12. Mai 2023

Karten neu gemischt

Das war so nicht zu erwarten: Lettlands Präsident Egils Levits hatte lange gezögert, ob er sich überhaupt für eine zweite Amtszeit bewerben solle. Dann, als er es doch tat, stand eigentlich mit Uldis Pilēns sein größter Gegenkandidat bereits fest, ebenso die ihn im Parlament stützenden Kräfte (siehe: Entchen und Leviten). Nun, da alles schon auf eine Pattsituation in der für den 31. Mai terminierten ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zusteuerte, sein Rückzug. 

Die Argumente zur plötzlichen Aufgabe lassen aufhorchen. Die Entscheidung sei gefallen "angesichts der sich derzeit entwickelnden De-facto-Koalition mit kremlnahen politischen Kräften mit Verbindungen zu Oligarchen" (president.lv). Eine Frage muss erlaubt sein: was will Herr Levits damit sagen? Dass Zweifel an demokratischen Prozessen in Lettland ab sofort offiziell erlaubt sind?

Levits' zweites Argument ist sein Rat an die gegenwärtig regierende Koalition, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten (oder Kandidatin) zu einigen. Aber diese Maßgabe hätte nun keiner der beiden bisherigen Kandidaten - Levits und Pilēns - erfüllen können. Letzterer sieht natürlich keinen Grund, sich ebenfalls zurückzuziehen (lsm) Und die potentiellen Levits-Fans werden durch ein am selben Tag in der Zeitschrift "IR" veröffentlichtes Interview mit Levits irritiert, von dem vor allem die Behauptung hängen bleibt, in Levits Amtszeit sei "Lettland lettischer geworden". Zu seinen niedrigen Umfragewerten meinte Levits nur, dass sei seiner Haltung während der Pandemie geschuldet: er habe sich für die Impfung ausgesprochen. 

Nun ja, wie auch immer: nun stellen sich rund um den inzwischen zum Favoriten gereiften Pilēns ein weiterer Kandidat und eine Kandidatin auf. Regierungschef Kariņš sieht sich natürlich trotz des Levitschen Hinweises auf möglichst einen gemeinsamen Koaltionskandidaten nicht veranlasst, jetzt plötzlich für Levits Gegenkandidaten zu stimmen. Seine Partei "Jaunā vienotība" ("Neue Einigkeit") ist sich vorerst nur parteiinten einig, einen ihrer unzweifelhaft angesehensten Politiker als Kandidat aufzustellen: Außenminister Edgars Rinkēvičs. Der ist mit 12 Jahren Amtszeit (seit Oktober 2011) wohl inzwischen Europas dienstältester Außenamtsvertreter, und steht auch in Meinungsumfragen nicht schlecht da. Und das, obwohl er 2014 öffentlich sich zu seinem Schwulsein bekannte. Als Präsidentschaftskandidat möglicherweise stark - aber absehbar nicht wählbar für alle anderen konkurrierenden und um Machteinfluss ringenden Parteien, die ihn mitwählen müssten.

Ja, und dann eben doch eine Frau als Kandidatin. Elīna Pinto steht für eine Karriere der etwas anderen Art: bis vor einigen Monaten war sie Vorsitzende der "Vereinigung der Letten in Europa" (Eiropas Latviešu apvienības ELA). Derzeit steht sie für "EsiLV", einen Verein der sich für Innovationen und Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft einsetzt. Schon die Liste der Länder, in denen sie verschiedene Fächer studiert hat, ist vielsagend: Lettland, Italien, Frankreich, Großbritannien und Luxemburg. Sie arbeitet gegenwärtig bei der Repräsentanz der Europäischen Kommission in Luxemburg, ist verheiratet mit Orlando Pinto, einem in Portugal gebürtigen Luxemburger Diplomaten (lsm/ bnn / LA). "Die gegenwärtigen Herausforderungen verlangen moderne Denkweisen", so begründet Kaspars Briškens, Parteichef der "Progresivie" ("Die Progressiven", derzeit 10 Sitze im Parlament), die Kandidatinnenauswahl. Ein symbolischer Akt nicht nur deshalb, weil die Kandidatin vorerst nur für die erste Wahlrunde aufgestellt wird - auch unter den wahlberechtigten Lettinnen und Letten in verschiedenen Ländern Europas schneiden die "Progressiven" prozentual weit besser ab als im eigenen Lande.  

Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen in Lettland: offenbar ein Spiel, bei dem mehrfach mitten drin die Karten gewechselt werden.

5. Mai 2023

Entchen und Leviten

Noch vor kurzem war der lettische Präsident Egils Levits auf einem Deutschlandbesuch, mit Terminen in Hamburg und Lübeck (hafen-hamburg) und Ehrendoktorwürde an der Universität Lüneburg (idw). Im November 22 redete Levits im Deutschen Bundestag (volksbund), mehrfach war er Interviewgast in deutschen Medien (Deutschlandfunk / FAZ), und die Universität Hamburg sortierte ihn schon kurz nach seiner Wahl als "Alumnus" ein. 1992-94 war er der erste Botschafter Lettlands in Deutschland, als Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (1995–2004) konnte Levits europäische Kontakte aufbauen, 2019 wurde er für vier Jahre als Präsident Lettlands (vom Parlament) gewählt. Aus deutscher Sicht also nicht nur wegen seiner Deutschkenntnisse ein gern gesehener Gesprächspartner, sowohl in den letzten Jahren der Amtszeit Angela Merkels, wie auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Nun werden in Lettland voraussichtlich am 31. Mai erneut Präsidentschaftswahlen abgehalten, die Amtszeit von Levits endet am 7. Juli. Ob er aber eine Chance für eine zweite Amtszeit erhält, erscheint bisher sehr unsicher. Bis zum 13. Mai werden weitere Kandidaten gesichtet (Frauen gibts bisher nicht darunter). 

Architekt neuer Prioritäten?

Bereits Anfang April hatte Uldis Pilēns sein Interesse an einer  Kandidatur bekundet. Pilēns, mit 66 Jahren ein Jahr jünger als Levits, hatte bereits im vergangenen Jahr die politische Landschaft Lettlands neu zu sortieren vermocht, als sich in seinem Umfeld die sogenannte "Vereinigte Liste" ("Apvienotais saraksts" AS) als neue Partei formierte, gebildet aus einer bunten Mischung von Politikern die es vorher in anderen Parteien versucht hatten (auch hier sind Frauen eher selten, im Vorstand findet sich unter 10 Mitgliedern eine Frau), oder, wie zum Beispiel Māris Kučinskis, sogar schon einmal lettischer Regierungschef waren. Der neue Parteislogan heißt nun: professionell, regional, grün. Für das Letztere sollen wohl die aus der Klammer mit dem Bauernpartei "geflüchteten" (konservativen) lettischen Grünen stehen, dazu kommt eine starke Verflechtung in alle Teile des Landes durch den Verband der Regionen (Latvijas Reģionu Apvienība). Und wer einen starken Geldgeber hinter sich hat, eben Pilēns, dessen Arbeit gilt in Lettland offenbar als "professionell".

Uldis Pilēns, geboren in der Hafenstadt Liepāja, besuchte ab 1974 zunächst die Fakultät für Architektur am damaligen Politechnischen Institut (heute Universität) Riga. 1976 bis 1980 war er an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (DDR) eingeschrieben - die heutige Bauhaus-Universität. Für diesen besonderen Auslandsaufenthalt interessierten sich auch Journalisten der lettischen Zeitschrift "IR" und fragten, ob dazu nicht eine Übereinkunft mit dem sowjetischen KGB notwendig gewesen sei. Ein solcher Austausch von Studierenden sei damals einfach die Politik der UdSSR gewesen, antwortet Pilēns - man könne ihm ja nicht einfach vorwerfen, im falschen Jahr am falschen Ort gewesen zu sein, Kontakte zu irgendwelchen sowjetischen Sicherheitsorganen habe es nicht gegeben, behauptet er. 

