23. Januar 2022

Mehr Kratzer für die Skyline

So sieht der Siegerentwurf für "Krasta City" aus
Nein, es ist nicht als Reminiszenz an Lettlands ehemaligen Kurzzeit-Regierungschef und ehemaligen EU-Abgeordneten Guntars Krasts gedacht - denn so viele Ruhmestaten werden gerade ihm ja nicht nachgesagt, als dass irgend etwas nach ihm benannt werden könnte. Wenn jetzt von "Krasta City" die Rede ist, dann ist auch kein beliebiger Ort an Lettlands Küstenlinie gemeint (krasts = Küste).

Über 307 km2 erstreckt sich die Stadt Riga, davon nimmt 4,38 km2 die Altstadt ein. (die Partnerstadt Bremen hat mit 318 km2 eine fast gleichgroße Fläche - allerdings nur 1,18 km2 Altstadt). Trotz der allgemeinen Tendenz der Abwanderung vieler Arbeitssuchender aus Lettland ins europäische Ausland wächst Riga an seinen Grenzen: sehr nachgefragt waren in den vergangenen Jahren Wohnungen in direkter Nachbarschaft der Stadt. Nun versucht die Stadt neue Angebote zu entwickeln: "Krasta City" soll sich einen halben Kilometer an der Daugava-Küste entlang erstrecken, erstellt vom estnischen Immobilienentwickler "Hepsor": auf 100.000 ㎡ Fläche, 10 Jahre Bauzeit, sieben Bauwerke bis zu 15 Stockwerke hoch, Baukosten geschätzt 150 Millionen Euro. Und womit wird für das Projekt geworben? "In fünf Minuten mit Fahrrad oder e-scooter in die Altstadt". (lsm)

Es soll also schon wieder gebaut werden an der
Krasta iela - und alle die dort schon wohnen
brauchen viel Geduld.

Es wird also weiter gebastelt an der Skyline der Stadt zur Daugava hin (auf der Webseite des Lettischen Architektenverbands sind auch die anderen für den Designwettbewerb eingereichten Vorschläge noch zu sehen).
In Aussicht gestellt wird auch eine um 5 km verlängerte Uferpromenade (Baltic Times). Dort ist "socializing" angesagt - nach dem Willen der Stadtplaner. Also: ein schickes Umfeld für Leute, die zu promenieren lieben. Sollte es gelingen, mehr Menschen hier zum Verweilen einzuladen, wird es dann wohl auch zum Anziehungspunkt für Investitionen werden - nicht nur als Location für ein paar Straßencafés und Läden. Auch der Städtetourismus braucht ja ständig neue Routen und Ziele fürs Marketing. Und so nah am Wasser: da liegt auch der Gedanke an Eigentumswohnungen mit eigener Anlegestelle fürs Segelboot nahe. 

Das Daugavaufer sei eines der "ungenutzen Werte der Stadt", sagen die Stadtplaner. "Unausgenutzt" möchte man da vielleicht anworten. Ein anderes Werbewort für das Projekt ist, es solle die "Business-Card der Stadt" werden - ein "Lifestyle-Projekt". Da müssen wir wohl abwarten, ob eine solche Entwicklung eher Menschen anzieht oder abschreckt.

14. Januar 2022

Der Schreiber aus Skrīveri

Am 17. November 1970 starb der lettische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Andrejs Upīts (geb. 1870). In der Brīvības iela 38 in Riga ist eine Wohnung in Gedenken an ihn eingerichtet, und vor dem Kongreßgebäude in Riga steht seine Statue.

In seinem Geburtsort Skrīveri gibt es sowohl eine Andrejs-Upīts-Straße, eine Andrejs-Upīts-Bibliothek, eine Upīts-Mittelschule mit etwa 350 Schülerinnen und Schülern und ein Andrejs-Upīts-Museum. Auch eine besonders mächtige Eiche (dižkoks) nahe des Ortes wird nicht ganz zufällig "großer Andrejs" genannt. Zu besonderen Anlässen werden in Skrīveri regelmäßig Gästegruppen mit den Orten bekannt gemacht, an denen Arbeiten von Andrejs Upīts entstanden sind, und alljährlich im November gibt es die "Andrejs-Tage" zu seinen Ehren.

