28. Mai 2024

Nie wieder Eurovison?

Es geschieht nicht zum ersten Mal, dass Abstimmungen auf dem lettischen Portal "Manabalss" ("Meine Stimme") Schlagzeilen erzeugen. Ob für den Erhalt kleiner Schulen auf dem Lande, für ein Verbot der Luchsjagd, für Einführung eines Pfandsystems für Getränkeflaschen oder für ein Verbot von Kahlschlägen in lettischen Wäldern. Momentan wirbt eine Initiative um Beteiligung, die auch international für Verwunderung sorgt: nie wieder lettische Beiträge für die Eurovision! 

Zweifelhaft und unanständig?

Immerhin über 11.000 Unterstützende hat die Initiative schon gefunden. Gefordert wird die Beendigung der Teilnahme Lettlands am Eurovision Song Contest. Begründung: "Es ist sehr zweifelhaft, ob diese Maßnahme das Image und den Ruf Lettlands erheblich verbessert. Menschen, die dort teilnehmen, neigen dazu, sich obszön verhalten, und dies wird auch als Norm beworben." 

Obszön? Der im Original verwendete Begriff "piedauzīgi" wird auch mit "anstößig", "unanständig" oder "abstoßend" übersetzt. Also ein Moralapostel? Eine Idee, wie die frei werdenden finanziellen Mittel verwendet werden sollen, liefert Kristaps Bogdanovičs, der Autor der Eingabe, gleich mit: für den Sport (und für Biathlon im besonderen). Im Sport seien mehr "positive Beispiele für junge Leute" zu finden. An Doping dachte er dabei wohl offenbar nicht.

Internationales Aufsehen

Inzwischen erregen die lettischen "Sportfans" auch international Aufsehen. "Lettland 2025 nicht dabei?" fragen griechische und irische Eurovisions-Fans. Allerdings wird dort das Bogdanovičs-Zitat abgewandelt: statt von "sich abszön benehmen" ist jetzt von "behave wildly" die Rede. Beim litauischen LRT wie auch beim "Baltic News Serive" (BNS) wird es schon zur Staatsaffäre, denn hier ist die Überschrift "Lettland überlegt Ausstieg aus der Eurovision".Da die Initiative über 10.000 Unterstützer/innen hat, ist eine Beratung des Anliegens im lettischen Parlament vorgesehen - aber die steht bisher noch aus.

Wer ist Kristaps Bogdanovičs? 2014 ist dieser Name auf der Liste der "Jaunā konservatīvā partija" JKP fürs lettische Parlament (cvk) zu finden. Aber die JKP erreichte damals lediglich 0,7%, und Bogdanovičs bekam auf dieser Liste von 32 Kandidat/innen die zweitwenigsten Stimmen (cvk). 

... als Kaupers fast wie "Cowboy" klang:
früher war alles besser?

Tugendhafte Kritiker?

Nun also scheint er seine "Fans" gefunden zu haben (oder sollten wir "Anti-Fans" sagen?). Lettlands Teilnahme an der Eurovision kostete 2023 166 000 Euro, rechnet das Portal "Jauns.lv" nach. Die "Latvijas Avize" bringt auch die Aussage von Bogdanovičs, es sei verrückt, wenn der lettische Biathlon-Verband Spenden sammeln müsse um im Weltcup oder bei einer WM auftreten zu können. "Da ist Sport doch mit Sicherheit wichtiger als die Eurovision!" 

Und in einem weiteren Beitrag darf Jāzeps Baško das schildern, was er "die Gedanken einfacher Leute beim Betrachten der Eurovision" nennt. "Ich verfolge die Eurovison schon seit den Zeiten von 'Prāta Vētra' "; schreibt er (das war 2000 Platz 3, siehe Youtube). Baško bezeichnet die Eurovision als "europäische Schwulenparade" und meint, die "LGBT-Flagge" werde hier kräftiger geschwenkt als die Flaggen der teilnehmenden Länder. Dann folgt Bildhaftes: "Eurovision ist eine Veranstaltung der demokratischen Diplomatie. Es ist wie ein Zweikammerparlament, in dem das einfache Volk und die oberen Ränge über die Beziehungen zu den Nachbarländern abstimmen."