Nachdem er bis 1988 fünf Jahre lang Stadtarchitekt in Liepāja gewesen war, gründete Pilēns danach ein eigenes Architekturbüro, leitete die Entwicklung einer Sonderwirtschaftszone in Liepaja (SEZ) und war auch in leitender Funktion beim Energieversorger LATVENERGO. Seitdem war er, wie es so schön auf Neulettisch heißt, "biznesmenis", beteiligt an verschiedenen Firmen des Baugewerbes und gründete zusammen mit seiner Frau Ilze auch noch die "Ola Foundation", die "neue Ideen und Synergien" fördern möchte, mit Veranstaltungszentrum und kleinem Hotel. 

Bereits 1998 übernahm Pilēns ein Vorstandsamt in der neu gegründeten "Tautas Partija" ("Volkspartei", 2011 aufgelöst); in den Stadtrat seiner Heimatstadt Liepāja wurde er 2005 für vier Jahre gewählt (cvk). "Die ersten zehn Jahre sind immer mit viel Romantik verbunden", antwortete Pilēns auf eine Journalistenfrage nach diesen ersten Schritten in der Politik und zitiert eine Theorie, die er Schweizer Zeitungen entnommen habe: "neue politische Kräfte bestehen in der Regel aus einem Drittel begeisterten Romantikern, einem Drittel aus Opportunisten und zu einem Drittel aus Karrieristen - auch wir hatten damals zunächst einfach den romantischen Wunsch, Lettland zu verändern". (IR

Nun also die neue politische Initiative der "Vereinigten Liste". Sie stellte unter anderem eine Alternative dar für Anhänger der bisherigen Fraktion der "Grünen und Bauern" ("Zaļo un Zemnieku savienība" ZZS), die sich seit 2002 vor allem von Aivars Lembergs finanzieren ließen, einem Mann mit durchaus zweifelhaftem Ruf (der aber auch immer wieder als Präsidentschaftskandidat nominiert wurde). Nun wechselten mehrere bekannte Politiker, und auch gleich die ganze Grüne Partei zur "Vereinigten Liste", und die Partei bot sich nach den Wahlen 2022 erfolgreich Regierungschef Krišjānis Kariņš als Koalitionspartner an. Die Partei stellt nun 3 Minister und eine Ministerin, aber Pilēns selbst kandidierte nicht.

Regierung und Präsident stürzen? 

Als nächster Schritt folgt nun also das Präsidentschaftsrennen. Noch bevor Egils Levits eine Entscheidung zur Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekanntgab, warf schon Uldis Pilēns seinen Hut in den Ring - obwohl seine Partei im Parlament ja nur über 15 der 100 Sitze verfügt, und in dem Wissen, dass der Koalitionspartner der "Jauna Vienotība" (26 Sitze), die Partei von Regierungschef Kariņš, sich für Levits ausgesprochen hatte. Es fehlte aber nicht der Hinweis darauf, die öffentliche Unterstützung für den amtierenden Präsidenten sei "bedenklich niedrig".

Die "Vereinigte Liste" betont immer wieder, sie habe nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhindern wollen dass Kräfte in der Saeima an die Macht kommen, welche die Sicherheit Lettlands und die Ziele der Außenpolitik beeinträchtigen könnten. Deshalb die neue Partei. Nun wird ja die erste Runde der Präsidentschaftswahlen eine Abstimmung im Parlament sein: wer mindestens 51 von 100 Stimmen bekommt, wäre gewählt. Während nun die Rechtsnationalen (“Nacionālā apvienība”) und die "Jauna Vienotiba" sich für Levits ausgesprochen haben (= zusammen  39 Stimmen), erklärte sich Ainārs Šlesers, inzwischen Kopf der Partei "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā") bereit, ebenfalls Pilēns wählen zu wollen (= ergibt dann zusammen 24 Stimmen). Von Šlesers ist die Äußerung bekannt, er wolle "Kariņš und Levits aus dem Amt jagen, so dass sie mit den Füßen nach vorn rausgetragen werden" (lsm).

Von der "Zaļo un Zemnieku savienība" (16 Stimmen, die sich immer noch "Grüne Bauern" nennen, nun aber mit der "Lettischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" LSDSP eine Verbindung eingegangen sind) ist noch keine Entscheidung für oder gegen bestimmte Kandidaten bekannt. Viele Male zuvor hatten sie ihren eigenen "Sponsor" Ainars Lembergs aufs Kandidatenschild gehoben. Ainārs Šlesers äußerte die Überzeugung, dass schließlich alle gegenwärtigen Oppositionsparteien gegen Levits stimmen würden. Die "Progressiven" (“Progresīvie”, 10 Stimmen) stellten bisher in Aussicht, zumindest in der ersten Abstimmungsrunde noch einen eigenen Kandidaten aufstellen zu wollen. Bei den tendenziell moskaufreundlichen Genossen der "Stabilitātei" und deren Parteicheef Aleksejs Roslikovs möchte keiner der zwei bisherigen Kandidaten um Stimmen werben. 

Unsichere Aussichten

Von wem auch immer die präsidiale Mehrheit käme - Pilēns sieht keine Gefahr darin, von wem die Stimmen dann kommen könnten - wenn er nur gewählt würde. Außerdem äußert er die Absicht, im Falle seiner Wahl alle Posten in verschiedenen Firmen niederzulegen. "Es ist ganz klar, dass ich im Falle meiner Wahl nicht mehr in die Wirtschaft zurückkehren werde", so Pilēns (IR). 

Alles sieht also bisher nach einer Art "politischem Pokerspiel" aus. Wer seine Trümpfe zuletzt ausspielt, wird gewinnen? Es gibt auch (bisher leise) Rufe, es könnte ruhig mal wieder eine Frau das Präsidentenamt übernehmen. Aber ob es eher Levtis, das "Entchen", oder andere (hohe) Tiere werden ... vorerst bleibt es eine offene Frage. 

25. April 2023

gebildet, ungebildet

Erst im Dezember 2022 hatte sich die neue lettische Regierung (zweites Kabinett Kariņš) auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und hat mit 54 Sitzen die Mehrheit im Parlament (Saeima). Dennoch wurde bereits mehrfach über einen möglichen Sturz von Regierungschef Kariņš spekuliert - ein möglicher Grund wäre gewesen, wenn Präsident Egils Levits sich nicht für eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit hätte entscheiden können - Gegenkandidaten hatten sich bereits positioniert. Levits entschied sich dann doch für eine erneute Kandidatur, nachdem die Nationalkonservativen (“Nacionālā apvienība”) ihre Unterstützung bei seiner Wahl zugesichert hatte (lsm). 

Aber aus einem "ruhig weiterregieren" wird nichts - was sowieso wegen des andauernden Kriegs Russlands gegen die Ukraine schwierig ist. Nun streiken die Lehrerinnen und Lehrer. Am 21. April hatte das Ministerkabinett eine Gehaltserhöhung des Lehrpersonals ab dem 1. September 2023 auf durchschnittlich 1224 Euro beschlossen, inklusive einer Erhöhung des niedrigsten Stundensatzes auf 8,50 Euro (in Vorschuleinrichtungen auf 1240 Euro, in Berufsschuleinrichtungen 1020 Euro monatlich). Der niedrigste allgemeine Stundensatz soll außerdem bis 2025 auf 10,35 Euro ansteigen, die niedrigsten Gehaltssätze für wissenschaftliches Personal an Universitäten um 13 %. Ab dem 1. September soll das niedrigste Monatsgehalt für Professorinnen und Professoren 1982 Euro betragen, für assoziierte Professoren 1587 Euro, Assistenzprofessoren 1270 Euro, für Dozenten und Dozentinnen 1017 Euro und Assistent/innen 810 Euro (lsm). 

Dennoch entschied sich die lettische Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (Latvijas Izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība / LIZDA) zu einem dreitägigen Streik ab dem 24. April und forderte gleichzeitig den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Angaben des lettischen Finanzministeriums zufolge lag die durchschnittliche Inflationsrate im Februar 2023 bei 20,3%, im März noch bei 17,3%. Das Ministerium hofft optimistisch, dass sich dies bis Sommer auf 10% und bis Jahresende auf 4% vermindern lasse (fm.gov.lv).

Gewerkschaftsangaben zufolge beteiligten sich etwa 20.000 Pädagogen und Pädagoginnen an den Streikmaßnahmen. Man sieht sich auch darin getäuscht, dass die LIZDA bereits im September 2022 aufgrund von Zusagen von Regierungsseite einen angekündigten Streik abgesagt hatte - diese Zusagen seien aber nicht eingehalten worden. 

