen innerhalb Vier- oder Fünfsterne-Hotels zuzulassen.
Nun soll Gleichartiges auch in den anderen Stadtteilen passieren. Der neue Plan sieht vor, im Laufe von 5 Jahren mehr als 80 Spielhallen (Spielautomaten, Casinos, Wettbüros, Bingo) zu schließen, und damit 139 Glücksspielgenehmigungen zu widerrufen. Die Glücksspielbetreiber drohten, gegen diese Verbote vor Gericht zu ziehen. Der Stadtrat seinerseits beruft sich auf eine Untersuchung des Gesundheitsministeriums zur Suchtforschung, der zufolge 80.000 Menschen in Lettland an Spielsucht leiden, 16.000 von ihnen mit schwerwiegendsten Problemen.(lsm / riga.lv)

Auch eine Äußerung von Henriks Danusēvičs, Chef der Vereinigung der lettischen Kaufleute ("Latvijas Tirgotāju asociācija" LTA), verdeutlicht die Problematik. Schließlich gäbe es bereits eine Liste von 13.000 Menschen, denen der Eintritt in Spielhallen verwehrt sei. Und wo sonst - außer vielleicht an Tankstellen -  könne man einfach mal reingehen und einen Kaffee trinken, meinte er (LA)

Krisengewinnler

Journalistin Ieva Jakone beschrieb nun in einem Beitrag für die Zeitschrift "IR", dass trotz aller Verbotsandrohungen die Glückspielbranche bisher auch die pandemischen Zeiten sehr gut - sogar mit staatlicher Unterstützung - überstanden habe. Natürlich gab es Versuche der lettischen Regierung, Firmen, deren Betrieb wegen Covid-19-Schutzmaßanhmen beeinträchtigt war, zu unterstützen. Im Dezember 2021 zum Beispiel kündigte das Wirtschaftsministerium ein solches Programm an, und als Zielgruppe wurden hier "Einkaufs- und Sportzentren sowie Orte der Kultur, Erholung und Unterhaltung" genannt.


Aber warum wurden allein 7 Millionen Euro an Unterstützung für die Glückspielbranche gezahlt? 570 Millionen Euro habe der lettische Staat insgesamt für die Unterstützung für verschiedene Firmen gezahlt - aber keine andere Firma einer anderen Branche habe so viel Unterstützung bekommen wie "Joker Ltd", "DLV" und "Alfor", die drei größten der lettischen Glücksspielbranche. 

Gemäß dieser Untersuchung haben insgesamt 12.300 verschiedene lettische Unternehmen überhaupt Unterstützung bekommen - im Durchschnitt in einer Höhe von 46.000 Euro. Nur insgesamt 18 Unternehmen erhielten dabei eine Unterstützung von mehr als einer Million Euro. Wenn man sich nun ansieht, wer die meiste Unterstützung erhalten hat, so seien unter den zehn größten Zuschussempfängern sieben der Glücksspielbranche zu finden, so "IR". Gleichzeitig habe die Branche aber in den drei Pandemie-Jahren einen Gewinn von insgesamt 80 Millionen Euro gemacht. 

Pandemische Winkelzüge

Allein im Jahr 2020 forderte das Covid-19-Virus 700 Todesopfer, bis 2023 insgesamt 6500. Der Staat musste erheblich einschränkende Regelungen erlassen, so dass der Umsatz einiger Firmen um bis zu 15% zurückging. Staatliche Zuschüsse mussten Unternehmen selbst beantragen, der Staat berechnete den zu gewährenden Betrag auf 30 % des Gesamtlohns, für den Steuern gezahlt worden waren. 

Von April 2020 bis Anfang Juni 2020 war in Lettland Glückspiel komplett verboten. Die Nutzerinnen und Nutzer änderten aber schnell ihre Gewohnheiten: von nun an wurde online gespielt. Während 2019 der Gesamtumsatz der Glückspielbranche noch bei 289 Millionen Euro lag (bei 75 Mill. Euro Gewinn), sank der Umsatz 2020 um 33% und der Gewinn um 64%.  Richtig negativ war nur das Jahr 2021, als 9,8 Mill Euro Verlust erwirtschaftet wurden. Doch schon 2022 stieg der Umsatz wieder auf 245 Mill. Euro und der Gewinn auf 62,5 Mill. Euro. 

Als Beispiel dafür, dass die Branche geschickt von "Krisenunterstützung" profitiere, benennt Journalistin Ieva Jakone "Olympic Casino Latvia". Dessen Eigentümer gründete im März 2000 "Olybet Latvia", mit umfangreichem Online-Angebot. Schon im Jahr 2020 wurden so 750.000 Euro Gewinn erwirtschaftet, 2021 dann 2,9 Millionen und 2022 schließlich 2,1 Millionen. Bei der staatlichen Finanzbehörde (Valsts ieņēmumu dienests VID) aber sind weiterhin zwei unterschiedliche Firmen registriert - und so fließen auch die Unterstützungsleistungen weiter, die sich auf Umsatzrückgang in  Präsenzspielhallen bezieht. 