Oha, hier wird die Eurovision aber richtig ernst genommen! Originalton Baško: "Putin, die Chinesen und Muslime reiben sich die Hände. Europa ist noch attraktiver, als man es sich vorstellen kann. Es gibt Boden, den es zu kultivieren und wo es Ordnung zu schaffen gilt." (LA) Lobend erwähnt Baško die Beiträge von Frankreich und Israel (ohne nähere Begründung). 

Eurovisions-Fans wehren sich

Denken alle in Lettland so? 2023 machte der lettische "Künstler- und Produzentenverband" ("Latvijas Izpildītāju un producentu apvienības LaIPA") seine ausdrückliche Unterstützung für lettische Teilnehmer/innen bei der "großen Eurovision" öffentlich - die unterstützte Band "Sudden Lights" schied allerdings als elfte schon im Halbfinale aus. Auch 2024 unterstützte die LaIPA "Dons" aus Lettland speziell bei der Werbung für seinen Song schon vor dem Tag des Eurovisionsfinales - und hat vor, Ähnliches auch noch mindestens bis 2026 zu tun. (eurovoix) Der Verband erinnert auch daran, dass 2002 Lettland überhaupt nur deshalb teilnehmen konnte, weil Portugal sich zurückgezogen hatte - und in der Folge dann "Mari N" ("I wanna") gewann, als große Überraschung. 

Der zuletzt erfolgreichste lettische Beitrag zur
Eurovision: Aminata belegte 2015 mit "Love injected"
Platz 6

"Lettland muss sich wegen seiner Teilnahme an der Eurovsion nicht schämen - auch wenn die Finanzierung dieser Teilnahme eher amateurhaft ausfällt", so das Ergebnis einer Expertenrunde aus dem Jahr 2018, in einer Zeit, als Lettland nicht einmal mehr das Finale erreichte (2009 bis 2014, sowie 2017 bis 2023 wurde immer das Finale verpasst). Den damaligen Analysen zufolge gibt es drei Varianten für möglichen Erfolg: erstens eine gute Show auf der Bühne zu zeigen, oder zweitens "irgendwie anders zu sein", oder drittens auf Spezialeffekte zu verzichten und einen Künstler mit Charisma zu nehmen. (lsm)

An einer Antwort auf Kritiker Jāzeps Baško versucht sich Journalist Karlis Streips: "166.000 Euro sollen zu viel sein? Weiß Herr Baško eigentlich, wie viel Geld unser Land ausgegeben hat, damit der lettische Basketballverband dieses Jahr ein Olympia-Qualifikationsturnier veranstalten kann? Etwas mehr als zwei Millionen Euro." Dem wäre hinzuzufügen, dass es auch im Beachvolleyball ein Olympia-Qualifikationsturnier in Lettland gab - mit 400.000 Euro aus lettischen Steuergeldern (sportazinas)

Selbstbewußtsein und Menschenrecht

"Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass sich irgendjemand aus Lettland bei seinem Auftritt bei der Eurovision 'obszön' verhalten hätte," fährt Streips fort, "Dons kann es ja nicht gewesen sein." Und seine Schlußfolgerung ist: "Ich verstehe, dass wir Letten ein so sehr, sehr tugendhaftes Volk sind. So tugendhaft, dass Dinge wie Lesben, Transgender und andere „Perverse“ nichts für uns sind. Aber wir leben immer noch im Jahr 2024 und in Europa, wo die universelle Natur der Menschenrechte weithin anerkannt ist. Auch für Schwule. Auch für Trans-Menschen." (LA)

Lolita Tomsone bezeichnete in einem Beitrag für das lettische Kultuportal "Satori" die Eurovision als "politmusikalischen Karneval". Bei der Eurovision habe "jede/r nur drei Minuten Zeit, um die ganze Welt zu überraschen." 

Lettische Zuschauer des deutschen Fernsehens verteidigten den lettischen Beitrag übrigens vehement. Als Moderator Thorsten Schorn beim Vorentscheid "Dons" als "Schlumpf, der seine Mütze verloren hat" titulierte, musste er sich mit Protestzuschriften auseinandersetzen. Ein paar "nette Letten" hätten sich beschwert, gab Schorn dann während der Finalmoderation zu. Offenbar waren es nicht wenige.

11. Mai 2024

Einzahlen, bitte!