Regierungschef Krišjānis Kariņš und Bildungsministerin Anda Čakša (beide von der Partei „Jauna vienotiba“) sagten weitere Gespräche mit der Gewerkschaft zu. Meinungsunterschiede bestünden unter anderem darin, ob verstärkt die niedrigen Gehälter, oder auch die höheren Gehälter angehoben werden sollten.(lsm)

31. März 2023

Draufgeschaut

Nein, ein Geheimnis wird in Lettland nicht daraus gemacht - weder darum, wie viel Geld lettische Amtspersonen auf dem Konto haben, noch welches Eigentum sie besitzen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass nahezu jedes Jahr im Frühling immer neue "Offenbarungen" in der Presse die Runde machen. Ob Politiker, Staatsanwalt oder Regierungschef: Lettinnen und Letten gehen davon aus, das der Inhalt der Steuererklärungen solcher Personen im öffentlichen Interesse nicht geheim sein kann. 

Wie Journalistin Ieva Jakone für die Zeitschrift "IR" recherchierte, liegt bei Augusts Brigmanis, der in den Jahren 2000 bis 2019 Chef der lettischen Bauernpartei (Latvijas Zemnieku savienība) war, gegenwärtig das größte Vermögen aller Politiker auf dem Konto: ganze 482.300 Euro. Wenn wir nachschauen, was Brigmanis alles schon in Interviews gesagt hat, so finden wir auch diesen Satz: "Ich kann sagen, dass ich finanziell abgesichert bin - ich habe einen Bauernhof und was ich anbaue und verkaufe, reicht mir, ich kann auch meinen Kindern und Enkelkindern helfen." (Jauns) Zählt man die 100 lettischen Parlamentsabgeordneten, plus 14 amtierende Minister/innen zusammen, so kommen acht davon auf Ersparnisse von mehr als 200.000 Euro. Zählt man zum Vermögen allerdings noch mehr als nur das Barvermögen hinzu, dann kommen zwei weitere Personen dazu, und 11 weitere nennen Vermögen von mehr als 100.000 Euro ihr eigen. 

Als "Gegenstück" zu jemand wie Brigmanis macht Jakone die frisch gewählte Abgeordnete Glorija Grevcova aus. Grevcova erregte schon bei ihrer Wahl Aufsehen dadurch, dass sie falsche Angaben gegenüber der Wahlkommision machte - weder die Angaben zur Arbeitsstätte noch die einer angeblichen Ausbildung an der lettischen sportpädagogischen Akademie waren korrekt. Inzwischen ist sie auch schon aus der Partei, auf deren Liste sie gewählt wurde ("Stabilitatei"), ausgetreten (tv3). Laut ihrer Steuererklärung habe sie ganze acht Euro auf ihrem Konto, so Jakone. 

Als Rekordhalter bezüglich der Vorliebe, das eigene Vermögen am liebsten bar aufzubewahren wird der oftmals schon skandalumwitterte Ainārs Šlesers ausgemacht, der seit den Wahlen im Herbst 2022 mit einer neu gegründeten Partei ("Lettland zuerst", ganz nach dem Vorbild von Trump) und 9 Sitzen (6,31%) ins Parlament zurückgekehrt ist (er profilierte sich nun auch als "Impfgegner"). Er gibt laut jüngster Steuererklärung 120.000 Euro Barvermögen an (in den Unterlagen zu seiner Kandidatur 2022 waren es sogar 150.000 Euro). Eigene Aussage dazu: "Ich verstehe das nicht als große Geldsumme" ("IR").
Sein jetziger Parteifreund Kristaps Krištopans, Sohn des Ex-Ministerpräsidenten Vilis Krištopans - in allerlei Immobilengeschäfte verstrickt - fällt mit den größten Schulden auf: über 1,2 Millionen Euro. Er, selbst lettischer Champion im Golfsport, war vor einigen Jahren noch mit der Aussage aufgefallen, ausgerechnet als Partner von Donald Trump in Lettland einen Golfplatz bauen zu wollen (jauns / bnn / nra)

Journalistin Ieva Jakone betont in ihrem Beitrag ("IR"), das es auch Abgeordnete im lettischen Parlament gibt, die im Gegensatz zu den bereits Erwähnten mit erstaunlich bescheidenen Summen auskommen. Da werden auch brav Lottogewinne versteuert: in einem Fall sind es 30.700 Euro, in einem anderen Fall lediglich 24.00 Euro.
Manche dagegen sind großzügig mit Geschenken: eine Immobilie im Wert von 115.400 Euro schenkte Ex-Landwirtschaftminister Uldis Augulis seinem Sohn - steuerlich bedeutete das den Übergang vom Eigentümer an Haus und Grund lediglich nur noch zur Nutzung desselben. 

Das alles muss in Lettland also nicht erst irgendein journalistisches Rechercheteam herausfinden, sondern es sind öffentlich zugängliche Daten (also: nachschauen - gewußt wo!). Diese öffentlich zugänglichen Informationen, seit über 20 Jahren per Gesetz klar definiert, sind abrufbar bei der Steuerbehörde und, vor jeder Wahl, auch beim Wahlamt (Juristavards). Sie umfassen außerdem auch noch den Besitz von Kapitalanteilen und Aktien, wie auch von Fahrzeugen: hier wird der Abgeordnete Andrejs Ceļapīters als der größte "Fahrzeugliebhaber" ausgemacht: er besitzt gleich 12 unterschiedliche Fahrzeuge: mehrere Traktoren, einen Mähdrescher, einen Frachttransporter und auch zwei PKWs.

22. März 2023

Draudzene, Partnere, Sieva, Biedre

Nein, Riga ist nicht Hollywood. Aber Lettland hat eine Kinoindustrie, und die höchste Auszeichnung eines jeden Jahres ist die Verleihung des "Lielais Kristaps" (des "großen Christopherus", sozusagen). Am 26. Februar wurden die Auszeichnungen für die besten lettischen Filme des Jahres 2022 verliehen (lsm). Gleich fünf Preise, darunter den für den besten Spielfilm und die beste männliche Hauptrolle, räumte dabei der Film "Janvāris" ("Januar") von Viesturs Kairišs ab, ein Film über die Ereignisse des Januar 1991 in Lettland, für dessen Produktion sogar die Barrikaden in der Altstadt Rigas nachgebaut wurden (Trailer / Kinoraksti). Der Film wurde auch von Seiten Lettlands für einen Oskar nominiert (Trailer engl).

Ähnlich großes Aufsehen gab es aber um den Preis der besten weiblichen Hauptrolle. Die junge Schauspielerin Marija Luīze Meļķe ist 25 Jahre alt, geboren in Cēsis, und die Hauptrolle im Film "Neona pavasaris" ("Der Neon-Frühling", Regie Matīss Kaža / Trailer / Premiere) war ihr Debut als Kinoschauspielerin. Sie wurde als beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet - und bekam nach der Preisverleihung von einigen eine Art "Heldenstatus" verliehen" - von anderen kamen sie Morddrohungen. (jauns) Was war geschehen? 

Im Film spielt Marija Luize die Studentin Laine, die in die unterirdische Ravewelt von Riga eintaucht und sich dort in die Raverin Gunda verliebt. "Ich habe versucht, einfach die menschliche Lebenserfahrung als Grundlage zu nehmen für das, was ich spiele" sagte die Schauspielerin bei der Preisverleihung - um dann aber auf offener Bühne zu verkünden, dass sie den Preis nicht annehmen werde (lsm). "Ich empfinde es einfach als unehrlich, nun allen zu danken und nicht zu sagen dass es in Lettland wirklich an der Zeit ist, endlich das Gesetz für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu beschließen," sagte sie zur Begründung. "Im Film spiele ich ein Mädchen, dessen Rechte in der Realität aber von unserem Staat nicht verteidigt werden. Solange in Lettland dieses Gesetz für Lebenspartnerschaften nicht angenommen ist, kann ich diesen Preis nicht annehmen." (jauns). 