Unglück, oder Ungerechtigkeit?

Arnis Vērzemnieks zufolge, Chef des lettischen Glückspielverbands (Latvijas Spēļu biznesa asociācija LSBA), waren sämtliche erzwungenen Schließungen widerrechtlich und unverhältnismäßig. Im Jahr 2020 seien die Spielhallen 133 Tage, im Jahr 2021 sogar 237 Tage geschlossen gewesen - da sei es nur gerecht, wenn der Staat einen Ausgleich zahle. ("IR")

Wenn allerdings nun die allgemeinen Verbotsmaßnahmen der Stadt Riga auch vor Gericht Bestand haben, dann geht es wiederum um die genannten großen Unternehmen. Mit 41 Verboten wäre "Alfor" am meisten betroffen (25 davon in Spielhallen), gefolgt von „Olympic Casino Latvia“ mit 36 Verboten (19 Spielhallen), "Joker Ltd" mit 23 Verboten (12 Spielhallen) und „Admiralū klubs“ mit 20 Verboten  (11 Spielhallen).

9. November 2023

Fahrer gesucht

Die Anzeige war ganz einfach formuliert: "Fahrer gesucht - mehrere Tausend Euro Verdienst pro Tag!" Die Aufgabenstellung: mit einem Kleintransporter in einen grenznahen Wald in Ungarn fahren, dort warten, nicht aussteigen! Es nähern sich Menschen, die hinten in den Frachtraum einsteigen. Ein kurzes Klopfen als Nachricht für den Fahrer - und los gehts. ("IR")

Die angeworbenen Fahrer ahnen manchmal gar nicht, dass sie nun Teil eines internationalen Netzwerks der organisierten Kriminalität geworden sind, durch Transport von Migrant/innen werden Millionen verdient. In letzter Zeit wuchs die Zahl der Litauer und Letten stark an, die sich als Schleuser für Flüchtlinge betätigen. Allein in Ungarn wurden von den Grenzbehörden inzwischen ein Litauer oder Lette pro Woche festgesetzt - im gesamten Jahr 2021 waren es 31 Litauer und 30 Letten. Inzwischen hat das lettische Außenministerium bereits Warnungen herausgegeben, sich nicht auf verdächtige Arbeitsangebote als "Fahrer" einzulassen. 

Wie "ReBaltica" berichtet, verkünde der ungarische Regierungschef Orban zwar lauthals ein rigoroses Vorgehen gegen Flüchtlinge, aber die Realität sehe anders aus. Ungarn stecke seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Die Polizei sie stark unterbesetzt, unterbezahlt und schlecht ausgerüstet. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, gegen die illegale Migration vorzugehen. Sowohl Einwanderer ohne Papiere als auch ihre Schleuser haben immer noch recht gute Chancen, das Land zu durchqueren. Verhaftete Schleuser aber, so wie Letten und Litauer, sollen schon, Schätzungen zufolge, bis zu 10% der Verhafteten in ungarischen Gefängnissen ausmachen. Wer erwischt wird, muss mit bis zu acht Jahren Gefängnis rechnen - und auch die ungarischen Anwälte nehmen ordentliche Honorare, in der Regel mehrere Tausend Euro. Aber Häftlinge kosten auch den ungarischen Staat Geld, so werden immer mal wieder Internierte einfach mal freigelassen. (rebaltica)

Geworben werden die Fahrer meist für einen Einsatz in Ungarn, Tschechien, Kroatien, Polen und Serbien - alles Länder aus der sogenannten "Balkan-Route", die Flüchtlinge als Durchgangsstation auf dem Weg nach Deutschland Station machen. Und vor Polizeikontrollen müsse man keine Angst haben, so versprachen die Auftraggeber - denn als Ausländer könnte niemand z.B. in Österreich bestraft werden. Eine Lüge.

In vielen Fällen kommt es anders. In der Zeitschrift "IR" wird auch das Beispiel eines 19-jährigen jungen Mannes genannt: er besuchte noch die letzte Klasse eines Gymnasiums, und wollte eigentlich Fotograf werden. Das müsse er jetzt wohl verschieben, denn die nächsten sieben Jahre werde er in einem Gefängnis in Österreich einsitzen müssen. (rebaltica)

In ungarischen Gefängnissen sitzen offenbar schon viele ein, die wegen Flüchtlingstransporten bestraft wurden. Einzelheiten dazu geben ungarische Behörden offenbar nicht einmal gegenüber den diplomatischen Vertretungen der betreffenden Länder heraus. Von litauische Grenzbehörden ist bekannt, dass dort im ersten Halbjahr 2023 schon 23 wegen solcher Transporte verhaftete Letten gemeldet wurden.