Im Vorfeld der diesjährigen Europawahlen wird in Lettland die Praxis von Parteispenden diskutiert. Anfang Mai beschloss das lettische Parlament eine Änderung im Parteiengesetz, der zufolge nun schon Parteispenden ab 7.000 Euro strafbar sind, wenn sie aus ungeklärten Quellen stammen. Unklar allerdings, ob dies allein ausreichen wird, um solche zweifelhaften Spenden zu verhindern.

Briefumschlag - Bankautomat - Parteikasse 

Zunächst standen Spenden an die Partei "Latvijas attīstībai" ("Für Lettlands Entwicklung") im Mittelpunkt der Diskussionen, auch die Antikorruptionsbehörde KNAB (Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs) sah sich zu Untersuchungen veranlasst. Māris Mičerevskis, früher mal Mitglied bei "Latvijas attīstībai", brachte die Sache mit Aussagen wie dieser ins Rollen: "Da gibt Dir jemand einfach zweitausend Euro und sagt, Du musst es für die Partei spenden.“ (LR1) 132 Spenden wurden als verdächtig angesehen, wo Verwandte, Freunde, Angestellte oder andere Vertrauenspersonen die Einzahlungen getätigt hatten. Dennoch wurden keine Strafverfahren eingeleitet, weil, wie es hieß, keine geltenden Gesetze verletzt worden seien. (lsm)

"Aus den Akten zu diesem Fall geht klar hervor, dass Menschen Geld spenden, das ihnen nicht gehört," sagt Sanita Jemberga vom Zentrum für investigativen Journalismus "Re-Baltica".

Spenden für die Karriere

Die Vorwürfe gegenüber der Partei "Vienotība" sind da etwas anders gelagert. Parteimitglieder spendeten auffallend großzügige Summen an die eigene Partei, und das noch dazu in vielen Fällen zeitlich geradezu synchron. 

So ist vom jetzigen "Vienotība"-Fraktionsvorsitznder Edmunds Jurēvics bekannt, dass er zu Zeiten, als er lediglich eine (eher "symbolisch" bezahlte) Stelle als Assistent eines Parlamentsabgeordneten hatte, mehr als 1.000 Euro an die Partei spendete. Und seit 2020, als der von ihm beratene Vilnis Ķirsis Bürgermeisterkandidat wurde, spendete er erneut mehr als 1.000 Euro. Seitdem Jurēvics aber 2022 Mitglied des Rigaer Stadtrates und später auch der Saeima wurde, gingen die Zahlungen erheblich zurück. 

Bei Dāvis Mārtiņš Daugavietis, ein weiterer "Vienotība"-Abgeordneter, soll es ähnlich gewesen sein - zunächst hohe Spendensummen, die nach seiner Wahl ins Parlament stark zurückgingen. "Ich wollte meine politische Karriere aufbauen, und ein Teil des Aufbaus dieser Karriere besteht darin, Mitgliedsbeiträge an die Partei zu zahlen, was ich auch als Investition in mich selbst, als Investition in meine Zukunft betrachtete," so erklärte es Daugavietis selbst (lsm)

Offenbar hilft es in Lettland, wenn nicht eine Wahl über die Zukunft einer Politikerin oder eines Politikers entscheidet, sondern vorab getätigte kräftige Spenden aufs Konto der eigenen Partei. Im Fall der stellvertretenden "Vienotība"-Generalsekretärin Sanita Stelpe-Segliņa sollen Spenden von Mann, Mutter und Schwiegertochter gekommen sein. 

Umschläge und Zählverfahren

Weiterhin gibt es Anschuldigungen, dass "Vienotība" in mehreren Fällen, einschließlich dem Büro von Ex-Ministerpräsident Kariņš, Löhne "im Briefumschlag" gezahlt haben soll (BNN) - ein Vorwurf, den die Partei energisch abstreitet. .

Und ein weiterer Vorwurf dreht sich darum, dass "Vienotība" über Jahre hinweg Dienstleistungen der Firma SOAAR genutzt haben soll, ohne dafür zu bezahlen (tv3) Inzwischen wurde bekannt, dass (erstmals seit 13 Jahren) bei den Europawahlen in Lettland die Stimmauszählung nicht mehr mit Hilfe der Firma SOAAR erfolgen wird. Der Staatliche Rechnungshof hatte bei einer Prüfung festgestellt, dass die Firma hier ohne rechtliche Grundlagen eine Monopolstellung gehabt habe. Bei den Europawahlen werden die Stimmen nun wieder manuell in den Wahllokalen ausgezählt werden. (IR).