Es gab Lob für diese Entscheidung, Beifall im Saal, aber auch Kritik. Auf der einen Seite werde Geld vom Staat zur Finanzierung des Filmes genommen, aber wenn es dann ein Dankeschön gibt weigerten sie sich es anzunehmen, hieß es. Auch in den "sozialen Netzwerken" erregte die Aktion einen Sturm von Reaktionen. Meļķe selbst ist nicht Mitglied irgendeiner lettischen LGBT-Community. (IR) Auch die Eltern von Marija Luīze meldeten sich öffentlich zu Wort und unterstützten das Anliegen ihrer Tochter - sie habe sich schön öfters für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingesetzt.

Als Kinoschauspielerin war es die erste Rolle für die junge Schauspielerin. Seit einigen Jahren nimmt sie mit eigenen Gedichten auch an Lesungen und Performances teil, 2022 erschien ihr erster Gedichtband „Nerealizēto potenciālu klubs“ ("Klub des nicht realisierten Potentials"). "Ein ungewöhnliches Buch mit mehreren brillianten Gedichten", so urteilte Dichterkollege und Literaturkritiker Kārlis Vērdiņš (Punktum). Marija Luize moderiert außerdem die Sendung „Bron-hīts“ im "Radio NABA“, arbeitet in der Redaktion der Literaturzeitschrift „Žoklis“ und 2020 erhielt das Stück „Netikumīgie“ ("Die Unmoralischen") des „Dirty Deal Teatro“ mit Marija Luīze Meļķe als Textautorin und Schauspielerin bei der alljährlichen "Spēlmaņu nakts" den Preis für das Jugendtheaterstück des Jahres. 

Verschiedene Varianten eines Gesetzes zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ("Dzīvesbiedru likums") werden schon seit Jahren immer wieder im lettischen Parlament diskutiert. Seit 2006 ist aber in der lettischen Verfassung (§110) der Satz eingefügt, dass nur eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau als "Ehe" bezeichnet werden kann. Dennoch gab es inzwischen Gerichtsentscheidungen, die zum Beispiel einer Frau Recht gaben, die nach der Geburt ihres Kindes dagegen klagte, dass ihre Partnerin keinen Urlaub beim Arbeitsgeber beantragen konnte. Die Familie, gleich welcher Art sie zusammengestellt sei, sei auch zu schützen, und das sei nicht nur vom Eingehen einer Ehe abhängig, so urteilte das Gericht. (lsm) Diese Rechtssprechung wird auch von der lettischen Seniorenvereinigung ("Latvijas Senioru kopienu apvienība" LSKA) unterstützt. Es sei auch bei alten Menschen nicht selten, dass verschiedene in einem Haushalt familienartig zusammenleben, ohne dass notwendigerweise immer der Ehepartner dabei sei (lsm)
Außerdem haben auch bereits einige gleichgeschlechtliche Paare bei Gericht ihre Anerkennung als Familie beantragt (teilweise erfolgreich).

"Am Morgen nach dieser Preisverleihung hatte ich unglaublich viele Nachrichten auf dem Handy", sagt Kaspars Zālītis von der Organisation "Dzīvesbiedri" ("Lebenspartner"), die sich für ein entsprechendes Gesetz einsetzt. "Wenn uns schon die Mehrheit der Politiker nicht unterstützt, dann stärkt es uns doch den Rücken wenn wir sehen, dass es Menschen in der Gesellschaft gibt die das öffentlich tun". (lsm)
Zuletzt wurde im Oktober 2020 auch mit Unterstützung von "Dzīvesbiedri" eine Unterschriftenaktion zugunsten eines solchen Gesetzes gestartet. Der Entwurf nannte sich
"Par visu ģimeņu tiesisko aizsardzību" (für Rechtschutz aller Familien); innerhalb von wenigen Tagen waren bereits Tausende Unterschriften gesammelt, am Ende wurden 23.595 gezählt. Die Initiative hatte auch darauf hingewiesen, dass in Lettland im Jahr 2019 39% aller neugeborenen Kinder (7.209) außerhalb einer "traditionellen" Ehe (so wie es die Verfassung gerne vorschreiben möchte) geboren wurden.
Die juristische Kommission des lettischen Parlaments (Saeima) hatte im Dezember 2022 beschlossen, die Arbeit an einem Gesetz zu Lebenspartnerschaften (lett. "Civilā savienība", siehe auch "Begründung zum Gesetzentwurf"), das bereits in zwei Lesungen im Parlament beraten worden war,  nicht fortzusetzen - somit kam es auch nicht mehr zu einer Abstimmung im Parlament dazu.

18. März 2023

Dienen, oder wegbleiben

Im vergangenen Jahr machte sich zuerst der damalige lettische Verteidigungsminister Pabriks die Idee zu eigen: Lettland soll die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen. Zwar sei die Entscheidung des zuständigen Ministeriums richtig gewesen, 2007 sich vom allgemeinen Wehrdienst zu verabschieden und den lettischen Beitrag zur NATO mit einer Berufsarmee aufzubauen, meinte Pabriks damals auf seiner Webseite. Nun aber habe der russischen Angriffskrieg in der Ukraine gezeigt, dass sich Lettland nicht nur auf eine kleine Berufsarmee verlassen könne - es solle nun wieder für alle ein Dienst zur Staatsverteidigung ("Valsts aizsardzības dienests VAD) geschaffen werden. 

Nun ja, Pabriks scheiterte bei den Parlamentswahlen mit seiner Partei knapp an der 5%-Hürde. Aber auch die neue Regierung plant offenbar, bis 2027 den allgemeinen Wehrdienst wieder einzuführen. Daraus entsteht nun eine sehr interessante Frage: wenn ALLE Wehrdienst leisten sollen, gilt das denn auch für Lettinnen und Letten die im Ausland leben? 

Vor 2027 soll niemand zwangsverpflichtet werden. Danach soll der Dienst für Frauen auf freiwilliger Basis angeboten werden, auch ein Zivildienst wird eingerichtet. Lettland hat inzwischen Struktur gebracht in die sogenannten lettischen "Diaspora-Gemeinden" im Ausland: 2018 wurde ein eigenes "Diaspora-Gesetz" verabschiedet, das 2019 in Kraft trat. Dort wird unter anderem die Sicherstellung des Schulzugangs für Kinder von Auslandslett/innen für den Fall sichergestellt, dass sie nach Lettland ziehen. Allerdings: von Militärdienst war dort keine Rede. 

Das soll nun anders werden. Pläne der Regierung, auch Kinder von Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, zum Militärdienst zu verpflichten, erregen sehr unterschiedliche Reaktionen, so auch in der Radiosendung "Globālais latvietis" ("der globale Lette"). Jānis Eglīts, Mitarbeiter im lettischen Verteidigungsministerium, erläuterte in der Sendung das Ziel der Regierung, alle Bürgerinnen und Bürger Lettlands auf eine umfassende Landesverteidigung vorzubereiten. Er kündigte an, dass schon im nächsten Jahr der Unterricht in Landesverteidigung an den lettischen Schulen obligatorisch werden wird. Ob Ähnliches auch für die Lettinnen und Letten im Ausland (sogen. "Diaspora") gelten soll, darüber müsse man aber noch mit den betreffenden Gruppierungen reden. 

Eine dieser Gruppierungen vertritt Laima Ozola aus Irland. "IMLO Lat-Ireland" ist für den Aufbau des Portals www.baltic-ireland.ie verantwortlich, das seit 2007 existiert und wo man sich für etwa 60.000 in Irland lebenden Lettinnen und Letten zuständig fühlt. Dort wird auch über eine Debatte im lettischen Parlament zum neuen Gesetz berichtet. Da werden Befürchtungen laut, Einzuberufende könnten auf die Staatsbürgerschaft verzichten, um der Einberufung zu entgehen. Sogar von "Feiglingen" sei im lettischen Parlament die Rede gewesen: "wem die Steuern oder die Studiengebühren zu hoch, oder die Miete zu teuer, der kann ja die Staatsbürgerschaft zurückgeben". Laima Ozola berichtet von Plänen, auch in Irland einen dreitägigen Kurs zur Landesverteidigung auszurichten, allerdings sei deren Finanzierung noch unklar.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Militärdienst in Lettland in Zukunft auf eine von drei Arten geleistet werden kann: entweder 11 Monate in den regulären Streitkräften der Nationalarmee oder der Einheit der "Zemessardze" (Nationalgarde, bisher eine reine Freiwilligeneinheit), oder fünf Jahre Dienst bei der "Zemessardze", inklusive nicht weniger als 21 Tage individuelle Ausbildung und nicht mehr als sieben Tage kollektive Ausbildung pro Jahr. Als Drittes bleibt den Universitäts- und Hochschulstudenten noch die Möglichkeit, innerhalb von fünf Jahren eine Gesamtdienstzeit von nicht weniger als 180 Tagen als Studium zum Offizier der Reserve zu absolvieren.

