20. Februar 2024

Leerstellen

Lehrkräfte - woher nehmen?

In Lettland werden zum nächsten Schuljahrsbeginn 200 Lehrerinnen und Lehrer fehlen - zumeist für die Schülfächer Mathematik und Lettisch.

Das durchschnittliche Gehalt für Lehrerinnen und Lehrer in Lettland liegt bei 1500 Euro (brutto), es ist damit eines der niedrigsten in Europa (ähnlich wenig gibt es in Bulgarien, Griechenland, Ungarn, oder Rumänien). In den Bezirken rund um Riga - Bremerinnen und Bremer würden vielleicht "Speckgürtel" dazu sagen - liegt die Entlohnung noch um 200-300 Euro höher. Im Nachbarland Estland streikten im Januar die Lehrerinnen und Lehrer, weil sie auch 2000 Euro (brutto) für zu wenig einschätzten. Im "Pisa-Vorzeigeland" Estland sei ein hoher Prozentsatz der Lehrkräfte (25%) Mitglied einer Gewerkschaft, so berichtete der "Deutschlandfunk".

Eine landesweite Übersicht aller offenen Stellen
an lettischen Schulen bietet die "skolu vakanču karte"

Lehrer streiken, kleine Schulen schließen

Wie sieht die Stimmung unter Lettlands Pädagog/innen aus? Das zuständige Ministerium in Lettland hat ein neues Gehaltsmodell entwickelt, dass zu Beginn des neuen Schuljahres im September 2024 eingeführt werden soll. Dann sollen die Gehälter nicht einfach dort am höchsten sein, in welcher Gemeinde es die meisten Schülerinnen und Schüler gibt - stattdessen wird geschätzt, wie viele Lehrkräfte für die Umsetzung eines bestimmten Lehrplans benötigt werden. Mehrere Kommunen, die das neue System getestet haben, kommen zu dem Schluss: Ja, die Gehälter werden höher sein. Allerdings: auch die Zusammenlegung kleinerer Schulen ist vorgesehen.

Damit soll einer durchaus spürbaren Tendenz entgegengewirkt werden, dass viele den Lehrerberuf verlassen. Mit dem Programm "Mācītspēks" wurde ein berufsbegleitender Pädagogikkurs geschaffen, der Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen dabei unterstützten will, Lehrer für allgemeinbildende Fächer zu werden. Es war auch schon versucht worden, Studierende der Pädagogik an Schulen einzusetzen - aber viele gaben der hohen Arbeitsbelastung wegen wieder auf.

Etwa 150 kleine Schulen sind in den vergangenen 10 Jahren in Lettland geschlossen (bzw. mit anderen zusammengelegt) worden; aber noch immer schätzen Experten, dass eine weitere Optimierung des Schulsystems 80-120 Millionen Euro einbringen könnte, Geld, das dann zur Erhöhung der Lehrergehälter ausgegeben werden könnte. Andererseits ist auch klar, dass die Schließung kleiner Schulen den Mangel an Lehrkräften nicht beheben wird. (IR)

Lernen wie im Lichtpalast!

"Wir stecken in einem tiefen Loch", sagt Ieva Margarita Ozola, Leiterin der 13. Mittelschule in Riga. Noch lange nach Beginn des Schuljahrs musste nach zwei Lehrkräften für Lettisch gesucht werden, und das Fach Ingenieurswissenschaften muss immer noch ausfallen. (IR) "Schüler und Lehrer sind stolz auf ihre Schule – sie ist wirklich unser Lichtpalast!" so ist es in der Eigenwerbung dieser Schule zu lesen ("Lichtschloss, lett. "Gaismas pils", entsprechend dem legendären Chorlied von Jāzeps Vītols). 

Vielleicht mögen ja die Schülerinnen und Schüler ihre Schulen, wo sie gerade unterrichtet werden. Noch aus Sowjetzeiten stammt die Sitte, die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer am letzten und am ersten Schultag mit Blumen und Geschenken zu überhäufen - wohl wissend, dass damals von ihm oder ihr mehr abhängig war als die Schulbehörde organisieren konnte. Heutzutage wird in Lettland der "Skolotāju diena" (Weltlehrertag) brav an einem Sonntag begangen (erster Sonntag im Oktober); allerdings wird in den Schulen oft schon am Freitag davor etwas organisiert. "Ein wirklich talentierter Lehrer ist oft die erste Inspirationsquelle, ein Vorbild und ein Held, dem jeder Erstklässler nacheifern möchte", so sagte es Präsident Edgars Rinkēvičs aus diesem Anlaß 2023 (lvportal).
Die lettische Bildungsministin Anda Čakša zitierte lieber Winston Churchill, der gesagt haben soll: "Lehrer haben die Art von Macht, von der Premierminister nur träumen können“ (LIZDA)

Beim Kampagnenportal "Manabalss" ("Meine Stimme") sind zur Zeit viele Aufrufe zu finden rund um das Thema Schule: gleich zwei für den Erhalt kleiner Landschulen (einmal generell, einmal speziell der Mittelschulen), gegen die Umstrukturierung verschiedener Schulen in Jūrmala, Valdemārpils, Mērsrags und Jaunpils, oder auch für ein Verbot von Smartphones an Schulen.Die Gewerkschaft LIZDA (Latvijas Izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība) betreibt zur Zeit eine Kampagne, welche einen gesetzlich festgelegten Rücktritt einer Regierung für den Fall der Nichteinhaltung von gegenüber der Gewerkschaft gemachten Versprechungen fordert.

Agenda 2030

Viel diskutiert wurde über neu festgesetzte "Qualitätskriterien" für die Lerninhalte an Schulen, genannt "Skola2030".  Es gibt Richtlinien für die Vorschulerziehung wie auch für die Grundschule. Für Lehrer/innen der Grundschule werden Materialien bereit gestellt und Online-Kurse angeboten - vielfach einfach auf Youtube (siehe Beispiel). Hingewiesen wird auch auf die Notwendigkeit eines Rollenwechsels: die Art und Weise, wie Lehrkräfte den Lernprozess anleiten, habe sich geändert. Kinder seien "Forscher und Macher", und Lehrerinnen und Lehrer sollen das Umfeld dazu schaffen, so heißt einer der Leitsätze in den Lehrmaterialien. Und Kinder dürften auch Fehler machen, wird betont - auch daraus entstehe ein Lernprozess. 

Lettische Schulen im Veränderungsprozess. Ob nun Pädagoginnen und Pädagogen eher Umfeldbereiter für selbständiges Kinderlernen sind, oder doch Machtinhaber, auf die selbst Staatschefs neidisch sind - das muss wohl im Trubel der lettischen Schulreformen geklärt werden müssen. Dass Lehrerinnen und Lehrer in Lettland verhältnismäßig schlecht bezahlt werden, daran scheint auf absehbare Zeit wenig zu ändern zu sein.


 

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