Aber seit Ende 2021 gibt es Unruhe im 3500-Einwohner-Örtchen Skrīveri. Guntis Libeks, Delegierter der nationalistischen Partei "Alles für Lettland" ("Visu Latvijai"), brachte einen Antrag auf Namensänderung sowohl von Schule, Bibliothek wie Straße ein. Der Name Upīts sei zu stark mit dem früheren Sowjetregime verbunden, so das Argument; ein "nelietis" (Schurke) sei er gewesen, so meint Libeks. - Lettische Medien berichten allerdings von nur geringer Unterstützung für diesen Vorschlag (lsm). Die Gemeinde will nun allerdings Historiker/innen um ein fachliches Urteil bitten.

Nach der lettischen Gemeindereform gehört der Ort Skrīveri jetzt zum Bezirk Aizkraukle. Dort bekam die Partei "Latvijas Attistibai" ("für Lettlands Entwicklung") zuletzt 44,85% der Wählerstimmen und damit 10 der 19 Sitze. Die Vereinigung "Visu Latvijai!" ("Alles für Lettland") bildet mit 20,47% der Stimmen und 4 Sitzen die größte Opositionspartei. Seit 2013 war Andris Zālītis in Skrīveri Ortsvorsteher, nun, nach der Gemeindereform, ist er stellvertretender Bezirksvorsitzender in Aizkraukle. "Bisher wurde Upīts doch eher nach seinen Leistungen als Schriftsteller beurteilt, nicht als Politiker", meint er, und spricht sich gegen Namensänderungen aus. "Sollen wir denn die Denkmäler verbrennen? Diese Art Nationalismus ist doch zu extremistisch!"

Aizkraukle hat allerdings Erfahrung mit Namensänderungen - der Ort hieß zu Sowjetzeiten noch Stučka - benannt nach Pēteris Stučka (1865-1932), der 1917 die lettischen Bolschewiki anführte, für ein Zusammengehen mit der Sowjetunion eintrat und sich 1919 einige Wochen lang Präsident einer von den Bolschewiki ausgerufenen Lettischen Sowjetrepublik nennen ließ. - Auch Andrejs Upīts wurde nach der Februarrevolution 1917 in den Rigaer Arbeiterrat gewählt und beteiligte sich nach kurzer Inhaftierung durch die deutschen Besatzungsbehörden aktiv beim dem Versuch, in Lettland eine Sozialistische Sowjetrepublik zu errichten. Im Mai 1919 ging er als Flüchtling nach Moskau, wurde 1920 nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion nach Lettland zweimal festgenommen, aber von anderen Kulturschaffenden verteidigt. Nach seiner Freilassung lebte er in Riga und Skrīveri. 

1977, zum 100. Geburtstag des Schriftstellers, wurde ein Upītis-Literaturpreis ins Leben gerufen, der auch mit einer Geldprämie verbunden war. Ausgezeichnet wurden u.a. Māris Čaklais, Alberts Bels, Māra Zālīte, Vizma Belševica, Knuts Skujenieks, Pauls Putniņš und Lilija Dzene.

"Hat denn der neue Kreistag Aizkraukle nicht wichtigere Dinge zu erledigen?" fragt sich auch Aldis Rakstiņš, Direktor der Schule, die nach Andrejs Upīts benannt ist. "Ich habe auch erst nachdem ich Bücher von Upīts gelesen hatte gemerkt, wie viel unserer Kulturgeschichte da drinnen steckt." 

"Wir meinen, es sollte vielleicht mal eine Volksbefragung durchgeführt werden", meint Agita Grīnvalde-Iruka, Redakteurin bei der Lokalzeitung "Staburags". "Auf dem Internetportal unserer Zeitung haben wir das schon gemacht, und es haben sich 400 von 600 Teilnehmern dagegen ausgesprochen, irgendwelche Namen zu ändern." (lsm)