"Wenn ich richtig nachgezählt habe, gilt also ein Einberufunsdatum ab 2017 für alle 2009 und später Geborenen", meint Linda Ozola. "Die Meinungsäußerungen unter den in Irland lebenden Letten sind allerdings bisher sehr unterschiedlich," berichtet sie. "Einige sagten, sie würden dann, als Inhaber doppelter Staatsbürgerschaft, auf die lettische Staatsbürgerschaft verzichten". Und sie wirbt auch für Verständnis für diejenigen Menschen lettischer Staatsbürgerschaft, die nun schon länger in Irland leben, oder sogar dort aufgewachsen sind. „Irland ist kein NATO-Land, hier gibt es keine Armee, und wenn ein junger Mensch hier geboren und aufgewachsen ist, fühlt er sich hier nicht bedroht wie in Lettland, daher ist es klar, dass es für junge Menschen schwierig ist, Motivation dafür zu finden dem Nationalen Verteidigungsdienst beizutreten. Es gibt Bürger, potenzielle Rekruten, die selbst erst ein paar Mal in Lettland waren. Sie sprechen Englisch, sie kommen aus Irland, sie verstehen vielleicht nicht, was Nationaler Verteidigungsdienst bedeutet", erklärte sie. (lsm)

Jānis Skrebels wiederum, Vertreter der 2020 in Norwegen gegründeten lettischen Jugendorganisation "EJ - Eiropas jaunieši" ("Jugendliche Europas"), äußert sein Unverständnis demgegenüber, dass der lettische Staat beim Militärdienst nach Geschlecht sortiert. Außerdem sei da eben eine große Unsicherheit was nun zu erwarten sei sowie das Gefühl, dass sich die ganze Diskussion eben nur um die in Lettland lebenden Letten und Lettinnen drehe, denn denen werde der Erhalt des Studien- oder Arbeitsplatzes auch nach dem Militärdienst garantiert - was mit den Auslandsletten in diesem Fall passieren soll, sei dagegen unklar. 

Öffentliche Protestaktionen gegen die Einführung einer allgemeinen Wehrdienstpflicht gab es in Lettland bisher nur wenige. Bei einer Demonstration am lettischen Freiheitsdenkmal versammelten sich (bei heftigem Schneetreiben) am 4. März nur wenig mehr als 10 Personen (lsm / TVnet) Dabei wurden als Gründe gegen den Militärdienst u.a. auch eine angebliche Zwangsverpflichtung zur Impfung bei der Armee genannt. 

Ab dem 1. Juli 2023 werden die ersten 300 jungen Erwachsenen auf freiwilliger Basis in Lettland ihren Militärdienst beginnen.

12. März 2023

Lernen, oder gehen

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine änderte das lettische Parlament (Saeima) im vergangenen Jahr das Einwanderungsgesetz: die neuen Bestimmungen sehen vor dass Personen, die Bürger oder Nichtbürger Lettlands waren und die Staatsbürgerschaft Russlands oder Weißrusslands angenommen haben, bis September 2023 ein Dokument zum Nachweis der Kenntnis der Landessprache Lettlisch vorweisen können müssen. Als Frist wurde der 1. September gesetzt.

Um weiterhin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu behalten, müssen Einwohner Lettlands mit einem russischen oder belarussischen Pass bei der Direktion für Staatsbürgerschafts- und Migrationsangelegenheiten (Pilsonības un migrācijas lietu pārvaldē PLMP) einen Nachweis über Kenntnisse der Landessprache mindestens auf dem Niveau A2 (unterste Stufe, Grundkenntnisse) vorlegen. Die Sprachtests werden vom "Staatlichen Zentrum für Bildungsinhalte" (Valsts izglītības satura centra VISC) organisiert. 

Als das Gesetz verabschiedet wurde, ging man noch davon aus, dass etwa 22.300 Menschen von der neuen Regelung betroffen sein werden. Wer über 75 Jahre alt ist von der Sprachprüfung ausgenommen. Dies berücksichtigend, dazu einige andere Ausnahmen, werden etwa 18.000 Menschen diese Lettisch-Prüfung ablegen müssen, wenn sie weiter mit unbegrenzter Aufenthaltserlaubnis in Lettland leben wollen. "Wir sind uns bewußt, dass das für uns eine riesige Herausforderung wird," meint Liene Voroņenko, Leiterin des VISC, gegenüber der Zeitschrift "IR". In lettischen Zeitungen werden schon Anfragen etwa dieser Art laut: "Meine Frau ist russische Staatsbürgerin - wenn sie die Sprachprüfung nicht besteht, wird sie dann deportiert oder muss ich mich scheiden lassen?" (LA

Eine von 10.439 Bürgerinnen und Bürgern unterstütze Eingabe an das lettische Parlament, die neuen Sprachregelungen wieder aufzuheben, wurde am 2. Februar mit Mehrheit abgelehnt (siehe auch: manabalss.lv). "Wir sind loyal gegenüber dem Staat Lettland", betonte Olga Petkeviča, eine der Initiatorinnen. Der Gebrauch der russischen Sprache sei einfach ein Mittel zur gegenseitigen Kommunikation, keine Loyalitätserklärung gegenüber Russland oder Putin.

Viele werden sich also zu einer Sprachprüfung anmelden müssen - und dafür auch selbst zahlen. Die zu entrichtende Geführ wird auf 52 Euro beziffert. Immerhin werden kostenfreie Lehrmaterialien bereitgestellt, die genauen Anforderungen für Level A2 sind im Internet einsehbar. Gleichzeitig wird von bereits jetzt existierenden langen Warteschlangen berichtet. Die Anmeldung ist seit dem 1. Februar möglich (siehe VISC), aber Termine werden vom zuständigen PLMÜ oft nur langfristig vergeben. PMLP-Mitarbeiterin Madara Puķe zufolge sind 48 zusätzliche Mitarbeiter und zusätzliche Finanzmittal von 2,3 Millionen Euro nötig, um die Änderungen des Einwanderungsgesetzes umzusetzen.(IR)

Warum haben überhaupt Menschen die russische Staatsbürgerschaft angenommen? "Ja, einige mögen vielleicht auch irgendwann einmal für Putin gestimmt haben", gibt auch Aktivistin Petkeviča zu, "aber was für eine Bedrohung der Staatssicherheit soll heute von alten Leuten ausgehen?"
Die Zeitschrift "IR" zitiert das Beispiel der Irēna Birjukovska aus Daugavpils. Damit ihre Tochter arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, beschloss sie, sich um ihr Enkelkind zu kümmern. Zu dieser Zeit hatte sie sich auch von ihrem Mann scheiden lassen. „Ich muss die Wohnung bezahlen, aber es gab keine Arbeit, und die Rente war noch in weiter Ferne“, skizziert sie ihre finanzielle Situation. Dies veranlasste ihn, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Durch einen solchen Schritt könnte die Rente (aus Russland) ab dem 55. Lebensjahr bezogen werden. Das ist nun 10 Jahre her. "Ich bin allein, habe keine Arbeit, da sind die Chancen für eine Aufenthaltserlaubnis wohl nicht besonders hoch ..." (IR)

Von Innenminister Māris Kučinskis (AS) waren inzwischen Andeutungen in der Presse zu lesen, die strengen Regelungen vielleicht etwas zu lockern, schon allein wegen begrenzter Kapazität an Arbeitskräften bei der PMLP. Er deutete an, die Behörden könnten vielleicht jeden Einzelfall gesondert behandeln, anstatt stur am 1.September den Schlußstrich zu ziehen (tvnet)

18. Februar 2023

Es windet sich

Die Journalistin Jana Altenberga wagt sich für die Zeitschrift "IR" an eine Zwischenbilanz der Windenergie in Lettland. Bisher wurden Windparks mit einer Kapazität von 136 MW installiert, schreibt sie - das ist fast fünfmal weniger als in Litauen (671 MW) und nur halb soviel wie in Estland (320 MW). Im Jahr 2021 wurde nur 2,5 % der gesamten Strommenge durch Windkraft erzeugt. 

