20. Februar 2019

Präsidentenrochade

nein, kein Bild von irgend
einem Opernball, sondern
estnisch-lettisches
Tête-à-tête
auf der Sicherheitskonferenz in
München
Noch vor wenigen Monaten hätten politische Beobachter die in wenigen Wochen anstehende Wahl eines lettischen Präsidenten noch für wenig Aufsehen erregend gehalten: es galt als sehr gut möglich, dass Präsident Raimonds Vējonis eine zweite Amtszeit gewährt wird. Aber während staunende Deutsche im ehrwürdigen Hamburger Rathaus, im Ostpreußenmuseum in Lüneburg und in Berlin einen augenscheinlich gut gelauten lettischen Präsidenten erleben durften, kam zu Hause in Lettland eine Kampagne zur Wahl eines ganz anderen Präsidenten erst richtig ins Rollen.

Seit den lettischen Parlamentswahlen haben sich die politischen Machtverhältnisse neu sortiert. Die ehemals so einflußreiche Franktion der "Bauern und Grünen" Lettlands (Zaļo un Zemnieku savienība ZZS), aus deren Reihen Vējonis stammt, schrumpfte zur zweitkleinsten Fraktion im Parlament mit nur noch 11 Abgeordneten; Ex-Regierungschef Kučinskis erklärte zwar inzwischen die Unterstützung seiner Fraktion für eine zweite Amtszeit von Vējonis (lsm), dem kommt nun aber wahrscheinlich keine große Bedeutung mehr zu.

Mit Wirkung ab 2019 trat zudem eine Änderung der Verfassung in Kraft, der zufolge es nur noch offene (transparente) Abstimmungen bei der Präsidentschaftswahl geben soll (lvportal). Zwar wird der lettische Präsident weiterhin alle vier Jahre vom Parlament gewählt, aber bei unklaren Mehrheitsverhältnissen oder bei zwischen den einzelnen Wahlgängen plötzlich neu ins Rennen geschickten Kandidat/innen sollen nun geheime Absprachen verhindert werden. Ob damit aber der neue Präsident - oder die neue Präsidentin - nun schneller gewählt werden wird bleibt fraglich: alle haben jetzt den viele Wochen dauernden Prozeß zur Regierungsbildung moch frisch im Gedächtnis, bei dem es auch immer wieder neue Kandidaten gab, deren Versuche zur Regierungsbildung jeweils misslang.

Da wäre also Egils Levits. Der Rechtswissenschaftler, Ex-Botschafter und Richter am Europäischen Gerichtshof genießt zwar in Lettland hohes Ansehen, spricht vier Sprachen fließend und war schon 2015 Präsidentschaftskandidat. Kürzlich erschien sein Buch mit dem Titel "Der Staatswille" ("valstsgriba"), auf 848 Seiten versammelte Gedanken zur Entwicklung des lettischen Staates. Levits würde es sicher weder an Idealismus noch an Pragmatismus mangeln im Präsidentenamt - erst 2018 wurde er zum "Europäer des Jahres" in Lettland gewählt. In der vergangenen Woche - Präsident Vējonis befand sich wie gesagt in Deutschland - trat dann noch eine Pro-Levits-Initiative mit einer öffentlichen Petition und eigener Facebookseite auf - darunter bekannte Persönlichkeiten wie Stararchitektin Zaiga Gaile, Bibliotheksdirektor Andris Vilks, die Schriftstellerinnen Māra Zālīte, Nora Ikstena und Anna Žīgure, oder die Regisseure Alvis Hermanis, Viesturs Kairišs und Dāvis Sīmanis. (lsm / LA / Diena)

Als "in der Tonlage weit übertrieben und zu hektisch" kritisiert Romāns Meļņiks, Journalist der Tageszeitung "Diena", das plötzliche Aufsehen rund um Levits. "Fast wird der Eindruck erweckt, das Ende der Welt sei nahe, wenn Levits nicht gewählt werde," konstatiert er. "Eine einzige Person kann doch nicht, wie ein Väterchen Zar, alle unsere Probleme lösen - weder die geistigen noch die materiellen."
Unter den Parteien im Parlament, denen laut Verfassung die Entscheidung über den lettischen Präsidenten zukommt, ist außer Kučinskis ZZS nur die Position der nationalkonservativen Vaterlandspartei ("VL-TB/LNNK") klar; schon 2015 war Levits ihr Kandidat. Die Oppositionspartei "Harmonie" ("Saskaņa") will, so heißt es, auf jeden Fall einen eigenen Kadidaten ins Rennen schicken - und verübelt es Vējonis öffentlich, dass er nicht auch dem Saskaņa-Kandidaten, als immerhin Vertreter der stärksten Fraktion im Parlament, die Chance zur Regierungsbildung gab. Was die neu gebildete Koalition angeht, so kündigte Ministerpräsident Krišjānis Kariņš eine Einigung auf einen Präsidentschaftskandidaten bis zum 15. April an.

Levits selbst äußert sich in sofern bisher zurückhaltend, dass er "nicht nur Kandidat einer Partei" sein möchte. "Wenn die Koaltion sich auf einen Kandidaten einigen kann, dann gut - wenn nicht, sollen sie einen anderen suchen." Gefragt nach den wichtigsten Aufgaben eines Präsidenten antwortet Levits: "Erstens Lettland international zu repräsentieren - das ist für alle kleineren Staaten wichtig. Dann hat der Präsident eine Art 'Reserve-Funkion' im Falle von Regierungs- und Staatskrisen. Und er sollte auch weitsichtiger denken als Politiker im Tagesgeschäft das tun." (lsm)

Während also zu Hause in Lettland eher Levits die Schlagzeilen bestimmte, musste Vējonis aushalten, dass wohl nicht jeder Lette und jede Lettin einordnen können, was Gespräche mit Personen namens "Pīteru Čenčeru", "Volfgangu Šoibli" oder "Ulrihu Mēdgi"bedeuten könnten. Immerhin schien der einheimischen Klatschpresse der Auftritt der Präsidentengattin schon mal gut zu gefallen (Kokteilis). Aber die Chancen zur Wiederwahl steigen ja leider nur minimal, wenn die Gattin bei der Kleiderwahl richtig liegt. "Immhin keine neuen Peinlichkeiten", wird da mancher Lette und manche Lettin denken, angesichts mancher Fehlgriffe offizieller Auftritte der Vergangenheit bei anderen Personen.
Gefragt nach seinem offensichtlichen Gegenkandidaten gab Vējonis dann nach seiner Rückkehr recht nebulöse Bemerkungen zu Protokoll, "hinter jeder Kampagne stehe ja auch meist einer, der das finanziert." (DeFacto / lsm) Wollte er damit Kritik befeuern, die Levits als zu stark für die Interessen von Auslandskapital und großen Unternehmen abhängig darstellen? Es blieb vorerst unklar. Jedenfalls hat die überraschende Rochade (lettischer Präsident für die deutsche Presse, Gegenkandidat für die lettische) die politisch Interessierten jetzt so richtig auf Temparatur gebracht: die Diskussionen um den best möglichen nächsten lettischen Präsidenten sind jetzt warmgelaufen.