Zweifelhaft und unanständig?
Immerhin über 11.000 Unterstützende hat die Initiative schon gefunden. Gefordert wird die Beendigung der Teilnahme Lettlands am Eurovision Song Contest. Begründung: "Es ist sehr zweifelhaft, ob diese Maßnahme das Image und den Ruf Lettlands erheblich verbessert. Menschen, die dort teilnehmen, neigen dazu, sich obszön verhalten, und dies wird auch als Norm beworben."
Obszön? Der im Original verwendete Begriff "piedauzīgi" wird auch mit "anstößig", "unanständig" oder "abstoßend" übersetzt. Also ein Moralapostel? Eine Idee, wie die frei werdenden finanziellen Mittel verwendet werden sollen, liefert Kristaps Bogdanovičs, der Autor der Eingabe, gleich mit: für den Sport (und für Biathlon im besonderen). Im Sport seien mehr "positive Beispiele für junge Leute" zu finden. An Doping dachte er dabei wohl offenbar nicht.
Internationales Aufsehen
Inzwischen erregen die lettischen "Sportfans" auch international Aufsehen. "Lettland 2025 nicht dabei?" fragen griechische und irische Eurovisions-Fans. Allerdings wird dort das Bogdanovičs-Zitat abgewandelt: statt von "sich abszön benehmen" ist jetzt von "behave wildly" die Rede. Beim litauischen LRT wie auch beim "Baltic News Serive" (BNS) wird es schon zur Staatsaffäre, denn hier ist die Überschrift "Lettland überlegt Ausstieg aus der Eurovision".Da die Initiative über 10.000 Unterstützer/innen hat, ist eine Beratung des Anliegens im lettischen Parlament vorgesehen - aber die steht bisher noch aus.
Wer ist Kristaps Bogdanovičs? 2014 ist dieser Name auf der Liste der "Jaunā konservatīvā partija" JKP fürs lettische Parlament (cvk) zu finden. Aber die JKP erreichte damals lediglich 0,7%, und Bogdanovičs bekam auf dieser Liste von 32 Kandidat/innen die zweitwenigsten Stimmen (cvk).
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Tugendhafte Kritiker?
Nun also scheint er seine "Fans" gefunden zu haben (oder sollten wir "Anti-Fans" sagen?). Lettlands Teilnahme an der Eurovision kostete 2023 166 000 Euro, rechnet das Portal "Jauns.lv" nach. Die "Latvijas Avize" bringt auch die Aussage von Bogdanovičs, es sei verrückt, wenn der lettische Biathlon-Verband Spenden sammeln müsse um im Weltcup oder bei einer WM auftreten zu können. "Da ist Sport doch mit Sicherheit wichtiger als die Eurovision!"
Und in einem weiteren Beitrag darf Jāzeps Baško das schildern, was er "die Gedanken einfacher Leute beim Betrachten der Eurovision" nennt. "Ich verfolge die Eurovison schon seit den Zeiten von 'Prāta Vētra' "; schreibt er (das war 2000 Platz 3, siehe Youtube). Baško bezeichnet die Eurovision als "europäische Schwulenparade" und meint, die "LGBT-Flagge" werde hier kräftiger geschwenkt als die Flaggen der teilnehmenden Länder. Dann folgt Bildhaftes: "Eurovision ist eine Veranstaltung der demokratischen Diplomatie. Es ist wie ein Zweikammerparlament, in dem das einfache Volk und die oberen Ränge über die Beziehungen zu den Nachbarländern abstimmen."
Oha, hier wird die Eurovision aber richtig ernst genommen! Originalton Baško: "Putin, die Chinesen und Muslime reiben sich die Hände. Europa ist noch attraktiver, als man es sich vorstellen kann. Es gibt Boden, den es zu kultivieren und wo es Ordnung zu schaffen gilt." (LA) Lobend erwähnt Baško die Beiträge von Frankreich und Israel (ohne nähere Begründung).
Eurovisions-Fans wehren sich
Denken alle in Lettland so? 2023 machte der lettische "Künstler- und Produzentenverband" ("Latvijas Izpildītāju un producentu apvienības LaIPA") seine ausdrückliche Unterstützung für lettische Teilnehmer/innen bei der "großen Eurovision" öffentlich - die unterstützte Band "Sudden Lights" schied allerdings als elfte schon im Halbfinale aus. Auch 2024 unterstützte die LaIPA "Dons" aus Lettland speziell bei der Werbung für seinen Song schon vor dem Tag des Eurovisionsfinales - und hat vor, Ähnliches auch noch mindestens bis 2026 zu tun. (eurovoix) Der Verband erinnert auch daran, dass 2002 Lettland überhaupt nur deshalb teilnehmen konnte, weil Portugal sich zurückgezogen hatte - und in der Folge dann "Mari N" ("I wanna") gewann, als große Überraschung.
Der zuletzt erfolgreichste lettische Beitrag zur Eurovision: Aminata belegte 2015 mit "Love injected" Platz 6 |
An einer Antwort auf Kritiker Jāzeps Baško versucht sich Journalist Karlis Streips: "166.000 Euro sollen zu viel sein? Weiß Herr Baško eigentlich, wie viel Geld unser Land ausgegeben hat, damit der lettische Basketballverband dieses Jahr ein Olympia-Qualifikationsturnier veranstalten kann? Etwas mehr als zwei Millionen Euro." Dem wäre hinzuzufügen, dass es auch im Beachvolleyball ein Olympia-Qualifikationsturnier in Lettland gab - mit 400.000 Euro aus lettischen Steuergeldern (sportazinas)
Selbstbewußtsein und Menschenrecht
"Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass sich irgendjemand aus Lettland bei seinem Auftritt bei der Eurovision 'obszön' verhalten hätte," fährt Streips fort, "Dons kann es ja nicht gewesen sein." Und seine Schlußfolgerung ist: "Ich verstehe, dass wir Letten ein so sehr,
sehr tugendhaftes Volk sind. So tugendhaft, dass Dinge wie Lesben, Transgender
und andere „Perverse“ nichts für uns sind. Aber wir leben immer noch im Jahr 2024 und in Europa, wo die universelle
Natur der Menschenrechte weithin anerkannt ist. Auch für Schwule. Auch
für Trans-Menschen." (LA)
Lolita Tomsone bezeichnete in einem Beitrag für das lettische Kultuportal "Satori" die Eurovision als "politmusikalischen Karneval". Bei der Eurovision habe "jede/r nur drei Minuten Zeit, um die ganze Welt zu überraschen."
Lettische Zuschauer des deutschen Fernsehens verteidigten den lettischen Beitrag übrigens vehement. Als Moderator Thorsten Schorn beim Vorentscheid "Dons" als "Schlumpf, der seine Mütze verloren hat" titulierte, musste er sich mit Protestzuschriften auseinandersetzen. Ein paar "nette Letten" hätten sich beschwert, gab Schorn dann während der Finalmoderation zu. Offenbar waren es nicht wenige.
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