Dass Windenergie nun auch in Lettland stärker in den Fokus gerückt wird, liegt an den erhöhten Energiekosten, meint Toms Nāburgs, Vorsitzender der lettischen Windenergieverbands. "Durch die technologische Entwicklung und den Anstieg der Strompreise ist eine Förderung von Strom aus Windenergie nicht mehr erforderlich - die Kosten von rund 40 Euro pro Megawattstunde können endlich mit den Marktpreisen konkurrieren. Aber bisher sind auch unsere Staatsoberhäupter zu diesem Thema noch nicht über ein paar schöne Reden hinausgekommen."

Dem Bericht von Altberga zufolge plant der private Netzbetreiber "Augstsprieguma Tīkls AS" Projekte von insgesamt 6.287 MW, davon 1346 MW für Windenergie. Offenbar ist der für Solarenergie vorgesehene Anteil deshalb größer, weil bei Windenergieanlagen die Umweltverträglichkeitsprüfung in Lettland wesentlich umfangreicher ist. Zudem gab es bisher einige Beschränkungen und Verbote, die die verfügbaren Flächen für den Bau von Windparks erheblich einschränken. So durften zum Beispiel Anlagen von mehr als 2 MW nicht näher als 800 Meter von Wohngebäuden und öffentlichen Gebäuden entfernt sein. 

Auch ein neues Unternehmen, die "lettische Windpark GmbH" (“Latvijas vēja parki”), gemeinsam gegründet am 22. Juli 2022 von der Verwaltung der lettischen Staatswälder (Latvijas valsts meži) und dem lettischen staatlichen Energieversorger "Latvenergo" deutet wohl darauf hin, dass in Zukunft auch in Gebieten mit Staatswald gebaut werden soll. Bis 2030 sollen so Anlagen von 800 MW entstehen. Das hat zur Folge, dass offenbar eine Diskussion darüber begonnen hat, "welchen Investoren der Wald zuerst geöffnet wird" - naturfreundlich klingt anders. Raimonds Čudars, gerade frisch im Amt als "Minister für Energie und Klima", scheint vor allem Wert auf gleiche Wettbewerbschancen der verschiedenen Firmen zu legen. 

Ilvija Boreiko, Vorstandschefin bei "Latvijas vēja parki", gibt sich gut vorbereitet: "Wir führen zur Zeit verschiedene ökologische Studien durch, ornothologisch, zu Fledermäusen und anderen Tier- und Pflanzenarten, damit durch Windparks möglichst die biologische Vielfalt nicht beeinträchtigt wird." Diese Studien seien nicht auf Kurland und die Küste nördlich von Riga beschränkt. "Es geht uns nicht darum, wo die stärksten Winde wehen, sondern uns interessiert der Wind in 200-300m Höhe; darauf bezogen ist das Potential in ganz Lettland etwa gleich. Ich denke, wir können bis zu 120 Windturbinen produzieren." Die ersten fertigen Anlagen sollen demnach 2026 in Betrieb gehen. (latvenergo) Dem gestiegenen Interesse entspricht auch, dass Lettland im April 2023 Gastgeber der "WindWorks" sein wird, der bisher größten Zusammenkunft von Expertinnen und Expertinnen der Windenergie in den baltischen Staaten. 

Für den Bau von Windenergieanlagen auf See (offshore) sieht sich Lettland allerdings derzeit noch nicht vorbereitet. Bisher gibt es nur ein einziges Projekt von "Elwind", einem estnisch-lettischen Joint-Venture. Weitere ähnliche Projektanträge wurden vom zuständigen Ministerium bisher abgelehnt. Minister Čudars erklärt das mit noch fehlenden entsprechenden Verordnungen, nach welchen Regeln solche Küstengebiete für Windenergieanlagen freigegeben werden könnten. Das Ministerium arbeite daran. (IR)

1. Februar 2023

Neu vereinigt in Riga: Team Stadtplanung

17 Jahre verbrachte Architekt Pēteris Ratas außerhalb seines Heimatlandes: er war Teilhaber eines Büros in New York, und arbeitete auch an Projekten in den chinesischen Städten Shenzhen und Schanghai. Zuvor hatte er an der Technischen Universität Riga und dann am Technologischen Institut in New Yersey in den USA studiert. Nun wird er "Rigas Dirigent" - der Stadtarchitekt.

Drei Kandidaten und eine Kandidatin hatten sich um das Amt in einer offenen Ausschreibung beworben: Agate Eniņa, die mit einer Arbeit über die Architektur künsterischer Gebäude an der Rigaer Technischen Universität (RTU) ihren Doktorgrad verliehen bekommen hatte (Mākslu ēku arhitektūra Latvijā”), Ingurds Lazdiņš, Architekturdozent an der RTU, und Uldis Sedlovs, der außer der Arbeit für viele verschiedene Architekturbüros auch einen Magisterabschluss im Fach Philosophie vorweisen kann. (a4d.lv)

Der Ausschreibung vorausgegangen waren Beschlüsse des Stadtrats Riga, die Arbeit der Rigaer Stadtentwicklung neu zu organisieren. Wo früher Baubehörde, Stadtentwicklung und Stadtarchitekt getrennt voneinander arbeiteten, so sollen sie dies in Zukunft gemeinsam unter dem Dach der Stadtentwicklungsabteilung tun. Die Änderungen sollen die Entwicklungs- und Bauprozesse der Stadt effektiver verwalten und kontrollieren, die zuvor in drei separaten Institutionen überwacht und diskutiert wurden, was häufig zu Widersprüchen führte und die Prozesse verlangsamte, und vielleicht auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Riga im Kontext der größeren Region verringerte. (a4d.lv)

Bereits seit einem Jahr gibt es in Riga mit Evelīna Ozola auch eine "Hauptdesignerin", ein ganz neu geschaffenes Amt. Auch Ozola ist ausgebildete Architektin, hat aber ihr Studium im Fach "Urban Design" an der TU Delft in den Niederlanden fortgesetzt. Sie beschreibt ihre Aufgaben im Interview mit dem lettischen Radio so: "Meine direkteste und klarste Aufgabe ist es, bei der Auswahl der am besten geeigneten Landschaftsgestaltungselemente zu helfen. Vereinfacht gesagt sind dies verschiedene Bänke, Mülleimer, Fahrradständer und auch Zäune." Aber auch die Umgestaltung des Stadtraums im Zuge des "Rail Baltica"-Projekts sei eine aktuelle Aufgabe. (lsm)

Als weiteres Teammitglied bei der Rigaer Stadtentwicklung gibt es auch eine "Haupt-Landschaftsplanerin" (deutsch würden wir vielleicht sagen "leitende Landschaftsplanerin"). Das ist Indra Purs, ebenfalls mit Grundausbildung in Architektur. (rdpad.lv

Das, was heute im Stadtentwicklungsbüro zusammengeführt werden soll, wurde 2009 bewusst getrennt - als eine der Konsequenzen aus einem Korruptionsskandal, in den damals der Direktor der Stadtentwicklungsabteilung Vilnis Štrams zusammen mit vier weiteren Beamten verwickelt war. Er hatte Bestechungsgelder in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro von Firmen im Zusammenhang mit der Umsetzung von Bauplänen gefordert - und auch bekommen. Unter Verdacht standen damals auch mehrere Politiker, unter anderem der Ex-Bürgermeister Gundārs Bojārs; deren Verfahren wurden aber sämtlich aus Mangel an Beweisen eingestellt. (IR / delna)

21. Januar 2023

Bei Jakob Land unter

Der Jahresanfang geriet in der lettischen Stadt Jēkabpils aufregend: der winterliche Wärmeeinbruch nach einer Frostperiode brachte Straßen- und Schulschließungen, und nach ausgiebigem Regen ansteigende Fluten der Daugava. Das Eis des bis dahin zugefrorenen Flusses war in in Bewegung geraten, aber am Ufer noch gefroren - also schoben sich die Eisplatten aufeinander und hinderten den Abfluss des Wassers. Weitere Bereiche der Stadt standen unter Wasser. Etwa 50 Menschen mussten für einige Tage ihre Häuser verlassen, sie kamen größtenteils bei Freunden und Verwandten unter. 

