20. Dezember 2025

Sterbende Männer

Es ist nur Statistik - das ist aber wohl kein Trost. Schon länger ist bekannt, dass es mehr Frauen als Männer in Lettland gibt - das ist schon jahrzehntelang so, und niemand erinnert sich, dass es je anders war. Nun aber gibt es neue Zahlen: aktuellen Statistiken zufolge werden lettische Männer 70 - 71 Jahre alt, und liegen damit ganz am Ende der Statistik in Europa. Im Mittel werden Männer in Europa 8,2 Jahre älter, und Frauen werden in Lettland ganze 10 Jahre älter als Männer!

Woran liegt das?

Rauchen Männer mehr? Trinken sie mehr Alkohol? Eigentlich gilt eine Erkenntnis inzwischen als erwiesen: Lebensstile beeinträchtigen Lebenserwartung stärker als biologische Unterschiede (BIB). Vorausgesetzt, Vorbeugung und Früherkennung werden nicht vergessen. 

Immerhin leben Männer in Lettland inzwischen 7,5 Jahre länger, als es zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion der Fall war (Frauen 6,3 Jahre länger). Der Abstand jedoch in der Lebenserwartung von Frauen zu Männern ist kaum geringer geworden. ("IR") 

Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems sind die häufigste Todesursache in Lettland; Männer im arbeitsfähigen Alter sterben viermal häufiger an Herzerkrankungen als Frauen. Die Sterblichkeit bei Tumoren ist bei Männern 40% höher als bei Frauen. Und auch bei Selbstmord, Vergiftung durch Alkohol oder andere Substanzen, Stürze, Verkehrsunfälle, Ertrinken, Erfrieren, Tod durch Feuer oder Rauch, Gewalt – überall sind Männer wesentlich mehr vertreten als Frauen. ("IR") 

Männer-Syndrome, oder Angst vor dem Arzt?  

Diese Statistiken fallen allesamt so eindeutig aus, dass sich Pauls Raudseps in einem Beitrag für die Zeitschrift "IR" sogar veranlasst sieht, das Phänomen als "Männlichkeitssyndrom" zu bezeichnen. Männer suchen sich keine Hilfe im Problemfall, nehmen unbedacht Medikamente, und gehen selten zu Vorsorgeuntersuchungen, das bestätigt auch Dr. Ernests Pūliņš-Cinis, Arzt an der Stradiņa-Universität Riga. 

Agris Starts organisiert und moderiert Gesprächsabende für Männer unter dem Motto "Einsamer Kampf" ("Vientuļā cīņa"); in der Einladung zur Veranstaltung steht folgender Satz: "Männer entscheiden sich oft dafür, die Schwierigkeiten des Lebens alleine zu bewältigen – indem sie schweigen und ihre Gefühle verbergen." "Männer sind überzeugt, dass niemand sonst sich für ihre Probleme interessiert," meint Gesprächsmoderator Starts. 

Einsam und unverstanden?  

Umfragen zufolge haben im vergangenen Jahr 28% der Männer nicht den Hausarzt aufgesucht (bei den Frauen 13%). Nur 67 % der Männer hatten im letzten Jahr ihren Blutdruck messen lassen, bei den Frauen lag der Anteil bei etwa 85 %. ("IR") 

Beim Alkoholkonsum pro Einwohner über 15 Jahren liegt entsprechend Untersuchungen der OECD Lettland vorn, zusammen mit Portugal. Einer Studie des "Baltic International Centre for Economic Policy Studies" (BICEPS) zufolge trinken 71% der Menschen in Lettland Alkohol (vor allem Männer). An gleicher Stelle ist auch nachzulesen, dass Lettland an der Spitze der sogenannten (durch Vorsorge oder Behandlung) "vermeidbaren" Todesursachen steht - ausdrücklich nur bei den Männern. Und auch 43% der lettischen Männer bekennen sich Raucher zu sein (im EU-Mittel sind es 28%). Die Studie weist allerdings auch auf die chronische Unterfinanzierung des lettischen Gesundheitssystems hin. 

Wege der Besserung

Gibt es Wege, die Situation zu verbessern? Vor wenigen Wochen trat ein Gesetz in Kraft zur Verkürzung der Verkaufszeiten von Alkohol. (siehe "Abends ohne"). Das stieß jedoch auf starken Widerstand seitens der Alkoholhersteller und -händler, und auch in den Diskussionen über den Haushalt 2026 wurde die geplante Erhöhung der Alkoholsteuer in den kommenden Jahren unter dem offensichtlichen Einfluss dieser Lobby abgeschwächt. 

Aber der lettische Staat unternehme viel zu wenig gegen die Sterblichkeit von Männern, beklagen andere. Den Worten von Sanita Janka, Direktorin der Abteilung für Gesundheitswesen des Gesundheitsministeriums zufolge, nahmen immerhin 76% der männlichen Zielgruppe im vergangenen Jahr Krebsvorsorgeuntersuchungen in Anspruch. Gesundheitserziehung als Schulfach würde Janka befürworten - doch aus dem Bildungsministerium kam bisher keine Initiative in diese Richtung. ("IR") 

Einige Selbsthilfegruppen von Männern, die anderen helfen wollen, haben sich gebildet. Mit "Europa Uomo Latvia" gibt es jetzt eine lettische Vereinigung zur Bekämpfung von Prostatakrebs,und mit „Dzīvības koks” (Baum des Lebens) gibt es einen Verein zur Unterstützung von Krebspatienten. Der Verein "Telpa Vīriem" (ein Raum für Männer) möchte Männer ins Gespräch miteinander bringen. Die "Izdzīvošanas skola" (Überlebensschule)  organisiert Wanderungen in der Natur gemeinsam für Väter und Söhne, dazu auch "50-Stunden-Aufgaben" zur Verbesserung der authentischen Männlichkeit. Ob das Motto dieser "Überlebensschule" weiterhilft? Dort heißt es: "Männer brauchen eine abgeschiedene und rauere Umgebung, in der sie sie selbst sein können, sich ihren Ängsten und den Kräften der Natur stellen, Schwierigkeiten überwinden, körperlich kämpfen, die Gemeinschaft mit anderen Männern erleben, Lebenserfahrungen austauschen und Antworten auf die wichtigsten Fragen des Lebens suchen können."

Nun ja, für ein paar "gute Vorsätze" zum Neuen Jahr wird es sicher erst einmal reichen. 

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