1670 wurden der heute eher beschaulich gelegenen lettischen Stadt Jēkabpils die Stadtrechte verliehen - vom kurländischen Herzog Jakob Kettler - daher der Name (deutsch =  Jakobstadt). Prägend für die Partnerstadt von Melle / NRW ist die Funktion der Stadt als Verkehrsknotenpunkt, sowohl der Straßen wie auch des Bahnverkehrs. Auf der anderen Seite der Daugava liegt Krustpils (Kreutzburg), das in alten Urkunden schon seit 1237 erwähnt wird. Jēkabpils, so wie es heute aussieht, entstand erst 1962 nach dem Bau einer neuen Brücke über die Daugava, die Krustpils mit Jēkabpils verband.

Einige Tage lang stieg nun der Wasserstand der Daugava immer mehr an. Der Schutzdamm hielt den Wassermassen an einige Stellen nicht stand, dort versuchte die Feuerwehr mit Wasserpumpen Wasser aus der Gefahrenzone zu bringen. "Noch nie war der Wasserstand mitten im Winter so hoch", meint Wasserbauexpertin Daina Ieviņa. "Deshalb bricht und verdichtet sich das Eis in schmaleren Untiefen, wie es in der Nähe von Zeļķie, unterhalb von Jēkabpils, geschehen ist. Je niedriger der Wasserstand, desto größer die Eisstaus. Der Regen und die Wärme heben dann das Wasser an und das Eis gerät in Bewegung." Und sie schaut auch voraus: Wenn dann die Wassermassen weiterfließen zum Staudamm, bilde sich dort bei Frost eine neue Eisdecke und könne den Druck im Frühjahr noch verstärken – besonders wenn es dann schnelles Tauwetter geben solte. (IR) Das lettische "Zentrum für Umwelt, Geologie und Meteorologie" (Latvijas Vides, ģeoloģijas un meteoroloģijas centrs) warnt weiter vor schwierigen Wetterverhältnissen bis voraussichtlich März.

Die größte Flutkatastrophe  ereignete sich in Jēkabpils aber im Jahr 1981. Damals fielen den Fluten über 1000 Rinder und 10.000 Hühner zum Opfer, 700 Häuser wurden überflutet, 800 Menschen evakuiert und mehrere Höfe durch dicke Eisschollen zerstört. (IR) Aktuell hatte am 16. Januar der Wasserstand bei 8,24m über Normalnull gelegen, am 14. Januar sogar bei 8,92 m - nur 5cm weniger als bei der großen Flut des Jahres 1981.

Als Konsequenz aus der Katastrophe damals wurde ein Damm gebaut und bis 1986 verstärkt. In den Jahren 2010 bis 2014 wurde alles noch einmal saniert und ausgebaut und oben mit einer beleuchteten Promenade versehen. Die letzte Ausbauphase war aber gegenwärtig noch nicht ganz beendet. Auch an anderen Stellen in Lettland sollte der Hochwasserschutz noch ausgebaut werden, warnen Experten. So müssten bei Ogre, an der Gauja und an der Lielupe noch mehr Überschwemmungsflächen eingerichtet werden, wo das Wasser gefahrlos über die Ufer treten könnte. 

Inzwischen haben in Jēkabpils Aufräumarbeiten begonnen. Maßnahmen zur weiteren Verstärkung des Damms sollen möglichst noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Präsident Levits lobte bei einem Besuch vor Ort den umsichtigen Umgang der Gemeindeverwaltung mit der Krisensituation und sagte für die notwendigen Baumaßnahmen staatliche Hilfe zu (lsm). Raivis Ragainis, Bürgermeister von Jēkabpils, gab eine notwendige Vereinfachung einger Verwaltungsvorschriften zu Bedenken, um den Hochwasserschutz schnell verbessern zu können. Metereologin Laura Krūmiņa ist sich sicher: "Wir haben es hier auch mit direkten Folgen der menschengemachten Klimaveränderungen zu tun. Wir müssen damit rechnen, dass es weitere Jahre mit instabilen Wintern geben wird." (liepajniekiem)

11. Januar 2023

Wer ist Eldars Mamedovs?

Der Name ist ungewöhnlich, aber nicht schwer zu finden: auf dem Portal "Internationale Politik und Gesellschaft" (IPG), betrieben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, wird Eldars Mamedovs als "politischer Berater der Sozialdemokraten im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments" ausgewiesen, zuständig für "die interparlamentarischen Beziehungen zu Iran, Irak, der Arabischen Halbinsel und Maschrik". 

"POLITICO" berichtete allerdings schon am 22. Dezember, die Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament habe Mamedovs suspendiert (siehe auch: Le Point). Man habe ihn den belgischen Behörden zur weiteren Strafverfolgung übergeben, steht da zu lesen. Mamedovs ist offenbar lettischer Staatsbürger, und so berichtete die Presse der baltischen Staaten entsprechend, ebenfalls noch vor Weihnachten (lsm / err / bnn /jauns).

Mamedovs Positionen seien aber teilweise "weit entfernt von lettischen nationalen Interessen", urteilte schon im August 22 das Portal "viss-skaidrs". Dort werden Quellen aus Aserbeidschan zitiert die darauf hinweisen, Mamedovs habe sich schon 2007 für eine Zusammenarbeit mit dem Iran entschieden. Danach habe sich Mamedov lange als überzeugter Liberaler und damit als Gegner der iranischen Regierung positioniert, parallel dazu sei er aber auch mehrfach in der iranischen Botschaft in Belgien gesehen worden – auch in den Jahren 2010 bis 2012, mitten in der USA-Iran-Krise. Zu Anfang seiner Karriere soll Mamedovs dieser Quelle zufolge im Bankgewerbe gearbeitet haben, unter anderem als Leiter des Büros der lettischen Parex-Bank in Aserbaidschan. Mamedovs ist geboren am 13. Dezember 1972 in Riga, stammt aber aus Lankaran in Aserbeidschan und ist Sohn des Unternehmers Adigjozals Mamedovs.

Für die sozialistische Franktion im Europaparlament soll Mamedovs schon seit 2009 gearbeitet haben. Mamedovs habe diese zu einer "eher milden" Haltung gegenüber Katar bewegen wollen - ähnlich wie im Fall der Korruptionsaffäre rund um die griechische Ex-EU-Parlamentsvize Eva Kaili (tagesschau / WDR / Spiegel). Es geht um den Verdacht, dass Entscheidungen der Europäischen Union mit hohen Geldsummen beeinflusst worden sein könnten. In diesem Zusammenhang gab es noch einige weitere Untersuchungen, bei denen nun offenbar auch Mamedovs in Verdacht geraten ist. Er soll unter anderem kostenlose Tickets für die WM in Katar erhalten haben (Politico). Weitere Einzelheiten über die konkreten Vorwürfe gegen Mamedovs sind bisher offenbar nicht öffentlich zugänglich.

Auf lettischen Portalen sind noch einige ältere Beiträge von Mamedovs zu finden. In einem Beitrag vom Januar 2014 kritisiert er den deutschen Bundespräsident Joachim Gauck und dessen Entscheidung, nicht zu den Olympischen Spielen ins russische Sotschi zu fahren - und lobt den lettischen Amtskollegen Andris Bērziņš, der sich pro Sotschi entschieden habe. Allerdings schrieb damals sogar die deutsche FAZ, Gauck würde mit seinem Fernbleiben "die große Mehrheit der russischen Bevölkerung kränken." 

Im Mai 2014 trat Mamedovs auf der Liste der "Saskaņa" zur Europawahl an - und landete im Ergebnis auf dem 16. und letzten Platz der Liste. Mamedovs findet sich damals auch als Unterzeichner einer "Selbstverpflichtung" für mehr Transparenz, Integrität, und mehr Schutz für Hinweisgeber in Fällen von Korruption. Auch die lettische "Delna", der lettische Zweig von "Transparency International", reagierte positiv auf diese Initiative. Und für die lettische "Providus", die sich ja auch Korruptionsbekämpfung als Thema vorgenommen hatten, schrieb Mamedovs etliche Beiträge. 

Derweil übt sich der heutige Parteichef der "Saskaņa", Jānis Urbanovičs, in Distanzierungsversuchen. "Mamedovs war nie Mitglied bei uns", behauptet er. Weiterhin habe "Saskaņa" auch nichts mit dem Amt bei der EU zu tun, was Mamedovs ausgeübt habe. Rigas Ex-Bürgermeister Nils Ušakovs gibt immerhin zu, mit Mamedovs einige Jahre zusammengearbeitet zu haben. (tvnet) - ansonsten sei Mamedovs, so stellt es Urbanovičs dar, "einfach ein Karrierediplomat" gewesen.

5. Januar 2023

Blick nach Süden

Zu Jahresanfang 2023 mahnt Roberts Mencis in der Zeitschrift "IR" alle Lettinnen und Letten mit der These: Ja, haben uns jetzt auch die Litauer schon überholt? Zum einen sei man ja schon gewöhnt, dass schon seit den 1990iger Jahren immer vom steilen Wirtschaftsaufschwung des nördlichen Nachbarn Estland die Rede gewesen sei. Dafür habe man in Lettland ja immer Gründe gefunden: angefangen damit, dass die Esten eben schon zu Sowjetzeiten immer finnisches Fernsehen hätten schauen können, bis dahin, dass Estland eben weitsichtig die Chancen der Digitalisierung genutzt habe. 

Nun aber habe offensichtlich im vergangen Jahrzehnt auch Litauen dem nördlichen Nachbarland in vielen Punkten den Rang abgelaufen. Das zeigt schon die Hauptstadt: Vilnius wächst, und wird in wenigen Jahren die Bevölkerungszahlen von Riga wohl übertreffen (Beitrag)

Mencis hat einige Zahlen zusammengestellt. Schon 2008 sei das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner auf gleichem Niveau gewesen: Litauen habe damals 88% des EU-Durschnitts erreicht - Lettland nur 71%. Als Grund für den relativen Erfolg Litauens gegenüber Lettland hätten Ökonomen insbesondere die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Steigerung des Exports genannt, so Mencis. Dennoch: die Weltwirtschaftskrise 2009 / 2010 habe damals Litauen eigentlich noch härter getroffen als Lettland. Aber: seit damals habe in Litauen stetiges Wirtschaftswachstum begonnen, zuletzt zwischen 2017 und 2021 jedes Jahr um 4%. Und der Export des produzierenden Gewerbes, also zum Beispiel Möbel, Mineraldünger, Lebensmittel, Holz und chemische Produkte, der 2010 34% des Warenexports Litauens ausgemacht habe, läge heute bereits bei 50%. 

Sogar die verschiedenen Krisen des vergangenen Jahrzehnts hätten eher dazu beigetragen, bestehende Absatzmärkte zu erweitern. Nach der russischen Annexion der Krim veranlassten von Russland verhängte Handelsbeschränkungen für bestimmte litauische Waren die Hersteller, die Exportmärkte zu diversifizieren und sich stärker auf die Produktqualität zu konzentrieren. So sei es litauischen Herstellern wie z.B. "Vilniaus Baldai" oder der VMG-Gruppe zum Beispiel gelungen, IKEA zu beliefern und so Litauen zum viertgrößten Möbelhersteller der Welt zu machen. Und sogar während der Pandemie gab es gute Beispiele: durch die Beteiligung des Unternehmens "Thermo Fisher Scientific Baltics" (eine Tochtergesellschaft des US-Unternehmens Thermo Fisher Scientific“) am Impfstoffproduktionsprozess habe sich der Export von chemischen Produkten verzehnfacht. (siehe auch: Invest Lithuania)

"Litauen hat außerdem viel für die Digitalisierung und die Modernisierung von Produktionsanlagen getan, und auch der Hafen von Klaipeda hat sich neu positioniert," sagt Vidmantas Janulevičius, Präsident des Verbandes der litauischen Industrieverbandes. (IR) So betrug der Frachtumschlag in Klaipeda 2010 noch 31 Millionen Tonnen, und lag damals in etwa auf dem Niveau des Hafens in Riga. 2021 stieg die Zahl aber bereits auf 45 Mill. Tonnen, was damit höher liegt als der Gesamtumsatz der drei größten lettischen Häfen zusammen (2022 dann etwas beeinträchtigt durch Sanktionen gegen Russland, Belarus und China).

Janulevičius meint aus seiner Sicht, Litauen sei es eben gelungen lebensfähige Industrieunternahmen zu erhalten, während Lettland viel auf Finanzdienstleistungen setzte und auch zwischenzeitlich Nutzen zog aus dem "grauen Markt", also halblegalen Investitionen von russischer Seite."Wir haben auf die Stärkung eines transparenten, auf Recht und Gesetz basierenden tranparenten Geschäftsumfelds gesetzt," so Janulevičius. (IR

Für die Ölraffinerien, die Möbel- und Mineraldüngerproduktion Litauens sei es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leichter gewesen, den Qualitätssprung hin zu westlichen Produkten zu schaffen, heißt es. Aber in Lettland stellten große Industrieunternehmen, wie beispielsweise im Elektroniksektor, ihre Arbeit fast vollständig ein. Da gab es einfach auch die große Konkurrenz mit Japan oder Korea auf dem Markt.

Pēteris Strautiņš, Chefökonom bei der Bank "Luminor", schreibt außerdem einer aus Sowjetzeiten übrig gebliebenen lettischen Elite eine gewisse Rolle bei der Entwicklung zu. "Da waren einige loyaler gegenüber Moskau als zum eigenen Staat," meint er (IR). Nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit sei eine ganze Reihe von Betrieben von ihrem damals bestehenden Management übernommen worden - und diese seien eben in Litauen weniger "sowjetisiert" gewesen. Zum Beispiel habe es Möbelindustrie ja auch in Lettland gegeben - aber diese sei inzwischen fast völlig verschwunden. 

"Die demografische Struktur Lettlands trug zur Bildung eines politischen Parteiensystems bei, in dem die ethnische Spaltung zum bestimmenden Faktor wurde," so so sieht es der lettische Ökonom Edmunds Krastiņš. "So war hier die Konkurrenz zwischen westlich orientierten Parteien schwächer als in Litauen und Estland, was zu einer Machtkonzentration im Kreis enger Interessen führte. Durch die Prägung der sowjetischen Besatzung entstand eine gewisse Rhetorik, dass die Zukunft der lettischen Wirtschaft eine Brücke zwischen Ost und West sein solle. Das hat eine ziemlich ausgeprägte Ausrichtung auf Russland geschaffen, im Gegensatz zu Estland, das sich an den nordischen Ländern und auch an Litauen orientiert hat“, sagt Krastiņš.(IR)

Auch das gegenwärtige Wachstum der litauischen Hauptstadt Vilnius sehen die Ökonomen vor diesem Hintergrund. Seit 2018 sei auch die Bilanz der Arbeitsmigration in Litauen wieder positiv - es kommen mehr nach Litauen als Menschen ausreisen. - Dennoch, der Satz "die Litauer sind unsere Brüder" sollte Bestand haben. Als Ex-Ministerpräsident Skvernelis 2019 mal die Bemerkung rausrutschte "die Letten sind nicht Brüder, sondern Konkurrenten auf verschiedenen Gebieten, besonders der Wirtschaft" beeilte sich sogar der so Zitierte, das schnell wieder zu korrigieren (er sei von der Presse verzerrt wiedergegeben worden). Und TV-Journalist Andrius Tapinas widmete Lettland "zum Trost" eine ganze Ausgabe seiner Show "Laikykites Ten" ("Haltet durch") nach dem Motto: "kümmert euch nicht um Skvernelis, er noch jung, er muss noch lernen." Aber eine kleine Bitte hat Tapinas, in aller gebotenen Ironie, denn doch: Litauen habe 99km Küstenlinie; gerne würde Litauen daraus eine runde Zahl machen - ob Lettland nicht vielleicht einen Kilometer abgeben könne?